[E-rundbrief] Info 1244 - Gegen den Verlust des Politischen

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Jul 26 16:39:34 CEST 2013


E-Rundbrief - Info 1244 - Gegen den Verlust des Politischen - Offener 
Brief von Christen zur Bundestagswahl (in Deutschland).

Bad Ischl, 26.7.2013

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Gegen den Verlust des Politischen

Offener Brief von Christen zur Bundestagswahl

22.7.2013

Wir wenden uns mit diesem Brief an alle, die von der Politik in 
unserem Land enttäuscht sind, wie von einer Lähmung befallen und fast 
kapitulieren vor der Frage, was sie wählen und ob sie überhaupt wählen 
sollen. Wir wollen aber nicht länger hinnehmen, dass eine Debatte über 
langfristige gesellschaftliche Ziele nicht nur nicht stattfindet, 
sondern auch offenbar nicht gewollt ist.

Mit diesem Verlust des Politischen finden wir uns nicht ab. Wir weisen 
mit unserem Brief auf zwei für uns wesentliche Politikfelder hin. Wir 
wissen uns der oekumenischen Friedens- und Gerechtigkeitsarbeit 
verpflichtet. Wir vertrauen der Kraft der Zivilgesellschaft. Eine 
“marktkonforme Demokratie” wie ein scheinbar alternativloses “weiter 
so” akzeptieren wir nicht.

1.

Deutschland wird immer mehr zum Akteur einer militärgestützten 
Interessen- und Machtpolitik. Die Logik entgrenzter Kriegsführung 
tritt an die Stelle der vom Grundgesetz gebotenen 
Friedensverpflichtung. Statt die Tradition militärischer 
Zurückhaltung, einst Kern deutscher Friedenspolitik, zu nutzen, 
bedient die deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik vor allem 
nationale Egoismen mit Hilfe militärischer Mittel.

Dass die Maxime “Vorrang für Zivil” nahezu aus dem Vokabular der 
deutschen Politik verschwunden ist, gehört zu den Defiziten der 
letzten fünf Jahre. Es gibt kaum noch Initiativen, die ein vorrangiges 
Interesse deutscher Politik an Prävention erkennen lassen. Die 
Bundeswehr wird von der Politik zum Generalbevollmächtigten deutscher 
Friedensverantwortung hochstilisiert. Diese Entwicklung lehnen wir 
entschieden ab.

Wie perspektivlos diese Politik ist, zeigt das Beispiel Afghanistan. 
Der Versuch, in Afghanistan mit militärischen Mitteln nachhaltigen 
Frieden zu schaffen, ist gescheitert. Dennoch wird die Bundeswehr zu 
einer weltweit aktiven Einsatz-Armee umgebaut. Ihre strategische 
Aufgabe ist es, den nationalen Interessen Deutschlands Geltung zu 
verschaffen. Es gebe keine Region der Welt, “in der Deutschland nichts 
zu suchen habe” (Verteidigungsminister de Maiziere, 2012).

Oberste politische Priorität hat nicht mehr die Friedensverpflichtung 
des Grundgesetzes, sondern die Sicherung des ungehinderten Zugangs zu 
Rohstoffen durch militärische Interventionsfähigkeit.

Deutschland ist mittlerweile der drittgrösste Waffen- und 
Rüstungsexporteur der Welt. Mit dieser expansiven 
Rüstungsexportpolitik betreibt die Bundesregierung 
Wirtschaftsförderung für die eigene Klientel. Unverblümt gibt die 
Kanzlerin die skandalösen Waffenexporte in Spannungsgebiete als Teil 
deutscher Friedenspolitik aus. Diese Vernebelung, die durch die völlig 
undurchsichtige Genehmigungspraxis des Bundessicherheitsrates gestützt 
wird, darf der Bundestag nicht länger hinnehmen. Deutsche 
Rüstungsexporte vergrössern das Gewaltpotential in regionalen 
Konflikten, erschweren die Chancen für friedliche Lösungen und erhöhen 
die Gefahr neuer Kriege. Friedenspolitik durch Waffenexporte betreiben 
zu wollen ist ein Armutszeugnis für die deutsche Politik. Mehr Waffen 
schaffen nicht mehr Sicherheit, nirgends.

Der Verteidigungsminister will bewaffnete Drohnen anschaffen. Er hält 
sie für “ethisch neutral”. Ihr Einsatz sei wie jeder andere, nur 
weniger gefährlich für “uns”. Wir halten es für einen Skandal, dass er 
mit dieser Auffassung auch noch vom bisherigen Evangelischen 
Militärbischof Martin Dutzmann unterstützt wird. Die Beschaffung von 
Kampfdrohnen für die Bundeswehr verdeutlicht das fatale Zwangsgefälle, 
das von neuen technologischen Entwicklungen für die weltweite 
Rüstungsdynamik ausgeht.

Wir warnen vor diesen Entwicklungen. Vor allem möchten wir erreichen, 
dass die Gefahren, die sich aus dieser schleichenden, kaum 
diskutierten Militarisierung der deutschen Politik ergeben, öffentlich 
bewusst gemacht werden. Nur so kann es gelingen, diesen gefährlichen 
Entwicklungen zu widerstehen.

2.

Wir leben in einem reichen Land, privilegiert und besser dran als 
viele Menschen in anderen Staaten und Regionen der Welt. Wir schätzen 
die offene Gesellschaft, die überwiegend tolerante Grundhaltung, die 
der Bundesrepublik ein nach aussen sympathisches Gesicht gibt. Dazu 
würde eine mutige, den grossen Möglichkeiten unseres Landes 
entsprechende Politik passen, die sich den Aufgaben der Zukunft 
stellt. Selbst eine Debatte darüber findet nicht statt. Dieser 
Verzicht führt zu einer Lähmung der Demokratie.

Zum Verlust des Politischen in unserer Gesellschaft tragen auch die 
Oppositionsparteien bei. Sie verhalten sich wie abhängige Konsumenten, 
die die Produkte der Regierung zwar kritisieren, sie am Ende aber 
kaufen: in der Finanzkrise, in der Europapolitik, bei den 
Auslandseinsätzen der Bundeswehr. So erleben wir nach innen ein 
politisch eher erstarrtes Deutschland, in dem sich eine permanente 
Grosse- Koalitions-Stimmung wie Mehltau verbreitet, die die 
vorhandenen sozialen und politischen Gegensätze nicht bearbeitet. In 
selbstgerechter Arroganz zeigt man auf Probleme anderer Länder und 
verschweigt, welchen Anteil wir daran haben.

Eine Politik, die in Europa soziale Ungleichheiten verschärft, 
bereitet den Nährboden für einen neuen Nationalismus. Deshalb warnen 
wir nicht nur vor einer Militarisierung, sondern auch vor einer 
nationalistischen Vorteilsnahme unserer Politik. Sie bedroht Europas 
Zukunft.

Deutsche Politik hat massgeblich daran mitgewirkt, dass die durch 
globale Finanzmärkte ausgelöste, und von den Staaten aufgefangene 
Finanzkrise anschliessend zu einer Staatsschuldenkrise umgedeutet und 
den Ländern zur Last gelegt wurde, begleitet von subtiler 
nationalistisch gefärbter Rhetorik. Wir halten es für verlogen, wenn 
deutsche Politik den eigenen Bürgern suggeriert, dass ihre Steuern für 
die Schulden anderer Länder aufzukommen haben, wo in Wahrheit doch 
Deutschland der grösste Profiteur der Schulden der Anderen ist.

Die Bundesregierung hat mit der Behauptung, die Krisenländer lebten 
über ihre Verhältnisse, Massnahmen mitverantwortet, die die Wirtschaft 
der betroffenen Länder kollabieren und die Arbeitslosigkeit 
explodieren liessen. So wurde ein politisches Klima erzeugt, in dem 
Populismus und Nationalismus gedeihen. Eine Gefahr für die 
europäischen Demokratien. Dieser Gefahr muss dadurch begegnet werden, 
dass eine europäische Solidargemeinschaft den ruinösen 
Staatenwettbewerb ablöst.

Wir wollen mit diesem Offenen Brief erreichen, dass unser 
entschiedenes Nein zu nationalen Egoismen in Europa, zur 
Militarisierung unserer Politik und unseres Denkens, unser Nein zur 
Aufrüstung mit Kampfdrohnen von möglichst vielen Menschen bei ihrer 
Stimmabgabe bei der Wahl am 22. September mit bedacht werden.

Berlin, am 22. Juli 2013

Almuth Berger, Berlin – Volkmar Deile, Berlin – Heino Falcke, Erfurt – 
Joachim Garstecki, Magdeburg – Heiko Lietz, Güstrow – Ruth und Hans 
Misselwitz, Berlin – Konrad Raiser, Berlin – Gerhard Rein, Berlin – 
Hans-Jochen Tschiche, Satuelle


http://www.gaebler.info/2013/07/bundestagswahl/


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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