[E-rundbrief] Info 724 - Rb 130 - Befreiung vom Opus Dei

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mo Sep 15 21:26:27 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 724 - Rb. 130 - Matthias Reichl: Befreiung vom "Opus 
Dei" und anderen Herrschaften; Alfred Kirchmayr: Befreiungstheologien 
kontra Beherrschungstheologie -- ein "heiliger Krieg"? (Auszug aus seinem 
Buch: "Opus Dei. Das Irrenhaus Gottes?")

Bad Ischl, 15.9.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

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Befreiung vom "Opus Dei" und anderen Herrschaften

Könnte das "Opus Dei" als Markenzeichen einen "O-Bus" nehmen? Ein Bus, 
der unter der Oberleitung - durch Ordensobere und Papst - linientreu 
durch die Straßen kurvt und Menschen zum Einsteigen einlädt. Falls der 
Fahrer es wagt, aus der Linienführung auszuscheren, wird ihm "von oben" 
die Energie entzogen und er bleibt "hängen". Ähnliches passiert immer 
wieder autoritätsabhängigen Menschen, denen spät aber doch "ein Licht 
aufgeht" und die Herrschaftskonstruktionen infrage stellen.

  Das hat der Ko-Autor Dietmar Scharmitzer als österreichisches 
Opus-Dei-Opfer - mit gravierenden Folgen - gewagt, unterstützt durch den 
Psychologen und Theologen Alfred Kirchmayr, einem Kirchenkenner und 
-kritiker. Ihr gemeinsames dokumentarisches Buch "Opus Dei. Das 
Irrenhaus Gottes?" (EDITION VA BENE, 2008) wurde von den meisten 
Massenmedien boykottiert, hat aber inzwischen die zweite Auflage erreicht.

Wir haben aus Kirchmayrs Text Auszüge aus dem Teil über die Theologie 
der Befreiung in Lateinamerika ausgewählt (Seite 34 - 41). Auch aus 
Solidarität mit basisbewegten Priestern und Laien in Lateinamerika und 
Europa, die sich für eine Befreiung von herrschenden Mächten engagieren.

Matthias Reichl


Befreiungstheologien kontra Beherrschungstheologie -- ein "heiliger Krieg"?

Alfred Kirchmayr

(Auszug aus dem Buch: "Opus Dei. Das Irrenhaus Gottes?")

Die Lateinamerikanische Bischofsversammlung in Medellin (Columbien) hat 
1968 eine radikale Reform im "Geiste des Konzils" beschlossen und sich 
dem "Volk Gottes unterwegs" zugewandt. Die Kirche war jahrhundertelang 
Dienerin der Herrschenden und Unterdrückerin des Volkes". Jetzt begann 
sie konsequent, sich "den Armen und Bedrückten aller Art" zuzuwenden.

Bischöfe verließen ihre Paläste und wohnten in einfachen Häusern, sie 
nahmen wahr, was sie bisher übersehen mußten, und gingen in die 
Elendsviertel...

Statt der bisher üblichen "Theologie der Beherrschung und Unterdrückung" 
begannen sie mit der Entfaltung von "Theologien der Befreiung". Bloße 
"Seel-Sorge" wurde ausgeweitet zu ganzheitlicher "Heils-Sorge" und 
Pastoral. Dadurch wurden sowohl die wirkliche Lage wirklicher Menschen 
als auch die jesuanische Botschaft der Bibel wahrgenommen und ernst 
genommen.

Der brasilianische Erzbischof Dom Helder Camara wies den Vorwurf, er 
kümmere sich zu viel um die irdische Wirklichkeit und zu wenig um das 
jenseitige Heil der Menschen, ironisch und humorvoll zurück:

"Ich bin kein Bischof von Seelen ohne Fleisch und Blut ... Vielmehr halte 
ich mich für einen Bischof von Menschen, die ihre konkreten Probleme 
haben. Ich habe auch noch nie eine Seele ohne Fleisch und Blut gesehen. 
Es geht mir immer um Menschen. Das heißt also, daß ich nicht 
gleichgültig bleiben kann angesichts der Probleme, die Menschen 
bewegen." (Ringel, Kirchmayr 223)

In seinem faszinierenden Buch "Die Bekehrungen eines Bischofs" sagte 
Helder Camara ganz offen, daß er als junger Geistlicher 
selbstverständlich wie der gesamte Klerus dem faschistischen System 
ergeben war. Durch die Begegnung mit den Menschen und ihrem von den 
Herrschaften verursachten Elend bekehrte er sich. Sein Bekenntnis macht 
nachdenklich:

"Wir waren da, um Geduld, Gehorsam und Akzeptierung des Leids in 
Vereinigung mit dem leidenden Christus zu predigen. Fraglos große 
Tugenden. Aber wir arbeiteten unter diesen Umständen den Beherrschern in 
die Hände ... Es ist schrecklich zu sehen, wie inmitten so vieler Leiden 
die Sorge um die Erhaltung von Autorität und ... Ordnung uns daran 
hinderte, Ungerechtigkeit zu entdecken und bloßzustellen." (Ringel, 
Kirchmayr 225)

Katholische Militärdiktatoren und ihre Günstlinge, und natürlich auch so 
manche Opusdeisten, hatten damit keine Freude. Und der Vatikan auch 
nicht. Der Kampf zwischen der alten römischen, eurozentristischen 
Herrschaftstheologie und der jungen, biblisch fundierten und dem Geist 
des Konzils verpflichteten Befreiungstheologien wurde und wird 
ideologisch und real ausgetragen. In Europa vor allem ideologisch, 
natürlich begleitet von den Hausmitteln der Ketzerbekämpfung. Vor allem 
in Süd- und Mittelamerika wurde und wird dieser Kampf blutig und 
mörderisch ausgetragen. Mit Hilfe der CIA und auch des Opus Dei traten 
katholische Todesschwadronen in Aktion, um einen heiligen Krieg zu führen.

Der alte Geist der totalitären Monarchie, der sich im 19. Jahrhundert 
mit bornierter neoscholastischer Theologie und päpstlicher Unfehlbarkeit 
ausgerüstet hatte -- jenseits jeder intellektuellen Redlichkeit und 
christlichen Spiritualität -- kämpft mit dem jungen Geist des Konzils, 
der Sinn für Demokratie, Menschenrechte, Gerechtigkeit, Menschenwürde 
und christliche Mündigkeit und Weltverantwortung fördert und fordert. 
Und dieser urchristliche Geist hat mit "Mächten und Gewalten" zu kämpfen 
und kann sich nur mühsam und langsam mit einer Spiritualität der 
kleinen, aber energischen und mutigen Veränderungsschritte durchsetzen.

Inquisition und Lehrverbot statt Dialog und Pastoral. Oder: Katholische 
Kirchenleitung auf Selbstzerstörungskurs

Der widerliche, ideologische und militärische Kampf gegen die 
Befreiungstheologien wurde verschärft. Darf ich daran erinnern, daß 
mehrere der geistigen Väter des Konzils, etwa Karl Rahner und Teilhard 
de Chardin, in den fünfziger Jahren Lehrverbot erhalten hatten. Und nach 
dem Konzil wurde diese Waffe der Heiligen Inquisition, die nur einen 
freundlicheren Namen bekommen hatte, wieder eifrig eingesetzt, besonders 
gründlich durch Kardinal Josef Ratzinger. Hans Küng, Eugen Drewermann, 
Edward Schillebeeckx und vor allem südamerikanische Theologen wie 
Gustavo Gutièrrez und Leonardo Boff, die des Marxismus bezichtigt 
wurden, bekamen Lehrverbot.

Maßgebende Prälaten in Rom sagten in völliger Verkennung der Lage: Die 
Befreiungstheologen hätten "Jesus durch Marx ersetzt". Offenbar haben 
diese Kirchenfürsten und ihre Hoftheologen keine Ahnung davon, welche 
Zustände im 19. Jh. zur Entstehung des Marxismus und Sozialismus geführt 
hatten. Diese "Übernatürlichen" wollen nichts wissen von der 
Naturgeschichte, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und ihre 
Verknüpfungen mit der Kirchengeschichte. Sie wollen auch nichts wissen 
von der befreienden Botschaft des Neuen Testaments.

  ...  Der Vatikan hat seinen "Schäflein" fast immer verboten, sich in 
ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen (!) und gegen klerikalen 
Schwachsinn und himmelschreiendes Elend und Unrecht zu protestieren. Zum 
völlig unqualifizierten Vorwurf des Marxismus sagte Helder Camara 
sinngemäß und nicht ohne Ironie:"Wenn man Hungrigen Brot gibt, wird man 
fast schon als Heiliger verehrt. Wenn man ihnen aber sagt, warum sie 
nichts zu Essen haben und was sie dagegen tun können, wird man als 
Kommunist beschimpft."

Von "christlicher Mündigkeit" durfte in der katholischen Kirche 
offiziell erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gesprochen werden. 
Und bis heute darf sie im Bereich der wichtigsten Lebensthemen in den 
Augen der römischen Monarchen und ihrer Filialleiter und auch mancher 
Hoftheologen nicht direkt angestrebt und realisiert werden. 1984 hatte 
Kardinal König in einer Ansprache an die Jugend sehr klar ausgesprochen, 
wie er die Lage der Kirche sah: "Die Kirche ist krank, sie kämpft ums 
Überleben." (Ringel, Kirchmayr 8)

.... Die "Hierarchie des Todes" versucht mit fast allen Mitteln, die 
"Hierarchie des Lebens", die das Konzil zur Auferstehung angestachelt 
hatte, wieder zu vernichten. Die Angst vor Anarchie und Machtverlust 
gebar bei den Monarchen und heiligen Herrschaften Ungeheuer, die 
energisch bekämpft werden müssen. Manche Befreiungstheologen wurden wie 
Ketzer bekämpft, manche wurden ermordet. Oskar Romero wurde erschossen, 
und sein Vertrauter, Jon Sobrino, wurde unlängst vom Bannstrahl Benedikt 
XVI. getroffen. Der Vatikan spielt bei diesem mörderischen und 
selbstmörderischen Spiel eine grauenhafte Rolle -- und weiß 
(hoffentlich!) nicht, was er tut.

Werfen wir einen Blick nach Peru: Mehrere Bischöfe hatten sich nach dem 
Konzil für eine Kirche der Armen eingesetzt. Um dieser Tendenz 
entgegenzuwirken, ernannte der Vatikan den Opusdeisten Cipriani zum 
Erzbischof von Ayacucho. 2001 wurde er als Erzbischof von Lima zum 
ersten Kardinal des Opus Dei erhoben. Er hat sich im Kampf gegen die 
Befreiungspastoral große Verdienste erworben.

Erzbischof Romero -- ein Heiliger des Volkes Gottes

1989 wurden in El Salvador neun Jesuiten und zwei Haushälterinnen im 
Wohnbereich der Zentralamerikanischen Universität bestialisch ermordet. 
Jon Sobrino stand auch auf der Todesliste, war aber zum Glück gerade 
abwesend. Vor kurzem wurde er vom Bannstrahl des Papstes Ratzinger 
getroffen.

Sobrino war Berater von Erzbischof Oscar Arnulfo Romero, der sich 1977 
anläßlich eines katholischen Mordfalls "bekehrt hat", wie er selber 
sagte. Nur drei Jahre später wurde Romero von katholischen 
Todesschwadronen während eines Gottesdienstes ermordet -- etwa gar mit 
Erlaubnis des Vatikans, der ihn kurz vorher ermahnt hat, seine Predigten 
nicht über die Realität, sondern über fromme Worte zu halten?

Als Romero 1977 Erzbischof von San Salvador wurde, galt er zwar als 
sensibler Seelsorger, aber er ließ sich von Militärs beraten und pflegte 
enge Kontakte zu den Priestern des Opus Dei. Er war auch Escrivá 
persönlich begegnet und von ihm tief beeindruckt gewesen. Und als 
Erzbischof sollte er die Bande zum Militärregime festigen. Doch es kam 
ganz anders:

Der Pfarrer und Jesuit Rutilio Grande wurde ermordet, weil er sich mit 
den Armen solidarisiert hatte und offen sagte, daß es in El Salvador 
praktisch "illegal sei, ein Christ zu sein". Sofort eilte Romero in 
diese Pfarre seiner Diözese, hielt mit den tief betroffenen Leuten die 
Totenwache. Mit dem Pfarrer wurden auch ein Bauer und ein Jugendlicher 
beim Gottesdienst ermordet. Dadurch wurden ihm die Augen geöffnet, und 
er trat offen gegen das schauerliche Unrecht auf. Es wurde ihm klar, daß 
die Kirche ganz besonders für die ausgebeuteten und unterdrückten Armen 
wirken müsse. Er sprach dann von der "Stunde der Auferstehung" für die 
Kirche seiner Erzdiözese.

In der Sonntagsmesse sprach er offen und sehr konkret über die 
himmelschreienden sozialen Mißstände, die brutale Behandlung und oft 
auch Ermordung von Bauern und die Schreckensherrschaft der Obristen. Im 
Vatikan und von Opusdeisten wurde er denunziert und am 24. 3. 1980 am 
Altar erschossen. Zur Beerdigung kamen Kardinäle und Bischöfe aus der 
ganzen Welt. Sie verkündeten unter anderem:

"Bischof Romero ist zum Symbol einer ganzen Kirche und des 
Lateinamerikanischen Kontinents geworden." (Hertel 2007, 77)

Das Volk Gottes hat Romero heiliggesprochen und der Vatikan ernannte 
fünfzehn Jahre später den ehemaligen Opus-Dei-Leiter und Militärbischof 
Fernando Lacalle zu Romeros dritten Nachfolger --  um dessen Werk zu 
zerstören. Der Großinquisitor Ratzinger leitete gegen Romeros Vertrauten 
Sobrino die Untersuchung gegen seine Befreiungstheologie ein, und Papst 
Ratzinger approbierte unlängst die Verurteilung und erteilte ihm Lehrverbot:

"Der heilige Stuhl stellt fest, daß die Thesen der theologischen Studien 
über Jesus Christus, die Pater Sobrino publiziert hat, mit der Lehre der 
Kirche nicht übereinstimmen." (Ebd. 81)

Der Konzilstheologe Hans Küng hat vor vielen Jahren sinngemäß 
festgestellt: Willst du erfahren, was Sozialismus nicht ist, dann sieh? 
dir den Kreml an. Und willst du erfahren, was katholisches Christentum 
nicht ist, dann schau dir den Vatikan an. Es ist offenbar auch heute 
noch im Vatikan so, daß man als Christ oft "illegal" ist.

Josemaria Escrivá -- ein fünf Meter großer Heiliger?

...Man könnte sich als frommer Katholik fragen, ob Escrivá ein "großer 
Heiliger" war. Die Antwort gab Benedikt XVI. Kurz nach seinem 
päpstlichen Köln-Auftritt 2005 ließ der Papst an der Außenseite des 
Petersdoms zu Rom eine fünf Meter hohe Marmorskulptur des neuen Heiligen 
aufstellen. Der klerikale Gründer einer angeblich laikalen Organisation 
zählt nun, im Messgewand positioniert, zu den 150 Heiligen, deren 
Standbilder den Petersdom schmücken.

...Am Sockel ... sind die päpstlichen Wappen von seinen beiden großen 
Förderern eingemeißelt: das vom polnischen Papst Johannes Paul II. und 
das vom deutschen Benedikt XVI. Der Papst hat die Statue persönlich 
gesegnet, und der Opus-Chef Rodriguez dankte ihm mit warmen Worten. 
(Hertel  2007, 42)  Papst Benedikt XVI. hat sich schon während seiner 
Zeit als Großinquisitor als treuer, aber vermutlich nicht ganz 
überzeugter Diener des Opus Dei erwiesen und den neuen Heiligen ein 
würdiges Denkmal gesetzt.

Wie schön wäre es dagegen gewesen, wenn dieser neue deutsche Papst 
seinem letzten deutschstämmigen Vorgänger am Stuhl Petri nachgefolgt 
wäre und eine längst fällige und ehrliche Entschuldigung für die Fehler 
und Verbrechen der römischen Kirchenzentrale und ihrer Filialleiter in 
der ganzen Welt ausgesprochen hätte! ...

Aus: Alfred Kirchmayr: "Opus Dei. Das Irrenhaus Gottes?" va bene Verlag, 
2008

Zitierte Buchhinweise:

Klostermann, Ferdinand: Der Papst aus dem Osten. 1980

Hertel, Peter: Schleichende Übernahme. Das Opus Dei unter Papst Benedikt 
XVI. Publik-Forum, Oberursel 2007

Ringel, Erwin/ Alfred Kirchmayr: Religionsverlust durch religiöse 
Erziehung. Tiefenpschologische Ursachen und Folgen, Wien 1985

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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