[E-rundbrief] Info 372 - Avnery: Vier-Buchstaben Wort
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
So Mär 12 23:20:51 CET 2006
E-Rundbrief - Info 372: Uri Avnery: Ein "Vier-Buchstaben Wort". (Friede und
Wahlkampf in Israel)
Bad Ischl, 12.3.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Also an was glauben die Israelis? Sie wollen einen jüdischen Staat mit
einer jüdischen Mehrheit, die so groß wie nur irgend möglich sein soll.
Darin besteht Übereinkunft zwischen allen jüdischen Parteien. Sie glauben
daran, die endgültigen Grenzen Israels unilateral festschreiben zu können,
ohne mit diesen Palästinensern zu sprechen.
Ein "Vier-Buchstaben Wort"
Uri Avnery, 11-3- 2006
EIN "FOUR-LETTER-WORD " bezeichnet im Englischen einen rüden Kraftausdruck.
Gemeint ist die vulgäre Beschreibung eines sexuellen Aktes. Eine gebildete
Person benutzt diesen Begriff nicht.
Nun erscheint es so, dass es in der hebräischen Sprache auch ein
"Vier-Buchstaben-Wort" gibt, das von anständigen Menschen nicht benutzt
wird, und dies insbesondere nicht während einer Wahlkampagne. Eine
(politisch) korrekte Person vermeidet um jeden Preis diesen Begriff.
Dieses Wort heißt "Frieden" ( das im Hebräischen mit nur vier Buchstaben
geschrieben wird).
IN DIESER Woche verlagerte sich die Wahlkampfpropaganda von der Straße weg,
hin zu Radio und Fernsehen. Das israelische Gesetz gestattet jeder
Kandidatenliste ein Minimum an freier Sendezeit (10 Minuten im Fernsehen),
wobei die in der auslaufenden Knesset repräsentierten Parteien entsprechend
ihrer Größe zusätzliche Sendeminuten erhalten. Weitere Fernseh- oder
Radiowahlkampfspots sind nicht erlaubt.
In der Konsequenz wurde die Aufgabe der Wahlkampfpropaganda den Politikern
genommen und in die Hände der Experten übergeben Werbeleute, Texter und
die verschiedenartigen "Strategen". Das ist ein Haufen von Zynikern. Wie
Rechtsanwälte, so sind auch die meisten Werbeleute Söldner. Sie bringen es
fertig, heute einer linken Partei zu dienen und morgen ihre Dienste einer
rechten Partei anzubieten. Ihre persönliche Meinung zählt nicht, Geschäft
ist Geschäft.
Wenn ein Werbefachmann eine Wahlkampfkampagne plant, so ist es nicht sein
Ziel, das Programm der Partei, die ihn engagiert hat, zu erklären, sondern
Wähler anzuziehen. Er ist mehr Zirkusjongleur denn Prediger.
Wahlkampfpropaganda ist wie ein Abendkleid: es soll attraktive Merkmale
seines Besitzers betonen und die weniger attraktiven verbergen. Der
Unterschied besteht darin, dass ein Werbefachmann Körperglieder erfinden
kann, die nicht existieren und andere abschneiden kann, die tatsächlich
existieren, ganz nach der Nachfrage des Marktes.
Eine der Hauptkopfschmerzen eines Werbefachmanns ist, dass seine Kandidaten
- Gott bewahre - die Show verderben könnten, indem sie den Mund aufmachen
und ihre wahren Ansichten kundgeben. Ein bekannter Werbefachmann sagte mir
vor kurzem: "Einen Politiker zu verkaufen ist wie Zahnpasta verkaufen, mit
einem wichtigen Unterschied Zahnpasta redet nicht!".
Daher sagt Wahlkampfpropaganda nicht viel aus über die wahren Vorhaben der
Hauptpolitiker und ihrer Parteien. Man kann von vorneherein annehmen, dass
die meisten Inhalte der Spots betrügerisch sind. Würde ein kommerzielles
Unternehmen derart betrügerische Prospekte an der Börse verbreiten, es
würde angezeigt.
Heißt das, dass Wahlkampfpropaganda nicht interessant ist? Im Gegenteil,
man kann eine Menge davon lernen. Es spiegelt zwar nicht die wahren
Positionen der Parteien wider, aber sehr wohl die öffentliche Stimmung.
Genauer: die öffentliche Stimmung, wie sie sich den Experten kundgibt, die
täglich Umfragen durchführen, Testgruppen untersuchen und dergleichen.
IN EINEM seiner Fälle bemerkt Sherlock Holmes, dass die Lösung des Rätsels
in einem eigenartigen Vorfall mit dem Hund während der Nachtzeit begründet
sein muss. " Aber der Hund hat diese Nacht überhaupt nichts getan!", ruft
sein Assistent aus. "Genau das ist sonderbar!", erwidert Sherlock Holmes.
Der bemerkenswerte Vorfall der gegenwärtigen Wahlkampagne, ist das Wort,
das in ihr nicht vorkommt: das Wort "Frieden".
Ein Fremder wird das nicht verstehen. Immerhin ist Israel in einem
ständigen Kriegszustand. Die Sendungen sind voll von angsterregenden
Hamas-Paraden. Die Angst vor Selbstmordattentätern ist in Israel größer als
jede andere Angst. Die Logik sagt, dass eine Partei, die den Frieden
verspricht, allerhöchste Popularität erreichen wird. Dennoch, Wunder über
Wunder, keine der wichtigen Parteien beansprucht diese Krone für sich. Mehr
als das, keine der wichtigen Parteien lässt in den Sendungen auch nur das
Wort "Frieden" über die Lippen kommen.
Kadima spricht von Hoffnung, Hoffnung, Hoffnung ohne klarzumachen um
welche Hoffnung es sich handelt, Hoffnung auf was? Sie spricht von "Macht",
sogar von der "Chance auf einen politischen Zug". Frieden? Njet.
Kadima´s Meisterstück ist ein TV Spot in welchem sie Herzl, Ben-Gurion,
Begin, Sharon und Rabin für die eigenen Zwecke einspannt. Dieser Spot zeigt
Herzl beim Verkünden der zionistischen Idee, Ben-Gurion bei der
Staatsgründung, Begin beim Friedenmachen mit Ägypten, Scharon beim
Überqueren des Suez-Kanals im Yom-Kippur-Krieg und Rabin bei der
Friedenvertragsunterzeichnung mit König Hussein.
König Hussein? Moment mal. Hat Rabin nicht ein Abkommen mit der PLO
unterschrieben und die Hand Arafats geschüttelt? War das nicht der
Höhepunkt seines Lebens? Wurde ihm nicht der Friedensnobelpreis für diese
Tat verliehen? War der Frieden mit Hussein nicht eher ein Nachtrag, da
Hussein bereits mehr als 40 Jahre lang ein inoffizieller Verbündeter
Israels gewesen war? Aber Kadima hat sich entschlossen, Arafat um keinen
Preis zu zeigen. Die Partei könnte, Gott bewahre, beschuldigt werden,
Frieden mit den Palästinensern anzustreben!
Amir Peretz hätte versucht sein können, über Frieden zu reden, wenn seine
Wärter nicht rechtzeitig beschlossen hätten, ihn wegzuschließen. Er fühlt
sich sehr viel sicherer, über Kinder ohne Nahrung und Alte ohne Pensionen
zu reden.
Der Likud spricht natürlich nicht über Frieden. Benjamin Netanyahu ist
hervorragend darin, wenn es darum geht, Leuten einen Schrecken einzujagen.
Zu diesem Zwecke holte er vom Schrottplatz ein paar gebrauchte Generäle
zurück, die bezeugten, dass Hamas und die Palästinensische
Autonomiebehörde genau wie die schreckliche Iranische Bombe - eine
existentielle Bedrohung Israels darstellen. Nur der große Bibi weiß, wie
man mit denen umgehen muss. Frieden? Mach´ keine Witze!
Am amüsantesten ist die Meretz, die von Yossi Beilin, dem Erfinder der
"Genfer Initiative", angeführt wird. In Ihrem Hauptwerbespot werden Frauen
und Männer gezeigt, die Papierstreifen in die Ritzen der Klagemauer
stecken, während sie ihrem dringlichsten Wunsch Ausdruck geben. Es gibt
eine Frau, die sich nach einem akademischen Abschluss sehnt, ein Mann, der
einen anderen Mann heiraten will, ein Großvater, der dringend Geld braucht,
um seinem Enkelsohn ein Geschenk kaufen zu können, eine Christin, die
sehnlichst als Jüdin anerkannt werden will, eine Mutter, die ihr Kind in
den Kindergarten schicken möchte, eine Frau, die nach einer Scheidung
schmachtet. Und was ist das eine, nach dem sich - laut Meretz
Propaganda niemand sehnt, nach dem niemand schmachtet, nach dem niemand
verlangt?
Richtig geraten: Frieden.
WAS SAGT das über die israelische Öffentlichkeit im Jahre 2006 aus?
Das besagt, dass die große Mehrheit der jüdischen Israelis nicht an Frieden
glaubt. Frieden wird als Traum wahrgenommen, als etwas, das nichts mit der
Wirklichkeit zu tun hat. Eine Partei, die über Frieden spricht, gerät in
den Verdacht, in einer Phantasiewelt zu leben. Noch schlimmer, man könnte
vermuten, sie sei "Araber-liebend". Was könnte entsetzlicher sein?
Also an was glauben die Israelis? Sie wollen einen jüdischen Staat mit
einer jüdischen Mehrheit, die so groß wie nur irgend möglich sein soll.
Darin besteht Übereinkunft zwischen allen jüdischen Parteien. Sie glauben
daran, die endgültigen Grenzen Israels unilateral festschreiben zu können,
ohne mit diesen Palästinensern zu sprechen. Die Palästinenser haben, wie ja
jedermann weiß, soeben die Hamas gewählt und wollen uns ins Meer werfen.
Welche Grenzen? Ehud Olmert enthüllt schrittweise, was er im Sinn hat.
Seine Karte wird die Leser dieser Kolumne nicht überraschen. Sein
Groß-Israel beinhaltet das ganze Territorium, das zwischen der
Trennungsmauer und der Grünen Linie liegt; und zusätzlich das Jordantal;
Groß-Jerusalem einschließlich der Ma´aleh Adumim Siedlung und des
Territoriums zwischen dieser und der Stadt (wobei einige dicht besiedelte
arabische Viertel aufgegeben werden); die Siedlungsblöcke von Ariel,
Alfei-Menashe, Modi´in-Illit und Gush Etzion; sowie "spezielle
Sicherheitsbereiche". Er nimmt sich in acht, nicht wirklich eine Karte zu
zeichnen, so dass über die Grenzen der Siedlungsblocks keine Gewissheit
besteht. Aber er beabsichtigt definitiv mehr als die Hälfte des
Westjordanlandes zu annektieren.
Für Netanyahu ist dies natürlich krasser Verrat, eine beschämende
Unterwerfung unter die Araber. In seinen Sendungen prangert er Olmert´s
Grenzen als Grenzen an, "die zum Terrorismus einladen". Der Likud zeichnet
tatsächlich eine Karte, in der die Mauer direkt in das Herz des
Westjordanlandes geschoben wird.
Die Arbeiterpartei und Meretz stimmen im Prinzip der Annektierung der
Siedlungsblöcke zu, aber sie veröffentlichen keine Karten. Sie erwähnen
halbherzig einen undefinierten Tausch von Territorien. Kein Wunder, wo sie
doch beinahe öffentlich wahrnehmbar davon träumen, sich einer Koalition
unter Olmert anschließen zu können, die ja wahrscheinlich nach den Wahlen
zustande kommen wird. Die Koaltionskarte ist wichtiger als die Karte der
annektierten Territorien.
Und Frieden? Pscht, pscht!
(Aus dem Englischen: Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de
erstellt am 11.03.2006
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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