[E-rundbrief] Info 63 - RB Nr.111 - Hildegard Goss-Mayr: Gewaltfreiheit als Voraussetzung f�r Frieden
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Sa Nov 1 16:13:43 CET 2003
E-Rundbrief - Info 63 - RB. Nr 111 - Hildegard Goss-Mayr: Gewaltfreiheit
als Voraussetzung für Frieden
Bad Ischl, 1.11.2003
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Gewaltfreiheit als Voraussetzung für Frieden
Festansprache von
Hildegard Goss-Mayr
Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes und des
österreichischen Versöhnungsbundes
... wir haben in all diesen Jahren der Arbeit des Versöhnungsbundes
gelernt, jeweils die Situation, in der sich die Weltgemeinschaft befindet,
zu analysieren und uns dann gefragt, welchen bescheidenen, aber vielleicht
wesentlichen Beitrag wir als kleine Bewegung, auch in Zusammenarbeit mit
anderen, aus der Kraft der Gewaltfreiheit leisten können.
Entscheidend dafür ist zu allererst die Arbeit an uns selbst. Auch Gandhi
hat das immer betont, wenn wieder Gewalt ausgebrochen war: "Ich habe noch
nicht genügend Umkehr gehalten, ich habe noch nicht genug Raum in mir
gegeben für die Kraft der Liebe, dass sie von mir ausstrahlen könnte". Ich
glaube, diesen Blick in uns hinein, in diesen Raum der Liebe, der
Gerechtigkeit, der Wahrheit, dürfen wir nicht vergessen. Mit diesem Blick
müssen wir unser ganzes Leben lang unterwegs bleiben.
Entscheidend ist zweitens die Frage nach den Ursachen und Wurzeln der
wachsenden Gewalt in unserer Gesellschaft hier in Europa, auch bei uns in
Österreich, wie dem harten Wettbewerb und dem Konsumismus in einem neuen,
radikalen Neoliberalismus, der die menschlichen Aspekte in uns zurückdrängt
und uns in eine sehr kalte und inhumane Situation stellt. Deshalb ist die
Erziehung zum Frieden ganz wesentlich für die Zukunft unserer Arbeit -
angefangen in unseren Familien, in der Partnerschaft, in den Schulen und
den verschiedenen Ebenen unserer Gesellschaft bis hin zum Mitwirken an dem
Versuch, eine alternative Globalisierung, die den Menschen im Blick hat und
nicht die Macht und das Geld, im Rahmen des Sozialforums zu entwickeln.
Ganz wesentlich ist vielleicht auch, dass gerade wir als Gewaltfreie
innerhalb dieser aufbrechenden Bewegung, die revolutionär ist, d.h., die
der gegenwärtigen Form der Globalisierung etwas ganz Neues entgegenstellt,
gegenwärtig sind, um zu verhindern, dass die revolutionäre Ungeduld
neuerlich zu den traditionellen Formen der Revolution, also zu Gewalt oder
Terrorismus führt. Wir müssen innerhalb dieser für die Zukunft so wichtigen
Bewegung aufzeigen, dass es nur einen Weg gibt: den der gewaltfreien
Veränderung. Wenn wir diesen Weg nicht gehen, dann ist dieser Versuch von
Anfang an gescheitert und wird entweder im Chaos oder in der Verzweiflung
enden...
Aus: Spinnrad Nr. 3/ September 2003, Internationaler Versöhnungsbund,
Österr. Zweig, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien
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Die Macht der Gewaltlosen
Der Christ und die Revolution am Beispiel Brasiliens
Hildegard Goss-Mayr
"... Die Kirche, die Theologie, die Laien haben sich erst ganz wenig mit
der Frage nach dem Beitrag des Christen zur Revolution beschäftigt; und
schon wird die Antwort mit unerbittlicher Dringlichkeit gefordert, da sonst
nichts bleibt als die Revolte, das gegenseitige Morden, aus dem die
Gesellschaft wohl verändert, aber zerschlagen und ohne wirkliche
Bewältigung der Gegensätze, in noch größeres Elend verstrickt, hervorgeht.
(Seite 105)
... Das radikal Neue, das die wirtschaftlich-soziale Revolution in den
Ländern der Dritten Welt hervorbringen will, verlangt in gleicher Weise die
Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen wie ein neues
Denken, eine neue Sicht vom Menschen. Da die Dritte Welt jedoch in engster
Verstrickung mit der Welt der "Reichen", d.h. mit den industrialisierten
Ländern lebt, muß dieser revolutionäre Prozeß auch auf diese Länder
übergreifen und deren wirtschaftliche und soziale Strukturen sowie ihr
Denken beeinflussen. Es handelt sich also nicht nur um ein lokales oder
kontinentales Geschehen, sondern um einen Prozeß, in den die gesamte Welt
verflochten ist. Man muß sich darüber klar sein, daß es sich um einen
Umbruch handelt, der bis an die Strukturen der Gesellschaftsordnung in
allen Teilen der Welt reichen muß, um diese neu zu gestalten. Die Frage der
Mittel und der Wege, deren sich die Revolutionen bedienten und die in
Zukunft beschritten werden, soll zunächst noch offen bleiben. Selbst wenn
die bedeutendsten europäischen Revolutionen, die Französische und die
Russische, von Gewalt, Haß, Vernichtung, Bürgerkrieg und Diktatur
gekennzeichnet waren, so besagt das nicht, daß diese Modelle die einzig
möglichen sind, daß sie für die Zukunft wünschenswert seien und den echten
Bedürfnissen der Menschen, um derentwillen und unter deren Mitwirkung sie
geführt werden, entsprechen. Es wird zu untersuchen sein, ob im Bereiche
der menschlichen Möglichkeiten nicht noch andere Kräfte liegen als die der
Zerstörung, um eine unabdingbare und historisch notwendige Umgestaltung zu
vollziehen. ...(Seite 109)
... Es wird jedoch einer ungeheuren und konzentrierten Anstrengung
bedürfen, um die Wirtschaftsgruppen der reichen Staaten für eine neue,
solidarische Weltwirtschaftspolitik zu gewinnen. Denn das größte Hindernis
auf dem Wege zu einer gerechten Wirtschaftspolitik ist das Eigeninteresse
der Wirtschaftsmächte. Zweifellos ist eine Änderung der Wirtschaftspolitik
zugunsten der Dritten Welt mit bedeutenden Opfern verbunden. Diese
materiellen Opfer werden sich auf die gesamte Bevölkerung der
hochindustrialisierten Länder auswirken, müssen jedoch in erster Linie von
den Unternehmergruppen getragen werden, denen dank der billigen Rohstoffe
der größte Gewinn zufließt. Ohne Gesinnungsänderung auf dieser Ebene werden
die besten Vorschläge der Entwicklungstechniker und Wirtschaftsexperten
wirkungslos bleiben.
Genauso wie die gewaltlose Aktion an der Basis befinden sich auch die
gewaltlosen Bemühungen um die Umgestaltung der internationalen
Wirtschaftskonzeptionen in der ersten Phase ihrer Entwicklung und auf der
Suche nach einer wirksamen Strategie. Auch auf diesem Gebiet gilt, daß
hinter dem System der Marktwirtschaft, hinter wirtschaftlichen Exzessen,
die von Konzernen und Großfirmen verübt werden, Menschen stehen, die ein
Gewissen besitzen, an das appelliert werden kann und muß. Es müssen die
rechten Wege und Mittel gefunden werden, um auf diese Kreise Einfluß zu
nehmen, um Druck auszuüben.
Daß diese Initiativen, die sich in Westeuropa anbahnen, vor allem und
ganz besonders in den Vereinigten Staaten, der größten Wirtschaftsmacht der
Welt, aufgebaut werden müssen, braucht nicht betont zu werden. Hier könnte
ein geeintes Europa, das nicht nur den Eigeninteressen ergeben ist, sondern
als neue Wirtschaftsmacht sich der Sache der Dritten Welt annimmt, einen
hervorragenden Dienst leisten.
Die Tatsache, daß in dem Kampf um die Überwindung neokolonialer und
kapitalistischer Wirtschaftskonzeptionen noch kaum ein sichtbarer Erfolg
nachzuweisen ist, darf nicht zur Verzweiflung führen, sondern soll im
Gegenteil dazu anspornen, daß viel mehr menschliches Wissen und menschliche
Energie in den Dienst der Entwicklung gewaltloser Methoden zur Veränderung
auch komplizierter wirtschaftlicher Konflikte gestellt werden. Denn gelingt
es nicht, diese Umgestaltung in friedlicher Weise durchzusetzen, so werden
die Armen gegen die Reichen revoltieren und die Folgen werden für die
gesamte Erdbevölkerung bitter sein... (Seite 176)"
Aus: Hildegard Goss-Mayr : Die Macht der Gewaltlosen. Der Christ und die
Revolution am Beispiel Brasiliens. 1968, Styria Verlag (Ausschnitte)
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Matthias Reichl
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