[E-rundbrief] Info 533 - Avnery: Shalom, Shin-Bet

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Apr 10 21:45:23 CEST 2007


E-Rundbrief - Info 533 - Uri Avnery (Isreal): 
Shalom, Shin-Bet. Vor Kurzem erklärte der Chef 
des Shin-Bet, die “israelischen Araber” - ein 
Fünftel der Bevölkerung Israels - stellten für 
den Staat eine Gefahr dar. Er erbat sich die 
Genehmigung für den Allgemeinen Sicherheitsdienst 
gegen jeden vorgehen zu dürfen, der die 
offizielle Bezeichnung Israels als “ jüdischer 
und demokratischer Staat” verändern will - auch 
dann, wenn er nur legale Mittel dabei anwendet.

Bad Ischl, 10.4.2007

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Die Beziehung zwischen einem modernen Staat und 
seinen Bürgern kann nur auf einer Basis beruhen: 
auf Staatsangehörigkeit. Der Staat gehört all 
seinen Bürgern, und alle müssen vor dem Gesetz 
gleich sein. Das ist es, was die 
Unabhängigkeitserklärung 1948 allen versprochen 
hat: “Der Staat Israel 
wird volle soziale und 
politische Gleichberechtigung allen Bürgern ohne 
Unterschied der Religion, der Rasse und des Geschlechtes gewähren.”

Shalom, Shin-Bet

Uri Avnery

VOR KURZEM erklärte der Chef des Shin-Bet, die 
“israelischen Araber” - ein Fünftel der 
Bevölkerung Israels - stellten für den Staat eine Gefahr dar.

Er erbat sich die Genehmigung für den Allgemeinen 
Sicherheitsdienst gegen jeden vorgehen zu dürfen, 
der die offizielle Bezeichnung Israels als “ 
jüdischer und demokratischer Staat” verändern 
will - auch dann, wenn er nur legale Mittel dabei anwendet.

Daraus folgt, dass nach Ansicht des Chefs des 
Sicherheitsdienstes, einer zentralen Figur 
innerhalb der israelischen Führung, die Aufgabe 
des Shin Bet (in Israel jetzt allgemein Shabak 
genannt ) nicht die ist, den Staat vor Spionen 
und Terroristen zu schützen, sondern auch vor 
jedweder Veränderung seiner ideologischen 
Bestimmung - eben wie der KGB in der früheren 
Sowjetunion und die Stasi im kommunistischen 
Ostdeutschland . (Der exzellente Film - ein 
Oskarpreisträger - “Das Leben der anderen”, der 
gerade in Israel läuft, zeigt, wie dies in der Praxis funktioniert hat).


ALL DIES erinnert mich an frühere Ereignisse. 
Ziemlich naiv hatte ich gedacht, dass diese 
vergangenen Zeiten angehörten und nie wiederkehren würden.

Vor zwei Wochen veröffentlichte das Massenblatt 
Yediot Aharonot ein Interview mit dem Anwalt 
Arieh Hadar, bekannt unter dem Spitznamen 
Pashosh, dem früheren Chef der Verhörabteilung des Shin-Bet.

Pashosh enthüllte: “In den Fünfzigern war Uri 
Avnery der große Feind der Laborpartei - und 
deshalb auch von Issar Harel, dem Chef der 
Sicherheitsdienste, des Shin-Bet und des Mossad, 
- und mit Avnery dessen Wochenmagazin Haolam 
Hazeh. Avnery hat den Shin-Bet den “Apparat der 
Finsternis” genannt und Issar sei überzeugt 
gewesen, Uri Avnery wolle den Staat zerstören. 
Avnery und sein Magazin standen unter ständiger 
Überwachung. Einer meiner Kollegen verdiente sich 
eine schnelle Beförderung, als er einen der 
Angestellten der Haolam Hazeh-Druckerei für 
unseren Dienst gewinnen konnte. Jede Woche hat 
ihm dieser Angestellte eine geschmuggelte Kopie 
des Magazins vor dem offiziellen 
Veröffentlichungstermin übergeben. Mein Kollege 
gab diese an Issar weiter, der sie jede Woche persönlich Ben Gurion brachte.”

Pashosh fügte dem noch hinzu: “Issar ließ durch 
den Shin Bet ein konkurrierendes Magazin 
herausgeben - unter dem Deckmantel eines privaten 
Besitzers. Sein Ziel war es, Avnery zu zerstören”.

Diese Enthüllungen waren für mich nichts Neues. 
Vor Jahren verriet Issar Harel selbst, dass er 
mich als “Feind Nummer eins des Regimes” 
betrachtete. Ich erinnere daran, dass in jenen 
Tagen in unser Redaktionsbüro und in die 
Druckerei drei Bomben gelegt worden waren und 
zwei Angestellte verletzt wurden. Die Finger 
meiner beiden Hände wurden bei einem 
(missglückten) Versuch, mich zu kidnappen, 
gebrochen. Keins dieser Verbrechen wurde jemals aufgeklärt.

Als 1977 Menachim Begin zur Macht kam, enthüllte 
er in einem Interview, dass Ende der 50er-Jahre 
Issar Harel auf ihn zukam und ihm sagte, er habe 
dem Ministerpräsidenten Ben-Gurion vorgeschlagen, 
mich in “Administrativhaft” zu nehmen - eine Haft 
ohne Gerichtsverhandlung und für unbegrenzte 
Zeit. Ben-Gurion stimmte dem zu, stellte aber 
eine Bedingung: Begin, damals Führer der 
Opposition, müsste dem ebenfalls zustimmen, damit 
dies ruhig über die Bühne gehen könne. Begin 
verlangte von Issar, dass er ihm beweisen müsse, 
dass ich ein Verräter sei, sonst würde er dem 
nicht nur nicht zustimmen, sondern einen 
Mordskrach veranstalten. Issar kam nie wieder darauf zurück.

Begin ließ es nicht dabei bewenden. Er sandte mir 
seinen Stellvertreter, den Leutnant Yaacov 
Meridor, um mich zu warnen. Trotz der extremen 
Meinungsunterschiede zwischen uns beiden, die 
ihren Ausdruck bei vielen Knessetdebatten fanden, 
akzeptierte Begin mich offenbar dennoch als israelischen Patriot.


DIE FRAGE IST natürlich, warum Ben-Gurion und der 
Chef des Sicherheitsdienstes mich als “Feind 
Nummer eins des Regimes” betrachteten.

Das bringt uns zu dem jetzt wieder durch den Shin-Bet-Chef aufgebrachten Thema.

Ich griff Ben-Gurion auf vielen Gebieten an: die 
totale Herrschaft der Labor-Partei (damals Mapai) 
im Staat, die damals beginnende Korruption in der 
herrschenden Schicht, die Diskriminierung, unter 
der jüdische Immigranten aus den orientalischen 
Ländern litten, der Religionszwang, etc. waren einige meiner Kritikpunkte.

Der zentrale Punkt dieses Kampfes aber war die 
Definition Israel als “jüdischer Staat”.

Was ist ein “jüdischer Staat”? Das wurde nie klar 
definiert. Ein Staat, dessen sämtliche Bürger 
jüdisch sind? Ein Staat, der nur den Juden 
gehört? Der “Staat des jüdischen Volkes”, der 
auch Millionen Juden gehört, die nicht hier leben 
und Bürger der USA, Argentiniens und Frankreichs 
sind? Ein Staat, der von der jüdischen Religion 
beherrscht wird? Ein Staat, der die jüdischen 
Werte zum Ausdruck bringt ? (und wenn ja, welche dann?)

Außerdem: wer ist - in diesem Kontext - Jude? 
Nach langer Unschlüssigkeit entschied sich die 
Knesset zur religiösen Definition: ein Jude ist 
eine Person, die eine jüdische Mutter hat oder 
zum jüdischen Glauben konvertiert ist und keine 
andere Religion angenommen hat. Der Widerspruch 
zwischen der Definition von Judentum als einer 
Religion und der Behauptung, dass die Juden eine 
Nation seien, wurde dadurch gelöst, dass man eine 
Fiktion akzeptierte, dass bei uns im Gegensatz zu 
andern Völkern Religion und Nation identisch sei.

Der Terminus “jüdischer Staat” ist nebulös. Er 
kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. 
Wenn man ihm noch das Wort “demokratisch” 
hinzufügt, wird es zu einem Oxymoron - ein Staat, 
der nur einem Teil seiner Bevölkerung gehört, ist 
nicht demokratisch, und ein demokratischer Staat 
kann nicht nur einem Teil seiner Bevölkerung 
gehören, auch wenn sie die Mehrheit darstellt.

Falls der Sicherheitsdienst - wie wir die 
Geheimpolizei nennen - dahingehend instruiert 
wird, gegen jene vorzugehen, die mit legalen 
Mitteln gegen die Definition “jüdischer Staat” 
kämpfen, würde das schlicht bedeuten, die 
israelische Demokratie zu verkrüppeln. Es ist 
eines der Grundprinzipien der Demokratie, dass 
jeder das Recht hat, seine Ansichten zu 
verbreiten und Leute zu überzeugen, die Gesetze 
und die Verfassung zu verändern - solange legale 
Mittel angewendet werden. Wenn es ihm oder ihr 
gelingt, die Mehrheit der Bürger zu überzeugen, 
wird die gewünschte Veränderung eintreten.

Die Geheimpolizei dahingehend zu aktivieren, 
diesen Prozess zu torpedieren, würde bedeuten, 
Israel in einen Polizeistaat zu verwandeln. Das 
wäre dann nicht eine “Demokratie, die sich selbst 
schützt”, sondern eher ein sich vor der Demokratie schützender Staat.

ICH HOFFE, der Staat Israel bleibt ein Staat mit 
hebräischer Mehrheit und die hebräische Sprache 
seine Hauptsprache. Ich hoffe, dass er die 
moderne hebräische Gesellschaft und Kultur zum 
Ausdruck bringt und auch die jüdische Tradition 
vergangener Generationen lebendig erhält. (Über 
die arabische Seite des Problems weiter unten)

Aber das sollte nicht mit Gewalt, nicht durch 
Unterdrückung oder mit Hilfe der Geheimpolizei 
und anderer Zwangsmittel geschehen. Natürlichen 
Prozessen sollte es erlaubt sein, sich frei zu 
entfalten - ganz gleich mit welchen Folgen. Wir 
sind nicht die einzige Nation in der Welt, die dieses Problem hat.

Wenn Israel ein attraktives Land wird, wird sich 
die Geburtsrate erhöhen und viele werden an seine 
Tür klopfen, Menschen, die wünschen, sich uns 
anzuschließen. Die israelische Nation - anders 
als die jüdische Religion - kann im Prinzip jeden 
aufnehmen, der wünscht, dazu zu gehören.

Die Beziehung zwischen einem modernen Staat und 
seinen Bürgern kann nur auf einer Basis beruhen: 
auf Staatsangehörigkeit. Der Staat gehört all 
seinen Bürgern, und alle müssen vor dem Gesetz 
gleich sein. Das ist es, was die 
Unabhängigkeitserklärung 1948 allen versprochen 
hat: “Der Staat Israel 
wird volle soziale und 
politische Gleichberechtigung allen Bürgern ohne 
Unterschied der Religion, der Rasse und des Geschlechtes gewähren.”

Einige Israelis verwendeten den Terminus 
“Nationalstaat” als einen Vorwand, die arabische 
Minderheit zu unterdrücken. Sie denken an einen 
Nationalstaat im Geiste des Ende des 19. und zu 
Beginn des 20. Jahrhunderts. In Polen z.B., wo 
viele von Israels Gründervätern geboren wurden, 
kämpfte der Staat gegen seine eigenen Bürger, wie 
zum Beispiel Ukrainer, Litauer, Juden u.a.

Das extremste Beispiel war der Nazistaat, der 
sich auf der Idee gründete, dass der einzelne nur 
als Teil seines Volkes existiert, als Glied im 
nationalen Organismus (Es hieß: “Du bist nichts - 
dein Volk ist alles”). Dieses Modell ertrank in 
seinem eigenen Blut und ist für alle Ewigkeit mit 
den Schrecken des Holocaust besudelt worden.

Das Modell, das heute vielen zusagt, ist das 
amerikanische Modell. Die amerikanische Nation 
schließt jeden ein, der einen US-Pass hat. Eine 
Person, die die amerikanische Staatsbürgerschaft 
erhält - sei er Mexikaner, Koreaner, Inder oder 
Nigerianer - schließt sich in diesem Augenblick 
der amerikanischen Nation an und wird ein Erbe 
von George Washington, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt.

Alle modernen Nationen bewegen sich auf dieses 
Modell zu, jede nach ihrem eigenen Rhythmus. Auch 
Polen gehört nun zur EU, wo Millionen von 
Menschen sich von Land zu Land bewegen - ohne 
Einschränkungen. In den meisten Ländern leben nun 
Millionen von Ausländern, die nach und nach von 
der nationalen Bevölkerung absorbiert werden. 
Ihre Kinder wachsen in die lokale Kultur und die 
lokale Sprache hinein und lernen in lokalen 
Schulen. Ohne diese massive Verstärkung könnten 
viele der westlichen Gesellschaften nicht mehr 
bestehen - weder wirtschaftlich noch demographisch.

Wird Israel, das keine Gelegenheit verpasst, sich 
als westliches Land zu beschreiben, sich dieser 
Realität verschließen und das pakistanische 
Modell adoptieren, einem Staat der - zur selben 
Zeit wie Israel - auf ethnisch-religiöser Basis gegründet wurde?

MEINE IDENTITÄT besteht aus vielen verschiedenen Schichten.

Ich bin ein Mensch und als Mensch Bürger dieser 
Welt, verantwortlich für unsern Planeten. Ich bin 
den humanistischen Werten verpflichtet, der 
Ökologie des Globus, der Freiheit, dem Frieden 
und der Gerechtigkeit für alle. Ich hoffe, dass 
in nicht zu weiter Ferne diese Werte durch eine Weltordnung garantiert werden.

Ich bin ein Mitglied der israelischen Nation, 
zusammen mit allen, die einen israelischen Pass 
haben. Israel ist mein Staat. Ich möchte, dass er 
in Frieden und Sicherheit lebt, gedeiht und in 
aller Welt geachtet wird. Ich wünsche mir einen 
Staat, in dem es sich gut leben lässt und auf den ich stolz sein kann.

Ich gehöre zum jüdischen Volk; ich bin Erbe der 
jüdischen Tradition - genau wie Australier und 
Kanadier Erben der angelsächsischen Tradition 
sind. Da gibt es jüdische Werte, an die ich 
glaube, Werte der Gerechtigkeit, des Friedens und 
der Gewaltlosigkeit, die sehr anders sind als die 
Werte der jüdischen Siedler in Yitzhar und 
Tapuah. Ich fühle mich den Juden in aller Welt 
sehr nahe und ich bin froh, dass Juden rund um 
die Welt sich Israel nahe fühlen. Das ist eine 
emotionale Sache, die den Staat als solchen nicht betrifft.

Wenn der Staat Israel praktisch und offiziell all 
seinen Bürgern gehören wird, wird es für seine 
arabischen Bürger einfacher sein, sich für einen 
Status zu entscheiden. Wenn sie sich dafür 
entscheiden, zur israelischen Nation zu gehören, 
so wie Hispanics in den USA zur amerikanischen 
Nation gehören, dann wäre das fein. Wenn sie aber 
lieber den Status einer nationalen Minderheit 
bevorzugen, dann sollten sie sich der Rechte 
einer Minderheit in einem modernen Staat erfreuen 
können. Auf die eine oder andere Weise muss die 
arabische Sprache und arabische Kultur voll vom 
Staat anerkannt werden. Die Verbindung der 
arabischen Bürger mit dem palästinensischen Volk 
und der arabischen Welt müsste als legitim 
betrachtet werden, genau wie die Verbindung der 
hebräischen Bürger mit dem jüdischen Volk in aller Welt.

DAS IST meine Weltanschauung. Ich vertrete sie 
mit allen legalen Mitteln, die mir in einem 
demokratischen Staat zur Verfügung stehen, einem 
Staat, den ich mit gegründet habe.

Und wenn der Shin-Bet dies nicht gerne sieht, nun 
- schade. Ich hoffe nur, dass er mich deshalb nicht in Administrativhaft nimmt.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph 
Glanz, vom Verfasser autorisiert)

http://www.uri-avnery.de
erstellt am 07.04.2007


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
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