[E-rundbrief] Info 355 - Mohammed-Karikaturen - Medienkritik

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mi Feb 8 15:24:44 CET 2006


E-Rundbrief - Info 355:   Mohammed-Karikaturen, Kriegshetze gegen den Iran 
- Medienkritik. Jürgen Reents: Gedächtnis der Demütigungen; Matthias und 
Maria Reichl:  Öl ins Feuer - provoziert durch eine österreichische 
Gratiszeitung. Offener Brief zur "Sonntags Rundschau" der "OÖ. Rundschau" 
vom 5.2.06.

Bad Ischl, 8.2.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Gedächtnis der Demütigungen

Jürgen Reents

Die verantwortlichen Redakteure der »Jyllands-Posten« waren auf eine 
handfeste Provokation aus, als sie ihre Mohammed-Karikaturen in Auftrag 
gaben. Niemand, dem die Genesis dieser Verächtlichmachung inzwischen 
bekannt ist, wird dies bestreiten können. Was als absichtsvolles 
Begleitfeuer für die ausländerfeindliche Politik der dänischen Regierung 
begann, auf eine ideologische Ertüchtigung der dänischen Rechten zielte, 
hat sich zur brennenden Lunte an einem internationalen Pulverfass 
entwickelt. Kein Zweifel: Es sind extremistische Heißsporne, die das 
Pulverfass nun in europäische Botschaften und Kulturhäuser rollen  und 
autoritäre Regimes, die aus eigenem Kalkül das Spalier dafür frei, 
jedenfalls nicht dicht machen. Kein Zweifel aber auch: Hingestellt und 
reichlich gefüllt wurde dieses Pulverfass von anderer Hand.

Journalisten (und Politiker), die meinen, sie müssten hier zur Verteidigung 
der Pressefreiheit auf die Barrikade gehen, sich gar mit massenhaftem 
Nachdruck der Karikaturen als standhaft beweisen, machen es sich zu leicht. 
Es ist keine Courage von unten, sondern Draufgängertum von oben. Diese 
Zeitung hat dem mit Bedacht entsagt. Es gibt keine »Dokumentationspflicht« 
(taz) und keinen journalistischen Kodex zum visuellen »Beleg« (Berliner 
Zeitung) von Beleidigungen, die so und nicht anders gemeint waren. Die 
Pressefreiheit, für die mit hehren Worten am ungeeigneten Objekt gefochten 
wird, verkommt so zur Rede für die ungehinderte Herrschaft von Arroganz. Es 
ist auch nicht glaubwürdig zu behaupten, es ginge hier nicht gegen den 
Islam, wenn im nächsten Kommentar das »Recht auf Blasphemie« gegen einen 
»frühmittelalterlichen Räuberfürsten« eingeklagt (Die Welt) oder der 
»islamischen Welt« eine Rückständigkeit attestiert wird, weil sie »im 
Unterschied zu den Europäern (man beachte das Gegensatzpaar! /jrs) die 
Grundlagen ihrer Kultur niemals im Sinne einer Fundamentalkritik 
durchforstet« habe (FAZ).

Die Mohammed-Karikaturen sind nur ein Auslöser für das Aufbrechen einer 
tiefen Unbehaglichkeit  irgendwann hätte auch ein anderer Vorfall gereicht. 
Wer jenen Muslimen zuhört, die sich empören, ohne zu zündeln, kann dies 
auch noch verspätet erfahren: »Man hat den Eindruck, mit den Muslimen kann 
man alles machen«, meinte der Berliner Al-Dschasira-Korrespondent Aktham 
Suliman. Die westliche Welt hat zu lange ignoriert, dass es in Ländern, die 
in erster Linie als Rohstoffreservoir oder strategisches Scharnier 
angesehen und deren Bewohner im übrigen mit westlicher Hilfe schikaniert 
und bedrängt werden, ein anderes Gedächtnis gibt: das Gedächtnis für die 
vielen Ereignisse der Demütigung. Fast jeder in der arabischen Welt kann 
die uneingelösten UNO-Resolutionen präzise mit Datum und Dokumentnummer 
aufzählen, die ihnen Freiheit von Besatzung, Rechte und Selbstbestimmung 
verheißen haben. Fast jeder in der arabischen und islamischen Welt erinnert 
sich gut, dass US-Präsident Bush seinen »Kampf gegen den Terrorismus«  der 
ihnen wie uns mehr Terror gebracht hat, als zuvor war  in seiner ersten 
Erklärung als »Kreuzzug« titulierte und US-Piloten ihre Raketen mit »Happy 
Ramadan« beschrifteten. Fast jeder in der islamischen Welt wird die 
militärischen Drohungen der Herren Rumsfeld, McCain, Mofaz und anderen 
gegen Iran als Gefahr für das eigene Leben oder das seiner Angehörigen 
begreifen  unabhängig davon, wie nah oder fern er der Ideologie des weiß 
Gott und weiß Allah intoleranten Mullah-Regimes steht.

Dies ist die Stelle, an der ein Friedbert Pflüger einem Christian Ströbele 
notorisch entgegenschnauzt: Sie sehen das Böse immer nur in den USA.  Nein. 
Die Voraussetzung, dass das Pulverfass nicht brutal explodiert, ist nur, 
dass die tiefe Mitschuld derjenigen, die die politischen, sozialen und 
kulturellen Geschicke dieser Welt wie keine anderen lenken, ebenso namhaft 
gemacht und bereinigt wird. Sonst wird jeder Ruf nach Mäßigung verhallen, 
zu dem vernünftigere Stimmen sich angesichts des begonnenen Brandes nun 
veranlasst sehen.

Aus: "Neues Deutschland", 08.02.06

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Öl ins Feuer - provoziert durch eine österreichische Gratiszeitung

Offener Brief zur "Sonntags Rundschau" der "OÖ. Rundschau" vom 5.2.06

Matthias und Maria Reichl

Das Titelblatt der "Sonntags Rundschau" vom 5.2.06  mit den 
Mohammed-Karikaturen, garniert mit reißerischen Schlagzeilen zum 
Iran-Konflikt, sowie einige weitere Artikel, entspringen entweder einer 
mangelnden journalistischen Sorgfaltspflicht. Oder sind sie - aus 
ideologischen  und politstrategischen Gründen? - bewußt darauf angelegt, 
Emotionen und Aversionen zu schüren, ähnlich der Strategie von 
populistischen, fremden- und minderheitenfeindlichen Blättern? Ist es 
Zufall, dass dies zeitgleich mit den Drohungen westlicher Militärmächte 
geschieht, gegen den Iran einen - auch atomaren - Krieg zu führen? *)

Dies alles konterkariert die Bemühungen besonnener Kreise, die sich um eine 
Deeskalation von Konflikten und einer Verständigung mit gemäßigten Muslimen 
bemühen und die sich entschieden gegen jede Form von Gewalt (auch der 
journalistischen) engagieren.

Dass die "Sonntags-Rundschau" - im Unterschied zu den Kaufzeitungen - 
unverlangt und gratis in Oberösterreich an jeden (?) Haushalt (darunter an 
gläubige Muslime und politisch sensible Personen) zugestellt wird, ist ein 
weiterer bedenklicher Aspekt.  Den Leitartikel des Herrn Ertl  - wie auch 
ähnlich unqualifizierte vorangegangene - kommentieren wir nicht und werden 
sie weiterhin überblättern. (Siehe Auszüge unten!)

Matthias und Maria Reichl, Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit, 
Wolfgangerstr. 26,  4820 Bad Ischl

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Schlagzeilen auf der Titelseite der "Sonntags Rundschau" v. 5.2.06:

Droht Krieg mit Iran?

Präsident Ahmadinejad verhängt Wirtschafts-Sanktionen wegen 
Mohammed-Karikaturen (inkl. Porträt mit drohender Faust)

Atomstreit verschärft sich

US-Senator McCain spricht von militärischer Optien: "Nur eines ist 
schlimmer als ein Militärschlag. Das ist ein atomar bewaffneter Iran." *)

Drei Botschaften in Damaskus angezündet
Gewalt/ Dänemark und Norwegen haben Bürger aufgefordert, Syrien zu 
verlassen. die Macht des Iran

Iranische Optionen (Landkarte mit Pfeilen "Kontakte zu lokalen 
Terrorgruppen" in Richtung Europa und Nachbarländer im Nahen/ Mittleren Osten)

Die Mohammed-Karikaturen (rechts unten neben Landkarte):

Mohammed mit Bomben-Turban, Mohammed-Gesicht mit grünem Halbmond und Stern, 
anonymisierter, bedrohlicher Mohammed (?) mit Krummschwert und zwei 
verschleierten Frauen..

Auf Seite 4:

Leitartikel von Josef Ertl  "Wir verstehen uns nicht":

(Auszüge)
Militante Palästinenser besetzen die EU-Botschaft und ballern mit ihren 
Gewehren von den Dächern... Sie drohen EU-Bürgern mit Entführung und 
Gewalt. Gleichzeitig erhalten die Palästinenser jährlich 340 Millionen Euro 
von der EU. Warum?
Wütende Muslime schwören "heiligen Krieg"...

Statt die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen, drückt Österreichs 
Botschafter "tiefes Bedauern über den unglücklichen Vorfall" aus. Ein 
Kniefall...

Meinungs- und Pressefreiheit sind Grundsäulen der westlichen Gesellschaft, 
errungen durch jahrhundertelange Auseinandersetzungen. Im Islam stehen die 
religiösen Gesetze über allem. Im Mittelalter war es bei uns ähnlich. Es 
kann kein Zurück hinter die freie Gesellschaft geben. Das müssen alle jene 
wissen, die zuwandern und versuchen, eine neue Heimat zu finden. Wir können 
es nicht tolerieren, dass die Freiheiten der offenen Gesellschaft 
missbraucht werden, um diese zu unterwandern und neue Unfreiheiten einzuführen.

Ob Iran oder Saudi-Arabien: Sie unterdrücken und foltern ihre eigenen 
Leute. Die protestierenden Muslime sollten diese Schweinereien anprangern 
statt ein derartiges Theater um ein paar Karikaturen zu inszenieren. Sie 
sollten gegen den Terror und die Morde, die im Namen Mohammeds begangen 
werden, demonstrieren statt europaweite Sippenhaftung zu betreiben.

Neben diesem Leitartikel steht ein Foto von Demonstranten mit Kommentar: 
Hunderte Muslime protestierten Freitag und Samstag in London gegen die 
Veröffentlichung der Karikaturen mit Parolen wie "Wir beten für neue 
Anschläge in London!". Ihre Plakate sprechen eine deutliche Sprache: "Tötet 
jene, die den Islam beschimpfen!", "Köpft jene, die den Islam 
beschimpfen!", "Liberalismus, geh zur Hölle!"


*) siehe auch den IMI-Bericht: Münchner Sicherheitskonferenz: Geschlossene 
NATO-Front gegen den Iran,
http://www.imi-online.de/2006.php3?id=1294, 7.2.2006, Jürgen Wagner

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Kommentar dazu:

Angesichts der massiven und weitverzweigten Kriegshetze westlicher 
Militärmächte und ihren Mitläufern gegen den Iran und andere Staaten in 
dieser Region könnte die Aktion der weit rechtsstehenden dänischen Zeitung 
eine gesteuerte Provokation sein, die in diese Strategie passt.

Zur "Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit": Werden unsere Medien 
als nächstes Karikaturen z.B. aus der "Deutschen Nationalzeitung" und 
ähnlichen weit rechtsstehenden Blättern abdrucken?

Die Machart der Karikaturen erinnert in etwa an die judenfeindlichen in der 
NS-Zeitung "Stürmer".

Matthias Reichl
7.2.2006

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl, 
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305    BIC: SKBIAT21XXX




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