[E-rundbrief] Info 1407 - Erinnerungen an Gottfried Hochstetter (Bad Aussee)

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Feb 10 15:43:55 CET 2015


E-Rundbrief - Info 1407 - Maria Reichl, Matthias Reichl, Wolf Ohl: 
Erinnerungen an Gottfried Hochstetter aus Bad Aussee/ Steiermark 
(30.5.1935 - 20.12.2014). Herausgefordert durch Welt- und 
Lokalpolitik, Ergänzung zum Engagement - Aktuell zu Stuttgart 21.

Bad Ischl, 10.2.2015

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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„Nichts auf der Welt ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen 
ist“ von Viktor Hugo
(1802 - 1885)

„Alle die einmal aufgestanden sind sollen sich widersetzen!“

„Es spricht sich schon herum (Seveso, Bhopal, Tschernobyl, 
Wackersdorf) Hainburg ist überall! Bitte weitersagen“ (Text zur 
Österreichkarte - in Planquadraten eingeteilt)

Sprüche gedruckt von Gottfried Hochstetter auf Tüchern

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Erinnerungen an Gottfried Hochstetter

30.5.1935 - 20.12.2014

Maria Reichl

In unserer Einleitung schrieben wir schon dass unser Freund, 
langjährige Mitstreiter und Rechnungsprüfer Gottfried Hochstetter 
plötzlich am 20. Dezember 2014 verstarb.

Als erstes haben wir einen kleinen Nachruf in unserer Radiosendung 
Begegnungswege am 1. Januar 2015 gebracht. Nachzuhören bei 
http://cba.fro.at/276889

Anschließend bringe ich noch einige Erinnerungen nicht nur von mir und 
Matthias sondern auch von Wolf Ohl. In unserem letzten telefonischen 
Gespräch mit Gottfried, sprachen wir darüber dass er dieses Mal noch 
die Jahresabrechnung prüfen möchte. Aber angesichts seiner 
angeschlagenen Gesundheit und seinem hohen Alter - er wäre am 30. Mai 
2015 80 Jahre geworden - bat er um Verständnis, dass er sein Amt 
zurücklegen möchte. Leider kam sein Tod dazwischen und so können wir 
ihm nicht mehr persönlich für seine langjährige Arbeit danken. Am 
31.1.2014 um 13h wird seine Urne am Bad Ausseer Friedhof beigesetzt. 
Wir hoffen, einige von unseren Mitstreitern dort zu treffen.

Eigentlich wollten wir gleich einen E-Rundbrief mit einem passenden 
Nachruf aussenden. Leider waren wir dazu nicht im Stande. Sein Tod 
ging uns sehr nahe. Gottfried begleitete uns so viele Jahre und wir 
haben soviele gemeinsame Aktionen gemacht dass es unmöglich ist alles 
aufzuzählen. So bringe ich hier nur einige ungeordnete Erinnerungen.

Gottfried war sehr engagiert und setzte sich vorallem auch in seiner 
Gemeinde Bad Aussee ein für die Erhaltung von schützenswerten 
Naturjuwelen und alter Gebäude und kämpfte gegen deren Zerstörung.

Wir druckten, manchmal nachts, noch gemeinsam Flugblätter die er dann 
am nächsten Morgen zur Post brachte. Damit hat er in Bad Aussee vieles 
bewirkt. Mit der "Initiative mit Herz und Hirn für ein lebens- und 
liebenswertes Aussee" verhinderte er einen Tunnel welcher den Ort 
zerteilt hätte.

Bei der Suche nach einem Namen seiner öfters erscheinenden Zeitung 
kamen wir gemeinsam auf den Namen „Brennessel“. Diese Pflanze - auch 
wenn sie sehr reizt - ist eine wertvolle Heilpflanze, wird aber von 
vielen nur als lästiges Unkraut bekämpft.

Gottfried setzte sich sehr ein für den Öffentlichen Verkehr und tat 
alles um den Autoverkehr zu reduzieren und den Bau unnötiger 
Parkplätze zu verhindern. Aus eigener Tasche finanzierte und 
organisierte er Busse zum Grundlsee und Altaussee um den Autoverkehr 
zu reduzieren. Er kaufte sich eine Polizisten-Attrappe Vinzenz. Diesen 
stellte er oft an neuralgischen Stellen auf um die Autofahrer 
einzubremsen.

Einmal bei einen Aktionstag standen wir gemeinsam mit ihm am Rande von 
Bad Ischl an der Salzburger Straße auf der Höhe der Schrattvilla. Zu 
der Zeit war da noch das Geschäft Hofer und es war für Fussgänger sehr 
gefährlich dort über die Straße zu kommen. Wir konnten mit eigenen 
Augen beobachten wie die Autofahrer ihre Geschwindigkeit drosselten 
sobald sie den Vinzenz sahen. Der sah so echt aus dass selbst unsere 
lokalen Gendamerie-Beamten anhielten und sagen wollten, dass Vinzenz 
im falschen Dienstgebiet stand. Wir hatten dabei sehr viel Spass.

Gottfried hatte öfters humorvolle Einfälle und es war stets eine 
Bereicherung mit ihm Aktionen zu planen. Seine Ideen sprudelten 
manchmal nur so aus ihm heraus. Beim gemeinsamen 
Rundbrief-zusammenlegen kamen oft neue Ideen. Einmal sah er zufällig 
beim Ischler Friedhof ein Plakat hängen von einer 
Bundesheer-Angelobung mit Waffenschau in Bad Ischl und gleich daneben 
war eine Anzeige "Sargträger gesucht". Dies veranlasste uns wieder 
einen Leserbrief für die lokale Zeitung zu schreiben. Das verursachte 
einen Wirbel, dazu machten wir dann eine unserer best gelungenen 
Aktionen. Wir verteilten während der Angelobung der Soldaten als 
Zwergerl verkleidet selbstgedruckte Flugblätter, da wir nicht wollten, 
dass Kinder auf Panzer herumkletterten, organisierten wir mit Freunden 
einige Zeit später ein Spielfest "Spiel Frieden nicht Krieg".

Gottfried half uns auch immer meine Einleitung zum Rundbrief 
durchzuschauen und meine Tipp- und Sprachfehler - die sich bei mir 
immer wieder einschleichen, da meine Muttersprache Niederländisch ist 
- zu korrigieren.

Gottfried fotografierte sehr gerne und viel und jahrelang machte er 
immer am Ende des Jahres ein "Ausseer Tagebuch" in welchem er viele - 
meistens Verkehrs- und Bausünden -  aber auch kuriose Plakate oder 
Tafeln in einer sehr interessanten Diaschau präsentierte.

Gottfried war auch handwerklich sehr geschickt und er half auch in 
unserem Begegnungszentrum einiges zu reparieren. Z.B. verlegte er 
einen neuen Holzboden in unserem Versammlungsraum nachdem einige 
Bretter schon durchgebrochen waren.

Er schenkte uns auch eine große Holz- und Postkiste die wir noch 
täglich verwenden.

Als Handdrucker von Trachtenstoffen entdeckt er im Gespräch mit uns, 
dass er mit Siebdruck schnell, kreativ und kostengünstig Plakate 
herstellen kann. Dazu kamen noch „Stoffposters“. Ab 1978 druckte er 
Taschen aus weißem Baumwollstoff mit Aufdruck „Atomkraft nein danke!“ 
mit Sonne (parallel zur Kampagne „Jute statt Plastik“) so konnte man 
permanent gegen Atomkraftwerke demonstrieren, auch beim Einkaufen. 
Auch die anderen bedruckten Tücher eigneten sich gut für 
Demonstrationen. Für eine Fahrraddemo mit Roland Girtler gab's 
Dreieckstücher mit „Lieber Schweiß als Smog“. „Umwelt schützen Fahrrad 
nützen“.

Matthias hat 1983 beim Evangelischen Kirchentag in Dresden (DDR) eines 
dieser Tücher einfach auf seinen Kopf gebunden. Darauf stand „Nichts 
ist schwerer, nichts erfordert mehr Charakter als sich im offenen 
Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen NEIN! (Kurt 
Tucholsky).

Ich lege immer bei der Fronleichnammsprozession das schöne 
Trachtentuch unter die Maria-Ikone auf welchem der Spruch steht. "Erst 
wenn der letzte Baum gerodet der letzte Fluß vergiftet, der letzte 
Fisch gefangen, werdet ihr merken dass man Geld nicht essen kann."

Auf der Brennholzkiste liegt der Spruch von Berthold Brecht welchen 
Gottfried gedruckt hat: „Sie sägten die Äste ab, auf denen sie sassen 
und schrien sich zu ihre Erfahrungen wie man schneller sägen konnte 
und fuhren mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen schüttelten 
die Köpfe beim Sägen und sägten weiter“ Bertolt Brecht (1935)

.Überall gibt es noch Spuren von Gottfried. Gottfried wir können dich 
nicht vergessen und wir danken für alles was du für uns getan hast.

Maria Reichl

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Herausgefordert durch Welt- und Lokalpolitik

Zur Erinnerung an meinen Freund Gottfried Hochstetter

Matthias Reichl

Wochenlang habe ich hin-und-her-überlegt, wie ich die Gemeinsamkeiten 
- aber auch Unterschiede - im politischen Engagement schildern kann, 
die mich mit Gottfried Hochstetter seit dem Ende der 70er Jahre bis zu 
seinem Tod eng verbunden haben. Je mehr wir uns mit weltweiten 
Bereichen wie Umwelt, Antiatom, Friede, Entwicklung, Kultur, aber auch 
mit der lokal-regionalen Lebenswelt - v.a. der (öffentliche und 
Rad-)Verkehr beschäftigten, umso komplexer und fordernder wurde unser 
Engagement. Von unserer Überzeugung her, fanden wir in 
Basisinitiativen und -bewegungen die nötigen Informationen und 
Unterstützungen, aber auch die humorvolle Lust am heranwachsenden 
„Neuen“ mitzuwirken.

War und ist es notwendig, dass wir auch in (partei)politischen 
Institutionen mitarbeiten, mit all seinen kräfte- und 
illusionen-raubenden Folgen? Diese Frage stellte sich uns 1982 als 
Gründungsmitglieder der Alternativen Liste Österreich (ALÖ). Für mich 
- als Parteifreier - kam nach wenigen Jahren nur eine themenbezogene 
Zusammenarbeit und Unterstützung in Frage.

Der Gottfried wagte es dagegen, mit einigen Mitstreitern als ALIBADA 
(später dann als GRÜNE) im Gemeinderat in Bad Aussee das verknöcherte 
System von innen heraus zu verändern, es mit kreativen, humorvollen 
Aktionen zu provozieren. (Manche Veränderungsprozesse musste er sogar 
vor Gericht durch kämpfen.). Zwischenzeitlich nahm er sich mit der 
überparteilichen Liste „NARRN“ auch die Narrenfreiheit heraus und 
„regierte“ 28 Monate lang als Vizebürgermeister. Im
Februar 2015 wollte Gottfried sich von der Last seines grünen Mandates 
endlich befreien. Knapp davor, am 20. Dezember 2014 war jedoch seine 
Tatkraft zu Ende.

Ein Mann mit Gewissen und Wissen - konfrontiert mit so manchen Männern 
und Frauen, die zwar nicht gewissenlos sind, aber vorrangig von 
gewissen Interessen, Verpflichtungen, Freundschaftsdiensten und 
ähnlichen Zwängen gesteuert und getrieben sind. Er kämpfte gut dreißig 
Jahre lang - nicht nur lokal - gegen diese triebhafte Umtriebigkeit 
an. Die vorgibt „nachhaltig in die Zukunft“ zu investieren und dabei 
unsere Lebensgrundlagen aus Vergangenheit und Gegenwart zerstört.

Die Kraft trotz diesen gemeinsamen bitteren Erfahrungen weiter aktiv 
zu sein schöpften Gottfried und ich aus Begegnungen mit wegweisenden 
Menschen - unter den vielen waren Leopold Kohr und Robert Jungk sowie 
Arno Gruen mit seinen Büchern (zuletzt erschienen: „Wider den 
Gehorsam“). Aber auch bei Demonstrationen, im Zeltlager bei der 
Besetzung der Hainburger Au (1994) und bei unzähligen Begegnungen mit 
ähnlich Engagierten. Er wird - nicht nur mir - als Ermutiger fehlen.

Nachbemerkung:

Eine weitere Sorge verbindet mich mit dem Gottfried - was zu tun mit 
der wertvollen Bibliothek? Als er sein Werkstattgebäude räumen musste 
gab er schweren Herzens den Großteil der Bücher weiter. Hoffentlich 
landeten sie in den Händen interessierter Menschen. Ähnlich wird es 
auch mir mit unseren weit über zwanzigtausend Büchern ergehen. Die 
Schätze lagern zurzeit in unserem Haus und in einem Nebengebäude und 
werden praktisch von potentiell Interessierten nicht genützt.  Ein 
typisches provinzielles Schicksal - im Digitalzeitalter!


Matthias Reichl 29.1./ 7.2.2015

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Erinnerungen an Gottfried ...

Wolf Ohl hat den Nachruf über Gottfried in unserer Radiosendung gehört 
und schrieb u.a.:

... Ich danke Ihnen für diesen Nachruf auf Gottfried Hochstetter. Er 
hat in mir viele Erinnerungen geweckt und er hat mir wieder gezeigt, 
welch besonderer und engagierter Mensch er war. ...

Ich bin Cousin von Gottfrieds leider allzu früh verstorbener Frau; ich 
wohne in der Nähe von Stuttgart in Deutschland und engagiere mich in 
vielen Umweltthemen. Insbesondere seit er alleine lebte, haben wir 
immer wieder unsere Erfahrungen ausgetauscht. Ich habe seine Energie, 
seine Standhaftigkeit und auch seinen Humor bewundert, wie er diese 
Themen angegangen ist. Sein Umfeld hat es ihm wahrlich nicht einfach 
gemacht. Bei seinem letzten Besuch in Stuttgart, das war vor gut drei 
Jahren, reihte er sich bei uns in die 30 km lange Menschenkette ein, 
um mit uns gegen die Atomkraft zu demonstrieren - das war kurz nach 
der Katastrophe von Fukushima.

Der Motivation, warum Gottfried sich so engagierte, geht vielleicht 
aus folgendem Satz hervor, den er mir Mitte 2013 schrieb: "Ich 
versuche wo es geht, einen Begriff zu propagieren, der vor ca. 12 
Jahren in Deutschland erfunden wurde (kann im Internet nachgeschlagen 
werden). Er sagt viel mehr aus als 'nachhaltig' oder 'zukunftsfähig' 
und geht ein bissl unter die Haut. Er lautet ENKELTAUGLICH." .

Ich konnte und kann diesem Begriff nur zustimmen; er ist auch für mein 
Engagement die Motivation.

Ich empfinde den Tod von Gottfried als großen Verlust; und möchte 
allen, die ähnlich fühlen, mein Beileid aussprechen.

Wolf Ohl, 3.1.2015

Ergänzung zum Engagement

Aktuell zu Stuttgart 21

Gewaltfreier Widerstand gegen den Neubau des Stuttgarter 
Hauptbahnhofes und die Zerstörung eines Parks.

Ich bin bzgl Umweltschutz hauptsächlich in meiner Gemeinde tätig (bin 
Gemeinderat und Vorsitzender des Umweltverbandes BUND). Aber bei 
Stuttgart 21 machen wir auch immer weiter, weil das Projekt reiner 
Irrsinn ist und irgendwann zu Fall kommt.

Beigefügt zwei Fotos von unserer 254. Montagsdemo; das machen wir 
bereits seit 5 Jahren - aber die Presse berichtet kaum darüber. Wir 
sind uns sicher, zumindest in absehbarer Zeit wird da kein Zug fahren, 
und wenn irgendwann, dann mit sehr eingeschränkter Kapazität. Politik 
und Lobbys machen es möglich in einer nach außen so ideal 
erscheinenden Demokratie. Es geht um viiiiel Geld. Dazu macht die 
Justiz munter mit und schüchtert mit krassen Urteilen unsere Aktiven ein.

Unter "Bei Abriss Aufstand" können Sie im Internet einiges nachlesen: 
http://www.bei-abriss-aufstand.de

Wolf Ohl, 16.1.2015

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Im E-Rundbrief Info 1408 könnt ihr Gottfried Hochstetters Lebenslauf 
und die Ansprache der evangelischen Pfarrerin Waltraud Mitteregger am 
31.1.2015 auf dem Friedhof von Bad Aussee lesen.

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Salzkammergut,
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