[E-rundbrief] Info 1243 - Daniel Ellsberg und Snowden
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mi Jul 24 12:36:53 CEST 2013
E-Rundbrief - Info 1243 - Daniel Ellsbergs lebenslanger entschlossener
gewaltfreier Widerstand - der Whistleblower aus den USA unterstützt
seinen Kollegen Snowden.
Bad Ischl, 24.7.2013
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Daniel Ellsbergs lebenslanger entschlossener Widerstand
Von Ken Butigan, 11. Juli 2013
Waging Nonviolence
Daniel Ellsberg während einer Rede bei einem Hungerstreik 2006 vor dem
Weißen Haus. (Flickr/Elvert Barnes)
Daniel Ellsberg hat in dieser Woche in der Washington Post einen
gedankenvollen Kommentar veröffentlicht (1). Das Thema ist Edward
Snowdens Entscheidung, das Land zu verlassen, nachdem er die
Öffentlichkeit über das umfassende Überwachungsprogramm der National
Security Agency informiert hatte. Ellsberg hebt hervor, dass das Exil
an sich, das sich Snowden auferlegt hat, eine äußerst wichtige
gewaltfreie Aktion sei, die seine ursprüngliche Aktion aus
Gewissensgründen vervielfältige und ausweite. Ellsberg ist wohl der
Meinung, dass gewaltfreier Widerstand nicht auf eine einzelne
besondere, dramatische Handlung beschränkt sei. Der gewaltfreie
Widerstand eröffnet Möglichkeiten für eine neue Handlungsweise und
gehört zu dem sich immer weiter ausweitenden Drama, das viele Akte und
Episoden enthält, die gemeinsam die Möglichkeit eines gewaltfreien
Wandels fördern können.
Das trifft auf den Fall Edward Snowden zu - aber es gilt wohl noch
mehr für Ellsberg selbst.
Die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere 1971 war eine historische
Tat. Seitdem hat Ellsberg ohne Rücksicht auf sich selbst in
verschiedener Weise auf seiner ersten, auf besondere Art gewaltfreien
Aktion aufgebaut und sie ausgeweitet. Beim Beruf des Weltverbesserers
gibt es keine Pensionierung; das beweist Ellsberg fast jeden Tag aufs
Neue.
Snowden ist dafür, dass er aus dem Land geflohen ist, kritisiert
worden. Einige haben ihn zu seinem Nachteil mit Ellsberg verglichen.
Dieser war, nachdem er 1971 der New York Times und anderen Zeitungen
die Pentagon-Papiere zugänglich gemacht hatte, aus dem Untergrund
aufgetaucht und schließlich vor Gericht angeklagt worden. Ellsberg
stellt in seinem Artikel diesen negativen Vergleich infrage und
beleuchtet in seiner glühenden Unterstützung Snowdons seinen eigenen
Fall sorgfältig.
Nachdem die New York Times mit der Veröffentlichung der Dokumente
begonnen hatte, die bewiesen, in welchem Maße die US-Regierung über
die Ursachen und den Verlauf des Vietnamkrieges irregeführt hatte,
ging Ellsberg zunächst in den Untergrund, damit er, wenn eine
einstweilige Verfügung die Zeitung gezwungen hätte, die Publikation
einzustellen, weitere Nachrichtenagenturen mit Exemplaren der Papiere
versorgen könnte. Schließlich brachten 17 Zeitungen überall in den
Vereinigten Staaten die Dokumente heraus. Das wäre jedoch nicht
möglich gewesen, wenn er sich sofort an sie gewandt hätte.
Ellsberg weist auch darauf hin, dass er sowohl vor als auch während
seines Prozesses gegen Kaution freigelassen worden war, sodass er im
Land umherreisen und in den Medien und vor Publikum die Bedeutung der
Pentagon-Papiere hervorheben konnte. Obwohl er gemäß den
Spionage-Gesetzen der USA verfolgt wurde und ihm 115 Jahre Gefängnis
drohten, wurde er aufgrund seiner Sicherheitsleistung freigelassen und
konnte mit der amerikanischen Gesellschaft über den Krieg sprechen.
Amerika, schreibt Ellsberg, sei damals anders als heute gewesen. Der
Fall Bradley Manning lasse vermuten, dass Snowden wahrscheinlich in
Einzelhaft genommen worden wäre, sobald er aufgetaucht wäre. Er hätte
keine ausführliche Diskussion mit dem Land führen können, wenn er sich
den Behörden ausgeliefert hätte.
"Snowden glaubt, dass er kein Unrecht begangen habe", schreibt
Ellsberg . "Mehr als 40 Jahre nach meiner unerlaubten Enthüllung der
Pentagon-Papiere sind derartige undichte Stellen das Lebenselexier der
Freiheit unserer Presse und unserer Republik. Man kann eine einfache
Lehre aus den Pentagon-Papieren und Snowdens Enthüllungen ziehen:
Geheimhaltung korrumpiert ebenso, wie Macht korrumpiert." Ellsberg
fährt fort: Das, was uns Snowden "gegeben hat - wenn wir auf seine
Informationen und seine Herausforderung reagieren -, bietet uns die
beste Gelegenheit, uns selbst vor der außer Kontrolle geratenen
Überwachung zu retten, die praktisch alle Macht der Exekutive und
ihren Geheimdiensten zuschiebt."
Dieser lesenswerte Artikel ist ein Geschenk wie alle die anderen, die
uns Ellsberg seit Jahrzehnten in die Hände legt: eine intelligente,
gut dokumentierte und genaue Einschätzung, die die vorhandenen
Einzelheiten auspackt, beleuchtet und offenbart - in diesem Fall das
riskante Geschäft, das Sowden auf sich genommen hat -, und
gleichzeitig die gefährlichen Wasser auslotet, in deren Richtung
sowohl die Nation als auch die Welt treiben. In seiner Argumentation
bezieht er sich manchmal auf die Erfahrungen, die er in seiner
einzigartigen Position als Whistleblower gemacht hat. Er tut das
besonders in seinem überragenden Buch Secrets: A Memoir of Vietnam and
the Pentagon Papers (2). In seinen Blogs, Essays und Büchern erweckt
er jedoch nicht etwa die zunehmend entfernte Vergangenheit zu neuem
Leben, sondern er setzt sich mit der Gegenwart auseinander. Jeder neue
Essay und jede neue Rede (3) sprüht vor Dringlichkeit dessen, wogegen
er gerade im Augenblick zu Felde zieht - sei das nun die
allgegenwärtige Drohung der USA, in den Iran einzumarschieren, die
gegenwärtige fortlaufende Bedrohung durch Kernwaffen oder die
Bedrohung durch allumfassende Überwachung -, und er ruft uns dazu auf,
sowohl die Gefahren, denen wir gegenüberstehen, als auch die
Handlungsmöglichkeiten, die vor uns liegen, zu verstehen.
Für mich gehören diese zahllosen analytischen, mit hohen Grundsätzen
verfassten und oft düsteren Weisheitsbotschaften zu dem anderen Weg,
auf dem Ellsberg in den letzten vier Jahrzehnten unsere Aufmerksamkeit
zu gewinnen getrachtet hat: zum gewaltfreien zivilen Ungehorsam.
"Nachdem Sie die Pentagon-Papiere ans Licht gebracht haben, hätten Sie
sich auf Ihren Lorbeeren ausruhen können", habe ich einmal in einem
Interview zu ihm gesagt. "Warum haben Sie das nicht getan?" Er sah
mich überrascht an. Einem anderen als ihm wäre dergleichen vielleicht
eingefallen, denn schließlich wäre ein derartig riskanter Schritt
genug Ärger für ein ganzes Leben gewesen. Für ihn allerdings war die
Arbeit nicht beendet. Tatsächlich hatte wohl die Weitergabe der
Papiere etwas in ihm ausgelöst, sodass er sich mit dem Kopf zuerst ins
strudelnde Wasser der gewaltfreien Bewegungen stürzte, indem er das
stärkste Symbol, das er zur Unterstützung seiner Worte und Analysen
zur Verfügung hatte, einsetzte: seinen verletzlichen Leib.
In unserem Interview ging es zum Beispiel um seine aktive Teilnahme an
den Wogen der gewaltfreien Aktion auf dem Nevada-Testgebiet in den
1980er Jahren. Die Vereinigten Staaten brachten seit 1951 auf dem
Gebiet nördlich von Las Vegas im Durchschnitt alle 18 Tage eine
Atombombe zur Explosion. Ellsberg nahm am gewaltfreien Widerstand von
Nevada Desert Experience und anderen Organisationen teil, um diese
Explosionen zu beenden, und er nahm ebenso an gefährlicheren Aktionen
teil als dem einfachen Überschreiten der Eingangslinie der Anlage.
1985 gingen er und ein paar Mitglieder von Greenpeace, kurz bevor eine
Atombombe explodieren sollte, weit in die Anlage hinein. Mit einem
Walkietalkie stellten sie Kontakt zu den Behörden des Testgebietes her
und sagten ihnen, sie seien im Gelände und die Zuständigen sollten den
Test nicht fortsetzen. Der Test wurde nicht nur aufgeschoben, sondern
es gelang Ellsberg, ein paar Freunde im Kongress dazu zu bringen, die
Nachricht über diese Aktion dazu benutzten, ein Gesetz im Hause zu
verabschieden, das ein Ende der Tests bewirken sollte. (Es wurde im
Senat zu Fall gebracht.) Diese Aktionen trugen gemeinsam mit vielen
anderen in den Vereinigten Staaten und in aller Welt dazu bei, dass in
den frühen 1990er Jahren der Comprehensive Test Ban Treaty
abgeschlossen wurde.
Noch viele weitere Male wurde er wegen gewaltfreien zivilen
Ungehorsams verhaftet: bei einer historischen Aktion, als Hunderte am
CIA-Hauptquartier verhaftet wurden, bei der Kampagne an der Concord
Naval Weapons Station, wo sein Freund Brian Willson von einem Zug
überrollt wurde, der für Mittelamerika bestimmte Waffen
transportierte, und unzähligen Protesten gegen den Golfkrieg und die
späteren Kriege im Irak und in Afghanistan. Er wurde am Weißen Haus in
Washington und auf dem Roten Platz in Moskau verhaftet.
Eines meiner Lieblingsbeispiele ist die jahrelange Kampagne bei der
Anlage außerhalb von Denver Rocky Flats, die das Plutonium
verarbeitet, das für Kernwaffen benutzt wird. Er und andere nahmen
Monat für Monat an den Wogen des Widerstandes teil. Die
Protestierenden wurden die "Rocky Flats Truth Force" genannt und
blockierten die strategisch wichtige Eisenbahnlinie, um "das
Wettrüsten auf seinen Geleisen aufzuhalten" und den glatten Ablauf der
Montage und der Produktion der Kernwaffen zu stören. Viele wurden
verhaftet und vor Gericht gestellt. Einige Jahre danach wurde die
Anlage geschlossen.
"Als ehemaliger Amtsträger sprach ich über sehr viele Dinge, die sehr
viele andere Amtsträger jahrelang vertuscht und geleugnet und über die
sie Lügen verbreitet haben, und war froh, vor Gericht Gelegenheit zu
finden, für mein Wissen und meine Überzeugungen Zeugnis abzulegen",
schrieb Ellsberg im Buch "A Year of Disobedience" von Keith Pope über
die Kampagne. "Ich habe die Pentagon-Papiere offengelegt, weil ich der
Überzeugung war, dass die jahrzehntelange Geheimhaltung der amtlichen
Entscheidungen über Vietnam den sinnlosen und ungerechtfertigten Krieg
in die Länge ziehe und das Überleben unserer Demokratie bedrohe. Damit
förderte die Regierung Ignoranz und Passivität der Öffentlichkeit."
Auch in der Gegenwart ist unsere Demokratie bedroht und Ellsberg
läutet mit seinen Worten und mit dem Einsatz seiner Person weiterhin
die Alarmglocken. Am 6. August wird er beispielsweise beim jährlichen
Protest im Gedenken an den 68. Jahrestag der Atombombe auf Hiroshima
am Lawrence Livermore National Laboratory der Hauptredner sein (4), wo
er wahrscheinlich gemeinsam mit anderen die Eingangslinie
überschreiten wird. Er gemahnt uns, dass es in jedem Augenblick
unseres Lebens - Ellsberg wurde vor Kurzem 82 - etwas für uns zu tun gibt.
Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler
Quelle: Waging Nonviolence (http://wagingnonviolence.org/ ).
Originalartikel: Daniel Ellsberg’s determined lifelong resistance
(http://wagingnonviolence.org/feature/daniel-ellsbergs-determined-lifelong-resistance/
1)
http://www.washingtonpost.com/opinions/daniel-ellsberg-nsa-leaker-snowden-made-the-right-call/2013/07/07/0b46d96c-e5b7-11e2-aef3-339619eab080_story.html?hpid=z2
2) http://www.pbs.org/pov/mostdangerousman/secrets.php
3) http://www.ellsberg.net/archive
4) http://www.trivalleycares.org/new/2013Aug_Action.html
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/008054.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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