[E-rundbrief] Info 527 - NATO-Uranstaub in Serbien
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mi Mär 28 18:14:41 CEST 2007
E-Rundbrief - Info 527 - Barbara Hug (D): Ruinen
und Uranstaub. Welche Schäden entstanden durch
den Beschuß mit DU-Munition? Eine Reise durch
Serbien acht Jahre nach den Angriffen der NATO
Bad Ischl, 28.3.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Ruinen und Uranstaub
Welche Schäden entstanden durch den Beschuß mit
DU-Munition? Eine Reise durch Serbien acht Jahre nach den Angriffen der NATO
Barbara Hug
24.03.2007 / jw Wochenendbeilage / Seite 4 (Beilage)
http://www.jungewelt.de/
Seit dem 24. März 1999 herrschte erstmals wieder
nach 1945 Krieg in Europa. An diesem Tag gegen 20
Uhr erfolgten auf Befehl der NATO-Führung
Luftangriffe auf die Bundesrepublik Jugoslawien.
Betroffen waren zunächst Ziele in den Städten
Belgrad, Pristina, Novi Sad. Eingesetzt wurden
Marschflugkörper, abgefeuert von U-Booten in der
Adria sowie B-52-Bombern, Kampfflugzeuge und
später auch Tarnkappenbomber. Während des
Krieges, der am 10. Juni beendet wurde, verschoß
die NATO mindestens 35 000 Geschosse mit
abgereichertem Uran. Die Opferzahlen auf
serbischer Seite liegen bei 5500 getöteten serbischen Zivilisten und Soldaten.
Der achte Jahrestag des NATO-Krieges gegen
Jugoslawien näherte sich, und wir machten uns auf
die Reise Richtung Belgrad. Unser Anspruch,
Eindrücke zu sammeln in einem Land, das schamlos
von denen vernichtet wurde, die zu
Kalte-Kriegs-Zeiten den Osten stets als Feind
darstellten und ihm Angriffspläne unterstellten
-- und schließlich selbst aggressiv gegen jenes
Vielvölker-Staatsgebilde gehandelt hatten. Wir
sprachen mit Menschen in Belgrad, in Nis und auf
dem Land. Wie war das eigentlich mit dem Krieg? Und: Wie sieht es heute aus?
Erster Eindruck: Noch stehen die zerbombten
Hochhäuser als Ruinen, im Zentrum der ehemaligen
jugoslawischen Hauptstadt, die in den
Morgenstunden des 24. März 1999 erstmals seit den
Bombardements der Hitler-Truppen nach dem 6.
April 1941 wieder Luftangriffen ausgesetzt war.
Nun also die Ruinen des
Verteidigungsministeriums, des Radio- und
Fernsehsenders und auch von ehemaligen Schulen,
Krankenhäusern und Wohngebäuden. An vielen
Stellen wird das Bild der Millionenmetropolole an
Save und Donau nach wie vor von den Überresten
der Zerstörungen durch die NATO-Schläge,
durchgeführt aus großer Höhe, geprägt, die weder
abgetragen noch wiederaufgebaut wurden.
Manche werden sicherlich dauerhaft als Mahnmale
gegen den Krieg dienen. Bei anderen gibt es
pragmatische Gründe, sie nicht abzutragen: Ob und
wie stark die betreffenden Gelände verseucht
sind, blieb bisher ungeklärt. Fest steht, daß die
westlichen Angreifer Spezialmunition gegen
Jugoslawien verschossen; den Einsatz von zehn
Tonnen Munition mit abgereichertem Uran (DU --
depleted uranium) in Raketen und anderen
Geschossen gestehen sie selbst ein, doch dürfte
die wirkliche Menge wesentlich höher liegen.
»Möglicherweise«, so kommentierte Professor Dr.
Siegwart-Horst Günther, der seit langem die
medizinischen Folgen von DU-Munition erforscht,
in einem Gespräch mit junge Welt, »atmen die
Menschen also atomar verseuchte Staubpartikel
ein, doch niemand kümmert sich darum. Es könnte
sein, daß aus Furcht vor der Schockwirkung, die
die Bestätigung einer Kontaminierung in der
Bevölkerung auslösen würde, nichts unternommen
wird.« Günthers Tip: Die kontaminierten
Gebäudeüberreste müßten unverzüglich abgetragen
und entsorgt werden. Dabei allerdings, so der
Professor, handele es sich um eine gefährliche
und heikle Aufgabe. »Es müßte sehr sorgfältig
vorgegangen werden -- und zwar von Spezialisten
mit besonderen Gerätschaften.« Ohne
internationale Unterstützung sei dies nicht
möglich, und eigentlich sei die Beseitigung der Schäden ja Aufgabe der NATO.
Auf weitere Gefahren, die von der aktuellen
Situation ausgehen, verwiesen Radomir Kovacevic,
Direktor des radiologischen Instituts in Belgrad,
und Zoran Stankovic, ein Pathologe: Das Einatmen
von Uranstab sei ungeheuer gefährlich. Und: Unter
dem Strich habe Uranmunition eine krebsauslösende
Wirkung, so Stankovioc, der als Arzt am
medizinischen Zentrum des Militärs zu den Risiken geforscht hatte.
Auch in Nis, 250 Kilometer südöstlich von Begrad,
stehen noch die Überreste der zerbombten
Wohnhäuser. Dort war erst wenige Tage vor unserem
Besuch eine Kassettenbombe auf einem
Schulhausdach entdeckt und von Spezialisten aus
Belgrad unschädlich gemacht worden. Diese Art von
Waffe, die noch Jahre nach dem Krieg tötet, wird
erst dann aktiviert, wenn Menschen mit ihr in
Berührung kommen. In der Umgebung der 250000
Einwohner zählenden Stadt sterben nach wie vor
Bauern durch Explosionen auf den Feldern. Zudem
liegen in den Krankenhäusern viele Menschen, die
einige Jahre nach dem Krieg an Krebs erkrankt
sind. Die Statistik weist einen steilen Anstieg
der Erkrankungen aus. Und im Kosovo sei die Rate
noch höher, erklärte die Epidemiologin Natascha
Lukic vom onkologischen Zentrum in Nis. Darüber
werde geschwiegen. Ob auch die Nahrungskette von
DU-Munition tangiert sei? Bis heute blieb diese
sich aufdrängende Frage unbeantwortet.
Die NATO hatte zielgenau -- also bewußt --
Infrastruktur, Fernsehstationen, Fabriken,
Elektrizitätswerke, Brücken, Eisenbahnlinien und
Flüchtlingskolonnen bombardiert. Und alle unsere
Gesprächspartner gingen davon aus, daß große
Teile der Umwelt in Serbien kontaminiert sind.
Einig war man sich auch, daß die US-Air-Force
Experimente mit neuen Waffen durchgeführt hat.
Zumindest drängte sich ein fürchterlicher
Verdacht auf: Bis heute findet sich keine
schlüssige Erklärung für die Wahl eines der
wichtigsten mit Uranmunition bombardierten Ziele.
Warum die Attacken auf die Gegend um Urosevac im
Süden des Landes, direkt im Quellgebiet von drei
Flüssen. Dort befanden sich keine militärischen
Einrichtungen, keine Städte, Fabriken, nichts,
was von militärisch-strategischem Interesse hätte
gewesen sein können. Nach serbischen Schätzungen
wurden 15 Tonnen Munition mit abgereichertem Uran
abgefeuert. Über die Gründe kursieren
Spekulationen, die damit zu tun haben, daß von
dort aus drei Flüsse ins Schwarze Meer, in die
Ägäis und in die Adria fließen. Ob Tests zu den
Folgen des DU-Waffeneinsatzes für diese Meere
durchgeführt werden sollten, können nur die
NATO-Verantwortlichen sagen. Doch die schweigen.
Wie auch in Sachen eines anderen Vorgangs, von
dem wir bei einem Treffen an der Fakultät für
Arbeitssicherheit in Nis erfahren, wo wir mit
Professor Srejko Nedeljkovic ins Gespräch kommen:
Nicht nur DU-Geschosse, sondern andere Bomben
seien in der Nähe der bulgarischen Grenze
gefallen. Diese hätten die Nacht zum Tag gemacht
-- auch diesbezüglich könnte nur die NATO Auskunft geben, wird uns berichtet.
Doch Auskunft gibt es nicht. Im Gegenteil: Der
Nordatlantikpakt betreibe, so unsere
Gesprächspartner, ein gezieltes Lobbying unter
Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Serbien.
Ziel sei es zu verhindern, daß sich eine im
Bereich der Umwelt tätige Gruppe mit der
Problematik der Uranmunition befasse. Die
Einflußnahme läuft über verschiedene Kanäle.
Einer davon seien natürlich die Finanzen, die nur
für »passende« Projekte an serbische NGOs gegeben
würden. Andererseits werde versucht, kleinere
Gruppen durch Einordnung in Dachorganisationen zu vereinnahmen.
Wir sind von unserer Reise sehr bedrückt
zurückgekehrt. Wegschauen verbietet sich, und
wichtige Fragen müssen einfach gestellt werden:
Wer hilft? Gibt es endlich mehr Unterstützung für
die überfüllten Krankenhäuser? Was wird aus der
Landwirtschaft angesichts der Kontaminierung
weiter Flächen? Und: Was ist mit dem Uranstaub?
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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