[E-rundbrief] Info 484 - Rb 123 - Grundeinkommen und AMS

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Nov 24 12:39:39 CET 2006


E-Rundbrief - Info 484 - Rundbrief Nr. 123 - Matthias Reichl: 
"Grundsicherung" oder "Grundeinkommen"? Die AMS-Büros als allein 
zuständige Verwalter? Zwanzig Jahre Grundeinkommens-Debatte in 
Österreich und international. Eigene Erfahrungen im Kampf mit der 
Sozialpolitik und -bürokratie.

Bad Ischl, 24.11.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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"Grundsicherung" oder "Grundeinkommen"?

Die AMS-Büros als allein zuständige Verwalter?

Einige Organisationen - darunter auch führende Kreise der Grünen - 
wollen nur eine Verbesserung des bisherigen Systems durch eine 
"Grundsicherung". Die Administration und Kontrolle gegen "Missbrauch" 
sollten Bedienstete des Arbeitsmarktservice (AMS) übernehmen.

Bei meinen jahrzehntelangen Konfrontationen mit einigen Ischler 
Arbeitsamts- und auch Ministerialbeamten bestätigte sich meine 
Einschätzung: Die einsichtigen AMS-Bediensteten wollen sich auf 
optimale Stellenvermittlung und Weiterbildung ihrer Klienten, aber 
auch auf die Förderung von - auch gemeinnützigen - 
Beschäftigungsprojekten konzentrieren und den finanziellen Bereich an 
eine andere Stelle delegieren. Anders orientierte "Betreuer" setzen 
Arbeitslose - zu denen sie u.a. auch Personen mit Betreuungspflichten 
bzw. mit reduzierter Mobilität und ähnlichem zählen - mit allen 
vorhandenen Repressionsmitteln unter Druck. Dazu gehört z.B. die 
zeitweilige Streichung des Arbeitslosengeldes, psychologischer und 
ökonomischer Zwang in "Schulungskursen" und "Arbeitstrainings"... Sie 
nützen diese "Allmacht" und ihre persönliche (z.T. politische) 
Aversion gegenüber den aus ihrer Sicht "Sozialschmarotzern" 
entsprechend aus. Ich habe dazu meine eigenen Erfahrungen und 
erschütternde Berichte von Leuten, die sich nicht - politisch und 
publizistisch - wehren können. Fazit daraus - selbst zusätzliche 
sozialpädagogische Kurse für diese Art von Bürokraten ändern kaum 
etwas an dieser unsozialen Konstruktion.

Daher ist ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht allein eine 
sozial-karitative Maßnahme sondern auch eine Grundlage für ein 
möglichst selbstbestimmtes gemeinnütziges (auch politisches) Handeln.

Ergänzung zu meinem Bericht "Zwanzig Jahre Grundeinkommens-Debatte in 
Österreich und international. Eigene Erfahrungen im Kampf mit der 
Sozialpolitik und -bürokratie" unten.

Matthias Reichl

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Zwanzig Jahre Grundeinkommens-Debatte in Österreich und international

Eigene Erfahrungen im Kampf mit der Sozialpolitik und -bürokratie

Matthias Reichl

15.12.2005

Da wir zur gleichen Zeit mit der Generalversammlung und einem Seminar 
unseres Vereins beschäftigt waren, konnte ich am 
Grundeinkommens-Kongress nicht teilnehmen. Als meinen Beitrag hatte 
ich den Organisatoren schon einige Zeit vorher die folgenden 
Erfahrungen gemailt:

Befreiung der Frauen von ökonomischer Abhängigkeit

Ich wurde erstmals 1982 innerhalb der "Alternativen Liste Österreich" 
von Feministinnen mit der Forderung nach einem "Grundeinkommen" (bzw. 
"Basislohn") - unabhängig von einem Dienstverhältnis - konfrontiert. 
Dabei ging es ihnen primär um die Befreiung nicht-erwerbstätiger 
(Haus-)Frauen aus ihrer finanziellen Abhängigkeit vom Ehemann und 
weiters um die Grundversorgung von Alleinerzieherinnen und 
geschiedenen Frauen. Diese Grundproblematik hat sich - wegen prekärer 
und flexibler Beschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit - noch weiter verschärft.

Grundabsicherung gegen ökonomische Krisen durch (a)soziale Repression

Oppositionelles politisches und soziales Engagement - innerhalb und 
ausserhalb politischer Organisationen - führte immer öfter zu 
ökonomische Krisen und (a)sozialer Repression. Drohungen mit 
Verschlechterungen auf dem Arbeitsplatz bis hin zur Kündigung war ein 
längst praktiziertes Disziplinierungsmittel gegenüber (über)aktiven 
Dienstnehmern. Ebenso von Seiten mancher Arbeitsamtsbeamten gegenüber 
Arbeitslosen (Zuweisung an unakzeptable Arbeitsplätze, Entzug der 
Arbeitslosengeldes bei "Arbeitsverweigerung", Verweigerung von 
Fortbildungsmassnahmen usw. - dazu habe auch ich jahrelange 
Erfahrungen bis zu meiner Frühpensionierung!).

Grundabsicherung von gemeinnützigen Initiativen und Organisationen

Eine wachsende Anzahl von gemeinnützigen Initiativen und 
Organisationen können zwar mit Mühe noch die laufenden Unkosten 
abdecken, nicht aber die Personalkosten. Die Druckmittel einer 
Kürzung bzw. Streichung staatlicher Subventionen und ähnlicher 
Unterstützungen (Presseförderung, Zeitungstarif...), ausufernde 
bürokratischer Aufwand (v.a. bei EU-Projekten) bewirken zunehmend 
eine Selbstzensur und (Über-) Vorsichtigkeit in politischen 
Aktivitäten. Ein wachsender Teil wurde und wird zunehmend gezwungen, 
seine Aktivitäten zu verlagern bzw. einzustellen.

Negativkarriere von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Hauptamtlich Vollzeit-Angestellte müssen Einkommens-Reduktionen 
akzeptieren, die Umwandlung des Dienstverhältnisses in Teilzeit, dann 
in zeitlich beschränkte bzw. fallweise Arbeitsverhältnisse, in 
verschiedene Varianten "freier" Arbeitsverträge, in 
Scheinselbständigkeit und schließlich in unbezahlte ehrenamtliche 
Tätigkeiten. Allen gemeinsam ist eine wachsende Selbstausbeutung (bis 
zur Selbstzerstörung), die sich nicht nur für die betreffenden 
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sondern auch für deren - von ihnen 
ökonomisch abhängigen - Angehörigen auswirkt.

Gerade die starke emotionale Verbindung mit den Zielen der 
Organisation entwickelt einen Zwang zur Solidarität und zum 
"Weiterwerkeln". Viele der dafür eigentlich zuständigen Beamten in 
staatlichen Institutionen sehen kalt lächelnd zu und kalkulieren 
tragischen Zusammenbrüche einzelner Aktiver und ganzer Organisationen 
als willkommene Ausschaltung lästiger Oppositioneller an. Begleitet 
wird diese perfide Strategie mit barmherzigem Lächeln, 
Schulterklopfen, Ehrungen, Lob für die uneigennützige 
"Bürgergesellschaft" (z.B. durch Andreas Khol und Konsorten) usw.

"Aktion 8000" soll Grundeinkommen ersetzen?

Bei dem Symposium "Goldene Zeiten - Modelle für die Zukunft" - Sept. 
1985 in Linz - präsentierte der Sozialminister Alfred Dallinger die 
in seinem Ministerium von engagierten linken Mitarbeitern und 
Mitarbeiterinnen entwickelte "Aktion 8000" - die (bis zu 100% 
subventionierte) einjährige Beschäftigung von Arbeitslosen in 
gemeinnützigen Projekten und Organisationen. Dies sei eine geeignete 
Alternative zum - kaum durchsetzbaren - Grundeinkommen. Allerdings 
war dies von Bewilligungen durch Sozial-Behörden abhängig und daher 
kein allgemeiner Anspruch. Meine - von Minister Dallinger nicht 
beantwortete - Frage, wie politisch abgesichert dieses Modell sei, 
war vorausschauend sehr berechtigt.

1987/88 wurde auch unser Begegnungszentrum vom Sozialministerium 
durch die "Aktion 8000" gefördert. Ich sollte in unserer Region ein 
Jahr lang mögliche Projekte recherchieren und vorbereiten. Zur 
Halbzeit hatte die ÖVP die SPÖ-Alleinregierung durch eine große 
Koalition abgelöst und gleich eine Kürzung der Gelder durchgesetzt. 
Dazu kam noch eine Kampagne - lanciert von Andreas Khol - gegen 
"Missbrauch" durch "obskure Vereine" (u.a. in einer 
"KURIER"-Meldung). Dabei wurde so ziemlich alles, was 
"links-verdächtig" war, zusammengewürfelt (auch unser Verein war 
darunter). Meine scharfe Kritik im Projektbericht bewirkte, dass uns 
dann auch einige SP-nahe Sozialbürokraten auf die "schwarze Liste" 
setzten und mich schikanierten. obwohl ihre Vorwürfe haltlos waren. 
Erfolg: die schon beschriebenen Negativkarrieren!

Internationale Entwicklungen

Dazu kommt noch, dass unter Berufung auf den EU-Stabilitätspakt nun 
auch Länder und Gemeinden  die einschlägigen Budgets stark reduzieren 
(müssen), v.a. wenn manche der Gemeinden knapp vor der 
Zahlungsunfähigkeit stehen.

Die zunehmende Privatisierung (und damit privater Finanzierung) der 
Grundversorgung (z.B. in Bildung, Gesundheit und viele gemeinnütziger 
Bereiche) erzwingt das Akzeptieren neoliberaler Marktmechanismen. In 
ihnen wird die Profitmaximierung statt solidarischer Zusammenarbeit 
im Überlebensk(r)ampf als unaufhaltsam propagiert.

Daher ist ein Grundeinkommen nicht allein eine sozial-karitative 
Massnahme sondern auch eine Grundlage für ein möglichst 
selbstbestimmtes gemeinnütziges (auch politisches) Handeln.

"Rundbrief Nr. 119/ E-Rundbrief Info 328.  ((Siehe auch Info 226 und 
227, www.begegnungszentrum.at/archiv/ )

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
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