[E-rundbrief] Info 30 - Walden Bello: Phase out the WTO

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mo Sep 15 13:53:03 CEST 2003


E-Rundbrief - Info 30

Bad Ischl, 15.9.2003

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at

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Let's phase out the WTO.

Interview mit Walden Bello zum Scheitern von Cancun

Walden Bello, Direktor der auf den Philippinen ansässigen
Nichtregierungsorganisation "Focus on the Global South" forderte seit
Monaten ein Scheitern der Konferenz. Vor dem Hintergrund des
sueffisanten Ausspruchs von Pascal Lamy im Anschluss an die
Ministerkonfernz in Doha, die WTO sei zwar in Seattle beinahe vor die
Wand gefahren, inzwischen aber wieder auf den Schienen, forderte Bello,
die WTO von diesen Schienen wieder herunterzuholen. "Derail the WTO"
hiess der internationale Aufruf. Kurz nach Bekanntgabe des Scheiterns
Der Konferenz sprachen wir mit Bello ueber die Gruende und wagten einen
Blick in die Zukunft.

Weed: Walden, was denkst du war der Grund fuer das Scheitern der
Ministerkonferenz?

Bello: Ich denke, der Grund war, dass weder die USA noch die EU zu
Konzessionen bereit waren. Beim Thema Agrarhandel haben sie keinerlei
Zugeständnisse gemacht und gleichzeitig haben sie darauf beharrt,
Verhandlungen zu den vier Singapur Themen aufzunehmen. Der zweite
Entwurf der Ministererklärung, der gestern veroeffentlicht wurde,
brachte das Fass dann zum Ueberlaufen, denn er war wesentlich schlechter
als der erste, den Entwicklungsländer ja schon scharf kritisiert
hatten. Das galt vor allem im Bereich Landwirtschaft.
Weder bei den Exportsubventionen, noch bei den Zoellen der
Industrieländer und den sogenannten "Green Box" Subventionen wurden die
Anliegen der Entwicklungsländer aufgegriffen. Mit diesem Papier war
klar, dass allein der Sueden Konzessionen hätte machen muessen,
während die Länder des Nordens weiter in den Genuss der "besonderen und
differenzierten Behandlung" gekommen wären, die eigentlich nur den
Entwicklungsländern zusteht. Dass der Draft sich dann auch noch darum
herumgeschlichen hat, bei den Singapur Themen einen expliziten Konsens
zu verlangen, brachte die Entwicklungsländer zu der Einsicht, dass der
Norden ihnen nicht zuhoeren wuerde. Das war der Grund fuer Korea und
Kenia aufzustehen und darauf zu beharren, dass es ohne einen expliziten
Konsens in der Frage der Singapur Themen keine Verhandlungen geben
koenne. Letztendlich haben USA und EU durch ihr Verhalten das "Derail
der WTO" verursacht, das wir immer gefordert haben. Sie haben es sich
selbst zuzuschreiben.

Weed: Welche Rolle hat die Zivilgesellschaft mit ihrer Botschaft "Derail
the WTO" in diesem Prozess gespielt?

Bello: Die Zivilgesellschaft war unglaublich wichtig. Sie hat
Entwicklungsländer mit einer Menge Analysen und Informationen versorgt,
sie unterstuetzt und gleichzeitig Druck auf die Verhandler ausgeuebt.
Die Massenmobilisierung auf den Strassen, die Lobbyarbeit und die vielen
Aktionen innerhalb der Hotelzone haben wesentlich dazu beigetragen, die
reichen Länder zu isolieren. Aufgrund des Drucks von unten konnten auch
die Entwicklungsländer nicht von ihrer Position abweichen. Die
Zivilgesellschaft war also ganz klar der zentrale Akteur hier in Cancun.

Weed: Wie bewertest du das Scheitern der Konferenz?

Bello: Ich sehe das äusserst positiv. Eine Einigung auf Grundlage des
Entwurfs fuer die Ministererklärung, den wir gestern zu Gesicht
bekommen haben, hätte schreckliche Konsequenzen gehabt. Ihr wären alle
Anliegen der Entwicklungsländer zum Opfer gefallen. Fuer uns ist kein
Deal daher besser als ein schlechter Deal. Ein Scheitern der Konferenz
war die beste Option.

Weed: Welche Schritte stehen fuer die Zivilgesellschaft jetzt an?

Bello: Sie muss alles daran setzten, die WTO zu einem Relikt der
Vergangenheit zu machen. Ihre intransparenten und undemokratischen
Regeln, die einseitig die Mächtigen beguenstigen, machen sie zu einer
Organisation, die nicht ins 21. Jahrhundert gehoert. Wir brauchen
Regelwerke oder Institutionen, welche die Interessen der Mehrheit der
Mitgliedsländer repräsentieren. Wir brauchen die Institutionalisierung
von Mehrheitspositionen. Das ist aber mit der WTO nicht moeglich.
Nachdem wir im Vorfeld von Cancun auf ein Derail the WTO hingearbeitet
haben, muessen wir uns jetzt ueberlegen, wie wir ein "phasing out", ein
Auslaufen der WTO erreichen koennen.

Das Interview fuehrte Pia Eberhardt

Aus: WEED-News zur 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún
Nr. 6 - 14./15. September 2003 - Der letzte Tag

Infos: Christina.Deckwirth at weed-online.org
www.weed.org


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Matthias Reichl
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