[E-rundbrief] Info 834 - Avnery: Rassisten fuer Demokratie
Matthias Reichl
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Mo Jun 1 11:12:40 CEST 2009
E-Rundbrief - Info 834 - Uri Avnery (Israel): Rassisten für Demokratie
(in den in Israel regierenden Parteien).
Bad Ischl, 1.6.2009
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Rassisten für Demokratie
Die Fabrikation rassistischer Gesetze mit einem ausgesprochen
faschistischen Beigeschmack arbeitet nun mit Volldampf. Es ist Teil der
neuen Koalition.
In ihrem Zentrum ist die Likudpartei, von der ein guter Teil rein
rassistisch ist (pardon für das Oxymoron = in sich widersprüchliche). Zu
ihrer Rechten ist die ultra-rassistische Shas-Partei, weiter rechts
Liebermans ultra-ultra-rassistische „Israel ist unsere Heimat“-Partei,
danach die ultra-ultra-ultra- rassistische „Jüdische Heimat-Partei“, die
unverhohlene Kahanisten einschließt und die mit einem Fuß in der
Koalition steht und mit dem anderen auf dem Mond.
Rassisten für Demokratie
Uri Avnery, 30.5. 09
WIE GLÜCKLICH können wir uns schätzen, eine extreme Rechte zu haben, die
über unsere Demokratie wacht.
In dieser Woche stimmte die Knesset mit großer Mehrheit (47 zu 34
Stimmen) für ein Gesetz, das jeden mit Gefängnis bestraft, der zu
leugnen wagt, dass Israel ein „jüdischer und demokratischer Staat“ sei.
Die Gesetzesvorlage des Knessetmitglieds Zevulun Orlev von der
„Jüdisches Heimat-Partei“, rutschte durch die vorbereitenden
Verhandlungen . Sie sieht ein Jahr Gefängnisstrafe für jeden vor, der
„einen Aufruf veröffentlicht, der die Existenz des Staates Israels als
eines jüdischen und demokratischen Staates leugnet“ und wenn der Inhalt
des Aufrufs „Aktionen von Hass, Verachtung oder Illoyalität gegen den
Staat oder die Institutionen der Regierung oder des Gerichts verursacht“.
Was dem folgt, kann voraus gesehen werden. Anderthalb Millionen
arabischer Bürger könnten Israel nicht als jüdischen und demokratischen
Staat anerkennen. Sie wollen, dass er „ein Staat für alle seine Bürger“
ist – für Juden, Araber und andere. Sie behaupten auch nicht ohne Grund,
dass Israel sie diskriminiere und deshalb keine wirkliche Demokratie
sei. Und außerdem gibt es auch Juden, die nicht wollten, dass Israel als
jüdischer Staat definiert würde, in dem Nicht-Juden einen Status haben,
der bestenfalls als tolerierte Gäste bezeichnet werden könne.
Die Konsequenzen sind unvermeidlich. Die Gefängnisse werden nicht für
alle ausreichen, die dieses Verbrechens bezichtigt werden. Es müssen
über das ganze Land Konzentrationslager verteilt werden, um alle Leugner
der israelischen Demokratie aufzunehmen.
Die Polizei wird nicht in der Lage sein, sich mit so vielen Kriminellen
zu befassen. Man wird eine neue Einheit aufbauen müssen. Man könnte sie
„Spezielle Sicherheit“ oder abgekürzt SS nennen.
Hoffen wir, dass diese Maßnahmen genügen, um die Demokratie zu bewahren.
Wenn nicht, müssen striktere Maßnahmen vorgenommen werden, wie z.B. die
Annullierung der Staatsbürgerschaft für den Demokratieleugner und die
Deportation aus dem Land, zusammen mit den jüdischen Linken und all den
anderen Feinden der jüdischen Demokratie.
Nach der Annahme der Gesetzesvorlage bei der 1. Lesung wird sie nun das
juristische Komitee der Knesset passieren, das sie für die erste und
bald danach für die 2. und 3. Lesung vorbereiten wird. Innerhalb weniger
Wochen oder Monate wird sie zu einem Gesetz des Landes.
Übrigens werden die Araber in der Gesetzesvorlage nicht ausdrücklich
erwähnt – auch wenn das klare Absicht ist. Alle die dafür stimmten,
verstanden das. Es verbietet auch Juden, für eine Veränderung der
Definition des Staates zu agitieren oder einen binationalen Staat im
ganzen historischen Palästina zu befürworten oder eine andere derart
unkonventionelle Idee zu verbreiten. Man kann sich kaum vorstellen, was
in den USA geschehen würde, wenn ein Senator ein Gesetz vorschlagen
würde, das jedem mit Gefängnisstrafe droht, der eine Änderung der
Verfassung der USA vorschlagen würde.
DIE GESETZVOLAGE ist in unserer politischen Landschaft nichts
Außergewöhnliches.
Die Regierung hat schon eine Gesetzesvorlage angenommen, die jeden mit
drei Jahren Gefängnis bestraft, der die palästinensische Nakba betrauert
– das Geschehen, das 1948 die Entwurzelung von mehr als der Hälfte der
palästinensischen Bevölkerung aus ihren Häusern und von ihrem Land
verursachte.
Die Befürworter erwarten, ein arabischer Bürger müsse über das Ereignis
glücklich sein. Die Palästinenser hätten zwar gewisse Unannehmlichkeiten
erlitten, aber das sei nur eine Randerscheinung bei der Gründung unseres
Staates gewesen. Der Unabhängigkeitstag des jüdischen und demokratischen
Staates muss uns alle mit Freude erfüllen. Jeder, der nicht seine Freude
zum Ausdruck bringt, sollte eingesperrt werden – und drei Jahre werden
wohl nicht genügen.
Diese Gesetzesvorlage war von der ministeriellen Kommission für
juristische Angelegenheiten bestätigt worden, bevor sie der Knesset
vorgelegt wird. Da die rechtsorientierte Regierung über eine Mehrheit in
der Knesset verfügt, wird sie fast automatisch angenommen werden. (In
der Zwischenzeit ist durch einen der Minister eine leichte Verzögerung
verursacht worden, der gegen die Entscheidung Einspruch erhoben hat;
also muss die ministerielle Kommission sie noch einmal bestätigen).
Die Befürworter des Gesetzes hoffen vielleicht, dass die Araber am
Nakba-Tag auf den Straßen tanzen werden, israelische Flaggen auf die
Ruinen der etwa 600 Dörfer aufstellen, die ausgelöscht wurden, und in
den Moscheen Allah für das wundersame Glück, das ihnen beschieden worden
ist, preisen.
DAS BRINGT mich zurück zu den 60er-Jahren, als mein Wochenmagazin
„Haolam Hazeh“ auch auf arabisch veröffentlicht wurde. Einer seiner
Mitarbeiter war ein junger Mann, der sich Rashed Hussein nannte und aus
dem Dorf Musmus kam. Schon als Jugendlicher war er ein begabter Dichter
mit einer verheißungsvollen Zukunft.
Er erzählte mir, dass er einige Jahren zuvor ins Büro des
Militärgouverneurs seines Bezirkes zitiert worden sei. Damals waren alle
Araber Israels einer Militärregierung unterworfen, die alle - die großen
wie die kleinen - Aspekte ihres Lebens kontrollierte. Ohne Genehmigung
durfte ein arabischer Bürger nicht einmal für ein paar Stunden sein Dorf
oder seine Stadt verlassen oder einen Job als Lehrer bekommen noch einen
Traktor kaufen oder einen Brunnen bohren.
Der Gouverneur empfing Rashed herzlich, bot ihm Kaffe an und lobte seine
Gedichte überschwänglich. Dann kam er zur Sache: einen Monat später war
der Unabhängigkeitstag und der Gouverneur sollte den arabischen
„Notabeln“ einen großen Empfang geben. So bat er Rashed, für diese
Gelegenheit ein besonderes Gedicht zu schreiben.
Rashed war ein stolzer Jugendlicher, durch und durch nationalistisch
gesinnt und es fehlte ihm nicht an Mut. Er erklärte dem Gouverneur, dass
der Unabhängigkeitstag für ihn kein Freudentag sei, da seine Verwandten
aus ihren Häusern vertrieben worden seien und der größte Teil des
Landbesitzes des Dorfes Musmus auch enteignet worden sei.
Als Rashed nach einigen Stunden in sein Dorf zurückkehrte, bemerkte er,
dass ihn seine Nachbarn merkwürdig anschauten. Als er seine Wohnung
betrat, war er geschockt. Die Familienmitglieder saßen alle auf dem
Fußboden, die Frauen klagten mit lauter Stimme, die Kinder saßen dicht
zusammengedrängt und ängstlich in einer Ecke. Sein erster Gedanke war
der, dass jemand gestorben sei.
„Was hast du uns getan?“ schrie eine der Frauen, „Was haben wir dir getan?“
„Du hast die Familie zerstört,“ schrie eine andere, „Du hast uns fertig
gemacht!“
Es kam heraus, dass der Gouverneur die Familie angerufen und ihr gesagt
hatte, Rashed habe sich geweigert, gegenüber dem Staat seine Pflicht zu
erfüllen. Die Drohung war klar: ab jetzt steht die Großfamilie, eine der
größten des Dorfes, auf der schwarzen Liste der Militärregierung. Die
Konsequenzen waren jedem klar.
Rashed konnte den Klagen seiner Familie nicht widerstehen. Er gab nach
und schrieb ein Gedicht, wie es gewünscht wurde. Aber in ihm war etwas
zerbrochen. Einige Jahre später wanderte er in die USA aus, fand dort
einen Arbeitsplatz im Büro der PLO und starb auf tragische Weise. Er
verbrannte lebendigen Leibes in seinem Bett, da er – so schien es – mit
einer Zigarette rauchend eingeschlafen war.
DIESE ZEITEN sind für immer vergangen. Wir nahmen an vielen stürmischen
Demonstrationen gegen die Militärregierung teil, bis sie schließlich
1966 aufgehoben wurde. Als neu gewähltes Mitglied des Parlamentes hatte
ich das Privileg, für seine Aufhebung mit abzustimmen.
Die ängstliche und unterwürfige arabische Minderheit – damals etwa 200
000 Seelen, erholte sich. Eine zweite und dritte Generation wuchs heran,
der unterdrückte Nationalstolz hob sein Haupt. Und heute ist sie eine
große und selbstbewusste Gemeinschaft von 1,5 Millionen. Aber die
Haltung der jüdischen Rechten hat sich nicht zum Besseren verändert.
Im Gegenteil.
In der Knessetmaffia wird gerade ein neues Gebäck gebacken (Maffia
bedeutet im Hebräischen Bäckerei). Eines davon ist eine Gesetzesvorlage,
die fordert, dass jeder, der die israelische Staatsbürgerschaft
beantragt, seine Loyalität zum „jüdischen, zionistischen und
demokratischen Staat“ erklären und auch Militärdienst oder einen
Zivildienst ableisten muss. Sein Befürworter ist der Knessetabgeordnete
David Rotem von der „Israel unser Haus-Partei“, der zufällig auch der
Vorsitzende des Knesset-Gesetz-Komitees ist.
Eine Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen – ein
Rahmen, um das Wohlbefinden und die Rechte seiner Bürger zu schützen -
ist vernünftig. Aber Loyalität gegenüber einem „zionistischen“ Staat?
Zionismus ist eine Ideologie und in einem demokratischen Staat kann sich
die Ideologie von Zeit zu Zeit ändern. Das wäre so, als ob man Loyalität
gegenüber den „kapitalistischen“ USA, einem „rechtsorientierten“
Italien, einem „linksorientierten“ Spanien, einem „katholischen“ Polen
oder einem „nationalistischen“ Russland erklären würde.
Es würde kein Problem für die Zehntausende von orthodoxen Juden in
Israel bedeuten, die den Zionismus ablehnen, da Juden von diesem Gesetz
nicht betroffen sind. Sie erhalten die Staatsbürgerschaft automatisch in
dem Augenblick, in dem sie in Israel ankommen.
Eine andere Gesetzesvorlage wartet darauf, im ministeriellen Komitee an
die Reihe zu kommen: sie schlägt vor, eine Erklärung zu verändern, die
jeder neue Knessetabgeordnete zu lesen hat, bevor er sein Amt übernimmt.
Anstelle von Loyalität „gegenüber dem Staat Israel und seinen Gesetzen“,
wie es bis jetzt hieß, soll er oder sie aufgefordert werden, seine/ ihre
Loyalität „gegenüber dem jüdischen, zionistischen und demokratischen
Staat Israel, seinen Symbolen und seinen Werten“ auszusprechen. Dies
würde fast automatisch alle gewählten Araber ausschließen, denn nachdem
sie Loyalität gegenüber dem „zionistischen“ Staat erklärt hätten, würde
dies bedeuten, dass kein Araber je wieder für sie stimmen wird.
Es würde auch ein Problem für die orthodoxen Mitglieder der Knesset
werden, die gegenüber dem Zionismus keine Loyalität erklären können.
Entsprechend der orthodoxen Doktrin sind die Zionisten verworfene Sünder
und die zionistische Fahne ist unrein. Gott hat die Juden wegen ihrer
Boshaftigkeit aus diesem Land vertrieben, und nur Gott selbst kann ihnen
erlauben, zurück zu kehren. Der Zionismus hat die Aufgabe des Messias
vorweggenommen und so eine unverzeihliche Sünde begangen.
Viele orthodoxe Rabbiner blieben auf eigenen Wunsch in Europa und wurden
von den Nazis ermordet – sie wollten nicht die zionistische Sünde
begehen und nach Palästina gehen.
Die Fabrikation rassistischer Gesetze mit einem ausgesprochen
faschistischen Beigeschmack arbeitet nun mit Volldampf. Es ist Teil der
neuen Koalition.
In ihrem Zentrum ist die Likudpartei, von der ein guter Teil rein
rassistisch ist (pardon für das Oxymoron) Zu ihrer Rechten ist die
ultra-rassistische Shas-Partei, weiter rechts Liebermans
ultra-ultra-rassistische „Israel ist unsere Heimat“-Partei, danach die
ultra-ultra-ultra- rassistische „Jüdische Heimat-Partei“, die
unverhohlene Kahanisten einschließt und die mit einem Fuß in der
Koalition steht und mit dem anderen auf dem Mond.
All diese Fraktionen versuchen, einander zu übertreffen. Wenn jemand
eine verrückte Gesetzesvorlage vorschlägt, dann fühlt sich der nächste
gezwungen, eine noch verrücktere vorzuschlagen usw.
All dies ist möglich, weil Israel keine Verfassung hat. Die Fähigkeit
des Obersten Gerichtshofes, Gesetze zu annullieren, die den
„Grundgesetzen“ widersprechen, ist nirgendwo festgelegt. Und die
rechtsorientierten Parteien versuchen, diese aufzuheben. Es hatte seinen
guten Grund, warum Avigdor Lieberman das Justiz- und Polizeiministerium
forderte - und dann auch erhielt.
Gerade jetzt, wo die Regierungen der USA und Israel wegen der Siedlungen
auf einem klaren Kollisionskurs stehen, könnte das rassistische Fieber
alle Teile der Koalition infizieren.
Wenn man mit einem Hund ins Bett geht, sollte man nicht überrascht sein,
wenn man mit Flöhen aufwacht (die Hunde mögen mir verzeihen).
Diejenigen, die solch eine Regierung wählten und noch mehr jene, die
sich ihr anschlossen, sollten von solchen Gesetzen nicht überrascht
sein, die angeblich die jüdische Demokratie schützen.
Der Name, der zu diesen heiligen Kriegern am ehesten passen würde, wäre:
„Rassisten für Demokratie“.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de
erstellt am 31.05.2009
http://www.uri-avnery.de/magazin/artikel.php?artikel=496&type=&menuid=4&topmenu=4
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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