[E-rundbrief] Info 2144 - Zur Wahl in Chile - Die Überwindung des Alten durch das Neue
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
So Dez 26 15:33:07 CET 2021
E-Rundbrief Info 2144 - Pía Figueroa (Santiago de Chile): Die
Überwindung des Alten durch das Neue. – Zur Wahl in Chile.
Bad Ischl, 26.12.2021
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
================================================
Die Überwindung des Alten durch das Neue
– Zur Wahl in Chile
24.12.21 -
Santiago de Chile - Pía Figueroa
Dieser Artikel ist auch auf Englisch, Spanisch, Französisch,
Italienisch, Portugiesisch, Griechisch verfügbar
Wenn eine neue Generation die Geschicke eines Landes übernimmt, wenn
sie beschließt, trotz einer fundamentalen institutionellen Krise in
die Politik einzusteigen, wenn sie ihre eigenen Parteien gründet und
damit neue Werkzeuge schafft, die nicht länger den Ideologien des
vergangenen Jahrhunderts und seiner organisatorischen Strukturen
dienen, die vielmehr die Frauen und die Jugend nicht ausgrenzen,
sondern Gendergerechtigkeit und das Recht für die künftigen
Generationen auf umfassende Teilhabe ermöglichen – Wenn all das mitten
in einer überwältigenden Klimakrise geschieht und die jungen Menschen
beschließen, dass alle Bereiche des Lebens aus der Perspektive der
Rettung des Planeten betrachtet und behandelt werden müssen, dann
sehen wir uns einer neuen Sensibilität gegenüber, die Respekt und
Bewunderung verdient.
Ihre Überzeugungen basieren auf der umfassenden Respektierung der
Menschenrechte, der vom Staat garantierten sozialen Rechte, der
Umverteilung von Reichtum und dem Kampf gegen Korruption. Sie
erkennen, dass das neoliberale System in einer tiefen Krise steckt und
wollen ihm die Rolle, die es bisher auf dem Markt gespielt hat, nicht
länger überlassen. Sie lassen sich von Empathie und Mitgefühl leiten
und vermitteln Hoffnung selbst in den widrigsten Situationen.
Es erfordert großen Mut, um die Macht zu kämpfen – mitten in dieser
Krise der Zivilisation, die weltweit durch die Pandemie geprägt ist
und die sich, wie es UN-Generalsekretär Guterres treffend beschreibt,
wie eine Kaskade von Krisen über alle Bereiche des heutigen Lebens
ergießt.
Die Generation der Mitt-Dreißiger ist besser gewappnet als viele ihrer
Vorgänger. Und das nicht nur, weil sie sich gründlich mit den Themen
befasst hat, mit denen sie sich konfrontiert sieht, sondern vor allem,
weil sie weiß, was sie nicht will. Wie Ortega y Gasset sagen würde:
„ein Fehler ist eine Brücke zur Erkenntnis, die Chance zu verbessern,
was vorher falsch gelaufen ist. Es sind unsere Fehler, aus denen
Veränderungen und Wachstum entspringen. Fehler sind großartige
Lehrmeister. Sie zeigen uns, welchen Weg wir verlassen müssen oder
welche Strategie wir verbessern können.“ Das aktuelle System hat so
deutlich sein Versagen und seine Fehler offenbart, dass es keine
andere Option gibt als zu lernen und Änderungen vorzunehmen.
Die jungen Chilenen von heute lassen das Prinzip der
Selbstverbesserung wie noch nie zuvor erstrahlen, sie lieben ihre
Vorgänger umso mehr und sie bewundern deren besten Werke, in denen sie
sich dargestellt sehen.
Wie in H. van Dorens „Exhordium der jungen Macht“ zu lesen ist: „Der
alte Mann und das Kind sind marginalisiert im Kampf zwischen zwei
Generationen um die Kontrolle der Macht. Die Generation, die an der
Macht ist, hindert die Jungen daran, Zugang zu ihr zu erhalten. Doch
es ist unvermeidlich, dass sich die Jugend durchsetzt, die Alten
verdrängt und nun die Kontrolle übernimmt. Den so ihrer Ämter
Enthobenen bleibt nichts anderes übrig, als in den Herbst ihres Lebens
zu gehen. Hingegen sind jene, die sich in den Lehrjahren befanden,
herangewachsen und beginnen nun ihren Kampf mit den neuen Machthabern.
Alte Generationen verschwinden und neue Kinder drängen auf die Bühne
des Lebens. So ist der unaufhaltsame Lauf der Geschichte.“
Mit einer größeren Wahlbeteiligung als in der ersten Runde, in der nur
47,3% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, schlossen die
Wahllokale nun mit einer Bilanz von 8 Millionen WählerInnen. Eine für
Chile noch nie dagewesene Wahlbeteiligung.
Die ultrarechte Option, Vertretung des autoritären, elitären,
gewalttätigen, rücksichtslosen und sexistischen Denkens, erzielte
44,15% der Stimmen (zu einem Zeitpunkt, als 98,77% der Wahllokale
ausgezählt waren). Dahingegen ist es den jungen Menschen im ganzen
Land mit ihrer unglaublichen positiven Energie dieses Mal gelungen,
bedeutsame 55,85% der Stimmen zu erhalten. Sie streben nun danach, in
Solidarität und mit sozialer Gerechtigkeit die gewaltige Krise, in der
wir uns befinden, zu überwinden.
Dank dieses Ergebnisses wird Gabriel Boric, der in der südlichsten
Stadt der Welt geboren wurde und erst 35 Jahre alt ist, Anfang März
2022 die Präsidentschaft in Chile übernehmen.
Es ist ein politischer Sieg, der aber auch die Generationen betrifft.
Die Zukunft liegt in ihren Händen und sie haben den Mut, sie
voranzubringen.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom
ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.
https://www.pressenza.com/de/2021/12/die-ueberwindung-des-alten-durch-das-neue-zur-wahl-in-chile/
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, 4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief