[E-rundbrief] Info 1210 - Zentral-Osteuropa-Sozialforum Wien 2013

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Apr 26 15:40:20 CEST 2013


E-Rundbrief - Info 1210 - Leo Gabriel (A): Mittel-Osteuropa_ Vom 
Schattendasein zum politischen Akteur in Europa.  Zum Mittel- und 
Osteuropäischen Sozialforum in Wien, 2. - 5.5.2013

Bad Ischl, 26.4.2013

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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MITTEL-OSTEUROPA:
VOM SCHATTENDASEIN ZUM POLITISCHEN AKTEUR IN EUROPA

Zum Mittel- und Osteuropäischen Sozialforum in Wien, 2. - 5.5.2013

von Leo Gabriel

Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten sich nach der so 
genannten „Wende“ in Mittel- und Osteuropa zwei Traumwelten derart 
intensiv aneinander geschmiegt, dass man annehmen konnte, sie wären 
schon seit jeher ein unzertrennliches Paar gewesen: einerseits war es 
der vom Westen projizierte und induzierte Glaube, dass der Osten nach 
der Jahrzehnte währenden Umklammerung durch den so genannten 
Realsozialismus mit der scheinbaren Öffnung seiner Grenzen mit einem 
Mal auch in den Genuss der Segnungen postkapitalistischer 
Konsumgesellschaften kommen würde; andererseits gab es die von den 
Investoren vorgegaukelte, mehr oder minder bewusste Illusion, dass der 
Osten Europas die durch den so genannten Wiederaufbau angehäuften 
Schulden niemals wirklich bezahlen müsste. Indem beide Spekulation und 
Realwirtschaft miteinander verwechselten, glaubten Gläubiger wie 
Schuldner fest daran, dass die Blase des unbegrenzten Wachstums 
niemals platzen würde.

Die Wende rollt zurück

Erst hinterher entpuppte sich die „Wende“ für die Mehrzahl der 
Bewohner Mittel- und Osteuropas als eine ökonomisch-politische 
Rückwärtsrolle und viele sahen ein, dass sie den Teufel mit dem 
Beelzebub ausgetrieben hatten.  Die, von der Donau bis zum Ural 
reichende, andere Hälfte Europas musste erkennen, dass sich in 
Wirklichkeit die Machthaber von gestern zu Propheten eines 
vermeintlichen „Wirtschaftswunders“ aufgespielt hatten, aber 
keineswegs gewillt waren, substantielle Veränderungen in der 
demokratiefeindlichen Grundstruktur dieser Gesellschaften zuzulassen 
oder gar voranzutreiben.

Heute sind die meisten Regierungen zu willfährigen Instrumenten des 
transnationalen Finanzkapitals geworden, das sich nicht geniert, von 
der notleidenden Bevölkerung völlig unzumutbare Opfer zu verlangen, 
nur um seine Gewinne zu retten. Trotzdem (oder gerade deshalb) 
erinnern sich angesichts der Krise Banker und Konzernchefs wieder an 
den einst so geächteten Staat und verlangen von ihm, dass er das 
System retten solle - um sich selbst zu retten.

Auf diese Weise ist die ehemalige, so genannte „Zweite Welt“ wieder zu 
einer Dritten geworden, die heute von der Implosion ihres gesamten 
gesellschaftlichen Gefüges permanent bedroht ist.  Denn im Unterschied 
zum Westen sind in Mittel- und Osteuropa die meisten Sozialleistungen 
bereits unmittelbar nach der Wende zu symbolischen Alibileistungen 
populistischer Regime verkommen, weshalb man heute dort auch nur 
schwer von einem „Sozialabbau“ sprechen kann. Allein die 
Arbeitslosenzahlen und die Zahl der  Mütter, die sich mit einem 
Einkommen von weniger als 100.- Euro begnügen müssen, sprechen Bände!

  Widerstand statt Depression

Jedoch im Unterschied zum Süden Europas, der auf ein Jahrhundert 
sozialer und gewerkschaftlicher Kämpfe zurückblicken kann, wurden die 
Aufstände in der DDR, Ungarn, der Tschechoslowakei etc. derart brutal 
  erstickt, dass der Glaube an die Eigenständigkeit – geschweige denn 
an das Selbstbestimmungsrecht der Völker – einer tiefsitzenden 
Depression Platz gemacht hat. Die Angst davor, es könne ja alles nur 
noch viel schlimmer werden, hat den Willen zum Widerstand in der 
leigeprüften Bevölkerung durch lange Zeit hindurch im Keim erstickt.

Nur in allerletzter Zeit hat die Verzweiflung der Menschen in 
Bulgarien, in Polen, in Russland und anderen Ländern Mittel- und 
Osteuropas um sich gegriffen  und ein politisches Widerstandspotential 
zum Vorschein gebracht, das allerdings von der Weltöffentlichkeit kaum 
wahrgenommen wird, weshalb der Osten heute nach wie vor ein 
Schattendasein führt.

Ziele und Aufgaben des Sozialforums

  Es ist das erklärte Ziel dieses „Mittel- und Osteuropäischen 
Sozialforums, das vom 2. Bis 5. Mai 2013 auf dem Campus der 
Universität Wien veranstaltet wird, etwas Licht in dieses Dunkel zu 
bringen.  Andererseits ist das Format eines Sozialforums ein 
geeignetes Mittel, die grass-roots Organisationen des Ostens sowohl 
untereinander als auch mit denen des Westens zu vernetzen;  letztere 
haben insbesondere in Spanien, Portugal, Italien und vor allem in 
Griechenland zu Rebellionen geführt, die das neoliberale System in 
seinen Grundfesten hinterfragte.

Nicht von ungefähr ist provokante Titel dieses Sozialforums: REVOLTEN 
IN DER PERIPHERIE? , stellt er doch die Frage in den Mittelpunkt, 
inwiefern die Bevölkerung jenseits des ehemals eisernen und heute mit 
Samt verkleideten Vorhangs, an dem viele Menschen zu ersticken drohen, 
in Zukunft der Lage sein wird, ihre historische Schuldknechtschaft 
abzuschütteln und – ähnlich wie in den ehemaligen Kolonien Europas – 
eine Art „neuen Unabhängigkeit“ zu erlangen.

Diese Frage beinhaltet das in den Mittel- und Osteuropäischen Ländern 
besonders umstrittene Verhältnis zur Europäischen Union ebenso wie das 
Wiedererstarken eines faschistoiden Nationalismus rechtsextremer 
Prägung. Sie spiegelt sich in der buchstäblich grenzenlosen Zerstörung 
der natürlichen Ressourcen ebenso wieder wie in den so genannten 
Wirtschaftsflüchtlingen, die in den Westen ziehen. Vor allem aber soll 
sie auf die Suche nach einer neuen kulturellen Identität führen, in 
der den auf mehrfache Weise unterdrückten Frauen eine besondere Rolle 
zukommen soll.

Es ist zu hoffen, dass dieses regionale Sozialforum den 
TeilnehmerInnen aus Ost und West die Gelegenheit geben wird, durch den 
gemeinsamen Austausch das Gefühl der Ohnmacht und Isolation zumindest 
teilweise zu überwinden, das die lange Leidensgeschichte Mittel- und 
Osteuropas bis heute geprägt hat.

2.-5.5.2013 WIEN (Campus der Universität, Alserstr.). "Revolten an der 
Peripherie" - Zentral- und osteuropäisches Sozial- und Umweltforum - 
als Teil des Europäischen Sozialforumsprozesses. (Infos: 
www.sozialforum-asf.at )


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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