[E-rundbrief] Info 1837 - Der digitale Knebel - Die EU forciert das Ende des freien Internets
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Sa Mär 9 21:21:44 CET 2019
E-Rundbrief Info 1837 - Madita Hampe, Nicolas Riedl/ Rubikon-News (D):
Der digitale Knebel - Die EU forciert das Ende des freien Internets.
Bad Ischl, 9.3.2019
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Samstag, 09. März 2019, 13:00 Uhr
~9 Minuten Lesezeit
https://www.rubikon.news/artikel/der-digitale-knebel
Der digitale Knebel
Die EU forciert das Ende des freien Internets.
von Madita Hampe, Nicolas Riedl
Unter dem Vorwand, Urheberrechte schützen zu wollen, möchte die EU
Internetplattformen für das Hochladen geschützter Inhalte haftbar
machen. Diese können sich vor dann drohenden Klagen lediglich durch
das Installieren nahezu unbezahlbar teurer Uploadfilter absichern,
deren Eigenschaft und Nutzen kafkaesk abstrus sind. Eine Vorab-Zensur
und das Ende von nutzer-generierten Inhalten all derer, die nicht über
den nötigen Rang, Namen und das Kleingeld verfügen, wären die Folgen.
Eine Verabschiedung der EU-Urheberrechtsreform samt des dubiosen
Artikels 13 bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, das Ende des freien
Internets. Noch können wir uns wehren.
Der digitale „Mob“
Preisfrage: Wie nennt man 4,7 Millionen Menschen, die eine Petition
unterschreiben, tausende Kölner Demonstranten und mehr als 20
innerhalb kürzester Zeit angemeldete Demonstrationen in ganz Europa?
Richtig: einen Mob. Jedenfalls, wenn es nach der europäischen
Kommission geht, denn als solch einen Mob bezeichnete diese die
Kritiker der neuen EU-Urheberrechtsreform in einem Blogpost.
Der neueste Stand dieser Richtlinie ist das Verhandlungsergebnis des
Trilogs vom 13. Februar 2019. Das wesentliche Resultat der
stundenlangen Gespräche zwischen Parlament, Rat und Kommission ist
allerdings lediglich eine Umformulierung mit nur minimalen Änderungen,
die vor allem SPD- und CDU-Politiker in bester Wahlkampfmanier
hinreichend ausschlachten.
Im Wesentlichen und insbesondere in seiner Umsetzung hat sich an
Artikel 13 nichts geändert (1).
Der Auftakt der Zensurmaschine
Seit Monaten sorgt die Reform für Wirbel und ein – für eine
EU-Angelegenheit – verhältnismäßig großes Interesse seitens der
EU-Bürger. Grundsatz ist, dass nach Artikel 13 der Richtlinie nicht
mehr die Nutzer die Verantwortung für die von ihnen verbreiteten
Inhalte tragen sollen, sondern die Dienste, auch Anbieter oder
Plattformen genannt, auf denen der jeweilige Content hochgeladen wird.
So ein Dienst ist zum Beispiel YouTube. Aber, und das ist wichtig,
nicht nur YouTube. Betroffen sind alle Online Plattformen, Portale und
Webseiten, deren Zweck es ist, eine große Zahl an urheberrechtlich
geschützten Werken zur Verfügung zu stellen.
Und das sind nicht wenige, denn praktisch ist jedes Video, jedes Bild,
jeder Text, jedes Zitat urheberrechtlich geschützt. Irgendjemand hat
es aufgenommen oder verfasst, und dieser jemand hält folglich die
Rechte daran inne. Die Vorstellung, die Auswirkungen des Artikels 13
würden sich lediglich auf Memes und Let‘s Plays beschränken, ist also
falsch.
Sicherlich werden auf YouTube beispielsweise massenhaft Datensätze
hochgeladen, die nicht alle urheberrechtlich geprüft wurden und von
denen einige demzufolge auch illegal verfügbar sein könnten. Aus
diesem Grund sollen die Plattformen nach der EU-Richtlinie
Genehmigungen von den Urhebern, also Lizenzen, für urheberrechtlich
geschütztes Material einholen. Wird diese Genehmigung nicht erteilt,
haftet die Plattform auch finanziell, es sei denn, sie kann drei
Umstände nachweisen (2).
Dazu zählt, dass alle Anstrengungen unternommen wurden, um eine
Genehmigung von den Rechteinhabern, also den Urhebern, zu erhalten.
Dies dürfte sich allerdings als problematisch erweisen, ja fast schon
als unmöglich.
Da – wie festgestellt – so gut wie jeder Smartphone-Besitzer auch
potentieller Urheber ist, müsste YouTube pauschal zuvor mit jedem –
also der gesamten Weltbevölkerung – Lizenzverhandlungen führen, um
Genehmigungen zu erhalten und die Videos anbieten zu können. Gelingt
das nicht, müsste YouTube nachweisen, dass sie hierzu alle
Anstrengungen unternommen haben, um nicht in die Haftung zu kommen.
Die Löschfilter
Weiterhin muss nachgewiesen werden, dass der Dienst – insofern ihm
keine Genehmigung der Urheber vorliegt – alle Anstrengungen
unternommen hat, um zu verhindern, dass das geschützte Werk ohne
Genehmigung hochgeladen wird.
Da YouTube selbstverständlich nicht über die personellen Kapazitäten
verfügt, die 450 Stunden an minütlich hochgeladenem Videomaterial von
menschlichen Mitarbeitern überprüfen zu lassen, lässt sich das nur mit
Hilfe von Algorithmen in Form von Erkennungssoftware bewerkstelligen.
Hierbei handelt es sich, auch wenn federführende CDU-Politiker das
mittlerweile regelmäßig abstreiten, um die berüchtigten Uploadfilter.
Deren grundsätzliche Problematik besteht darin, dass derjenige, der
ein Werk ins Netz stellt, keinerlei Einfluss auf die Funktionsweise
des Filters besitzt. Wäre in einem Video ein Bild oder Filmausschnitt
zu sehen oder Musik zu hören, für die keine Genehmigung vorliegt,
sperrt der Uploadfilter das Video noch vor der Veröffentlichung.
Dagegen kann der Nutzer zwar Widerspruch einlegen; dieser verläuft
allerdings entweder im Sande (das kann jeder nachvollziehen, der bei
YouTube schon einmal ein Video als unangemessen gemeldet hat), oder
das Video ist nach dem langen Prozess der Prüfung und Freigabe
schlicht nicht mehr aktuell und relevant.
Diese Situation bedroht nicht nur das Internet als Raum des kreativen
Schaffens Einzelner, sondern auch die Pressefreiheit im Netz. Immer
wieder werden von den Befürwortern der Reform die im Trilog-Ergebnis
festgeschriebenen Ausnahmen angeführt. Diese sind in der praktischen
Realität meist aber nicht umsetzbar.
So wird beispielsweise lobend hervorgehoben, dass die Richtlinie nicht
für Zitate, Kritik, Überprüfung, Karikaturen oder Parodien gilt.
Schön, damit wäre die Pressefreiheit gerettet, könnte man meinen –
kämen uns da nicht die Uploadfilter in die Quere.
Wie soll ein einmal eingerichteter Uploadfilter technisch erkennen
können, wann ein Ausschnitt aus einem urheberrechtlich geschützten
Werk einfach kopiert wurde – also gelöscht werden muss – oder wann er,
im Gegenzug, kritisch besprochen oder persifliert wird – und damit
legal ist?
Die Programmierung eines solchen Uploadfilters wäre ungeheuer
aufwändig, wenn überhaupt machbar! Und deshalb gilt: Im Zweifelsfall
wird gelöscht und die Meinungsfreiheit somit beschnitten, ohne den
genauen Hintergrund ausreichend geprüft zu haben.
Revidiert YouTube oder die entsprechende Plattform den Fehler des
Uploadfilters nicht, kann nur dagegen vorgehen, wer das notwendige
Geld besitzt, um gegen YouTube und damit Google vor Gericht zu ziehen.
Das zeigt einmal mehr den elitären Grundtenor dieses Gesetzesvorhabens.
Der Digital-Natives-Genozid
Im Zusammenhang mit technisch versierten jungen Leuten spricht man
häufig von „Digital Natives“ (zu Deutsch: „digitale Einheimische“).
Mit dieser Begriffsverwendung lässt sich vor dem Hintergrund des
Artikels 13 eine interessante Parallele zur Entdeckung Amerikas
herstellen.
Für Kolumbus und Merkel, als Symbol für die heute herrschende Politik,
waren sowohl der neue Kontinent als auch das Internet Neuland. Und so
wie Kolumbus bei der Ankerlegung vor Lateinamerikas Küste
fälschlicherweise glaubte, auf Indien gestoßen zu sein, so glaubten
politisch Mächtige, mit dem Internet ein weiteres Kontroll-Tool für
ihre Machtausweitung gefunden zu haben. Ursprünglich wurde das
Internet nur für militärische Zwecke genutzt.
Das freie Internet, wie es sich in den 1990er Jahren für den
Privatnutzer etablierte und im weiteren Verlauf für den Einsturz des
Informations-Monopols sorgte, dürften die heutigen „Eliten“ als
historischen Unfall ansehen.
Indien verfehlt zu haben, erwies sich für Kolumbus allerdings als
unverhoffter Goldfund. Und von da ab verlaufen die Stränge wieder
parallel zueinander. Denn jetzt geht es um die Ausrottung der Natives,
der Ureinwohner. Im Verlauf der nachfolgenden Jahrhunderte rotteten
die Europäer ganze Indianer-Stämme aus, versklavten die übrig
Gebliebenen oder beuteten sie aus, indem sie ihnen wertlose,
Murmel-ähnliche Gegenstände als Tausch gegen wertvolle Ressourcen boten.
Mit Artikel 13 werden nun die „Digital-Natives“ ausgerottet. Natürlich
nicht physisch wie die Ureinwohner Amerikas, aber geistig. Jedwedes
geistige Eigentum wird – wenn vielleicht auch erst nach drei Jahren –
Opfer eines unbarmherzigen, nicht mit sich diskutieren lassenden
Uploadfilters.
Im Falle zahlreicher YouTuber und oberflächlicher Fashion-Blogger mag
dies kein großer kultureller Verlust sein. Sehr wohl aber im Falle von
investigativen Journalisten, großen alternativen Medienplattformen,
wunderbaren Videokünstlern und unabhängigen Filmemachern.
Genau wie mit dem ungleichen Tauschhandel, der mit Amerikas
Ureinwohnern betrieben wurde, möchte man uns hier die totale Zensur
als besseren Schutz für Urheber verkaufen.
So wie das digitale Neuland für die „Eliten“ nach wie vor eine Gefahr
darstellt, so können diese auch sehr davon profitieren: durch
mannigfaltige Möglichkeiten der Manipulation und geistigen
Indoktrination. Sie können Zugriff erhalten auf intimsten Daten aller
Bürger. Oder sie vom Zahlungsverkehr ausschließen. Nicht umsonst
werden die Abschaffung des Bargeldes und die Ausweitung diverser
e-Payment-Möglichkeiten wie PayPal parallel vorangetrieben und beworben.
Art. 13 des neuen Urheberrechtsgesetzes ist nach der ganzen
Hate-Speech- und Fake-News-Chose der nächste konsequente Schritt, das
digitale Neuland zu entliberalisieren und für elitäre Zwecke zu
modifizieren.
Ein elitäres Projekt
Wer über ausreichend Geld verfügt, kann natürlich auch schon vorher
auf eigene Faust Lizenzverhandlungen mit dem Urheber führen. Einige
werden diese Möglichkeit sicher wahrnehmen, aber eben nur die, die es
sich leisten können – und ernstgenommen werden.
Damit kommt gleichzeitig die Frage auf: Wird denn überhaupt jeder eine
Lizenz erhalten, der sie erwerben will? Was ist beispielsweise, wenn
KenFM für das Format Me Myself and Media, welches Ausschnitte aus dem
öffentlich-rechtlichen Fernsehen thematisiert, eine Lizenz beim ZDF
beantragt? Wird die KenFM-Redaktion sie erhalten? Oder ist der Inhalt
ihrer Formate dem ZDF dann doch zu kritisch? Kurzum, hier werden die
Weichen für einen überdimensionalen Zensurpflug gestellt.
Als letzte Bedingung für die Nichthaftung muss der Anbieter
sicherstellen, dass unrechtmäßig hochgeladenes Material auch bei jedem
neuen Versuch des Hochladens sofort entfernt wird.
Nachdem der Bundesjustizministerin Katarina Barley die fast 4,8
Millionen Unterschriften der Initiatitive Save your Internet übergeben
worden waren, nutzte sie die Gelegenheit, um in Causa
Urheberrechtsreform die verschiedenen Lager in zwei Interessengruppen
zu teilen: die Kreativen und die großen Plattformen.
Das ist doppelt inkorrekt. Erst einmal gehören zu den Kreativen nicht
nur die Urheber, von denen die Plattform eine Genehmigung erhalten
soll – mit vermeintlichem Interesse an Artikel 13 – sondern auch
diejenigen, die den Ausschnitt zum Beispiel in einer Parodie oder
einer kritischen Reflexion verwenden. Das Anrecht auf eine angemessene
Vergütung der Kreativen wird gegen das Recht auf Meinungs- und
Kunstfreiheit der anderen aufgewogen.
Ebenfalls falsch ist die indirekte Annahme, die großen Plattformen
hätten kein Interesse an Artikel 13. Der Europa-Abgeordnete Timo
Wölken beschreibt in einem Redebeitrag, dass Google sehr
wahrscheinlich zu den Firmen gehören wird, die die Uploadfilter
letztlich verkaufen und daran verdienen werden (3,4).
Away from Keyboard
Keine Petitionsunterschrift, kein noch so böse dreinblickender Smiley
vermag es, diesen Artikel samt dem Urheberrechtsgesetz aufzuhalten.
Dazu müssen wir von der Couch aufstehen und auf die Straße gehen.
Wann? Am 23. März! Hier findet sich eine Übersicht über alle
Demonstrationen gegen Artikel 13 in Europa. Diese ist europaweit noch
relativ übersichtlich, wenn man bedenkt, dass es hier um nichts
Geringeres geht als um die Freiheit des wichtigsten
Informationsmediums der Menschheitsgeschichte.
Jeder kann eine Demo anmelden! Und das ist dringend geboten!
Paradoxerweise ist das digitale Drittweltland Deutschland mit den
meisten „Save-The-Internet“-Demonstrationen zum Zeitpunkt dieser
Niederschrift, das heißt am 7. März 2019, europaweit führend. Gerade
im Westen – wahrscheinlich wegen der dortigen Medienhochburgen –
sprießen die Demos aus der Erde wie Pilze.
Westlich von Deutschland gibt es lediglich Demonstrationen in
Amsterdam und Luxemburg. Die Demonstration in Brüssel wurde
paradoxerweise abgesagt oder zumindest von der Kartenübersicht
entfernt. Paris wollen wir an dieser Stelle keinen Vorwurf machen –
die Gelbwesten haben den zivilen Widerstand in den westlichen Staaten
des 21. Jahrhunderts auf ein neues Level gehoben.
Interessant ist der Blick auf Polen, wo bereits sechs Demonstrationen
angemeldet. Dort scheint man für das Thema schon stärker
sensibilisiert zu sein als in anderen EU-Staaten. Das mag durchaus
daran liegen, dass die polnische Regierung in den vergangenen Jahren
zunehmend autoritärere Züge angenommen hat und die polnische
Bevölkerung sich gewahr ist, welche Konsequenzen das Wegfallen eines
demokratischen Informationsmediums hätte.
Darum: Lasst uns am 23. März offline und auf die Straße gehen. Eine
Masse auf der Straße kann selbst der verblendetste Politiker nicht
mehr als einen Haufen von Bots bezeichnen!
Quellen und Anmerkungen:
(1)
https://www.sueddeutsche.de/digital/eu-urheberrecht-diese-reform-macht-alle-verrueckt-1.4335959-2
(2)
https://www.dropbox.com/s/569ecj9v5q9adaq/Tabelle_Englisch_Deutsch.docx?dl=0
(3) https://www.youtube.com/watch?v=omzbKcmso0g
(4) https://www.youtube.com/watch?v=S-_xri7Bqhg
Kundgebungen, Demos - Stand 9.3.19:
https://savetheinternet.info/demos
in Österreich:
23.3.2019 15:30 Wien - Christian Broda Platz
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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