[E-rundbrief] Info 1820 - Campact (D) - Endrunde der deutschen Kohlekommission
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Di Jan 29 21:40:48 CET 2019
E-Rundbrief Info 1820 - Campact (D): Bitter, mit ein bisschen Hoffnung
- Endrunde der deutschen Kohlekommission.
Bad Ischl, 29.1.2019
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Bitter, mit ein bisschen Hoffnung
Endrunde der deutschen Kohlekommission
Campact
28.1.2019
Verhandlungen bis tief in die Nacht. Gepoker. Am Ende gibt und gewinnt
jeder was. So kennt man Tarifverhandlungen. Und so lief es auch in der
Nacht auf Samstag bei der Endrunde der Kohlekommission.
Nur: Am Tisch fehlte jemand Entscheidendes – das Klima. Das verhandelt
nicht. Die Klimaphysik macht keine Kompromisse. Hätte unser Klima den
Beschluss bestimmt, gäbe es ein Ergebnis, das helfen würde, die
Erderhitzung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. Das ist die Schwelle, ab
der die Klimakrise unbeherrschbar wird.
Verhindern, dass die Welt über 1,5 Grad fiebert – wenn das die
Messlatte ist, dann hat die Kohlekommission unglaublich versagt:
Bis 2022 werden jetzt 7 Gigawatt an Kohlekraftwerken zusätzlich
abgeschaltet.[1] Das ist ein Anfang. Aber es reicht nicht, um endlich
das Klimaziel für 2020 zu erreichen – minus 40 Prozent CO2 im
Vergleich zu 1990. Dafür wäre mehr als das Doppelte, 16 Gigawatt,
nötig gewesen, wie wir es mit den Umweltverbänden gefordert hatten.[2]
Jetzt wird das Klimaziel erst 2025 erfüllt.[3] Wenn es gut läuft. Wie
dann das nächste Ziel – minus 55 Prozent bis 2030 – in nur fünf Jahren
erreicht werden soll? Das bleibt das Geheimnis der Kommission.
Wie schnell nach 2022 abgeschaltet werden soll, ist bis 2030 vage.
Diese wichtige Entscheidung hat die Kommission verschoben. Fest
vereinbart ist hingegen schon jetzt: Dass zwei Milliarden Euro pro
Jahr an Strukturhilfen in die Kohleregionen fließen [4] – egal, wie
schnell abgeschaltet wird.
Besonders bitter: Bis 2038 – also noch 19 Jahre – sollen
Kohlekraftwerke weiterlaufen. Dabei ist schon mit unserer Forderung,
bis 2030 aus der Kohle auszusteigen, das 1,5-Grad-Ziel nur gerade so
noch zu erreichen.[5]
Das sind die sehr dunklen Schattenseiten des Beschlusses. Aber es gibt
auch hoffnungsvolle Seiten. Zehn Jahre lang hat die Bundesregierung
den Klimaschutz verschleppt. Die CO2-Emissionen waren wie zementiert.
Die Kohlelobby hatte das Land fest im Griff. Ein Ausstieg? Politisch
undenkbar. Damit ist seit Samstag Schluss: Der Kohleausstieg hat
begonnen, so unzureichend er auch ist.
Und immerhin: Der Einstieg in den Ausstieg ist geschafft. Durch den
Beschluss werden 7 von 42 Gigawatt an Kraftwerken bis 2022
abgeschaltet.[1] Zudem geht das Steinkohlekraftwerk Datteln mit einem
Gigawatt nicht wie geplant ans Netz.[6] Zusammen ist das ein Fünftel
der Kraftwerkskapazitäten. Mit einer erfreulichen Folge: Der Hambacher
Wald, Symbol des Widerstands gegen die Kohle, soll stehen bleiben.[6]
Auch international ist das Signal sehr wichtig: Deutschland beginnt
endlich den Ausstieg. Denn die schöne Story von der großen
Wirtschaftsnation, die komplett auf Erneuerbare Energien umsteigen
will, hatte in den letzten Jahren gelitten. Soviel Sonnen- und
Windenergie auch zugebaut wurde – die CO2-Emissionen blieben konstant.
Stattdessen exportieren wir dreckigen Kohlestrom in unsere
Nachbarländer.[7] Das wird jetzt weniger, die CO2-Emissionen werden
sinken. Die Geschichte der Energiewende kann international wieder
Strahlkraft entwickeln und Nachahmer inspirieren.
Zu verdanken ist das – uns allen! Den 50.000 Menschen, die im Oktober
am Hambacher Wald demonstrierten. Den Baumhausbewohner/innen, die sich
wochenlang der Räumung durch die Polizei widersetzten. Den Tausenden
Aktivist/innen von Ende Gelände, die die Kohlebahnen von Hambach
gewaltfrei besetzten. Und den Zehntausenden Schüler/innen, die in
den vergangenen Wochen für konsequenten Klimaschutz die Schule
bestreikten. Es ist „ein Sieg der Demonstranten“, wie die ZEIT
schreibt.[8]
Doch dieser Sieg kann schnell zur Niederlage werden. Wenn der
Kommissionsvorsitzende Roland Pofalla (CDU) Recht behält und das
Ergebnis „zu einer Befriedung des gesellschaftlichen Konflikts um die
Kohleverstromung beiträgt“.[9] Wenn das Ergebnis unsere Bewegung
einschläfert, uns wieder auf die bequeme Couch zurückbringt, dann hat
das Klima wirklich verloren. Und die Kohlelobby macht fein Kasse.
Der Beschluss vom Samstag schreit danach, dass wir weiterkämpfen. Und
dafür sorgen, dass an den vielen vagen und uneindeutigen Stellen des
Beschlusses die Weichen Richtung Klimaschutz gestellt werden. Wo
genau? Hier:
In den nächsten Monaten müssen wir den Einstieg in den Ausstieg
sichern. Dafür, dass wirklich 7 Gigawatt vom Netz gehen, muss der
Abschlussbericht der Kommission in ein Gesetz überführt werden. Der
Kohlekonzern RWE hat den Bericht bereits kritisiert und glaubt nicht,
dass der Hambacher Wald erhalten bleiben könne.[10] Wir müssen
verhindern, dass die Kohlelobby hier noch reingrätscht – und den
Beschluss verwässert.
Dann geht es ums Klimaschutzgesetz, das die Große Koalition noch in
diesem Jahr beschließt, und mit dem sie das Klimaziel 2030 erreichen
will. Wenn schon die Kohle so wenig CO2-Einsparung liefert, müssen
andere Bereiche endlich auch was fürs Klima tun: Mobilität,
Wärmeerzeugung, Landwirtschaft. Besonders beim Verkehr müssen wir ran
– da steigen die CO2-Emissionen sogar. Unser erster Fokus: Die dicken
Spritschleudern, die übergroßen SUV-Geländewagen müssen runter von den
Straßen.
Dann geht es in zwei Jahren bei der Kohle wieder zur Sache: Eine neue
Bundesregierung muss entscheiden, wie viele Kraftwerke in der Zeit
zwischen 2023 und 2025 vom Netz gehen. Das, worauf die Kohlekommission
sich nicht einigen konnte. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die
Grünen an dieser Regierung beteiligt sind. Sie müssen zur
Koalitionsbedingung machen, dass Meiler für Meiler abgeschaltet und
der Ausstieg massiv beschleunigt wird.
„Ich will, dass ihr in Panik geratet“, denn „unser Haus brennt“. „Die
Lösung ist so einfach, dass ein kleines Kind sie verstehen kann: Wir
müssen den Ausstoß von CO2 stoppen.“[11] So klar und eindringlich
formuliert die 16-jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg die
Dramatik der Klimakrise – und motiviert damit Zehntausende
Schüler/innen, mit einem Klimastreik für ihre Zukunft einzutreten.[12]
Diese Klarheit und dieser Mut zu auch unbequemen Aktionen muss uns
Vorbild sein, wenn wir die nächsten Auseinandersetzungen um den
Klimaschutz gewinnen wollen. Wir haben gesehen: Selbst große und
eindrucksvolle Proteste wie im letzten Herbst bringen nur langsamen
Fortschritt. Aber ohne uns passiert gar nichts. Deswegen dürfen wir
jetzt nicht nachlassen. Wir setzen auf Sie, dass Sie weiter mit uns
für ernsthaften Klimaschutz kämpfen, der der Klimakrise endlich
gerecht wird.
Und wir haben noch eine Bitte an Sie: Viele Menschen fragen sich, was
der Beschluss der Kohlekommission jetzt für die Klimabewegung
bedeutet. Wir haben daher unsere Analyse in unseren Campact-Blog
gestellt. Weisen Sie doch bitte Freund/innen und Bekannte per Mail,
Facebook oder Twitter darauf hin.
Mit trotz allem weiter hoffnungsvollen Grüßen
Ihr Christoph Bautz, Campact-Vorstand
[1] "Deutschland soll bis spätestens 2038 aus der Kohle aussteigen",
Spiegel Online, 26. Januar 2019
[2] "Erste Kraftwerke sollen bis 2022 vom Netz", Tagesspiegel, 16.
November 2018
[3] "Kohlekonsens zeigt, wie sich Großkonflikte gesellschaftlich lösen
lassen", Dr. Patrick Graichen, Agora Energiewende, 26. Januar 2019
[4] "Kommission schlägt Kohleausstieg bis 2038 vor", rbb, 26. Januar 2019
[5] "Science based coal phase-out pathway for Germany in line with the
Paris Agreement 1.5°C warming limit", Climate Analytics, Oktober 2018
[6] "Was die Einigung der Kohlekommission bedeutet", Tagesspiegel, 26.
Januar 2019
[7] "Stromerzeugung erneuerbar und konventionell", Umweltbundesamt,
18. Dezember 2018
[8] "Der Einstieg in den Ausstieg beginnt", Zeit Online, 26. Januar 2019
[9] "Eine Sternstunde für unser politisches System", rbb, 26. Januar 2019
[10] "Kommissionsvorschläge würden gravierende Folgen für das
Braunkohlegeschäft von RWE haben", Presseinformation der RWE AG, 26.
Januar 2019
[11] "Alle sollen die Angst spüren, die ich selbst jeden Tag spüre",
Spiegel Online, 25. Januar 2019
[12] "Irgendwer muss es ja tun", taz, 23. Januar 2019
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