[E-rundbrief] Info 1447 - Was werden unsere Kinder und Enkel zu uns sagen?
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Di Jun 23 20:15:02 CEST 2015
E-Rundbrief - Info 1447 - Leonardo Boff (BR): Was werden unsere Kinder
und Enkel zu uns sagen?
Bad Ischl, 23.6.2015
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Was werden unsere Kinder und Enkel zu uns sagen?
Von Leonardo Boff
Alle Länder, vor allem diejenigen, die wie Brasilien im Jahr 2015 eine
Finanzkrise erleiden, sind von einer beständigen Vorstellung besessen:
Wir müssen wachsen; wir müssen das Wachstum des BSP sichern, d. h. die
Summe allen im Lande erschaffenen Reichtums. Dieses
Wirtschaftswachstum betrifft grundlegend die Produktion materieller
Güter. Es schafft einen hohen Grad an sozialer Ungleichheit
(Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen) und führt zu einer perversen
Zerstörung der Umwelt (Erschöpfung der Ökosysteme).
Tatsächlich sollten wir zuerst über die Art der Entwicklung sprechen,
die essentielle nicht-materielle Elemente beinhaltet, vor allem solche
subjektiven und humanistischen Dimensionen wie die Ausdehnung der
Freiheit, Kreativität und der Möglichkeiten, sein Leben selbst zu
gestalten. Leider sind wir alle von diesem Wachstum in Geiselhaft
genommen. Vor langem wurde das Gleichgewicht zwischen Wachstum und
Umweltschutz zugunsten des Wachstums zerstört. Der Konsum übersteigt
bereits um 40 % die Kapazitäten unseres Planeten, seine Ressourcen zu
erneuern. Und die Erde ist dabei, ihre Nachhaltigkeit zu verlieren.
Wir wissen inzwischen, dass die Erde ein sich selbst regulierendes
Lebenssystem ist, in dem alle Faktoren interagieren (Gaia-Theorie), um
ihre Ganzheit aufrechtzuerhalten. Doch ihre Selbstregulierung
funktioniert nicht mehr. Daher kommt der Klimawandel, gibt es extreme
Ereignisse (starke Winde, Tornados, Klimaderegulierung) und die
globale Erwärmung, die uns mit schweren Katastrophen böse überraschen
kann).
Die Erde sucht ein neues Gleichgewicht, indem sie ihre Temperatur um
1,4 bis 5,8 Grad erhöht. Dies würde zu einer Ära großer Zerstörungen
führen (Anthropozän) mit gestiegenem Meereslevel, von denen mehr als
die Hälfte der Menschheit betroffen sein werden, die an den Küsten
leben. Tausende von lebendigen Organismen würden nicht genug Zeit
haben, um sich anzupassen oder die schädigenden Auswirkungen
abzumildern, und würden von der Erdoberfläche verschwinden. Ein
Großteil der Menschheit selbst, bis zu 80 % sagen manche, könnten auf
einem Planeten, dessen physikalisch-chemische Grundlage so profund
verändert wäre, nicht überleben.
Der Umweltforscher Washington Novaes ist sich gewiss: "Jetzt geht es
nicht mehr darum, sich um die Umwelt zu kümmern, sondern darum, die
Limits, die das Leben gefährden könnten, nicht zu überspannen." Manche
Wissenschaftler behaupten, wir hätten den Punkt des No-Return
erreicht. Die auf uns zukommende Krise lässt sich verlangsamen, nicht
aber stoppen.
Diese Frage ist unbequem. In ihren offiziellen Reden sprechen
Staatsoberhäupter, Geschäftsleute und - noch schlimmer - die
wichtigsten Ökonomen selten die Grenzen des Planeten und die daraus
resultierenden Probleme für unsere Zivilisation an. Wir wollen nicht,
dass unsere Kinder und Enkel uns verfluchen, wenn sie auf die
Vergangenheit schauen, denn obwohl wir von den Gefahren wussten, taten
wir nichts oder wenig, um die Tragödie zu vermeiden.
Der Fehler eines jeden muss möglicherweise wortwörtlich den
merkwürdigen Anweisungen von Lord Keynes folgen, um der großen
Depression der 1930er Jahre zu entrinnen:
"Mindestens ein Jahrhundert lang machten wir uns selbst und allen
anderen vor, dass Schönes schmutzig ist und dass Schmutziges schön
ist, denn das Schmutzige ist nützlich, und das Schöne ist nutzlos.
Gier, Profitsucht, Misstrauen müssen unsere Götter sein, denn diese
werden uns zum Ende des Tunnels ökonomischen Bedarfs ans Tageslicht
führen … Nach all dem wird die Rückkehr zu einigen sichereren und
gewissen Prinzipien von Religion und traditionellen Tugenden erfolgen:
dass Gier ein Laster ist, Profitsucht ein Verbrechen und die Liebe zum
Geld verachtenswert" (Economic Possibilities of our Grand-Children -
Ökonomische Möglichkeiten unserer Enkel). So denken die
Hauptverantwortlichen für die Krise von 2008, die niemals bestraft wurden.
Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Ziele neu definieren und nach den
geeignetsten Mitteln forschen, um sie zu erreichen. Es kann bei ihnen
nicht länger darum gehen, zu produzieren, während die Natur zerstört
wird, und grenzenlos zu konsumieren. Niemand hat eine Lösung für diese
Zivilisationskrise. Doch wir vermuten, dass wir uns von der Weisheit
der Natur selbst leiten lassen müssen: Respekt für ihren Rhythmus
aufbringen, für ihre Belastungskapazität, das Hauptaugenmerk nicht auf
Wachstum, sondern auf Nachhaltigkeit legen. Würden unsere
Produktionsweisen die natürlichen Zyklen respektieren, dann gäbe es
sicher genug für alle und wir würden die Natur, deren Teil wir sind,
bewahren.
Wir bekleben die Wunden der Erde mit Pflaster. Linderung keine Lösung.
Wir beschränken uns vor allem aufs Lindern und haben dabei die
Illusion, wir lösten die dringenden Probleme, bei denen es um Leben
und Tod geht.
Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta
Kommission
Quelle: Traductina , 08.06.2015.
Veröffentlicht am 09. Juni 2015
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/009220.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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