[E-rundbrief] Info 1335 - Boff L - Vertrag mit der Erde
Matthias Reichl
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Sa Jul 5 11:56:52 CEST 2014
E-Rundbrief - Info 1335 - Leonardo Boff: Erneuerung unseres
natürlichen Vertrages mit der Erde.
Bad Ischl, 5.7.2014
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Erneuerung unseres natürlichen Vertrages mit der Erde
Von Leonardo Boff
17.06.2014
Bis zum heutigen Tag bestand der Traum des Weißen Mannes aus dem
Abendland darin, die Erde zu beherrschen und sich alle anderen
Lebewesen zu unterwerfen, um daraus grenzenlosen Profit zu ziehen.
Dieser Traum hat sich durch die Globalisierung weltweit ausgebreitet
und ist nun, vierhundert Jahre später, zu einem Alptraum geworden. Die
Apokalypse kann heute mehr denn je durch uns ausgelöst werden, wie der
bedeutende Historiker Arnold Toynbee vor seinem Tode schrieb.
Aus diesem Grund müssen wir unsere Menschlichkeit und Zivilisation
durch eine anders gelagerte Beziehung mit der Erde neu erfinden,
sodass die Erde nachhaltig werden kann, d. h. damit die Bedingungen
für die Aufrechterhaltung und Reproduktion erfüllt werden, um das
Leben unseres Planeten zu erhalten. Dies wird nur möglich sein, wenn
wir den natürlichen Vertrag mit der Erde wieder ernst nehmen und wenn
wir bedenken, dass alle Lebewesen, die Träger desselben genetischen
Codes sind wie wir, die große Lebensgemeinschaft auf der Erde bilden.
Jedes Wesen besitzt einen intrinsischen Wert und ist daher mit Rechten
ausgestattet.
Alle Verträge gehen von Gegenseitigkeit aus, von wechselseitigem
Austausch und der Anerkennung der Rechte beider Parteien. Von der Erde
erhalten wir alles: Leben und alles, was wir zum Leben brauchen. Im
Gegenzug haben wir im Namen des natürlichen Vertrages die Pflicht zur
Dankbarkeit, zur Gegenseitigkeit und Achtsamkeit, sodass die Erde ihre
Lebenskraft erhalten und das tun kann, was sie schon immer für uns
alle tat. Doch wir brachen diesen Vertrag vor langer Zeit.
Um diesen natürlichen Vertrag zu erneuern, müssen wir wie der
Verlorene Sohn aus dem Gleichnis Jesu handeln. Wir müssen wieder zur
Erde zurückkehren, zu unserem Gemeinsamen Haus, und um Vergebung
bitten. Vergebung setzt einen Wandel in unserem Verhalten voraus, in
Bezug auf den Respekt und die Achtsamkeit, die die Erde verdient. Die
Erde ist unsere Mutter, die Pacha-Mama des Anden-Volks und die Gaia
der modernen Menschen. Wenn wir diese Verbindung nicht
wiederherstellen, wird es für uns schwierig werden zu überleben.
Möglicherweise wird die Erde uns nicht mehr auf sich dulden wollen.
Deshalb ist Nachhaltigkeit hier und jetzt so essentiell. Entweder kann
diese sich durchsetzen, oder wir werden zu Zeugen einer Tragödie für
das Lebenssystem und die menschliche Spezies.
Schon immer haben wir den natürlichen Vertrag gebrochen, und dennoch
sendet uns Mutter Erde immer noch positive Zeichen. Trotz der
Erderwärmung und des Schwindens der Artenvielfalt scheint noch immer
die Sonne, singt die sabia, die brasilianische Drossel, jeden Morgen,
lächeln die Blumen alle Passanten an, gleiten die Kolibris über die
Knospen der Lilien, werden immer noch Kinder geboren und bestätigen
uns, dass Gott noch immer an die Menschheit glaubt und dass sie eine
Zukunft hat.
Die Erneuerung des natürlichen Vertrags impliziert, dass die Vision
und die Werte aufrecht erhalten werden, die in der Rede des
Indianerhäuptlings Seattle, dem Stammesoberhaupt der Duwamish, zum
Ausdruck gebracht wurden, welche er im Jahr 1856 in Gegenwart von
Isaac Stevens hielt, dem Gouverneur des Washingtoner Territoriums:
"Einer Sache sind wir gewiss: die Erde gehört nicht dem Menschen. Der
Mensch gehört zur Erde. Alle Dinge sind miteinander verbunden. Was der
Erde schadet, schadet auch den Söhnen und Töchtern von Mutter Erde.
Der Mensch schuf nicht den Stoff des Lebens; er ist nur ein Faden
darin. Alles, was der Mensch diesem Stoff antut, tut er sich selbst
an. … Wir könnten die Absichten des Weißen Mannes verstehen, würden
wir seine Träume kennen, wüssten wir von seinen Hoffnungen, die er
seinen Söhnen und Töchtern in den langen Winternächten weitergibt, und
welche Visionen für der Zukunft er ihnen vorstellt, sodass sie Träume
für morgen daraus weben können."
Am 22. April 2009 akzeptierte die Versammlung der Vereinten Nationen
nach langen und komplizierten Verhandlungen einstimmig die
Vorstellung, dass die Erde eine Mutter ist. Diese Aussage ist
bedeutungsschwer. Die Erde kann als Grund und Boden abgetragen,
benutzt, ge- und verkauft werden. Die Erde als Mutter kann weder ver-
noch gekauft werden, sondern nur geliebt, respektiert und geachtet, so
wie wir es mit Müttern zu tun pflegen. Ein solches Verhalten wird den
natürlichen Vertrag bekräftigen, der für die Nachhaltigkeit unseres
Planeten sorgen wird, denn es stellt die gegenseitige Beziehung wieder
her.
Der Präsident Boliviens, Evo Morales Ayma, der aus einer indigenen
Aymara-Familie stammt, betont immer wieder, dass das 21. Jahrhundert
das Jahrhundert der Rechte von Mutter Erde, der Natur und aller
Lebewesen sein wird. In seinem Beitrag zur Sitzung der UN Versammlung
am 22. April 2009, bei der auch ich mit einer Rede über die
theoretische Begründung, warum die Erde eine Mutter ist, teilnahm,
zählte er prägnant einige der Rechte von Mutter Erde auf:
das Recht auf Erneuerung der Lebensfähigkeit von Mutter Erde,
das Lebensrecht aller Lebewesen, insbesondere derer, die vom
Aussterben bedroht sind,
das Recht auf ein Leben in Reinheit, denn Mutter Erde hat das
Recht auf ein Leben ohne Kontaminierung und Verschmutzung,
das Recht aller Bürgerinnen und Bürger auf ein gutes Leben,
das Recht, mit allen Dingen in Einklang und Gleichgewicht zu leben,
das Recht auf die Verbindung mit dem Ganzen, dessen Teil wir sind.
Diese Vision ermöglicht uns, den natürlichen Vertrag mit der Erde zu
erneuern, der, in Verbindung mit dem sozialen Vertrag unter ihren
Bürgerinnen und Bürgern, schließlich die Nachhaltigkeit des Planeten
verstärken wird.
Für die indigenen Völker ist eine solche Haltung selbstverständlich.
Wir haben in dem Maß, in dem wir die Verbindung zur Natur verloren
haben, ebenso das Bewusstsein für die Beziehung von Wissen und
Dankbarkeit der Erde gegenüber verloren. Daher ist es so wichtig, dass
wir uns intensiver mit diesen Völkern befassen und von ihnen lernen,
der Erde den Respekt und die Verehrung zukommen zu lassen, die sie
verdient.
Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta
Kommission
Quelle: Traductina , 17.06.2014.
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/008556.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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