[E-rundbrief] Info 1247 - Felicia Langer: Hebron als ein Beispiel
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mo Aug 12 12:37:34 CEST 2013
E-Rundbrief - Info 1247 - Felicia Langer (D): Hebron als ein Beispiel.
Bad Ischl, 12.8.2013
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Hebron als ein Beispiel.
Gedanken von Felicia Langer.
In Hebron, der zweitgrößten palästinensischen Stadt im Westjordanland,
habe ich Anfang 1968 meine juristische Tätigkeit für die Palästinenser
begonnen. Das erste Gefängnis, das ich in den besetzten Gebieten
besucht habe, war in Hebron. Die Stadt ist ein Symbol der kolonialen
israelischen Besatzung geblieben.
Als ich zum ersten Mal in das Gefängnis von Hebron kam, bemerkte ich
auf dem großen Hof eine Frau mit einem kleinen Kind und einige
Yeshiva-Studenten (der religiösen Hochschule). Neben ihnen lag
diverser Hausrat. Auf meine Frage, was sie dort machten, antwortete
mir einer der Soldaten: „Das sind die Siedler von Hebron. Das sind
die, die nicht arbeiten, aber garantiert viel Geld kriegen.“
Das war meine erste Begegnung mit den Angehörigen der neuen Siedlung
in der „Stadt der Väter“. Danach sah ich sie öfter im dortigen
Militärgericht versammelt, wo sie die Verhandlungen verfolgten. Sie
verhehlten ihre Freude nicht, wenn einer der „Eingeborenen“ bestraft
wurde, deren Gefängniszellen nur wenige Schritte von den Räumen
entfernt lagen, in denen sie untergebracht waren.
Ich beobachtete dort einmal eine Szene, die sich in mein Gedächtnis
einbrannte: Im Gefängnishof standen lange Tische, beladen mit
Delikatessen, um die herum sich die Siedler niederließen. Ich bahnte
mir einen Weg durch die fröhlichen Reihen und ein Gefängniswärter
erklärte mir, dass sie eine Hochzeit feierten und da seien sie eben
glücklich. Die Stimmen der Feiernden drangen durch die Gitterstäbe.
Ich konnte mich nur wundern, wie sie hier fröhlich sein konnten,
zwischen den Gefängnismauern, und was die Einwohner von Hebron,
eingezwängt in ihren finsteren Zellen, beim Klang der heiteren Lieder
wohl fühlen mochten. Ich fragte mich auch, wie die Siedler seelenruhig
im Schutz unserer Panzer leben konnten, mit der militärischen Stärke
des Regimes als Garantie für ihre Existenz vor Ort. Wie erklärten die
Kindergärtnerinnen und die Lehrerinnen den Kindern diese Nachbarn,
die Häftlinge, mit den gelblichen Gesichtern, denen ein täglicher
Spaziergang von einer Viertelstunde vergönnt war? Und was sagten die
Erzieherinnen, wenn sie zusammen mit ihren Schützlingen auf Massen von
Frauen und Kindern stießen, die ihre Verwandten besuchten? Wie
brachten sie den Kindern die Begriffe von Gut und Böse bei, um sie
sicher durchs Leben zu geleiten? Und was für eine Schule konnte das
sein, der der Gefängnishof als Spielplatz diente?
Später wurde den Siedlern ein Ort erbaut, an dem sie sich selbst
einsperrten, aus Angst vor den Besitzern des Landes, die enteignet
worden waren. Aber der pionierhafte Anfang im Hof des Gefängnisses von
Hebron wird für immer den Charakter dieser Art von Besiedlung
kennzeichnen.
Die Siedler sind wie ein artfremdes Gewächs in der Landschaft. Zuerst
hatten sie Wohnwagen, dann Fertighäuser und heute „Cottages“, umgeben
von Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen. Sie bedrohen die Umgebung mit
ihrer Gier nach Land, das sie den Händen der rechtmäßigen Besitzer
entreißen wollen. („Zorn und Hoffnung“ F.L.)
In den siebziger Jahren haben sie die Siedlung Kiryat Arba gebaut. Am
Anfang auf 12.000 Donum privatem Land. Das Gebiet war entvölkert,
nachdem man die Häuser und die Weinstöcke zerstört hatte. Im Jahre
1995 haben dort 6000 Siedler gelebt. Von dort stammt Baruch Goldstein,
der Mörder von betenden Palästinensern in der
Haram-al-Ibrahimi-Moschee – beziehungsweise der Machpela-Höhle - in
Hebron. Ich schrieb ein Buch über dieses Massaker, weil ich es als
meine Pflicht angesehen habe, die Tat zu recherchieren. Das Buch
nannte ich: „Wo Hass keine Grenzen kennt“.
So habe ich dieses Massaker und die Zeit danach empfunden: „Vor mir
liegt eine schwarzumrandete Namensliste von 29 Personen. Es sind die
Opfer des Massakers in der Haram-al-Ibrahimi-Moschee beziehungsweise
der Machpela-Höhle in Hebron im Westjordanland. Ihnen widme ich dieses
Buch. Sie wurden am Freitag, dem 25. Februar 1994, am 15. Tag des
Ramadan im Jahr der Hedschra 1414, am frühen Morgen massakriert, als
sie betend in Richtung Mekka niedergekniet waren. Ihre Namen und
einige Angaben zu ihrer Person sind im Anhang dieses Buches zu finden.
Der Ort, an dem das Verbrechen verübt wurde, gilt jüdischen,
christlichen und muslimischen Überlieferungen zufolge als Grabstätte
von Abraham, Sarah, Isaak, Rivka, Jakob und Lea und ist daher allen
drei Religionen heilig.“
Als ich im Oktober 1994 nach Hebron fuhr, um die Familien der
Ermordeten zu besuchen, traf ich auch die leidgeprüfte Familie von
Saber und lernte seine Frau, seine vier Kinder und seine Schwägerin
kennen. „Die beiden Frauen waren am Tag des Massakers auch beim Gebet
in der Moschee gewesen.
Mai, Sabers Frau, und ihre Schwester, Salwa Dana, berichteten mir,
dass sie beim Verlassen der Jawliyah (dem Gebetsbereich für Frauen)
sahen, wie Soldaten das nahegelegene Tor schlossen und auf die Leute
schossen, auch auf jene, die die Verwundeten trugen. Mai erlitt eine
Fehlgeburt. Sie nimmt das gefasst hin. Das sei Gottes Wille.
Sie erzählte mir, dass sie am Tag vor meinem Besuch mit ihren Kindern
in die Altstadt gegangen sei. Siedler hätten sie dort verflucht,
angespuckt und geschrien, dass es noch mehr Goldsteins geben werde.
Der Bruder des Ermordeten zeigte mir eine vernarbte Wunde an seinem
Kopf, das Mal einer Verletzung durch einen Siedler. Salwa Dana, Mais
Schwester, berichtete, dass ihre Familie wegen der ständigen Angriffe
der Siedler aus der Altstadt hierher zu ihrer Schwester ziehen mußte.“
Die Liste des Grauens von damals ist erschreckend und auch die
Meldungen über die zahlreichen Pilger zum Grab von Baruch Goldstein in
Kiryat Arba… Auch nach dem Massaker gab es kein Ende des Grauens für
die Palästinenser. Die Armee war damit beschäftigt, Demonstranten zu
töten, die ihren berechtigten Zorn nach dem Massaker ausdrücken wollten.
Die Friedenskräfte in Israel haben Solidarität mit der leidenden
palästinensischen Bevölkerung zum Ausdruck gebracht. Die bekannteste
Organisation ist „Breaking the Silence“, deren Mitglieder als Soldaten
in den besetzten Gebieten, aber insbesondere in Hebron, gedient
haben, wie z.B. Jehuda Schaul. Sie berichten über die Verletzung der
Menschenrechte der Palästinenser, auch aus ihrer eigenen Erfahrung.
Auch das Komitee der Jugend gegen Siedlungen versucht, die Situation
in Hebron zur Sprache zu bringen.
Die Meldungen, die die Gegenwart in Hebron schildern, zeigen, dass
sich das Schicksal der Palästinenser unter Besatzung nicht geändert
hat. Hebron ist dafür ein Beispiel.
Die Bewegung „Jugend gegen Siedlungen“ berichtet und zeigt auch in
Videos, wie ein israelischer Soldat ein palästinensisches Kind tritt
und schlägt. Die Mitglieder der Organisation sagen, dass man über eine
solche Gewalt durch israelische Soldaten eigentlich jeden Tag
berichten könnte.
Die Organisation „Yesh Din“ berichtet über eine Provokation gegen
einen Aktivisten während des Ramadan, wobei sein Haus beschossen
wurde, und beendet den Bericht mit den Worten: „Welcome to occupied
Hebron, where the rule of law crawls for die.”
Haaretz schrieb Anfang August über 1300 Bewohner von acht Dörfern
südlich von Hebron, die man vertreiben will und die sich gegen diese
Vertreibung an den Obersten Gerichtshof in Jerusalem gewandt haben.
Die Antwort der Armee durch die Staatsanwaltschaft auf diesen Antrag
war, daß dort ein Trainingslager sei und dass durch die Räumung der
Dörfer die Armee wertvolle Zeit spart, was den Zutritt zu dem
Trainingslager betrifft. Man könnte es ruhig sagen: „Time is money“,
zum Teufel mit den Menschen, wenn es sich um Palästinenser handelt.
Haaretz hat das mit bitterer Ironie kommentiert.
Am 20. August 2012 schrieben die „Australians for Palestine“ (siehe
Palästina Portal): „Murad ist 23 Jahre alt und er hat noch die Straße
Shouhada in Erinnerung, bevor sie zu einem desolaten Zustand verkommen
ist mit Soldaten, Siedlern und Check Points. Der Ort war so lebendig,
er war nicht nur das Herz von Hebron. Er war das Herz der südlichen
Westbank. Das liegt jetzt beinahe zwanzig Jahre zurück. Heute sind die
Läden verwüstet, geschlossen von der israelischen Armee. Und der
Markt, der Souk, liegt auch verwaist.
Seit 1994 ist es den Palästinensern nicht mehr erlaubt, durch die
Shouhada-Straße zu fahren. Alles dies wurde für die wenigen Siedler
gemacht, die in dieser Straße leben. Am Ende des Berichts sagt Murad:
„They could shoot me and it would be okay. It is worse. It is killing
me slowly every day. It is killing all of us each day.”
Zum Schluß ein Zeugnis von einem Politiker, dem Vorsitzenden der SPD
und Bundestagsabgeordneten Sigmar Gabriel (Facebook 14. März 2012):
„Ich war gerade in Hebron.
Das ist für die Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein
Apartheidregime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“
Sigmar Gabriel wurde für die Äußerung attackiert, was man auch
erwarten konnte. Er hat versucht, es „eleganter“ zu formulieren, aber
der Kern der Aussage ist geblieben: „Ich halte die Verhältnisse in
Hebron für unwürdig.“ Er sagte es als Freund von Israel…
Ich möchte es sagen als eine Menschenfreundin.
http://www.palaestina-portal.eu/Stimmen_deutsch/langer_felicia_hebron-als-ein-beispiel.htm
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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