[E-rundbrief] Info 177 - RB 115 - Werner Katzmann: Hat Nachhaltigkeit Zukunft?
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Fr Dez 10 23:34:28 CET 2004
E-Rundbrief - Info 177 - 115. Rundbrief - Werner Katzmann (1943 -2004):
Nachhaltigkeit schafft neuen Wohlstand; Hat der Mensch eine Zukunft ?
Gedanken nach Johannesburg 2002.
Bad Ischl, 10.12.2004
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Nachhaltigkeit schafft neuen Wohlstand
Werner Katzmann
Der provokante Titel lässt die Frage offen, für wen und für wie lange für
die 6,5 Milliarden Erdenbürger das gilt. Und weiter, was unter
Nachhaltigkeit letztlich verstanden wird. Denn für gut sechs Milliarden
Menschen trifft wohl weder die Nachhaltigkeit noch der Wohlstand zu...
Je naturferner wir leben die meisten müssen umso weniger können wir in
Bildung und Erziehung Naturverständnis und damit auch Verständnis für
Nachhaltigkeit entwickeln.
Neil Postman (gestorben 2003) sprach von der Notwendigkeit einer zweiten
Aufklärung, Ceausescu Roegen davon, dass unsere Ökonomie für Land- und
Forstwirtschaft - also unsere Lebensbasis - keine Antworten wüsste. Egon
Matzner (gestorben 2003) meinte, dass C. Roegen der wichtigste Ökonom des
21. Jahrhunderts sein werde. Frederick Vester (gestorben 2003) wurde durch
seine kybernetischen Modelle weithin berühmt.
Was diese unterschiedlichen Männer einte, war ihre ganzheitliche Sicht der
Welt. Um auch eine berühmte Frau zu nennen, sei an Rachel Carson erinnert,
die den "Stummen Frühling" vorhersah. Merken Sie was?
Die wesentlichsten "Einsichtsträger" sind verstorben, und neue wird und
kann es nicht mehr geben, da unser Bildungssystem weder Verständnis noch
Einsicht generiert, im Gegenteil. Selbst die Kirche hat sich von ihrer
Verantwortung für die Schöpfung abgewandt.
Ein gängiges Ondit besagt, dass sich der Wissenszuwachs etwa alle vier
Jahre verdoppelt. Das mag für Naturwissenschaft und Technik gelten, die
ertragsorientiert unser Bildungssystem erobert haben. Es gilt aber sicher
nicht für unser Wissen über Kulturlandschaft und den Erhalt der notwendigen
Produktionsleistungen unserer Ökosysteme. Hier geht eher Wissen
verloren kein Wunder bei den weltweiten Verlusten an Kulturpflanzen sowie
wild lebenden Pflanzen und Tierarten.
Mit Bedacht sei als Beispiel die rund 50 Millionen Jahre alte Gilde der
Schmetterlinge gewählt. Damals kletterten unsere Urahnen noch auf Bäumen.
Da schrieb ein Univ.-Prof. Dr. Max Dingler über die "Falterlose Welt" im
Rückblick auf seine Forscherlaufbahn der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bis nach
dem 2. Weltkrieg im Jahr 1957: "Sollte aber die Minderung der gesamten
Individuenzahl seit einem halben Jahrhundert geschätzt werden, so schiene
mir ein durchschnittliches Verhältnis von 100 : 1 noch zu niedrig gegriffen
zu sein."
Und er kam zum Schluss, dass Pestizide und Düngung die Verursacher waren.
Und das viele Jahre, bevor in ganz Europa der Gehalt an Nitraten (und
etliches mehr) im Grundwasser zu steigen begann.
Niemals zuvor in der Geschichte hat der Mensch mehr gegen entstandene
Rohstoffe, Erze und Mineralien zu Schleuderpreisen exhumiert, wobei
beispielsweise beim Rohöl die gesicherten Reserven eher nach unten denn
nach oben revidiert werden.
Was mich verwundert ist, dass sich manche Menschen das Wort Nachhaltigkeit
ohne Schamesröte in den Mund zu nehmen trauen. Entweder aus Unwissenheit
oder aus Opportunismus. Beides ist gleich schlimm.
Univ.-Prof. Dr. Werner Katzmann
Was als "Nachtrag" zum jüngsten Bericht an den Club of Rome gedacht war,
wurde zum Vermächtnis. Werner Katzmann, Visionär und Vordenker des
Umweltschutzes, verstarb am 28. Februar 2004.
http://www.umweltschutz.co.at/index.cfm/id/12566
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Hat der Mensch eine Zukunft ?
Gedanken nach Johannesburg 2002
Werner Katzmann (1943 -2004)
Die Nichtnachhaltigkeit der globalen Ökonomie, die auf enormem
Ressourcenverschleiß aufbaut, führt jede Nachhaltigkeitsdiskussion von
vornherein ad absurdum: Klimawandel, zunehmende Wetterextreme, das
absehbare Ende der Weltfischerei, Wald- und Bodenverluste, die Süß- und
Grundwassermisere u.a.m. werden auch unserer "Spaßlandschaft" ein baldiges
Ende bereiten (vielleicht ist dann statt Gletscherschi Geröllrodeln und
Murenrutschen modern?).
Unsere Bauern tragen gerade noch 1,5 Prozent zum BSP bei; was Wunder,
müssen sie doch mit kanadischen, australischen und amerikanischen
Riesenfarmen und dem Spottlohn in Drittweltländern konkurrieren. Um in
Österreich eine Nahrungskalorie zu erzeugen sind schon 10 fossile Kalorien
nötig.
Vor 7 Jahren wurde von allen Parlamentsparteien ein nationaler Umweltplan
verabschiedet. Darin waren seitenweise kurz-, mittel- und langfristige
Maßnahmen aufgelistet. Seither ward nichts mehr vom NUP gehört. Hingegen
ist klar geworden, dass Österreich großspurig lebt: rund dreimal so groß
wie unser Land ist jene Fläche die wir im Ausland, vorzugsweise den ärmeren
Ländern für unser Wohlergehen beanspruchen. Die ökonomische Logik dahinter
ist natürlich, dass in ärmeren Ländern auch billiger produziert werden
kann. Ein Gang durch jeden x-beliebigen Supermarkt bestätigt dies. Jeder
Einkaufsmarkt ein Neokolonialwarenladen. Egal ob es sich um Schuhe,
Bekleidung, Nahrungsmittel, technische Produkte, was auch immer handelt.
In aller Munde ist die Nachhaltigkeit und dort wird sie wohl auch bleiben.
Das Kyotoprotokoll, das uns zur Reduktion des Treibhausgases Kohlendioxid
verpflichtet, ist nur ein klitzekleiner Stein am Weg zur Nachhaltigkeit und
nicht einmal diesen können wir einbringen. Aber abgesehen von den
Milliarden Tonnen an Rohöl, die wir alljährlich verheizen, zeigen alle
Bilanzen unseren beschleunigten Weg in die Katastrophe. In gleicher Weise
wie das Kohlendioxid in der Atmosphäre nach oben geht, geht es mit den
Wäldern weltweit bergab. So wurden alleine im Jahr 2000 18 Millionen ha
primärer Tropenwald kahl geschlagen, dazu kamen noch 19 Millionen ha
ursprüngliche Wälder in anderen Weltregionen (Kanada, USA, Russland).
Ein winziges Detail: das waldreiche Österreich importiert mehr Holz als es
exportiert und verbraucht pro Kopf und Jahr schon 300 Kilo Papier. Würden
dies alle Menschen tun, gäbe es keine Wälder mehr. Wir müssen, zynisch
gesprochen, nicht Bildung, sondern den Analphabetismus fördern, was
letztlich in der sogenannten 3. Welt auch geschieht.
Wir brauchen keine Sklaven mehr importieren, wir lassen diese, dank
billiger Transportkosten dort arbeiten wo sie sind, von Kindesbeinen an.
Die Meere werden weiterhin mit kräftigen Subventionen leergefischt. *) Je
höher die Subventionen der Fangflotten, umso eher zahlt es sich aus auch
noch den letzten Kabeljau wegzufischen. Dass so nebenbei das gesamte marine
Biotop der Verwüstung und Ausrottung anheim fällt, kann schon als lässliche
Sünde bezeichnet werden. In Jahrmillionen co-evolutionierte
Lebensgemeinschaften gehen zugrunde. Manche Meeresböden werden schon
jährlich zweimal quadratmeterweise von Fischernetzen umgepflügt. Dabei wird
auch munter die Nahrungskette nach unten gefischt. In der Adria
verschwanden zuerst die Thunfische, die Schwertfische, in den 70er Jahren
die Makrelen und jetzt sind die Sardinen dran, die als (billiges?) Futter
für die Thunfischzucht in den Netzkäfigen gebraucht werden. Damit gehts
aber auch jenen ökonomisch wenig interessanten Arten an den Kragen, die von
der Reproduktion der Sardinen abhängig sind. Dafür sind in der Adria
plötzlich subtropische Fische aufgetaucht und das Auftreten des
Meeresschnees ist zur absurden jährlichen Normalität geworden. Folgen der
Erwärmung.
Als neueste Innovation wird bis in 1500 m Tiefe gefischt. Jeder dort
gefangene Fisch ist wenigstens 200 - 300 Jahre alt, da bei Temperaturen um
2 Grad und geringen Nahrungsmöglichkeiten das Wachstum extrem langsam erfolgt.
Gerade am Schicksal des Kabeljaus zeigt sich, wie mit Innovation und
Rationalisierung letztlich immer mehr gefangen wurde und schließlich nichts
mehr: die Flotten verrosten und zehntausende Fischer sind seit Beginn der
90er Jahre ums Brot gebracht. Dabei legt ein Kabeljauweibchen rund 9
Millionen Eier und kein Wissenschafter glaubte an die Erschöpflichkeit
dieser Fische. Man hätte gewarnt sein können. innerhalb von 20 Jahren
gelang es der amerikanischen Jägerschaft das Milliardenheer der Wandertaube
auszurotten.
Die Böden an Land werden weiterhin ruiniert. Rund ein Drittel der
weltweiten Landfläche sind bereits der Verwüstung anheim gefallen bzw.
knapp davor. Überweidung, Versalzung, fehlgeschlagene Landwirtschaft und
anderes sind die Ursachen. Gerade noch 2 Hektar stehen uns pro Kopf der
Weltbevölkerung an fruchtbaren Böden und Weiden zu und diese werden nicht
nur durch das Anwachsen der Weltbevölkerung weniger. Nun lässt sich zeigen,
dass der Nahrungsbedarf pro Kopf auf 2000 m2 produziert werden kann; doch
es geht nicht nur um die Ernährung. Es geht auch um die Bewässerung. Über
70 Prozent des weltweiten Süßwasserbedarfs dienen der Landwirtschaft. Diese
stößt heute schon an Grenzen.
Etwa 800 Millionen Menschen hungern weltweit, rund genausoviele wie jene
Menschen in den Industrieregionen, die die Ressourcen dieser Welt
vornehmlich für sich beanspruchen. Und auch diese gehören beileibe nicht
alle zu den Begüterten. Im Gegenteil zeigt sich, dass immer weniger mehr
und immer mehr weniger verdienen.
Die Landschaft von ehedem, die rund um unsere Städte und Dörfer einen
alltäglichen Bezug zu unserer Ernährung lieferte, ist einem flurbereinigten
und drainagierten Einerlei gewichen mit Raps und Sonnenblumen und immer
größeren ökologischen Defiziten. Essen Sie Raps?
Rund 10 mal so hoch wie die Neubildungsrate des Bodens sind auch in
Österreich die Bodenerosionsraten. In Weingärten kann der Abtrag auch das
100fache erreichen. Trotzdem sind unsere Supermärkte voll. Dies alles
erzeugt die gefährliche Illusion nicht von den Erträgen der Landschaft
ringsum abhängig zu sein; mit dieser beliebig verfahren zu können. Wir
haben keinen Bezug mehr zur Landschaft, sie ist wert-los geworden.
Folgerichtig wurden auch in Österreich die Forschungsmittel für die Zukunft
der Kulturlandschaft gestrichen oder erheblich gekürzt. Der Scherz von der
steirischen Fruchtfolge: Mais - Mais - Bauland hat überall seine bittere
Wahrheit.
Eine weitere Katastrophe ist der weltweite Schwund des Grundwassers, die
Übernutzung der Flüsse und Bäche. In Österreich steht kaum noch die
Wasserqualität im Vordergrund. Die ist eher andernorts besorgniserregend:
95 Prozent aller Abwässer landen ungeklärt in Flüssen und im Meer. Es geht
darum, durch den Rückbau der Bäche und Flüsse Katastrophenvorsorge zu
betreiben, den Rückhalt des Wassers im Raum und die Grundwasseranreicherung
wieder zu gewährleisten. Vor allem im niederschlagsarmen Osten ein Gebot
der Stunde. Trotz sinkender Niederschläge bringt es nämlich der
Treibhauseffekt mit sich, dass Einzelereignisse immer heftiger und
gefährlicher ausfallen können.
So können kleinräumige Überflutungen überall vorkommen.
Unwillkürlich wird man an die Sahara erinnert, wo angeblich mehr Leute
ertrinken als verdursten.
Die Hybris der Gentechnik und des Ertragsdenkens hat einen Kahlschlag an
Nutztieren und Nutzpflanzen verursacht, den niemand wieder gut machen kann.
Weltweit sind wir längst über die Tragekapazität der Erde weit
hinausgeschossen, einerseits ermöglicht durch den Raubbau am gegenwärtigem
und künftigem Naturvermögen, andererseits durch den Verbrauch nicht
erneuerbarer Ressourcen. Damit ist beileibe nicht nur das Rohöl gemeint.
Edelmetalle, Buntmetalle und Mineralien mit eingeschlossen.
Die biblische Katastrophe auf die wir sehenden Auges zusteuern, wird auch
zum Einsatz von bakteriologischen und atomaren Waffen führen. Die Politik
steht diesen Vorgängen einer globalisierten Wirtschaft hilf- und tatenlos
gegenüber. Ist schon sozialer Ausgleich bei uns immer weniger zu schaffen,
wie soll dies global geschehen? Desgleichen ist die Politik immer weniger
demokratisch legitimiert, wie wenig ist es dann die globale Wirtschaft?
Die angeschnittenen Themen lassen sich beliebig zu Lexikonstärke ausdehnen.
Schlichte Gemüter mögen meinen, dass die Menschheit immer noch einen Ausweg
gefunden hat. Diesen lässt sich nur ökonomisch antworten: wo nichts mehr zu
investieren da ist, kann auch nichts mehr gewonnen werden. Oder in der
alten Weisheit: wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.
Letzteres als Erfahrung der Weltgeschichte.
Den Schönfärbern und Dampfplauderern des Optimismus (einer perfiden Form
von Polemik) sei, 10 Jahre nach Rio ins Stammbuch geschrieben, dass sie
Politik nicht mit Propaganda verwechseln mögen, letzteres hatten wir schon
einmal. Die angeführten Fakten und zahllose weitere können nämlich heute
überall nachgelesen werden. Übrigens nicht erst seit heute: schon 1980 hat
die UN eine Reihe von Fakten veröffentlicht, die alle angeschnittenen
Fragen berührten, die Wald- und Bodenverluste bilanzierten, das
Süßwasserproblem aufzeigten usf.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass der Abbau der Wälder und der
Verlust fruchtbarer Böden gleichfalls den Treibhauseffekt anheizen, im
Gegenzug Wälder und Böden immer weniger Kohlendioxid binden können.
Autor: Univ.-Prof. Dr. Werner Katzmann (geb. 6. Mai 1943 gest. 28.
Februar 2004 )
hat sich als Visionär und Vordenker Zeit seines Lebens für die
Umweltbildung engagiert,
Fehlentwicklungen mutig aufgezeigt und durch seine offene und mitreißende
Art viele zum kritischen Nachdenken bewegt.
http://members.vienna.at/bioware/wkatzmann.htm
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*) Ein Buchtipp dazu:
Hans-Peter Rodenberg: See in Not. Die größte Nahrungsquelles des Planeten:
eine Bestandsaufnahme. 2004 marebuchverlag. 29,90
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