[E-rundbrief] Info 716 - Vandana Shiva: Ziviler Ungehorsam

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
So Sep 14 17:36:02 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 716 - Vandana Shiva: Wider die Angst - Satygraha. 
Warum es zivilen Ungehorsam braucht, um unsere Allgemeingüter zu 
verteidigen.

Bad Ischl, 14.9.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Wider die Angst - Satygraha

Warum es zivilen Ungehorsam braucht, um unsere Allgemeingüter zu 
verteidigen.

Vandana Shiva

Ich möchte zuerst einmal Medico International solidarische Glückwünsche 
zum 40. Geburtstag aussprechen. Eine Organisation, die über 25 Jahre alt 
ist kann durchaus als stabil bezeichnet werden. Medico wurde '68 
gegründet und existiert noch immer. Die Themen, die '68 von den jungen 
Menschen auf die Tagesordnung gesetzt wurden, sind heute für viele 
Menschen überall auf der Welt zur Frage von Leben oder Tod geworden. Die 
Habgier unternehmerischen Kapitalismus drängt die Menschheit an den Rand 
und dieser Kapitalismus agiert immer verzweifelter. Mit verzweifelt 
meine ich, er versucht sich den letzten Topfen Wasser, den letzen 
Quadratzentimeter Land der Kleinbauern in Indien, den letzten Krümel 
Saatgut, den wir produziert haben anzueignen. Und sogar das letzte 
bisschen Luft will er besitzen. Wenn man bedenkt, dass das Beste was 
Kyoto hervorgebracht hat, um gegen die Klimakatastrophe vorzugehen - 
zuerst mit den Europäern als Speerspitze und jetzt wollen auch die 
Amerikaner, damals blockiert von der Regierung Bush, sich dieses System 
zu eigen machen - die größte Errungenschaft aus diesem Prozess der 
Handel mit den Emissionen ist. Ein System, das den Ausstoß von 
Kohlendioxyd am Leben erhält. Und natürlich, in einer Welt , in der das 
Eurozeichen, hier genau im Fenster gegenüber von uns, immer mehr die 
Organisierung unserer Vorstellungskraft bestimmt, in der wir den Euro zu 
einem Zeichen für Fortschritt machen, desto mehr glauben wir natürlich 
die Welt zu retten, denn der Euro ist die Welt -- er beherrscht sogar der 
armen kollabierenden Dollar.

Ich denke, dass eine der größten Herausforderungen für Solidarität in 
diesen Zeiten der Umgang mit den Erfindungen und Konstrukten ist, die 
der Kapitalismus schafft um uns, unsere Welt und damit unser Denken zu 
beherrschen. Ich komme aus Indien, unser Land wurde viele Jahre von der 
EAST INDIA COMPANY, eine der ersten Kapitalgesellschaften überhaupt, 
beherrscht. 1857 hatten wir unsere erst Unabhängigkeitsbewegung. Die 
britische Geschichtsschreibung nennt es Sepoy Mutany, für unsere 
Geschichtsschreibung ist es die erste Bewegung für Unabhängigkeit, sie 
war das Ende der Herrschaft durch das Company Rule der EAST INDIA COMPANY.

Aber die Menschen in Indien sind sich darüber bewusst, dass die 
Herrschaft durch Konzerne und damit Company Rule, zurück ist. Damals 
hatten wir eine East India Company, jetzt haben wir Saatguthersteller, 
Pharmamultis und chemische und biogenetische Bigplayer, die unser Land 
regieren. Meine Arbeit wurde inspiriert aus den Kämpfen gegen die großen 
Pharmakonzerne, aus denen jetzt gen-tech Konzerne geworden sind.

Zur Jahrhundertwende zeichnete sich ab, dass Gesundheitswesen und 
Lebensmittelversorgung von fünf Konzernen bestimmt sein würden, das war 
für mich Diktatur und keine Wirtschaftsdemokratie. Ein Wandlungsprozess 
hat stattgefunden, weg von einer Politik aus dem Volk, für das Volk, 
durch das Volk, hin zu einer Politik aus den Konzernen, für die 
Konzerne, durch die Konzerne. Die Solidarität in der heutigen Welt 
bedeutet mit dieser Herrschaft der Konzerne umzugehen. Wenn wir darüber 
nicht sprechen, werden wir niemals in der Lage sein, den nächsten 
Schritt auf dem Weg zur Verteidigung unserer Freiheiten und unserer 
Befreiung zu bestimmen.

Weil sie so viele Limousinen, Mercedes und BMW in diesem Land verkauft 
haben,  müssen sie die letzten Reste Stahl und Aluminium abbauen. Dieses 
letzte Stadium unternehmerischer Habgier richtet sich direkt gegen die 
Rechte der Armen auf Überleben. Teile dieses Angriffs finden indirekt 
statt, aber ein großer Teil ist direkt, sie nehmen sich einfach die 
gemeinsamen Güter, die Commons, die Basis sind für Leben und Existenz 
der Menschen und machen daraus Unternehmenseigentum. Nehmen wir die 
Sektoren Medizin und Saatgut: Die Auswirkungen durch die Regulierungen 
der WTO und die Vereinbarungen über geistiges Eigentum lasse die 
Konzerne nicht eher ruhen bis sie jedes System auf diesem Planeten 
monopolisiert haben.

Ich arbeite für die Freiheit, für das Recht der Bauern Zugriff auf 
Saatgut zu haben, dafür, dass wir pharmazeutische Produkte selbst 
produzieren könne, die dann 10000 Rupien kosten anstatt den 
internationalen Unternehmen 100000 Rupien für dasselbe Produkt zu 
bezahlen. Wir befinden uns Mitten in einer Lebensmittelkrise. Die 
Financial Times Today und das Wall Street Journal sprechen von einem 
neuen Plan der Weltbank. Aber der neue Plan der Weltbank ist der alte 
Plan der Weltbank, der diese Ernährungskrise in erster Linie verursacht 
hat. Jetzt wollen sie unsere Streuern dazu verwenden weiteres genetisch 
verändertes Saatgut, weitere Düngemittel zu subventionieren, die immer 
schneller im Süden eingesetzt werden sollen. Und natürlich werden auch 
Suez, Vivendi und RWE subventioniert, die dabei sind jeden Tropfen 
Wasser zu privatisieren.

Pläne für alle Sektoren wurden ausgearbeitet, sie wissen was sie wollen. 
Jeder Bauer muss jedes Jahr für sein Saatgut Lizenzgebühren bezahlen, 
das ist ein Billionen Dollar Mark. Sie haben ihre Gewinne schon 
definiert, deshalb werden sie jede Form der Einschüchterung und des 
Terrors nutzen um die Bauern zu zwingen ihre Freiheit aufzugeben.

Ich erinnere mich vor ein paar Jahren, es muss 1996 gewesen sein, in 
Leipzig stand ich mit einem deutschen Bauern, Josef Albrecht, in einer 
Kirche. Ein deutscher Bauer, der selbst Saatgut hergestellt und es mit 
seinen Nachbarn geteilt hatte, er wurde verklagt. Die Konzerne wollen, 
dass alle Bauern jedes Jahr Saatgut bei ihnen kaufen. In den USA wurde 
gegen 500.000 Bauern deshalb geklagt, in Indien haben 200.000 Bauern 
deshalb Selbstmord begangen.

Auch die Privatisierung von Wasser bringt Milliardenprofite, denn jeden 
Tag muss der Durst aller Menschen gelöscht werden, die es zum Marktpreis 
kaufen müssen. Und wir wissen was die Marktpreise bedeuten. Coca Cola 
stiehlt jeden Tag zwischen 1.5 und 2 Millionen Liter Wasser, jede 
einzelne Coca Cola Niederlassung nimmt sich so ihr Wasser. Und es 
brauchte den Mut einer Frau aus Kerala, die sagte warum müssen wir jeden 
Tag noch mehr Meilen laufen um an unser Trinkwasser zu kommen, während 
Coca Cola es einfach nimmt und verschmutzt zurücklässt. Sie hat zusammen 
mit weiteren zehn Frauen vor sechs Jahren gesagt, wir werden euch nicht 
arbeiten lassen. Sie begannen eine Aktion zivilen Ungehorsams vor den 
Werkstoren. Wir haben mit dieser Community eng zusammengearbeitet, das 
Werk wurden geschlossen.

Monsanto versucht alles denkbare um die Eigenproduktion von Saatgut 
durch indische Bauern zu illegalisieren. Wir taten was Gandi 1930 getan 
hatte, als die Briten Salz monopolisieren wollten. Urplötzlich kamen sie 
mit einem Gesetz, dass den Indern verbieten wollte ihr Salz selbst zu 
produzieren. Wer Salz produzierte wurde wie ein Krimineller behandelt. 
Während ihr hier schwitzt könnt ihr spüren, wie wichtig Salz bei großer 
Hitze ist. Der Körper scheidet es aus und es muss wieder aufgenommen 
werden.

Gandhi ging damals zum Strand, hob das Salz auf und sagte: "Die Natur 
gibt es umsonst, wir brauchen es für unser Überleben, wir werden damit 
fortfahren, unser Salz herzustellen. Wir werden eure Gesetze 
missachten." Er nannte es Satyagraha, eine Widerstandsform, die er zuvor 
in Südafrika praktiziert hatte, um gegen die Apartheit zu kämpfen. 
Gemeinsam mit indischen Kollegen weigerte er sich die Regeln der 
Apartheid zu befolgen. Sie sagten damals: "Wir sind eins, wir sind 
braun, schwarz und weiß, aber wir sind eins, wir sind eine Gemeinde von 
Bürgern."

Und jetzt, hundert Jahre später stehen wir hier und überlegen wie wir 
gegen die Diktatur der Konzerne vorgehen können, die uns alle unsere 
Freiheiten rauben will. Eine der Illusionen, die sie uns immer verkaufen 
wollen ist, dass wirtschaftliche Freiheiten aufzugeben am Ende mehr 
wirtschaftliche Freiheiten bringen wird. Und das geschieht indem sie uns 
vorschreiben unsere Freiheit als Arbeiter, als Angestellte, als Bauern, 
als Krankenschwestern, als Ärzte durch das Recht der Supermärkte, das 
Recht zu kaufen, die Freiheit zu kaufen ersetzen. Wir werden zu 
Konsumenten reduziert, der Konsumismus wird unsere Erfahrung der 
Freiheit, wir partizipieren im Kapitalismus der Katastrophen.

Worum ging es '68, über was haben die Menschen gesprochen? Über ein 
einfacheres Leben, über Solidarität und Menschlichkeit, die über dem 
Konsumismus stehen, der uns verkauft wird. Heute ist der Konsum, das 
Krebsgeschwür im Endstadium für unseren Planeten. Der Konsumismus hat 
einen unstillbaren Appetit auf unsere Ressourcen und unsere Commons.

In unserer Zeit heißt Solidarität die Verteidigung unserer Commons auf 
lokaler und globaler Ebene. Wir müssen die kleinen Seen eines winzigen 
Dorfes genauso verteidigen wie die Atmosphäre unseres Planeten, die 
privatisiert wird durch den Emissionshandel. So hat Stern, der den 
zentralen Bericht über den Klimawandel für die britische Regierung 
geschrieben hat, klar ausgeführt: "Emissionshandel bedeutet 
Eigentumsrechte an der Atmosphäre." Aber wer bekommt diese 
Eigentumsrechte? Die Verschmutzer. Die gegenwärtigen Gesetze besagen, 
dass der Verschmutzer zahlen soll. Der Handel mit Emissionen wandelt 
dies dahingehend um, dass der Verschmutzer bezahlt wird.

Wenn wir unsere Commons verteidigen wollen, können wir nicht schweigend 
daneben stehen wenn Staaten, die von Konzernen regiert werden unseren 
Reichtum untereinander aufteilen und damit unsere Zukunft gefährden. 
Aber diese Solidarität, die notwendig ist, um unsere Commons zu 
verteidigen, die Basis unseres Lebens sind, geht über den bisherigen 
Begriff Solidarität hinaus.

Früher genügten uns einfache Gewerkschaften, aber in Zeiten in denen das 
Kapital global agiert und keine Grenzen mehr kennt, müssen auch wir 
Grenzen überwinden. Niemand kann alleine gleichzeitig überall sein, 
deshalb müssen wir durch unsere Solidarität überall gegenwärtig sein. 
Die neue Solidarität muss eine Allianz der Solidarität der Vielfalt sein.

Unsere Bewegung vereint Bauern und Konsumenten, Bauern sind nicht länger 
nur Produzenten, Konsumenten nicht länger nur Esser. Konsumenten und 
Produzenten zusammen müssen einen Plan entwickeln, der allen Nahrung und 
Gesundheit bietet. Und es funktioniert, wir müssen nicht warten bis die 
Staaten ihre Politik ändern und dann eine andere Ernährungspolitik fahren.

Wie Sie wissen verlegen Firmen wie Mercedes, Benz oder BMW Teile ihrer 
Produktion nach Indien, sie alle brauchen Land. Das Land auf dem diese 
Fabriken gebaut werden stehlen sie den armen Bauern. Kürzlich hatte ich 
ein Gespräch mit einem Vertreter der Gewerkschaften von FIAT. Sie 
solidarisieren sich mit den Bauern, die von Tata und FIAT in Singur 
ausgeblutet werden. Wer hätte sich vor 10 Jahren vorstellen können, dass 
Gewerkschaften eines Autoherstellers mit einfachen Bauern um die 
gleichen Ziele kämpfen.

Wenn wir realisieren, dass Vielfalt kein Hindernis für die Solidarität 
darstellt, werden sich ganz neue Wege eröffnen auf dieser Welt zu leben. 
Wir nennen es "Erdendemokratie". Wir müssen das Definitionsrecht, was 
Menschsein auf diesem Planeten im Jahr 2008 bedeutet zurückfordern. 
Dabei müssen wir alle mit einbeziehen, denen Nahrung verweigert wird, 
oder die Opfer ungerechter Kriege sind, die auf diesem Planeten geführt 
werden. Und während wir alle gemeinsam solidarisch nach einer Lösung 
suchen, müssen wir unerschrocken gegen den Diebstahl unseres gemeinsamen 
Reichtums, unserer Commons vorgehen. Der letzte Widerstand ist der 
Widerstand gegen die Angst. Wir müssen klar machen, dass wir nur die 
Gesetze anerkennen, die auf Gerechtigkeit und Ökologie basieren und 
nicht die der Konzerne. Diese Gesetze werden tagtäglich geschaffen, um 
unser Leben zu kontrollieren und uns davon abzuhalten aktiv zu werden. 
Sie reduzieren uns auf die Angst, die gerade dieses Land so gut kennt. 
Ein Land, das die ganze Welt auf diese Art beherrscht hat, durch Hitler. 
Heute sind die Hitlers die Konzerne und ihre Freunde in den Regierungen.

Unsere eigenen Büros in Indien wurden in den letzten Wochen geschlossen. 
Das ist Faschismus, das ist das endgültige Ende der Freiheit, die wir so 
sehr brauchen. Das sind keine Gemeinplätze, ich weiß was für eine 
schreckliche Geschichte dieses Land erlebt hat. Wir können uns nicht 
leisten, dass dieses Prinzip die Welt beherrscht, als letzter Weg um 
eine Menschheit, die sich nach Freiheit, Gemeinsamkeit und Solidarität 
sehnt, zum Schweigen zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere 
Liebe und unser Mitgefühl uns eine Stufe weiter bringen wird. Und, dass 
wir noch einen 40. Geburtstag feiern werden.

Vielen Dank

Rede Vandana Shivas bei der Auftaktveranstaltung der medico-Konferenz 
"Solidarität - heute!" 2008 - "Optionen der Veränderung: Solidarisches 
Handeln im Katastrophenkapitalismus" am 30.5.2008 im schauspielfrankfurt 
am 30.5.2008

http://medico.de/themen/vernetztes-handeln/40jahre/dokumente/solidaritaet-heute/1130/


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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