[E-rundbrief] Info 1260 - Alternativer Nobelpreis 2013 Denis Mukwege (DR Kongo)

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Sa Sep 28 15:07:58 CEST 2013


E-Rundbrief - Info 1260 - Right Livelihood Foundation (S): 
"Alternativer Nobelpreis" 2013, Dr. Denis Mukwege (Demokratische 
Republik Kongo).

Bad Ischl, 27.9.2013

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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"Alternativer Nobelpreis" 2013

DENIS MUKWEGE (Demokratische Republik Kongo)

„... für seine langjährige Arbeit, Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt 
überlebt haben, zu heilen, und für seinen Mut, die Ursachen und 
Verantwortlichen zu benennen.“

Dr. Denis Mukwege arbeitet als Gynäkologe in der vom Krieg 
erschütterten Region Kivu in der Demokratischen Republik Kongo (DR 
Kongo). Als leitender Chirurg des Panzi Krankenhauses haben er und 
seine Kollegen etwa 40.000 Vergewaltigungsopfer betreut und dabei 
große Expertise bei der Behandlung schwerwiegender gynäkologischer 
Verletzungen entwickelt. Trotz eines Mordversuchs und zahlreicher 
Drohungen äußert sich Denis Mukwege unermüdlich in der Öffentlichkeit, 
um Bewusstsein für die Realität des kongolesischen Krieges und seine 
schweren, andauernden Folgen für Mädchen und Frauen zu wecken.

Ausbildung

Denis Mukwege wurde am 1. März 1955 in der heutigen Demokratischen 
Republik Kongo geboren. Er studierte Medizin in Burundi und begann 
seine Tätigkeit am Christlichen Krankenhaus von Lemera in der Provinz 
Süd-Kivu in der östlichen DR Kongo. Tief schockiert von den 
Geburtsproblemen kongolesischer Frauen entschied er sich, 
Geburtshelfer und Gynäkologe zu werden. Nach dem Abschluss seiner 
Studien in Frankreich kehrte er im Jahr 1989 nach Süd-Kivu zurück.

Das Panzi Krankenhaus

1996 wurde das Krankenhaus von Lemera im Bürgerkrieg komplett 
zerstört. Mit der Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen 
gründete Dr. Mukwege daraufhin das Panzi Krankenhaus im Panzi-Viertel 
von Bukavu und wurde dort Direktor und leitender Chirurg. Heute hat 
das Krankenhaus vier Abteilungen: Geburtshilfe und Gynäkologie, 
Pädiatrie, Chirurgie und Innere Medizin. Das Panzi Krankenhaus dient 
als Universitätskrankenhaus für die Université Evangelique d’Afrique, 
die ihren Betrieb 2011 in der Nähe aufgenommen hat.

Das Panzi Krankenhaus ist besonders für seine gynäkologischen 
Leistungen bekannt, wie zum Beispiel Fistelbehandlungen. In 
Zusammenarbeit unter anderem mit dem Fistel-Hospital in Addis Abeba 
(gegründet von Catherine Hamlin, Right Livelihood Award 2009) und der 
Harvard Medical School bildet Mukwege seine Mitarbeiter darin aus, 
diese Komplikationen zu behandeln.

Seit 1999 sah Dr. Mukwege ein neues Ausmaß an extrem grausamer, 
sexualisierter Gewalt in der östlichen DR Kongo. Seither kamen und 
kommen zu ihm Patientinnen, deren Vagina und Rektum durch Messer oder 
andere Objekte zerstört worden sind. In dieser Zeit haben Dr. Mukwege 
und sein Team im Panzi Krankenhaus ca. 40.000 Opfer sexualisierter 
Gewalt behandelt. Dr. Mukwege selbst trifft 20 Patientinnen pro Tag, 
von denen 7 bis 10 an gesundheitlichen Folgen und Verletzungen durch 
sexualisierte Gewalt leiden. Im Vergleich zu den anderen Beschwerden, 
die im Krankenhaus behandelt werden, stellen diese Fälle die größten
psychologischen und chirurgischen Herausforderungen dar. Nach Aussagen 
von Dr. Mukwege kommt es vor, dass Frauen, die er bereits erfolgreich 
behandelt hat, abermals vergewaltigt werden und wieder in seine Klinik 
kommen, ohne dass der Chirurg die Möglichkeit hat, ihre
reproduktiven Organe nochmals wiederherzustellen.

Dr. Mukwege sagt hierzu: „Diejenigen, die diese Verbrechen begehen, 
zerstören das Leben an seinem Ursprung. Die Frauen können keine Kinder 
mehr bekommen. Oftmals werden sie mit AIDS infiziert und verbreiten 
die Krankheit danach. Ihre Ehemänner werden gedemütigt. So
zerstören die Verbrecher das gesamte soziale Gefüge, die Gemeinschaft 
und die zukünftigen Generationen ihrer Feinde, ohne die Frau selbst 
dabei zu töten. Hier wird eine Grenze überschritten, die ein absolutes 
Tabu sein sollte. Aber da jene Körperteile normalerweise nicht 
sichtbar sind, ist diese Art der Verstümmelung nicht so augenfällig 
wie andere.“

Ein großes Problem besteht darin, dass solche Täter in der DR Kongo 
oft straffrei ausgehen, selbst wenn sie identifiziert werden können.

Im Jahr 2013 hat das Panzi Krankenhaus 398 Angestellte und ein 
Jahresbudget von 3.2 Millionen USD. Das Krankenhaus hat 450 Betten, 
von denen 250 für Opfer sexualisierter Gewalt reserviert sind. 
Patientinnen, die sich die Behandlung nicht leisten können, werden 
umsonst behandelt.

Reintegration und Unterstützung

Über die medizinische Unterstützung hinaus versucht Panzi seinen 
Patientinnen psychologische Hilfe, juristische Beratung und eine 
Zukunftsperspektive für diejenigen zu bieten, die nicht in ihr
früheres Leben zurückkehren können. Ein Teil dieser Arbeit ist das 
Mutter-Kind-Zentrum DORCAS in Bukavu für Frauen, die aus dem 
Krankenhaus entlassen wurden und denen nun beigebracht wird, mit Hilfe 
von mikrofinanzieller Unterstützung ein neues Leben zu beginnen.

Darüber hinaus hat Dr. Mukwege die Panzi Stiftung gegründet. Sie hat 
zwei Vollzeitangestellte, die vom Panzi Krankenhaus aus arbeiten, zwei 
Anwälte und acht freiwillige Anwälte. Für Opfer sexualisierter Gewalt 
bietet die Stiftung Unterstützung und Rechtsberatung zu einer Reihe 
von juristischen Themen (Erbschaft, Familienrecht, Scheidung, 
Adoption) sowie psychologische Betreuung, Kurse in Frauenrechten und 
Familienführung, Arbeit gegen Frühverheiratung, Gesundheitsworkshops 
und Ausbildung von Dorfvorstehern.

Mukweges Appell an die internationale Gemeinschaft

Da er sieht, dass sein medizinisches Wirken zwar die Opfer behandeln 
aber nicht den Ausbruch neuer Gewalt verhindern kann, hat Dr. Mukwege 
die Welt bereist und zahllose Interviews gegeben mit dem Ziel, die 
internationale Gemeinschaft über die Schrecken des Krieges in der
östlichen DR Kongo zu informieren.

Er sagt: „In Wahrheit geht es in diesem Konflikt nicht um ethnische 
Probleme, sondern es ist eine territoriale Auseinandersetzung um 
Bodenschätze. Die Region Kivu ist reich an Coltan, das man für 
Mobiltelefone und Laptops braucht. Ohne den politischen Willen wird 
sich die Situation niemals ändern. Diese zugrunde liegenden Probleme 
können nicht durch meine Arbeit gelöst werden.“

Nach den Aussagen von Dr. Mukwege braucht die DR Kongo eine 
professionelle, vorwiegend weibliche Polizeitruppe sowie eine Armee, 
die die eigene Bevölkerung schützt und in der diejenigen, die das Land 
zerstörten, keinen Platz haben. Solange dies nicht erreicht ist, 
fürchtet Mukwege, dass ein Abzug der internationalen Friedenstruppe 
das Land ins Chaos führen würde. Er fordert außerdem ein 
internationales Straftribunal für die DR Kongo, ähnlich den Tribunalen
für Sierra Leone oder das ehemalige Jugoslawien.

In einer Rede vor der UN am 25. September 2012 forderte Mukwege, dass 
die UN „die Rebellengruppen, die für diese Akte (sexualisierter 
Gewalt) verantwortlich sind, einstimmig verdammt“, und dass die UN „in 
Bezug auf Mitgliedsstaaten, die diese barbarischen Akte aus der
Nähe oder von Ferne unterstützen, konkret handeln“ müsse. Er sagte: 
„Wir brauchen nicht noch mehr Beweise, wir brauchen dringend Taten, um 
diejenigen festzunehmen, die für die Verbrechen gegen die 
Menschlichkeit verantwortlich sind. Sie müssen zur Rechenschaft 
gezogen werden. Gerechtigkeit ist nicht verhandelbar.“

Mordanschlag und gegenwärtige Situation

Einen Monat nach Dr. Mukweges Rede vor den Vereinten Nationen 
versteckten sich während seiner Abwesenheit fünf bewaffnete, zivil 
gekleidete Männer in seinem Haus in Bukavu. Als er im Auto nach Hause 
kam, griffen sie ihn an. Doch einer seiner Mitarbeiter, Joseph 
Bizimana, lenkte die Mörder ab und wurde von ihnen getötet. Damit 
rettete er Mukweges Leben. Die lokalen Behörden behaupteten zwar, die 
Mörder gefunden zu haben, aber es fand keine Gerichtsverhandlung 
statt, und keiner der Zeugen wurde zur Aussage aufgerufen. Mukwege
entschied sich daher, mit seiner Frau und zwei Töchtern nach Europa zu 
fliehen.

Während seiner Abwesenheit protestierten örtliche Frauengruppen gegen 
diesen Anschlag bei den Behörden, fingen an, Geld für ein 
Rückflugticket für Mukwege zu sammeln, und versprachen ihm, für seine 
Sicherheit zu sorgen, indem sie ihn in Gruppen von jeweils 20 Frauen
rund um die Uhr bewachen würden. Tief bewegt von diesem Mut und dieser 
Unterstützung kehrte Mukwege im Januar 2013 nach Bukavu zurück. Auf 
der Fahrt vom Flughafen zum Krankenhaus wurde er von einer jubelnden 
Menschenmenge empfangen. Zur Zeit lebt und arbeitet er Tag und Nacht 
im Panzi Krankenhaus und wird ständig von zwei Leibwächtern begleitet.

Im Mai 2013 berichtete das Panzi Krankenhaus, dass jetzt sogar schon 
kleine Kinder zu Opfern sexualisierter Gewalt werden. Als neue kleine 
Mädchen, nicht älter als fünf Jahre, in Süd-Kivu auf brutale Weise 
vergewaltigt wurden, verstarben zwei von ihnen an ihren Verletzungen, 
während die übrigen mit schwerwiegenden Symptomen im Panzi Krankenhaus 
behandelt wurden.

Auszeichnungen

Unter den vielen Preisen, die Dr. Mukwege verliehen wurden, sind der 
UN Human Rights Prize (2008), der Olof Palme Preis (2009) und der King 
Baudouin International Development Prize (2011). Im Jahr 2009 wählte 
ihn die nigerianische Zeitung Daily Trust zum „Afrikaner des
Jahres“. 2013 wurde im der Human Rights First Award verliehen.

Zitat von Dr. Denis Mukwege:

„Wo sind die Männer in dieser Frage? Wir können dieses Problem nicht 
lösen, solange Männer nicht dagegen aufstehen. Sie müssen sich dem 
entgegen stellen und jenen Männern, die vergewaltigen, sagen: Wir 
akzeptieren das nicht. Wenn man nicht vergewaltigt aber zu 
Vergewaltigungen schweigt, bedeutet das, dass man sie akzeptiert.“

Übersetzung: Markus Wülfing

Kontaktinformationen für das Panzi Krankenhaus:
www.panzihospital.org

Weitere Infos:
Videos: http://www.rightlivelihood.org/mukwege_videos.html
Interviews: http://www.rightlivelihood.org/mukwege_interview.html
Artikel, Bücher:
http://www.rightlivelihood.org/mukwege_publications.html

http://www.rightlivelihood.org/mukwege.html

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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Center for Encounter and active Non-Violence
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