[E-rundbrief] Info 265 - Uri Avnery: Juedische Extremisten
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Do Aug 18 12:51:03 CEST 2005
E-Rundbrief - Info 265 - Uri Avnery: Das vorausgesagte Massaker. Kampagne
des "zivilen Ungehorsams" der extremen Rechten in Israel, aufgehetzt durch
fanatische Rabbiner.
Bad Ischl, 18.8.2005
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Man muss sich fragen : Warum wird diesen Rabbinern, von denen einige sogar
Regierungsangestellte sind, erlaubt, ihre aufhetzenden Botschaften zu
verbreiten, die Gehirne der jungen Leute zu vergiften, gegen gewählte
Offizielle zu hetzen und das demokratische System zu untergraben?
Das vorausgesagte Massaker
Uri Avnery
Das Massaker war erwartet worden genau wie die Fragen, die sich danach
stellten. Aber hinter den simplen Fragen, die sich praktisch von alleine
stellten, stecken schwierigere und nicht gestellte Fragen.
Der Geheimdienst ( Shabak, auch Shin Bet genannt) hat lange davor gewarnt,
dass der Abzug aus dem Gazastreifen zu einem Ausbruch von jüdischem
Terrorismus führen könnte, der die Evakuierung der Siedlungen verhindern
möchte. Er wies auch auf drei Szenarien hin: den Mord am
Ministerpräsidenten, ein Attentat auf die den Muslimen heiligen Moscheen
auf dem Tempelberg und ein Massaker an Arabern.
Unter diesen drei Möglichkeiten ist das Massaker an Arabern die einfachste
und wirksamste. Sie zielt dahin, Unruhen zu verursachen und die Polizei zu
zwingen, Einheiten aus dem Gebiet der Evakuierung abzuziehen. So wird die
Auflösung der Siedlungen verhindert.
Der mörderische Akt von Eden Nathan-Zadeh passt genau zu diesem Modellfall.
Er stieg in einen Bus, der in eine arabische Stadt (Shefaram) fuhr, tötete
vier israelisch-arabische Bürger und wurde von einer aufgebrachten Menge
erschlagen. Die Polizei war gezwungen, mehr als tausend Polizisten aus dem
Evakuierungsgebiet im Süden abzuziehen und nach Galiläa im Norden zu
verlegen. Das macht es rechten Aktivisten leichter, nach Gush Kativ
einzudringen.
Die simplen Fragen wurden sofort gestellt. Wenn der Shin Bet genug gewusst
hat, um vor der Gefahr zu warnen, warum hat er dann nicht die Überwachung
der extrem Rechten verstärkt, deren Identität und deren Zufluchtsorte ihnen
bekannt waren. Schließlich hatte sich der Mörder in der Tapuach-Siedlung,
der Schlangengrube von Kach-Militanten, aufgehalten, deren mörderisches
Wesen bekannt war. Der Mörder selbst war schon mehrfach im Lauf von extrem
rechten Aktivitäten in der Vergangenheit festgenommen worden. Und warum
handelte die Armee nicht, obwohl der Kommandeur des Mörders wusste, dass er
aus Protest gegen die Evakuierung desertiert war und seine Waffe
mitgenommen hatte? Seine Mutter, die vorausgesehen hatte, was kommen wird,
bombardierte die Armee mit Bitten, ihn zu suchen und ihm die Waffe abzunehmen.
Das sind die einfachen Fragen.
Doch gibt es Fragen, deren Antworten komplexer sind.
Warum wird den Kach-Leuten erlaubt, so großspurig wie Könige in ihrem
Königreich aufzutreten? Die Kach-Gruppe wurde vor 12 Jahren offiziell zur
terroristischen Organisation und darum als ungesetzlich erklärt. Das heißt,
jeder, der zu ihr gehört, sie mit Geld oder auf andere Weise unterstützt,
rechtlich als Terrorist betrachtet wird, (nach genau diesem Gesetz kam
Sheik Raed Salah, der Bürgermeister der israelisch-arabischen Stadt
Umm-El-Fahm, für zwei Jahre ins Gefängnis ).
Kach ("SO" auf hebräisch) ist eine religiös-faschistische Gruppe. Sie
befürwortet den Mord an Arabern, den Rachemord, die Vertreibung von
israelisch-arabischen Bürgern und der Bewohner der besetzten
palästinensischen Gebiete. Sie pflegen einen Führerkult ihres Gründers,
Meir Kahane, der von einem Araber in den USA erschossen wurde und hoch
verehrt wird wie Baruch Goldstein, der Mann, der den Massenmord in der
Hebroner Moschee begangen hat.
Aber seit Jahren ziehen Kach-Leute ungehindert durchs Land und begehen
zahllose Schandtaten gegen israelisch-arabische Bürger und Bewohner der
besetzten palästinensischen Gebiete. Von Zeit zu Zeit wird einer ihrer
Rowdys verhaftet und nach wenigen Tagen wieder entlassen. Wenn einer von
ihnen dann doch einmal vor Gericht gestellt wird, dann ist die
Gerichtsverhandlung eine Farce. Bei diesem Katz- und Mausspiel ist es nicht
ganz klar, wer dabei die Katze und wer die Maus ist.
Es kommt aber noch schlimmer: während dieser Jahre wurden die Kach-Leute
wie Fernsehstars behandelt. Prahlerisch äußern sie in den Medien ihre
Hetzbotschaften und werden häufig interviewt, immer mit Untertiteln wie
"Kach-Aktivist", "Kahane-lebt-Aktivist", "Mitglied des früheren Kach". Sie
erscheinen bei den Beerdigungen von Opfern palästinensischer Angriffe und
bei Gerichtsverhandlungen arabischer Angeklagter und schreien: "Tod den
Arabern!" Sie benützen das Fernsehen offen als Instrument zum Anwerben
neuer Mitglieder und vergiften so die Gehirne zukünftiger Rekruten.
Es ist unmöglich, durch Israel zu fahren, ohne dem Gesicht Meir Kahane auf
Postern oder Graffitis zu begegnen. Slogans wie "Kahane hatte Recht" und
"Tod den Arabern" mit dem Emblem der drohenden Faust erscheint an vielen
Mauern im ganzen Land, besonders aber in Jerusalem, Hebron und Kiryat Arba.
Keiner macht sich die Mühe, sie zu entfernen.
Wie ist das möglich? Sehr einfach: wie in andern Ländern, z.B. im
Deutschland der 20er und 30er Jahre (der glücklosen "Weimarer Republik")
behandelten Richter und Polizisten die Faschisten als "fehlgeleitete
Patrioten", als "gute Kerle, die etwas zu weit gehen" es war damit eher
Sorge als Ärger ausgedrückt.
Die einfache Wahrheit ist, dass die halb-geheimen Regierungsorgane, die
seit Jahrzehnten die illegalen Siedlungsaktivitäten betrieben haben, die
Kach-Leute für ihre Zwecke ausnützten. Nur so kann man die Existenz der
Kahane-Siedlungen erklären. Eine von ihnen ist der verfaulte Apfel (Tapuach
bedeutet Apfel.).
Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, in der es um die "
bußfertigen Juden" geht. Warum kommen so viele jüdische Terroristen aus
dieser Gruppe?
Es ist eine Sekte innerhalb einer Sekte, aus der die gefährlichsten
jüdischen Terroristen kommen.
Das religiöse Lager in Israel besteht aus zwei Teilen: Die Haredim ("Die
vor Gott Zitternden"), die die Tradition des orthodoxen Judentums der
Diaspora fortsetzen. Der andere Teil der großen Mehrheit besteht aus
"religiösen Zionisten", die praktisch eine Sekte darstellen. Sie ähneln
kaum dem traditionellen Judentum. Man könnte sagen, sie sind eine Mutation
des Judentums, "Made in Israel".
Die Haredim haben eine höchst ambivalente Haltung gegenüber dem Staat
Israel. Als der Zionismus in Europa entstand, verfluchten fast alle
bedeutenden Rabbiner seinen Gründer Theodor Herzl und klagten ihn an, er
verdränge die jüdische Religion durch jüdischen Nationalismus. Das zentrale
Thema des Zionismus, das "Einsammeln der Exilanten", war in den Augen der
Orthodoxen Ketzerei. Heute sind die Haredim bereit, den Staat für ihre
Zwecke zu melken, aber sie verbieten ihren Schülern, den israelischen
Unabhängigkeitstag zu feiern oder die Flagge zu respektieren. Und während
viele ihrer Anhänger nun vom nationalen Bazillus angesteckt wurden, sind
sie bei den letzten großen Demos gegen den Abzug auffallend nicht dabei
gewesen. Ihre Rabbiner hatten ihnen verboten, daran teilzunehmen.
"Religiöser Zionismus" hat sich im Gegensatz dazu über die Jahre zu einer
messianischen Sekte entwickelt, etwa wie die Zeloten zur Zeit der
Zerstörung des 2. Tempels vor 1935 Jahren. Sie behaupten einen direkten
Draht zu Gott zu haben, der ihnen sagt, was sie tun sollen. Sie "bringen
die Erlösung" und zwingen den Messias, bald zu kommen. Die Siedlungen sind
ihre Vorkämpfer.
Die "bußfertigen Juden" sind eine noch extremere Sekte. Traditionelles
Judentum behandelt Proselyten mit Argwohn ( "Proselyten sind gegenüber
Israel so schädlich wie Krätze ", sagt der Talmud) und ihre Haltung
gegenüber säkularen Juden, die plötzlich fromm werden, ist nicht viel
anders. Die meisten "bußfertigen Rabbiner" predigen einen
nationalistischen, abgehobenen, mystischen, extremen und zügellosen
Glauben, der das demokratische System vollkommen verwirft und zu einem
"Glaubensstaat" aufruft.
Dies ist die Brutstätte für die meisten jüdischen Terroristen der letzten
Jahre gewesen, die Mitglieder verschiedener " jüdischer Untergrundgruppen"
und auch des Shefaram-Mörders.
Man muss sich fragen : Warum wird diesen Rabbinern, von denen einige sogar
Regierungsangestellte sind, erlaubt, ihre aufhetzenden Botschaften zu
verbreiten, die Gehirne der jungen Leute zu vergiften, gegen gewählte
Offizielle zu hetzen und das demokratische System zu untergraben?
Eine andere wichtige Frage betrifft die Verbindung zwischen dem Mord und
den Gegnern des Abzugs und besonderes zum sog. Yesha-Rat. (Yesha ist im
Hebräischen ein Akronym für Judäa, Samaria und Gaza. Der Yesha-Rat ist die
selbsternannte Führung der Siedler, die den augenblicklichen Kampf gegen
den Rückzug aus dem Gazastreifen leitet).
Als einer der Yesha-Führer darüber bei einem TV-Interview gefragt wurde,
explodierte er vor Zorn. Allein diese Frage sei eine schreckliche
Beleidigung, erwiderte er, und verletze ihre Ehre und kriminalisiere sie.
Wirklich?
Wahr ist, dass die Yesha-Führer sehr gerissen sind. Sie wissen, wenn ihre
Anhänger Soldaten oder Polizisten verletzen, dann würden sie jede
öffentliche Unterstützung verlieren. Sie predigen Gewaltlosigkeit in den
Medien und bei jeder Gelegenheit. Ihr Hauptslogan ist "Wir lieben Euch".
Während ihrer letzten beiden großen Demonstrationen gelang es ihnen
tatsächlich, ihre Herde im Zaun zu halten. Aber jeder, der ihre Demos im
Fernsehen beobachtet, sieht, wie die Kach-Leute ihre Banner fliegen lassen.
Die Präsenz von "bußfertigen Juden", die man leicht an ihrer Kleidung und
ihrem Verhalten erkennen kann, war bemerkenswert. Die Yesha-Führer schienen
nichts gegen ihre Gegenwart zu haben.
Auch haben sich die Yesha-Führer niemals von den Hetzsendungen der extremen
Rabbiner distanziert, die den Ministerpräsidenten, die Regierung und die
Knesset in einer Sprache verfluchen, die die Saat des Unheils bei ihren
Anhängern sät. Sie können nicht behaupten, dass ihnen die möglichen
Konsequenzen nicht bewusst sind: der Mord an Yitzhak Rabin ist eine
Warnung, die niemand ignorieren kann.
Als die Yesha-Führer unmittelbar nach dem Massaker in Shefaram im Fernsehen
erschienen, gaben sie die übliche Verurteilung von sich, aber schon mitten
im Satz wandten sie sich dem Abzugsstreit zu und gaben Ariel Sharon die
Schuld für all diese Verbrechen.
Die Leute von Tapuach gaben vor, dass der Mörder in letzter Zeit nicht bei
ihnen gewesen, sondern nach Gush Kativ umgezogen sei. In dem Brief, den der
Mörder seinem Kommandanten vor der Fahnenflucht schrieb, erklärte er, dass
er nicht bereit sei, an der Evakuierung der Siedler teilzunehmen. Und was
besonders wichtig ist: das Timing der Gräueltat lässt keinen Zweifel, dass
er vorhatte, den Abzug zu verhindern.
Keine verbale Wäsche kann den Yesha-Rat von der Verantwortung für diesen
Akt - und die sicher noch folgenden Akte - rein waschen. Je mehr die
Kampagne des "zivilen Ungehorsams" der extremen Rechten sich als Fehlschlag
herausstellt, um so mehr wird sich die noch extremere Rechte zu
mörderischer Gewalt hinreißen lassen.
Ist es Zufall, dass Yesha sich auf Pesha das hebräische Wort für
Verbrechen reimt?
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de
erstellt am 06.08.2005
---
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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