[E-rundbrief] Info 449 - Rb 122 - Gewaltfreier Widerstand in Nahost .
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mo Sep 4 22:10:47 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 449- Rundbrief Nr. 122 - Sal Macis: Gewaltfreier
Widerstand in Israel/ Palästina/ Libanon. Auszug aus dem Bericht
"Licht am Ende des Tunnels? Subjektive Eindrücke von der 24.
Konferenz der War Resisters' International (WRI)" (23. - 29.7.2006,
Paderborn, Deutschland); Kai-Uwe Dosch: Erklärung der War Resisters'
International: "Für Verhandlungen muss man sich nicht schämen".
Bad Ischl, 4.9.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Gewaltfreier Widerstand in Israel/ Palästina/ Libanon
War Resisters' International (WRI) Konferenz, 23. - 29.7.2006,
Paderborn, Deutschland
Sal Macis
Ein Höhepunkt der WRI-Konferenz war sicherlich der Auftritt der
gewaltfreien palästinensischen frauenbewegten Muslimin und Aktivistin
Shireen Al-Ajab. Shireen benannte drei Quellen ihres Bekenntnisses
zum gewaltfreien Widerstand: als Muslimin verbiete ihr Glaube das
Töten; rein praktisch könne sie weder dasitzen und nichts tun noch
schießen; und sie benötige eine moralische Grenze für ihren
Widerstand, die verhindere, dass sie so werde wie ihre GegnerInnen.
Shireen erinnerte daran, dass es eine unbekannte und vergessene
Geschichte des gewaltfreien palästinensischen Widerstands gebe. Vor
allem bezog sie sich auf den sechsmonatigen, völlig gewaltfrei
verlaufenen Generalstreik gegen die britischen Kolonialherren unter
Ez Eddeen Alquassam im Jahr 1936. Nach dem bewaffneten Kampf der PLO
habe es mit der ersten Intifada 1987-1991 eine Rückkehr zum
gewaltfreien Widerstand, zu Streikstrategien und Selbstorganisation
gegeben. Der damals erfolgreich erkämpfte Madrider Prozess sei jedoch
schnell durch den katastrophalen Osloer Prozess ersetzt worden, in
dem die palästinensische Politik der Selbstzerstückelung des eigenen
Territoriums zugestimmt habe, ein großer Fehler, so Shireen im Nachhinein.
Sergeiy Sandler, von der israelischen
feministisch-antimilitaristischen Organisation New Profile ergänzte
in der Diskussion, es werde bei der Entstehungsgeschichte der
Selbstmordattentate immer vergessen, dass die palästinensischen
Selbstmordattentate erst nach der 1993 begonnenen Erstellung von
Straßenbarrieren und Checkpoints sowie nach dem Attentat des Siedlers
Baruch Goldstein in einer Moschee 1994, bei der 29 PalästinenserInnen
getötet wurden, begannen. Auch Shireen erinnerte daran, dass das
Phänomen palästinensischer Selbstmordattentate vorher nicht existiert
habe. Die Selbstmordattentate sind für sie individuelle Akte, von
denen außer den Ausführenden sonst niemand wisse und die nicht
prägend für den palästinensischen Widerstand seien. Prägend sei
vielmehr der gewaltfreie Widerstand, der von fast allen
palästinensischen Frauen ausgeübt werde, aber darüber werde in den
Medien nicht berichtet. Auch die ersten Monate der zweiten Intifada
seien nach Shireen noch gewaltfrei geblieben, doch dann habe Israel
ständig die Repressionsstrategien und Bombardements verstärkt. Die
gerade neu gebaute Infrastruktur wie neue Straßen seien direkt nach
Fertigstellung immer wieder zerstört worden, die entwürdigende
Prozedur mit stundenlangen, zermürbenden Warteschlangen an den
Checkpoints koste täglich rund elf Menschen das Leben.
Shireen sagte, in den gemischten israelisch-palästinensischen
Begegnungsgruppen habe sie gelernt, dass sich Israelis zuallererst
als Opfer sähen, nicht als Täter oder als Gewaltausübende. Israelis
nähmen ihre Gegenüber so wahr, dass, was immer diese auch sagten oder
tun würden, sie es darauf abgesehen hätten, Israelis zu töten, also
seien Israelis immer zuallererst Opfer. Dieses Bewusstsein müsse
aufgebrochen werden.
Anlässlich des Libanon-Krieges rief Shireen die europäischen Länder
dazu auf, Israel zu boykottieren und erhoffte sich davon ähnliche
Erfolge wie im Falle Südafrikas. Während der Diskussion wurde sie von
deutschen AntimilitaristInnen darauf hingewiesen, dass ein Boykott in
Deutschland nicht in Frage komme, aufgrund der Geschichte der Shoah
und der historischen Bedeutung des Boykotts jüdischer Geschäfte als
erstem Schritt dazu. Der Kampf gegen deutsche Waffenexporte an Israel
sei jedoch eine Aktionsalternative. Der Krieg in Palästina und im
Libanon, so Shireen weiter, werde dazu führen, dass die Perspektive
einer Zwei-Staaten-Lösung von den PalästinenserInnen wohl alsbald
aufgegeben werde. Dann bleibe nur noch die Perspektive einer
Ein-Staaten-Lösung mit einer palästinensischen Mehrheit. Das aber
wird wohl Israel nicht zulassen. Noch kein Licht am Ende des Tunnels also!
Auszug aus dem Bericht "Licht am Ende des Tunnels? Subjektive
Eindrücke von der 24. Konferenz der War Resisters' International
(WRI)" in der Zeitschrift "Graswurzelrevolution" vom 18.8.2006
Erklärung der War Resisters' International: "Für Verhandlungen muss
man sich nicht schämen"
Von: Kai-Uwe Dosch
Wir haben erfahren, dass das massive Bombardement des Libanons durch
Israel sich zu einer großen Invasion ausgeweitet hat und Hunderte
Leben kostet, die meisten davon Libanesen.
Wir haben uns als Rat der War Resisters' International im Anschluss
an die Konferenz 'Gewaltfreiheit globalisieren' getroffen, die mehr
als 200 Aktivisten aus allen Kontinenten und auch dem Nahen Osten
zusammengeführt hat. Wir glauben, dass die Verwüstung des Libanons
durch Israel nicht nur die Zerstörung eines, sondern zweier Staaten
zur Folge hat denn dies ist das unausweichliche Gesetz der Gewalt.
Israels eigene Geschichte beweist es: 58 Jahre der Gewalt haben den
Israelis weder Frieden noch Sicherheit gebracht. Dieser letzte
Angriff wird diesen Kreislauf weiter beschleunigen.
Wir unterstützen weder die Übergriffe der Hisbollah auf Israel noch
die anhaltenden Übergriffe Israels auf Mazrea' Shiba'a im Libanon.
Der Ermordung israelischer Soldaten durch die Hisbollah ging einen
Monat voraus die Übungen mit scharfer Munition im Libanon, die drei
libanesische Schafhirten das Leben kostete. Die Entführung der
israelischen Soldaten durch die Hisbollah stand gegenüber die
andauernde Inhaftierung von 10.000 politischen Gefangenen,
einschließlich palästinensischer Frauen und Kindern und auch einiger
Libanesen. Es ist klar, dass Israel diesen Konflikt provoziert hat.
Dennoch widersetzen wir uns absolut der Vergeltung dieser Aggression
durch die Hisbollah, genauso wie wir uns jeglichem Morden
widersetzen. Wir lehnen die Logik des Krieges ab, jeden Schlag mit
einem Gegenschlag zu beantworten.
Wir unterstützen das Recht aller Menschen, die unter Besatzung leben,
sich dieser Besatzung zu widersetzen. Es ist ein Grundsatz der
Gewaltfreiheit, sich aller Ungerechtigkeit zu widersetzen. Wir in der
WRI kennen viele gewaltfreie Gruppen in dieser Region, die gerechten,
friedlichen und gewaltfreien Lösungen den Weg bereiten können.
Wir fürchten die Auswirkungen, wenn eine Atommacht ihre große
militärische Überlegenheit ausnutzt, um Gaza zu belagern, um eine
Mauer zu bauen, die das bereits besetzte Palästina weiter isoliert,
und jetzt um in ein Nachbarland einzumarschieren. Das Ungleichgewicht
der militärischen Fähigkeiten macht es tatsächlich unmöglich, die
Invasion des Libanons als ausgeglichenen Konflikt anzusehen, es ist
sicherlich keine Selbstverteidigung. Ungehindert durch die
internationale Gemeinschaft oder durch eine vernünftige Einschätzung
der unausweichlichen Folgen für sich selbst, greift Israel den ganzen
Libanon an, zerstört die zivile Infrastruktur mit Hilfe von
US-Munition, zerstört oder hält wichtige Ressourcen zurück und
ermordet Zivilisten.
Das grauenhafte Ausmaß und die vollständige Zerstörung dieser
Angriffe lässt uns glauben, dass Israel die Zerstörung des Libanons
lange zuvor geplant hat. Es ist auch wichtig, die Frage nach den
Interessen der USA in diesem Konflikt zu stellen, die in diesem Krieg
verfolgt werden, im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Besetzung des
Iraks und Äußerungen bezüglich Syrien und Iran.
Wie auch immer der Hintergrund aussieht, jetzt besteht die sofortige
Notwendigkeit für Verhandlungen. "Für Verhandlungen selbst im
Krieg muss man sich nie schämen", sagt Sheerin al-Araj, eine
palästinensische Teilnehmende an der Konferenz: "Verhandlungen sind
tatsächlich der einzige Weg, wie Kriege jemals beendet wurden."
Wieder wegen des großen Ungleichgewichts an militärischer Macht
glauben wir, dass Israel zu diesen Verhandlungen besonders gedrängt
werden muss.
Deswegen fordern wir die US-Regierung auf, militärische Hilfe für
Israel einzustellen und den Schutz für Israel vor UNO- und
völkerrechtlichen Sanktionen zu beenden.
Wir fordern Israel auf, eine sofortige Einstellung seiner Angriffe
auf den Libanon auszurufen und die Mauer sowie die Besetzung
Palästinas aufzugeben.
Wir fordern die auf, die sich für Gerechtigkeit und Frieden überall
einsetzen, humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Libanons und
Palästinas sowie internationale Unterstützung für die gewaltfreien
Gruppen auf allen Seiten des Konflikts zu leisten, die versuchen
Frieden in der Region zu schaffen.
Schließlich fordern wir alle Menschen auf besonders die Bevölkerung
der USA, sich den Kriegsgewinnlern zu wiedersetzen, die allein von
diesem Krieg profitieren werden.
War Resisters' International, 5 Caledonian Road, London N1 9DX,
www.wri-irg.org
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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