[E-rundbrief] Info 560 - Rb 125 - B. Berg: Denkzettel zu Utopien
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Do Jun 14 12:53:17 CEST 2007
E-Rundbrief - Info 560 - Rundbrief Nr. 125 -
Birgit Berg: DENKZETTEL. 12 Fragen zu Utopien und
aktivem Verändern - von der Enttäuschung zur Ent-Täuschung.
Bad Ischl, 14.6.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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DENKZETTEL
12 Fragen zu Utopien
Birgit Berg
In einem ihrer »Denk-Zettel« formuliert Birgit
Berg (Wortwerkstatt Poesie und Politik Stuttgart)
in ihrem Bestreben, »von der Enttäuschung zur
Ent-Täuschung« zu gelangen, die Absage an
Utopien, trotz Realsozialismus, Golfkrieg,
Jugoslawien und »persönlichen Erdrutschen« vieler
»Einzelschicksale«, als gefährlich: »Utopien sind
selbstgewählte Richtungsweiser im Ungewissen -
sie können fremdbestimmten Zukunftsmanipulationen
eine selbstbestimmte Orientierung entgegensetzen.
Machthaber resignieren nicht. So können wir uns
die Hoffnungslosigkeit nicht leisten«. Birgit
Berg stellt in einem »Denkzettel« 12 Fragen, die
mir auch in unserem Zusammenhang als erwähnenswert erscheinen:
"War das, was da gescheitert ist, wirklich unsere
Utopie - oder waren es nicht nur ähnliche
Begriffe in der klebrigen Verfilzung mit
Macht/Herrschaft/Geld? Sind unsere Utopien
tatsächlich am Ende? Oder vielmehr noch vor dem
Anfang ihrer konsequenten Verwirklichung?
Konnten wir denn nach den Jahrtausenden von
gezüchtetem Kampfgeist, Kriegs-, Konkurrenz- und
Besitzdenken und Herrschaftsstrukturen überhaupt
annehmen, in einigen Jahren alles verändern zu
können? Dürfen Veränderer so kurzatmig hoffen?
Müssen wir uns nicht eine erfahrenere Hoffnung
machen, die Rückschläge mit einbezieht?
Haben wir präzis genug gehofft? Wie genau, wie
realistisch, wie hürdenbewußt waren unsere
Träume? Was war nur Wunsch und was ist Wirklichkeitskeim?
Was ist die Nachricht des Zusammenbruchs: Was
sagt uns das Scheitern über das, was unserer Utopie noch fehlt?
Haben wir umfassend genug gehofft? Oder hat
unsere Utopie zu kurz gegriffen und wird von den
Strukturen, die sie beim alten ließ, erdrückt?
'Wer nicht alles verändert, verändert nichts'. (chilenisches Lied).
Hatten wir die richtigen Verbündeten?
Hat der Zeitplan gestimmt? Unterscheiden wir nach
kurzfristigen, mittelfristigen und nur
langfristig zu erreichenden Zielen? Wieviel Zeit,
beispielsweise, brauchen wir für die wirksamste
Form der Veränderung: unterdrückungsfreie
Erziehung? Bestärken wir einander im langen Atem?
Haben wir in uns die Bewusstseins-Bremse gelöst,
die von innen blockiert 'Es geht ja doch nicht'?
Und wandeln das 'Doch nicht' um in 'Noch nicht'?
Entsprechen unsere Strukturen bereits unseren
Zielen? Haben wir dafür schon den klarsten
Entwurf? Drücken sich unsere Ziele in unseren Mitteln aus?
Sind wir noch 'Amateure der Zukunftsarbeit' oder
besorgen wir uns das Handwerkszeug fördernder Methoden?
Haben wir überhaupt schon genug Utopie?: das
große bunte Zukunftsmosaik aus lauter
individuellen Entwürfen - die Zukunftswerkstatt
für Jedermensch - statt nur einiger Einheitskonzepte von Vordenkern?
Arbeiten wir nach dem Gesetz der kleinen Zahl? -
Qualität statt Quantität?: das heißt, dass eine
Handvoll Menschen zwar nicht die Verhältnisse auf
dem Kopf stellen kann - dass sie aber sehr wohl
einen Trend initiieren und prägen kann (so wie
z.B. das Umweltbewusstsein ursprünglich durch
wenige ausgelöst wurde), also ideenreich einen
Bewusstseinsprozess in Gang setzen, der auf Dauer
Verhältnisse durch Verhaltensweisen umzuwandeln vermag.
Welche persönliche Entwicklung, welche neuen
Denkschritte, welches Charakterwachstum können
wir uns während des Tiefs erarbeiten als
Gegengewicht, das dem äußeren Zusammenbruch einen
Sinn, sogar einen Gewinn verleiht?
Sind wir gründlich genug enttäuscht? In dem Sinn:
Nutzen wir den Misserfolg zur Ent-Täuschung von
Grund auf, zur Klärungsarbeit, exakt zu
unterscheiden: Was waren bei den gescheiterten
Idealen Illusionen - und was waren Ziele?"
(Aus: Rolf Schwendter: Utopie. 1994)
Birgit Berg, die in den 80er Jahren zu einer
Lesung auch nach Bad Ischl kam und mit uns
jahrelang zusammenarbeitete, ist - zu früh - 2005
in Freiburg gestorben. Damit ging auch ihre
Wortwerkstatt Poesie und Politik Stuttgart zu
Ende und auch ihre Bücher und Texte sind zwar
vergriffen, aber u.a. über Amazon noch erhältlich.
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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