[E-rundbrief] Info 328 - RB 119 - Kampf fuer Grundeinkommen

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mo Dez 5 17:23:02 CET 2005


E-Rundbrief - Info 328: Rundbrief Nr. 119 - Matthias Reichl: Zwanzig Jahre 
Grundeinkommens-Debatte in Österreich und international. Eigene Erfahrungen 
im Kampf mit der Sozialpolitik und -bürokratie.

Bad Ischl, 5.12.2005

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Zwanzig Jahre Grundeinkommens-Debatte in Österreich und international

Eigene Erfahrungen im Kampf mit der Sozialpolitik und -bürokratie

Matthias Reichl

Da wir zur gleichen Zeit mit der Generalversammlung und einem Seminar 
unseres Vereins beschäftigt waren, konnte ich am Grundeinkommens-Kongress 
nicht teilnehmen. Als meinen Beitrag hatte ich den Organisatoren schon 
einige Zeit vorher die folgenden Erfahrungen gemailt:

Befreiung der Frauen von ökonomischer Abhängigkeit

Ich wurde erstmals 1982 innerhalb der "Alternativen Liste Österreich" von 
Feministinnen mit der Forderung nach einem "Grundeinkommen" (bzw. 
"Basislohn") - unabhängig von einem Dienstverhältnis - konfrontiert. Dabei 
ging es ihnen primär um die Befreiung nicht-erwerbstätiger (Haus-)Frauen 
aus ihrer finanziellen Abhängigkeit vom Ehemann und weiters um die 
Grundversorgung von Alleinerzieherinnen und geschiedenen Frauen. Diese 
Grundproblematik hat sich - wegen prekärer und flexibler Beschäftigung bzw. 
Arbeitslosigkeit - noch weiter verschärft.

Grundabsicherung gegen ökonomische Krisen durch (a)soziale Repression

Oppositionelles politisches und soziales Engagement - innerhalb und 
ausserhalb politischer Organisationen - führte immer öfter zu ökonomische 
Krisen und (a)sozialer Repression. Drohungen mit Verschlechterungen auf dem 
Arbeitsplatz bis hin zur Kündigung war ein längst praktiziertes 
Disziplinierungsmittel gegenüber (über)aktiven Dienstnehmern. Ebenso von 
Seiten mancher Arbeitsamtsbeamten gegenüber Arbeitslosen (Zuweisung an 
unakzeptable Arbeitsplätze, Entzug der Arbeitslosengeldes bei 
"Arbeitsverweigerung", Verweigerung von Fortbildungsmassnahmen usw. - dazu 
habe auch ich jahrelange Erfahrungen bis zu meiner Frühpensionierung!).

Grundabsicherung von gemeinnützigen Initiativen und Organisationen

Eine wachsende Anzahl von gemeinnützigen Initiativen und Organisationen 
können zwar mit Mühe noch die laufenden Unkosten abdecken, nicht aber die 
Personalkosten. Die Druckmittel einer Kürzung bzw. Streichung staatlicher 
Subventionen und ähnlicher Unterstützungen (Presseförderung, 
Zeitungstarif...), ausufernde bürokratischer Aufwand (v.a. bei 
EU-Projekten) bewirken zunehmend eine Selbstzensur und (Über-) 
Vorsichtigkeit in politischen Aktivitäten. Ein wachsender Teil wurde und 
wird zunehmend gezwungen, seine Aktivitäten zu verlagern bzw. einzustellen.

Negativkarriere von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Hauptamtlich Vollzeit-Angestellte müssen Einkommens-Reduktionen 
akzeptieren, die Umwandlung des Dienstverhältnisses in Teilzeit, dann in 
zeitlich beschränkte bzw. fallweise Arbeitsverhältnisse, in verschiedene 
Varianten "freier" Arbeitsverträge, in Scheinselbständigkeit und 
schließlich in unbezahlte ehrenamtliche Tätigkeiten. Allen gemeinsam ist 
eine wachsende Selbstausbeutung (bis zur Selbstzerstörung), die sich nicht 
nur für die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sondern auch für 
deren - von ihnen ökonomisch abhängigen - Angehörigen auswirkt.

Gerade die starke emotionale Verbindung mit den Zielen der Organisation 
entwickelt einen Zwang zur Solidarität und zum "Weiterwerkeln". Viele der 
dafür eigentlich zuständigen Beamten in staatlichen Institutionen sehen 
kalt lächelnd zu und kalkulieren tragischen Zusammenbrüche einzelner 
Aktiver und ganzer Organisationen als willkommene Ausschaltung lästiger 
Oppositioneller an. Begleitet wird diese perfide Strategie mit barmherzigem 
Lächeln, Schulterklopfen, Ehrungen, Lob für die uneigennützige 
"Bürgergesellschaft" (z.B. durch Andreas Khol und Konsorten) usw.

"Aktion 8000" soll Grundeinkommen ersetzen?

Bei dem Symposium "Goldene Zeiten - Modelle für die Zukunft" - Sept. 1985 
in Linz - präsentierte der Sozialminister Alfred Dallinger die in seinem 
Ministerium von engagierten linken Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen 
entwickelte "Aktion 8000" - die (bis zu 100% subventionierte) einjährige 
Beschäftigung von Arbeitslosen in gemeinnützigen Projekten und 
Organisationen. Dies sei eine geeignete Alternative zum - kaum 
durchsetzbaren - Grundeinkommen. Allerdings war dies von Bewilligungen 
durch Sozial-Behörden abhängig und daher kein allgemeiner Anspruch. Meine - 
von Minister Dallinger nicht beantwortete - Frage, wie politisch 
abgesichert dieses Modell sei, war vorausschauend sehr berechtigt.

1987/88 wurde auch unser Begegnungszentrum vom Sozialministerium durch die 
"Aktion 8000" gefördert. Ich sollte in unserer Region ein Jahr lang 
mögliche Projekte recherchieren und vorbereiten. Zur Halbzeit hatte die ÖVP 
die SPÖ-Alleinregierung durch eine große Koalition abgelöst und gleich eine 
Kürzung der Gelder durchgesetzt. Dazu kam noch eine Kampagne - lanciert von 
Andreas Khol - gegen "Missbrauch" durch "obskure Vereine" (u.a. in einer 
"KURIER"-Meldung). Dabei wurde so ziemlich alles, was "links-verdächtig" 
war, zusammengewürfelt (auch unser Verein war darunter). Meine scharfe 
Kritik im Projektbericht bewirkte, dass uns dann auch einige SP-nahe 
Sozialbürokraten auf die "schwarze Liste" setzten und mich schikanierten. 
obwohl ihre Vorwürfe haltlos waren. Erfolg: die schon beschriebenen 
Negativkarrieren!

Internationale Entwicklungen

Dazu kommt noch, dass unter Berufung auf den EU-Stabilitätspakt nun auch 
Länder und Gemeinden  die einschlägigen Budgets stark reduzieren (müssen), 
v.a. wenn manche der Gemeinden knapp vor der Zahlungsunfähigkeit stehen.

Die zunehmende Privatisierung (und damit privater Finanzierung) der 
Grundversorgung (z.B. in Bildung, Gesundheit und viele gemeinnütziger 
Bereiche) erzwingt das Akzeptieren neoliberaler Marktmechanismen. In ihnen 
wird die Profitmaximierung statt solidarischer Zusammenarbeit im 
Überlebensk(r)ampf als unaufhaltsam propagiert.

Daher ist ein Grundeinkommen nicht allein eine sozial-karitative Massnahme 
sondern auch eine Grundlage für ein möglichst selbstbestimmtes 
gemeinnütziges (auch politisches) Handeln.

(Siehe auch Info 226 und 227)

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
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