[E-rundbrief] Info 717 - V. Shiva: Textkorrektur zu Info 716
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mo Sep 15 14:28:40 CEST 2008
E-Rundbrief - Info 717 - Vandana Shiva: Wider die Angst Satyagraha --
oder: Warum es zivilen Ungehorsam braucht, um unsere Allgemeingüter zu
verteidigen. (Korrektur zum Text in Info 716.)
Bad Ischl, 15.9.2008
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Im Text von Vandana Shiva, den ich von der Homepage von "medico
international" heruntergeladen und in unserem Info 716 gepostet hatte,
waren einige Fehler enthalten. Inzwischen steht der korrigierte Text auf
www.medico.de/material/rundschreiben/2008/02/vandana-shiva/.
Ich füge ihn hier an.
Matthias Reichl
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Wider die Angst
Satyagraha -- oder: Warum es zivilen Ungehorsam braucht, um unsere
Allgemeingüter zu verteidigen.
Von Vandana Shiva.
Eine der größten Herausforderungen für Solidarität heute ist der Umgang
mit den Erfindungen und Konstrukten, die der Kapitalismus geschaffen
hat, um uns, unsere Welt und unser Denken zu beherrschen. Ich komme aus
Indien. Unser Land wurde jahrzehntelang von der East India Company
beherrscht, einer der ersten Kapitalgesellschaften überhaupt. 1857 gab
es unsere erste Unabhängigkeitsbewegung. Der Aufstand scheiterte, aber
er brachte das Ende der Herrschaft der East India Company. Die
Herrschaft der internationalen Konzerne hat für die Menschen in Indien
bereits Züge der totalen Kontrolle über Handel und Wirtschaft
angenommen, so wie sie einst die East Indian Company ausübte. Damals
hatten wir die East Indian Company, jetzt haben wir Saatguthersteller,
Pharmamultis, chemische und biogenetische Bigplayer, die unser Land
regieren.
Immer deutlicher wird, dass das Gesundheitswesen und die
Lebensmittelversorgung weltweit von fünf Konzernen bestimmt werden. Aus
meiner Sicht ist das Diktatur und keine Wirtschaftsdemokratie. Ein
Wandlungsprozess hat stattgefunden. Die Demokratie ist nicht mehr vom
und für das Volk, sondern von und für die Konzerne. Wenn wir uns heute
hier mit einer Neubestimmung von Solidarität beschäftigen, dann müssen
wir mit dieser Herrschaft der Konzerne umgehen. Wenn wir darüber nicht
reden, werden wir nicht die nächsten Schritte auf dem Weg zur
Verteidigung unserer Freiheiten und zu unserer Befreiung bestimmen können.
Jetzt werden auch an uns die Limousinen, die Mercedesse und BMWs
verkauft und dafür muss noch der letzte Rest Stahl und Aluminium
verbraucht werden. Wir befinden uns im letzten Stadium unternehmerischer
Habgier. Es richtet sich direkt gegen die sozialen Existenzrechte der
Armen. Dieser Angriff erfolgt manchmal indirekt, aber auch unverblümt
und offen, denn sie nehmen sich einfach die Allgemeingüter, die Commons.
Sie privatisieren die Lebens- und Existenzgrundlagen der Menschen und
machen sie zum Eigentum der Unternehmen. Nehmen wir die Beispiele
Medizin und Saatgut. Die Patente reichen durch die Regulierungen der
Welthandelsorganisation (WTO) und die Vereinbarungen über geistiges
Eigentum (TRIPS) so weit, dass die Konzerne, die Patenthalter, nicht
ruhen werden, bis sie jedes lebende System auf diesem Planeten
monopolisiert haben.
Meine Tätigkeit ist darauf ausgerichtet, dass Lebensgrundlagen nicht
privatisiert werden, dass Bauern das Recht auf Reproduktion von Saatgut
haben, dass wir pharmazeutische Produkte selbst herstellen können. Denn
unsere eigenen Medikamente kosten hundertmal weniger als die der großen
internationalen Unternehmen.
Wir befinden uns mitten in einer Lebensmittelkrise. Die Financial Times
und das Wall Street Journal berichten von einem neuen Plan der Weltbank.
Aber der neue Plan der Weltbank ist der alte Plan, der diese
Ernährungskrise verursacht hat. Nun sollen unsere Steuergelder dafür
eingesetzt werden, um genetisch verändertes Saatgut und Düngemittel noch
höher zu subventionieren und um sie noch schneller im Süden einzusetzen.
Subventioniert werden auch Suez, Vivendi und RWE, die ganz scharf darauf
sind, jeden Tropfen Wasser zu privatisieren.
Für alle Lebensbereiche sind die Pläne genau ausgearbeitet. Diese
Konzerne wissen, was sie wollen. Wenn es ihnen gelingt durchzusetzen,
dass jeder Bauer jährlich Lizenzgebühren für Saatgut bezahlt, dann haben
sie einen globalen Markt, der drei Billionen Dollar hergibt. Diese
Gewinne sind definiert und eingeplant. Und deshalb werden sie jede Form
des Terrors, des Angstschürens und der Einschüchterung nutzen, um die
Bauern zu zwingen, ihre Freiheiten aufzugeben.
Vor ein paar Jahren hatte ich in Leipzig in einer Kirche eine
Diskussion, an der auch der deutsche Bauer Josef Albrecht teilnahm. Er
wurde verklagt, weil er es wagte, Saatgut selbst herzustellen und es mit
seinen Nachbarn zu teilen. Die Konzerne wollen, dass weltweit alle
Bauern jedes Jahr Saatgut nur bei ihnen kaufen. In den USA wurde gegen
500.000 Bauern geklagt. In Indien haben 200.000 Bauern deshalb
Selbstmord begangen.
Die Privatisierung von Wasser bringt Milliardenprofite. Ein ungeheures
Geschäft mit einem existentiellen Bedürfnis der Menschen, das nun zu
Marktpreisen befriedigt werden soll. Was Marktpreise bedeuten, wissen
wir. Coca Cola stiehlt jeden Tag zwischen 1,5 und 2 Millionen Liter
Wasser, jede einzelne Coca-Cola-Niederlassung nimmt sich ihr Wasser. Es
brauchte den Mut einer Frau aus Kerala, die sich dagegen wehrte, dass
sie jeden Tag noch mehr Meilen laufen musste, um an Trinkwasser zu
kommen, während Coca Cola es einfach nahm und verschmutzt zurückließ.
Sie hat zusammen mit weiteren zehn Frauen vor sechs Jahren eine Aktion
zivilen Ungehorsams vor den Werkstoren von Coca Cola begonnen. Daraus
entstand eine zivilgesellschaftliche Bewegung, der es am Ende gelang,
die Schließung des Werkes zu erreichen.
In diesem Kampf taten wir das, was Gandhi 1930 getan hat, als die Briten
das Salz monopolisieren wollten. Sie hatten ein Gesetz erlassen, in dem
sie uns die Salzgewinnung verbaten. Gandhi ging damals an den Strand,
hob das Salz auf und sagte: "Die Natur gibt es umsonst, wir brauchen es
für unser Überleben, wir werden damit fortfahren, unser Salz
herzustellen. Wir werden eure Gesetze missachten." Diese
Gesetzesübertretung nannte er Satyagraha -- ein ethisches Prinzip, mit
dem er zuvor schon in Südafrika seine Regelverweigerung, seinen
Gesetzesbruch, seinen Widerstand gegen die Apartheid begründete.
(Satyagraha bedeutet so viel wie: das unbeirrte Festhalten an dem, was
sein soll, weil es wahr ist. Ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam auch gegen
herrschende Gesetze.
Und jetzt, hundert Jahre später, stehen wir hier und überlegen, wie wir
gegen die Diktatur der Konzerne vorgehen können, die uns alle unsere
Freiheiten rauben will. Eine der Illusionen, die sie uns verkaufen, ist,
dass es mehr ökonomische Freiheit bringen würde, wenn wir
wirtschaftliche Unabhängigkeit aufgeben. Sie ersetzen unsere Freiheiten
als Arbeiter, als Angestellte, als Bauern, als Krankenschwestern, als
Ärzte durch das Recht der Supermärkte, das Recht und die Freiheit zu
kaufen. Wir werden zu Konsumenten reduziert. Der Konsumismus soll unsere
Erfahrung der Freiheit sein und damit partizipieren wir am
Katastrophenkapitalismus.
Der Konsumismus ist für unseren Planeten ein Krebsgeschwür im
Endstadium. Er hat einen unstillbaren Appetit auf unsere Ressourcen und
unsere Allgemeingüter, unsere Commons. Solidarität heißt deshalb heute,
unsere Allgemeingüter auf lokaler und globaler Ebene zu verteidigen. Wir
müssen die kleinen Seen eines winzigen Dorfes genauso verteidigen wie
die Atmosphäre unseres Planeten, die durch den Emissionshandel
privatisiert wird. So hat Nicholas Stern im Klima-Bericht der britischen
Regierung klar formuliert: "Emissionshandel bedeutet Eigentumsrechte an
der Atmosphäre." Aber wer bekommt diese Eigentumsrechte? Die
Verschmutzer. Eigentlich besagen die bislang geltenden
Umweltschutz-Gesetze, dass der Verschmutzer zahlen muss. Der Handel mit
Emissionen stellt dieses Gesetz auf den Kopf. Nun wird der Verschmutzer
bezahlt.
Wenn wir unsere Commons verteidigen wollen, können wir nicht schweigend
abseits stehen, wenn Staaten, die von Konzernen regiert werden, unseren
Reichtum untereinander aufteilen und damit unsere Zukunft gefährden.
Diese Solidarität, die notwendig ist, um unsere lebensnotwendigen
Allgemeingüter zu verteidigen, geht über den bisherigen Begriff von
Solidarität hinaus.
Früher genügten uns einfache Gewerkschaften, aber in Zeiten, in denen
das Kapital global agiert und keine Grenzen mehr kennt, müssen auch wir
Grenzen überwinden. Niemand kann alleine gleichzeitig überall sein,
deshalb müssen wir durch unsere Solidarität überall gegenwärtig sein.
Die neue Solidarität muss eine Allianz der Solidarität in der Vielfalt sein.
Unsere Bewegung vereint Bauern und Konsumenten: Bauern sind nicht länger
nur Produzenten, Konsumenten nicht länger nur Esser. Konsumenten und
Produzenten zusammen müssen einen Plan entwickeln, der allen Nahrung und
Gesundheit bietet. Und es funktioniert, wir müssen nicht warten, bis die
Staaten ihre Politik ändern, und dann eine andere Ernährungspolitik
betreiben.
Wie Sie wissen, verlegen Firmen wie Mercedes Benz oder BMW Teile ihrer
Produktion nach Indien, sie alle brauchen Land. Das Land, auf dem diese
Fabriken gebaut werden, stehlen sie den armen Bauern. Kürzlich hatte ich
ein Gespräch mit einem Vertreter der Gewerkschaften von FIAT. Sie
solidarisieren sich mit den Bauern, die von Tata und FIAT in Singur
ausgeblutet werden. Wer hätte sich vor 10 Jahren vorstellen können, dass
Gewerkschaften eines Autoherstellers mit einfachen Bauern um die
gleichen Ziele kämpfen?
Wenn wir realisieren, dass Vielfalt kein Hindernis für die Solidarität
darstellt, werden sich ganz neue Wege eröffnen, auf dieser Welt zu
leben. Wir nennen es "Erdendemokratie". Wir müssen das Definitionsrecht,
was Menschsein auf diesem Planeten im Jahr 2008 bedeutet, zurückfordern.
Dabei müssen wir alle mit einbeziehen, denen Nahrung verweigert wird,
oder die Opfer ungerechter Kriege sind, die auf diesem Planeten geführt
werden. Und während wir alle gemeinsam solidarisch nach einer Lösung
suchen, müssen wir unerschrocken gegen den Diebstahl unseres gemeinsamen
Reichtums, unserer Commons, vorgehen. Der letzte Widerstand ist der
Widerstand gegen die Angst. Wir müssen klarmachen, dass wir nur die
Gesetze anerkennen, die auf Gerechtigkeit und Ökologie basieren und
nicht die der Konzerne. Solche Gesetze werden tagtäglich geschaffen, um
unser Leben zu kontrollieren und uns davon abzuhalten, aktiv zu werden.
Sie reduzieren uns auf die Angst.
Das ist Faschismus, das ist das endgültige Ende der Freiheit, die wir so
sehr brauchen. Wir können uns nicht leisten, dass das Prinzip der Angst
die Welt beherrscht, als letzter Weg, um eine Menschheit, die sich nach
Freiheit, Gemeinsamkeit und Solidarität sehnt, zum Schweigen zu bringen.
Vandana Shiva ist Doktor der Physik und setzt sich seit den 70er Jahren
für ökologischen Umgang mit den natürlichen Ressourcen in Indien ein.
Die indische Bürgerrechtlerin ist Vordenkerin des Ökofeminismus, eine
der bekanntesten Widersacherinnen gegen die Patentierung von Saatgut und
Medikamenten und hat den alternativen Friedensnobelpreis erhalten.
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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