[E-rundbrief] Info 1907 - Chomskys und Chichilniskys Hoffnung

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Nov 8 18:13:00 CET 2019


E-Rundbrief Info 1907 - Im Exklusivinterview diskutieren Noam Chomsky 
und Graciela Chichilnisky die Frage, ob noch Hoffnung besteht.

Bad Ischl, 8.11.2019

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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  Samstag, 02. November 2019, 15:59 Uhr Der Showdown

Einen kosmischen Wimpernschlag später wird die Menschheit wohl 
ausgestorben sein. Im Exklusivinterview diskutieren Noam Chomsky und 
Graciela Chichilnisky die Frage, ob noch Hoffnung besteht.

von Noam Chomsky, Rubikons Weltredaktion

https://www.rubikon.news/artikel/der-showdown

Wegen des Klimawandels und der wieder gestiegenen atomaren Bedrohung 
steht die Weltuntergangsuhr auf auf nunmehr zwei Minuten vor zwölf. 
Was gegen diese Entwicklung unternommen werden kann, erläutern der 
Intellektuelle Noam Chomsky und die Wirtschaftswissenschaftlerin 
Graciela Chichilnisky in diesem Interview.

Das Klima der Erde wird durch menschliches Handeln radikal verändert, 
wodurch ein ganz anderer Planet entsteht — ein Planet, der ein 
organisiertes menschliches Leben in einer Form, wie es für uns 
erträglich wäre, möglicherweise nicht mehr erhalten kann. Wie ernst 
ist das Thema Klimawandel? Bedroht die globale Erwärmung wirklich die 
menschliche Zivilisation? Kann sie rückgängig gemacht werden oder ist 
es dafür schon zu spät?

In diesem Exklusiv-Interview, das zuerst bei Truthout erschien, 
stimmen zwei Wissenschaftler — Noam Chomsky, einer der weltweit 
führenden bekannten Intellektuellen, und Graciela Chichilnisky, 
renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Autorität zum Thema 
Klimawandel, die den CO2-Zertifikatehandel des Kyoto-Protokolls 
formuliert und konzipiert hat — in einigen wesentlichen Punkten überein:

     Erstens sind die globale Erwärmung und der Klimawandel die größte 
Herausforderung für die Menschheit und stellen vielleicht eine größere 
Bedrohung für unsere Spezies dar als die Atomwaffen.

     Zweitens sind die Operationen der kapitalistischen Weltwirtschaft 
wegen der übermäßigen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und 
eines perversen Verständnisses wirtschaftlicher Werte der Kern der 
Bedrohung durch den Klimawandel.

     Drittens muss die Welt so schnell wie möglich alternative 
Energiesysteme anwenden.

     Und schließlich ist es entscheidend, Technologien zu erforschen, 
die uns helfen, den Klimawandel rückgängig zu machen — da die Zeit 
abläuft.

Das Interview führte C. J. Polychroniou.

(Redaktionelle Vorbemerkung: Bitte beachten Sie, dass die 
Weltuntergangsuhr zum Zeitpunkt, als dieses Interview geführt wurde, 
auf drei Minuten vor Mitternacht stand. Da die globale Gefahrenlage 
inzwischen weiter eskaliert ist, wurde die Uhr zweimal eine halbe 
Minute vorgestellt und steht inzwischen auf zwei Minuten vor Mitternacht.)

C. J. Polychroniou: Unter Wissenschaftlern und sogar politischen sowie 
Sozial-Analytikern scheint ein Konsens zu entstehen, dass die globale 
Erwärmung und der Klimawandel die größte Bedrohung für den Planeten 
darstellen. Stimmen Sie mit der Ansicht überein? Warum?

Noam Chomsky: Ich stimme mit den Experten überein, die die 
Atomkriegsuhr für das Bulletin of Atomic Scientists einstellen. Sie 
haben die Uhr wegen der steigenden Atomkriegsgefahr und der 
Klimaerwärmung um zwei Minuten weiter Richtung Mitternacht verschoben 
— auf nun drei Minuten vor Mitternacht. Dies erscheint mir eine 
glaubhafte Einschätzung. Eine Überprüfung der Aufzeichnungen zeigt, 
dass es einem Wunder nahekommt, dass wir das nukleare Zeitalter 
überlebt haben. Es gab wiederholt Fälle, in denen wir einem Atomkrieg 
bedrohlich nahe kamen — oftmals durch eine Störung der Frühwarnsysteme 
und andere Pannen, manchmal (infolge von) höchst abenteuerlichen 
Handlungen politischer Führungskräfte.

Es ist nun seit geraumer Zeit bekannt, dass ein größerer Atomkrieg zu 
einem nuklearen Winter führen könnte, der den Angreifer wie den 
Angegriffenen vernichten würde. Und die Bedrohungen werden immer 
zahlreicher, vor allem an der russischen Grenze — was die Vorhersagen 
George Kennans und anderer bedeutender Persönlichkeiten bestätigt, 
dass sich die Ausweitung der NATO, gerade in der Art und Weise, wie 
sie unternommen wurde, als „tragischer Fehler“ erweisen wird, als 
„politischer Irrtum von historischer Dimension“.

     Was den Klimawandel betrifft, ist sich die wissenschaftliche 
Gemeinschaft nun weitgehend einig, dass wir in eine neue geologische 
Ära eingetreten sind: das Anthropozän. In diesem wird das Klima der 
Erde durch menschliche Handlungen radikal verändert, wodurch ein ganz 
anderer Planet entsteht — ein Planet, der ein organisiertes 
menschliches Leben in einer Form, wie es für uns erträglich wäre, 
möglicherweise nicht mehr gewährleisten kann.

Es ist durchaus denkbar, dass wir bereits das sechste Aussterben 
erleben, eine Periode der massenhaften Auslöschung von Arten — 
vergleichbar mit dem fünften Aussterben vor 65 Millionen Jahren, als 
drei Viertel der Arten auf der Erde, offensichtlich durch einen 
gewaltigen Asteroiden, ausgelöscht wurden.

Das CO2 in der Atmosphäre steigt in einem Maß, das erdgeschichtlich 
seit 55 Millionen Jahren beispiellos ist. Man macht sich Sorgen — ich 
zitiere hier eine Erklärung von 150 ausgezeichneten Wissenschaftlern 
—, dass die „globale Erwärmung, verstärkt durch Rückkoppelungen mit 
der Polareis- Schmelze, der Methan-Freisetzung aus dem Permafrost und 
mit großflächigen Bränden, möglicherweise irreversibel wird“, mit 
katastrophalen Folgen für das Leben auf der Erde, einschließlich 
menschlichen Lebens — und dies alles nicht irgendwann in ferner 
Zukunft. Allein der Anstieg des Meeresspiegels und die Zerstörung von 
Wasserressourcen durch das Schmelzen von Gletschern könnten 
entsetzliche Folgen für die Menschen haben.

Graciela Chichilnisky: Man stimmt darin überein, dass der Klimawandel 
und die atomare Kriegsführung die beiden größten Risiken darstellen, 
denen die menschliche Zivilisation gegenübersteht. Wenn man davon 
ausgeht, dass die atomare Kriegsführung einigermaßen kontrolliert 
werden kann, ist der Klimawandel heute die größte Gefahr.

So schwierig es auch sein mag, das Risiko eines Atomkrieges zu 
beseitigen, bedürfte dies geringerer Veränderungen in der 
Weltwirtschaft, als es die Abwendung oder Umkehrung des Klimawandels 
verlangen würden. Der Klimawandel entstand durch die Nutzung von 
Energie für das industrielle Wachstum, das bis heute vorrangig auf 
fossilen Energieträgern beruht. Ein Wirtschaftssystem zu verändern, 
das auf ein unkontrolliertes, maßloses Wirtschaftswachstum versessen 
sowie zur Erreichung seiner Hauptziele auf fossile Energie angewiesen 
ist, ist viel schwieriger, als daran zu rütteln, wie Atomenergie für 
militärische Zwecke eingesetzt wird. Manche halten es sogar für unmöglich.

Nahezu alle wissenschaftlichen Studien weisen seit 1975 auf steigende 
Temperaturen hin, und eine kürzlich erschienene Geschichte in der New 
York Times bestätigt, dass die jahrzehntelangen Warnungen von 
Wissenschaftlern bezüglich der globalen Erwärmung nun keine reine 
Theorie mehr darstellen, schmilzt doch das Landeis und steigen die 
Meeresspiegel. Und dennoch gibt es noch immer Menschen da draußen, die 
nicht nur die weithin anerkannte wissenschaftliche Auffassung infrage 
stellen, dass der Klimawandel vor allem durch menschliche Handlungen 
verursacht wird, sondern sie bezweifeln auch die Verlässlichkeit von 
Oberflächentemperaturen. Denken Sie, dass dies politisch motiviert ist 
oder auch durch Unwissenheit oder sogar Angst vor Veränderung 
verursacht sein könnte?

Noam Chomsky: Es ist eine erstaunliche Tatsache unserer Zeit, dass im 
mächtigsten Land der Weltgeschichte — ausgestattet mit einem hohen Maß 
an Bildung und Privilegien —, eine der beiden politischen Parteien die 
wohlbekannten Fakten zum anthropogenen Klimawandel leugnet. In den 
Debatten zu den Vorwahlen im Jahr 2016 war jeder einzelne der 
republikanischen Kandidaten ein Klimawandel-Leugner — mit einer 
Ausnahme: John Kasich, der „vernünftige Moderate“, der sagte, es sei 
schon möglich, dass wir gerade einen Klimawandel erlebten, dass wir 
aber nichts dagegen unternehmen sollten.

Lange Zeit haben die Medien das Thema heruntergespielt. Die 
euphorischen Berichte über die US-Produktion fossiler Energieträger, 
Energie-Unabhängigkeit und so weiter erwähnen nur selten, dass diese 
Triumphe das Wettrennen in die Katastrophe nur beschleunigen. Es gibt 
noch andere Faktoren — unter diesen Bedingungen jedoch scheint es 
nicht überraschend, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sich 
entweder den Leugnern anschließt oder das Problem als nicht sehr 
wichtig betrachtet.

Graciela Chichilnisky: Der Klimawandel ist neu und komplex. Wir haben 
nicht alle Antworten. Wir müssen noch immer zu verstehen lernen, wie 
die Erde genau auf erhöhte Konzentrationen von CO2 und anderen 
Treibhausgasen reagiert. Wir wissen, dass es dazu führt, dass die 
Meere sich erwärmen, das Eis an Nord- und Südpol schmelzen und ganze 
Küstenregionen in den USA und anderswo zu verschlucken beginnen, wie 
der Artikel in der New York Times dokumentiert.

     Wir wissen, dass die sich erwärmenden, ansteigenden Meere ganze 
Inselnationen verschlucken werden, die etwa 25 Prozent der UNO-Stimmen 
ausmachen, — und vielleicht am Ende auch unsere Zivilisation. Diese 
Erkenntnis ist traumatisch und die erste Reaktion auf ein Trauma ist 
die Leugnung.

Und weil noch immer eine gewisse wissenschaftliche Unsicherheit 
besteht, ist die natürliche Reaktion, die stattfindende Veränderung zu 
leugnen. Dies ist normal, aber es ist sehr gefährlich. Die Anzeichen 
eines schwer durchschaubaren, aber abwendbaren Hausbrandes bedürfen 
des Handelns, nicht der Untätigkeit. Leugnung führt zu Sicherheit — 
allerdings zur Sicherheit des Todes. Dies trifft für Individuen wie 
auch für Zivilisationen zu.

Politische Parteien machen sich in Zeiten des Wandels oft Leugnung und 
Angst zunutze. Dies ist ein gut untersuchtes Phänomen, das oft zur 
Suche nach einem Sündenbock führt — man beschuldigt Außenseiter wie 
Immigranten oder rassische und religiöse Minderheiten. Dieses Phänomen 
liegt dem Brexit sowie der Gewalttätigkeit in den politischen Zyklen 
in den USA und der EU zugrunde. Nach der Leugnung kommt die Wut und 
schließlich die Akzeptanz. Ich denke, viele befinden sich noch 
zwischen Leugnung und Wut. Ich hoffe, sie werden die Akzeptanz 
erreichen, denn es ist noch Zeit zum Handeln — aber die Tür schließt 
sich schnell.

In globalen Umfragen sind die US-Amerikaner skeptischer als andere 
Menschen weltweit, was den Klimawandel betrifft. Warum ist dies so? 
Und was sagt uns dies über die US-amerikanische politische Kultur?

Noam Chomsky: Die USA sind in ungewöhnlich hohem Maße eine vom 
Business geführte Gesellschaft, in der kurzfristige Interessen von 
Profit und Marktanteilen eine rationale Planung verdrängen. 
Ungewöhnlich sind die USA auch bezüglich des hohen Maßes an religiösem 
Fundamentalismus. Die Folgen für die Erkenntnis der Welt sind 
außerordentlich — in nationalen Umfragen gibt fast die Hälfte der 
Befragten an, sie glauben, Gott habe die Menschen in ihrer jetzigen 
Form vor 10.000 oder weniger Jahren erschaffen und der Mensch hätte 
keine gemeinsamen Vorfahren mit den Menschenaffen. Ähnliche 
Überzeugungen betreffen die Wiederkunft Christi. Senator James Inhofe, 
der dem Umwelt-Senatsausschuss vorstand, vertritt die Ansicht vieler, 
wenn er uns versichert, dass „Gott noch immer da oben ist und es einen 
Grund dafür gibt, dass dies alles passiert“, weswegen es ein Sakrileg 
für den Menschen wäre einzugreifen.

Graciela Chichilnisky: Die Logik des „Can do“ (Anpackermentalität, 
Anmerkung der Übersetzerin) akzeptiert per se keine Beschränkungen. 
Und ein Imperium verfügt über keine elegante Möglichkeit, sich aus 
dieser Rolle herauszuentwickeln. Die Geschichte demonstriert dies 
immer und immer wieder. Der Versuch, eine privilegierte globale 
Position aufrechtzuerhalten, lässt den Wandel für die USA zu einem 
Trauma werden.

Die erste Reaktion auf ein Trauma ist, wie bereits erklärt, die 
Leugnung, dann kommt die Wut und schließlich das Annehmen. Ich denke, 
die USA befinden sich noch zwischen Leugnung und Wut, und ich hoffe, 
wir erreichen die Akzeptanz, weil im Moment perverserweise nur die USA 
über die für einen globalen wirtschaftlichen Wandel notwendige 
Technologie verfügen.

Neuere Daten zu den globalen Emissionen von Treibhausgasen weisen 
darauf hin, dass wir möglicherweise die Periode dauerhaft steigender 
Emissionen hinter uns gelassen haben. Ist Optimismus für die Zukunft 
der Umwelt angebracht?

Noam Chomsky: Gramscis „Optimismus des Willens“ ist immer angebracht. 
Es gibt noch immer viele Optionen, sie nehmen aber ab. Die 
Möglichkeiten rangieren von einfachen Initiativen, die leicht 
durchzuführen sind — wie die Wärmedämmung von Häusern, was auch noch 
viele Jobs schaffen würde —, über komplett neue Energieformen, hier 
vielleicht Fusion, vielleicht auch neue, tatsächlich ernsthaft 
vorgeschlagene Methoden zur Gewinnung von Solarenergie außerhalb der 
Erdatmosphäre, bis hin zu Dekarbonisierungs-Verfahren, die 
möglicherweise einen Teil des enormen Schadens rückgängig machen, der 
dem Planeten bereits zugefügt wurde. Und vieles mehr.

Graciela Chichilnisky: Dies sind gute Neuigkeiten und ein Schritt in 
die richtige Richtung. Aber die Straße ist meilenlang und der erste 
Schritt, wenngleich auch notwendig, bestimmt nicht den Erfolg. Es ist 
bei Weitem nicht genug. Des Problems sind sich sich nur wenige 
Menschen bewusst und es wurde erst kürzlich im Datenmaterial des IPCC 
(Intergovernmental Panel on Climate Change; „Weltklimarat“) 
beobachtet: CO2 verbleibt jahrhundertelang in der Atmosphäre, sobald 
es einmal ausgestoßen wurde. Es zerfällt nicht, wie das Partikel oder 
Schwefeldioxid tun. Wir haben den Großteil unseres CO2-Budgets 
aufgebraucht und die CO2-Konzentrationen sind bereits gefährlich hoch 
— etwa 400 parts per million. Vor der Industrialisierung betrug dieser 
Wert 250. Das Problem besteht also darin, was wir bis jetzt getan 
haben und demzufolge, was rückgängig gemacht werden muss.

Laut dem Fifth Assessment Report des IPCC, Seite 191, müssen wir in 
den meisten Szenarien das CO2 entfernen, das wir ausgestoßen haben. 
Diese Emissionen fanden in jüngerer Zeit statt, hauptsächlich seit dem 
Zweiten Weltkrieg, also seit 1945 — einem Wendepunkt in der 
Weltwirtschaft. Dies war die Ära der US-Vorherrschaft und der 
Globalisierung, die auf einer übermäßigen Ausbeutung natürlicher 
Ressourcen armer Nationen und einem übermäßigen Verbrauch eben dieser 
Ressourcen durch die reichen Industrienationen beruhte — die Ära einer 
galoppierenden Vermehrung des Reichtums für ein paar Wenige und die 
noch schnellere und rekordmäßige Ungleichheit und Armut in der 
Weltwirtschaft als Ganzes. Dies ist die Kluft zwischen dem (globalen) 
Norden, der 18 Prozent der Weltbevölkerung beherbergt, und dem 
(globalen) Süden mit mehr als 80 Prozent.

Geht man davon aus, dass diese Veränderung im menschlichen Verhalten 
langsam vor sich geht und dass es mehrerer Jahrzehnte bedarf, bis die 
Weltwirtschaft sich hin zu neuen, sauber(er)en Energieformen verlagert 
—sollten wir eine technologische Lösung des Klimawandels anstreben?

Noam Chomsky: Alles, was praktikabel und potentiell wirksam ist, 
sollte erforscht werden. Es herrscht kaum Zweifel darüber, dass ein 
wesentlicher Anteil jeglicher ernsthaften Lösung technologische 
Fortschritte erfordern wird — dies kann jedoch nur ein Teil der Lösung 
sein. Andere bedeutende Veränderungen sind notwendig. Die industrielle 
Fleischproduktion trägt einen großen Teil zur globalen Erwärmung bei. 
Das gesamte sozio-ökonomische System beruht auf der Produktion für 
Profit und einem Wachstums-Imperativ, der nicht aufrechterhalten 
werden kann.

     Und da sind auch noch grundlegende Fragen zu den 
Wertvorstellungen: Was ist ein gutes Leben? Sollte die 
Herr-und-Knecht-Beziehung toleriert werden? Sollten unsere Ziele 
wirklich in der Maximierung von Waren liegen, in Veblens 
„Geltungskonsum“? Da gibt es sicher höhere und erfüllendere Bestrebungen.

Graciela Chichilnisky: Wir scheinen keine Alternative zu haben. Ich 
würde gerne sagen, dass das Problem durch grüne Energiequellen in den 
Griff bekommen werden könnte. Diese können jedoch das Problem nicht 
mehr lösen. Viele Studien belegen, dass langfristige Lösungen, wie das 
Pflanzen von Bäumen, die ja maßgeblich für das menschliche Überleben 
sind, und die Nutzung saubererer Energieformen als langfristige 
Energie-Lösung, nicht mehr im entscheidenden Zeitrahmen genutzt werden 
können. Darin besteht das Problem.

Technologie ist ein vielköpfiges Monster und vielleicht wäre es 
besser, zu einer sichereren Vergangenheit zurückzukehren und 
technischen Wandel zu vermeiden — mag man versucht sein zu denken. 
UN-Studien haben jedoch gezeigt, dass wir einen Baum auf jedem 
verfügbaren Quadratmeter weltweit pflanzen könnten — gegen Ende des 
Jahrhunderts hätten wir damit nur höchstens 10 Prozent des CO2 
gebunden, das wir reduzieren müssen. Dies bedeutet nun nicht, dass wir 
keine Bäume pflanzen sollten — das sollten wir, zugunsten der 
Biodiversität und unserer langfristigen Zukunft gemeinsam mit den 
anderen Arten.

Bäume und saubere Energie stellen die langfristige Lösung dar, wir 
haben jedoch keine Zeit, auf die lange Frist zu warten. Wir brauchen 
jetzt eine kurzfristige Lösung — eine, die den Übergang in eine 
langfristige Lösung anregt und unterstützt. Dies ist die vom IPCC 
vorgeschlagene Technik — das CO2 direkt aus der Luft zu entfernen. Ich 
bin Mitbegründerin eines Unternehmens — Global Thermostat —, das Wärme 
und Energie aus sauberen und fossilen Energiequellen wie Solaranlagen 
und Windfarmen nutzt, um CO2 aus der Luft zu entfernen. So haben wir 
eine kurzfristige Lösung, die das Erreichen einer notwendigen 
langfristigen Lösung ermöglicht und beschleunigt.

Viele in der progressiven und radikalen Gemeinschaft, darunter auch 
die Union of Concerned Scientists (UCS; übersetzt etwa „Vereinigung 
besorgter Wissenschaftler“, Anmerkung der Übersetzerin) sind so 
genannten Geoengineering-Lösungen gegenüber sehr skeptisch bis 
ablehnend eingestellt. Ist dies die andere Seite der Medaille der 
Klimawandel-Leugner?

Noam Chomsky: Dies scheint mir keine faire Bewertung zu sein. Die UCS 
und viele wie sie mögen recht haben oder nicht — sie führen jedoch 
ernsthafte Gründe an. Dies trifft auch für die sehr kleine Gruppe 
seriöser Wissenschaftler zu, die den überwältigenden Konsens infrage 
stellen. Aber die Massenbewegungen der Klimawandelleugner — wie die 
Führung der Republikanischen Partei und jene, die sie repräsentieren — 
sind ein völlig anderes Phänomen. Was das Geoengineering betrifft, so 
gibt es neben vielen positiven Beurteilungen auch seriöse allgemeine 
Kritik, die nicht ignoriert werden kann, beispielsweise die von Clive 
Hamilton. Es geht hier nicht um eine subjektive Beurteilung, die auf 
Vermutungen und Intuition beruht. Nein, dies sind Fragen, die 
ernsthaft betrachtet werden müssen, auf der Grundlage des besten 
verfügbaren wissenschaftlichen Sachverstands, ohne vernünftige 
vorbeugende Prinzipien aufzugeben.

Graciela Chichilnisky: Die Medizin könnte schlimmer als die Krankheit 
sein. Es wurden gewisse Geoengineering-Prozesse vorgeschlagen, die 
sehr gefährlich sein könnten und vermieden werden müssen. 
Geoengineering bedeutet, dass man die grundlegenden, umfassenden 
Prozesse der Erde verändert. Wir wissen wenig über die Folgen des 
Geoengineering-Verfahrens — so zum Beispiel das Aussprühen von 
Partikeln in die Atmosphäre, um die Erde vor den Sonnenstrahlen 
abzuschirmen und ihre Temperatur zu senken. Genau so verschwanden 
jedoch die Dinosaurier vor 60 Millionen Jahren von der Erde — wegen 
Partikeln durch einen Vulkanausbruch oder den Aufprall eines riesigen 
Meteoriten — und unsere Spezies könnte ihnen folgen.

Die Sonne ist die Quelle aller Energie auf dem Planeten Erde und wir 
können mit unserer einzigen Energiequelle nicht herumexperimentieren. 
Die Ozeane der Erde dahingehend zu verändern, dass sie mehr CO2 
aufnehmen können — wie andere Geoengineering-Lösungen vorschlagen —, 
ist genauso gefährlich, weil der damit zunehmende Säuregehalt der 
Meere winzige Krustentiere wie das Krill töten würde, die die Basis 
der Lebenspyramide der Erde bilden, wie wir sie kennen.

Welche sofortigen, aber realistischen und durchsetzbaren Maßnahmen 
könnten oder sollten ergriffen werden, um die Bedrohung durch den 
Klimawandel zu bewältigen?

Noam Chomsky: Der schnelle Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, ein 
sehr deutlicher Anstieg der erneuerbaren Energien, die Erforschung 
neuer Möglichkeiten nachhaltiger Energie, signifikante Schritte in 
Richtung Naturschutz und nicht zuletzt eine weit reichende Kritik am 
kapitalistischen Modell der Ausbeutung des Menschen und der Ressourcen 
— auch abgesehen davon, dass es die externen Effekte ignoriert, ist 
dieses Modell praktisch ein Todesurteil für die Arten.

Graciela Chichilnisky: Hier ist ein Plan aus realistischen und 
durchführbaren Handlungen, die jetzt durchgeführt werden können, um 
der Klimawandelbedrohung Herr zu werden: Wir müssen das CO2 entfernen, 
das die industrielle Wirtschaft bereits ausgestoßen hat und das sonst 
über Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleiben und das Klima der Erde 
irreversibel verändern würde. Es ist möglich, dies zu tun. Die 
Technologie zur direkten Entfernung des Kohlenstoffs aus der 
Atmosphäre existiert bereits und ist geprüft, sehr sicher und 
kostengünstig. Diese neue Technologie funktioniert, indem sie das CO2 
direkt aus der reinen Luft — oder einer Mischung aus industriellen 
Quellen und reiner Luft — extrahiert und dabei als Energiequelle 
keinen Strom benutzt, sondern hauptsächlich die preiswerte Restwärme, 
die bei den meisten industriellen Prozessen anfällt.

Das aus der Luft entnommene CO2 wird auf der Erde stabilisiert, indem 
es mit Profit für sinnvolle gewerbliche Zwecke verkauft wird. CO2 aus 
der Luft kann Petroleum ersetzen — es kann bei der Plastik- und 
Acetatproduktion, für Karbonfasern als Ersatz für Metalle sowie bei 
der Herstellung von sauberen Hydrokarbonen wie synthetischem Benzin 
eingesetzt werden. Wir können CO2 dafür verwenden, Wasser zu 
entsalzen, die Gemüse- und Fruchtproduktion in Gewächshäusern zu 
steigern, unsere Getränke mit Kohlensäure zu versetzen und Biodünger 
herzustellen, der die Leistungsfähigkeit unserer Böden steigert, ohne 
sie zu vergiften. Die Kohlenstoff-vermindernde Technologie ist absolut 
notwendig — so berichtet in der UNFCCC 
(UN-Klimawandel-Rahmenkonvention), im Fifth Assessment Report des 
IPCC, Seite 191, und in vier Artikeln des Pariser Abkommens von 2015.

Gibt es eine Möglichkeit vorherzusagen, wie die Welt in 50 Jahren 
aussehen wird, wenn die Menschheit es versäumt, die globale Erwärmung 
und den Klimawandel zu bewältigen?

Noam Chomsky: Wenn die aktuellen Tendenzen weiter bestehen bleiben, 
wird das Ergebnis katastrophal sein — und es wird nicht lange dauern. 
Große Teile der Welt werden kaum noch bewohnbar sein, was Hunderte von 
Millionen von Menschen betreffen wird. Dazu wird es andere 
Katastrophen geben, die wir uns kaum vorstellen können.

Graciela Chichilnisky: Es ist einfacher, die Zukunft zu gestalten, als 
sie vorherzusagen. Jetzt müssen wir die Anforderungen des 
Zwischenstaatlichen UN-Ausschusses für Klimaänderungen und das 
Kyoto-Protokoll der UNO sowie die Vorschläge des Übereinkommens von 
Paris umsetzen: Wir müssen sofort das CO2 entfernen, das wir bereits 
in die Erdatmosphäre ausgestoßen haben, und die Emissionsgrenzen von 
Kyoto erweitern. Dies ist in den meisten Szenarien die einzige 
mögliche Alternative zu einem katastrophalen Klimawandel. Dies kann 
und muss getan werden.

Mit den Mitteln aus dem CO2-Zertifikatehandel des Kyoto Protokolls 
könnte in armen Ländern der Bau von Kraftwerken finanziert werden, die 
kohlenstoffnegativ arbeiten (also kein CO2 ausstoßen, sondern es der 
Luft entnehmen; Anmerkung der Übersetzerin). Kohlenstoffnegative 
Kraftwerke können mit Energie versorgen und gleichzeitig die Armut 
überwinden und die wirtschaftlichen Werte in die richtige Richtung 
verändern.

Der UN-CO2-Zertifikatehandel, der seit 2005 im Völkerrecht verankert 
ist, wird einen sehr nötigen Wandel in den globalen wirtschaftlichen 
Wertvorstellungen herbeiführen. Der durch neue Märkte für globale 
öffentliche Güter verursachte Wandel in den wirtschaftlichen Werten 
wird unsere globale Wirtschaft neu ausrichten und kann unter den 
richtigen Bedingungen die Befriedigung gegenwärtiger und zukünftiger 
grundlegender Bedürfnisse anstoßen. Genau das brauchen wir jetzt. Wir 
müssen unsere Zukunft fördern, anstatt das menschliche Überleben zu 
untergraben. Legen wir los.


Graciela Chichilnisky, Jahrgang 1944, ist eine 
argentinisch-US-amerikanische Mathematikerin und 
Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie hat sich insbesondere auf dem Gebiet 
der Umweltökonomik hervorgetan.

Noam Chomsky, Jahrgang 1928, gilt als Begründer der modernen 
Linguistik und ist einer der meistzitierten Wissenschaftler der 
Moderne. Seit 1955 lehrte der US-Amerikaner als Linguistik-Professor 
am renommierten Massachusetts Institute of Technology. Inzwischen ist 
er emeritiert. Chomsky gehört zu den einflussreichsten kritischen 
Intellektuellen der Welt. Er hat mehr als 100 Bücher geschrieben, sein 
aktuelles ist „Requiem for the American Dream: The 10 Principles of 
Concentration of Wealth & Power“. Chomsky ist ein scharfer Kritiker 
der US-amerikanischen Außenpolitik, der US-Ambitionen auf 
geopolitische Vorherrschaft und des globalen Kapitalismus neoliberaler 
Ausprägung, den er als Klassenkampf von oben gegen die Bedürfnisse und 
Interessen der großen Mehrheit bezeichnet.

C. J. Polychroniou ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, Autor 
und Journalist, der an Universitäten und Forschungszentren in Europa 
und den Vereinigten Staaten unterrichtet und gearbeitet hat. Seine 
Forschungsschwerpunkte liegen in der europäischen 
Wirtschaftsintegration, der Globalisierung, der politischen Ökonomie 
der Vereinigten Staaten von Amerika und der Dekonstruktion des 
politisch-ökonomischen Neoliberalismus.

Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel 
„Global Warming and the Future of Humanity: An Interview With Noam 
Chomsky and Graciela Chichilnisky". Er wurde von Gabriele Herb aus dem 
ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom 
ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.

Noam Chomsky, Jahrgang 1928, gilt als Begründer der modernen 
Linguistik und ist einer der meistzitierten Wissenschaftler der 
Moderne. Seit 1955 lehrte der US-Amerikaner als Linguistik-Professor 
am renommierten Massachusetts Institute of Technology. Inzwischen ist 
er emeritiert. Chomsky gehört zu den einflussreichsten kritischen 
Intellektuellen der Welt. Er hat mehr als 100 Bücher geschrieben, sein 
aktuelles ist „Requiem for the American Dream: The 10 Principles of 
Concentration of Wealth & Power“. Chomsky ist ein scharfer Kritiker 
der US-amerikanischen Außenpolitik, der US-Ambitionen auf 
geopolitische Vorherrschaft und des globalen Kapitalismus neoliberaler 
Ausprägung, den er als Klassenkampf von oben gegen die Bedürfnisse und 
Interessen der großen Mehrheit bezeichnet.

Es bringt wenig, nur im eigenen, wenn auch exquisiten Saft zu 
schmoren. Deshalb sammelt und veröffentlicht die Rubikon-Weltredaktion 
unter Federführung von Melina Lieb und Karin Leukefeld regelmäßig 
Stimmen aus aller Welt, vorwiegend aus dem anglo-amerikanischen und 
arabischen Raum. Wie denken kritische Zeitgenossen dort über 
geopolitische Ereignisse? Welche Ideen haben sie zur Lösung globaler 
Probleme? Welche Entwicklungen beobachten sie, die uns in Europa 
vielleicht auch bald bevorstehen? Der Blick über den Tellerrand ist 
dabei auch ermutigend, macht er doch deutlich: Wir sind viele, nicht 
allein!

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - 
Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. 
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     Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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