[E-rundbrief] Info 47 - GATS: 8 Gruende dagegen; Rede Klestils

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Sa Okt 25 11:14:03 CEST 2003


E-Rundbrief - Info 47

Bad Ischl, 25.10.2003

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at

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Acht Gründe gegen das GATS

Christian Felber, ATTAC-Österreich

(Aktualisiert im Oktober 2003)

1. Geheimverhandlungen

Es ist für eine Demokratie unverzeihlich, dass so weitreichende globale 
Wirtschaftsverhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die 
Mehrheit der österreichischen ParlamentarierInnen wusste vom GATS bis Mitte 
September 2002 nichts. In den Aussendungen der Austria Presse Agentur (APA) 
kam das Wort "GATS" von September 2001 bis September 2002 gezählte 11mal 
vor. (Das Wort "Hollywood" 1209mal.) Auf der Homepage des 
Wirtschaftsministeriums finden sich bis heute (Mitte 2003) weder die 
genauen Forderungen noch die genauen Angebote Österreichs/ der EU. 
"Details" wie die Forderung der EU an 72 WTO-Mitglieder, die 
Trinkwasserversorgung für EU-Konzerne zu öffnen, wissen die 
GATS-KritikerInnen nur aufgrund durchgesickerter Geheimdokumente. Es ist 
eine Mindestanforderung an die Demokratie, globale Wirtschaftsverträge 
öffentlich zu verhandeln (und im Zweifelsfall einer Volksabstimmung zu 
unterziehen).

2. Bruch des Subsidiaritätsprinzips

Seit dem EU-Beitritt hat kein Abkommen so massive Auswirkungen auf 
Gemeinden, Städte und Länder gehabt wie das GATS. Durch ihre massive 
Betroffenheit (Trinkwasserversorgung, Nahverkehr, Schulen, Krankenhäuser, 
Kindergärten, Seniorenheime, Energieversorgung, Post, Abwasser, Müllabfuhr, 
...) müsste das GATS eigentlich von den Gemeinden verhandelt oder zumindest 
die nationale Position unter ihrer aktiven Mitbestimmung gebildet werden. 
Bisher waren die Gemeinden jedoch vom demokratischen 
Meinungsbildungsprozess weitgehend ausgeschlossen. Das legt den Verdacht 
nahe, dass sie bewusst ausgespielt werden sollten, um die kommunale 
Daseinsvorsorge schleichend an multinationale Konzerne zu übertragen.

3. Angriff auf die Demokratie

Im GATS sind gleich mehrere Prinzipien enthalten, welche den politischen 
Gestaltungsspielraum von Gemeinden, Ländern und Parlamenten dramatisch 
einschränken.

· Die zwingende Gleichbehandlung von lokalen und ausländischen Anbietern 
(Prinzip der "Inländerbehandlung") macht Regionalpolitik oder die Förderung 
von Nahversorgung unmöglich.

· Die zwingende Gleichbehandlung von armen und reichen Ländern 
("Meistbegünstigung")  z. B. Ghana und USA  macht entwicklungspolitische 
Zielsetzungen zunichte.

· In denjenigen Sektoren, in denen Verpflichtungen eingegangen wurden, 
dürfen Gesetze, Verordnung und Normen (z. B. zum Schutz der Gesundheit oder 
der Umwelt) nur noch dann erlassen werden, wenn sie den freien 
Dienstleistungshandel "nicht mehr als nötig" beschränken. Andernfalls 
können diese Regulierungen vor dem WTO-Gericht geklagt und zu Fall gebracht 
werden. Die Nichtbehinderung des Freihandels wird somit zum übergeordneten 
Verfassungsprinzip, dem sich die gesamte nationale Gesetzgebung unterordnen 
muss. Ein veritabler Sachzwang wird geschaffen. WTO-Recht steht über 
nationalem Recht und sogar über EU-Recht. In einigen Gerichtsurteilen hat 
die WTO bereits EU-Gesetze außer Kraft gesetzt.

· Liberalisierungseinbahn: Wie alle WTO-Abkommen unterliegt das GATS dem 
Prinzip der "fortschreitenden Liberalisierung". Artikel XIX verpflichtet 
zur ständigen Erhöhung des Liberalisierungs-grades in allen Bereichen und 
zur Tilgung von Ausnahmen. Endziel ist die totale Liberalisierung.

· Irrtum ist im GATS verboten: Artikel XXI verbietet 3 Jahre lang die 
Rücknahme einer eingegangenen Liberalisierungsverpflichtung, danach geht es 
nur mit Zustimmung der Handelspartner und unter schmerzhaften 
Kompensationen. Im Lichte historischer Liberalisierungspleiten ist dieser 
Einbahncharakter inakzeptabel. In Wien wurden bereits im 19. Jahrhundert 
die privaten Energieversorger (nach seriellen Gasexplosionen), die privaten 
Straßenbahnen (aufgrund überfüllter, desolater und unpünktlicher Züge) und 
sogar die privat betriebenen Toiletten an der Ringstraße "kommunalisiert". 
Diese, aber auch die Rückverstaatlichung der britischen Eisenbahnen, die 
der Wasserversorgung in Bolivien oder die Rettung der privatisierten 
britischen und französischen Stromversorger wären unter GATS nicht mehr 
möglich.

4. Daseinsvorsorge in Gefahr

Ziel des GATS ist es, langfristig alle Dienstleistungssektoren zu 
liberalisieren. Erschreckender Weise gilt dies auch für den gesamten 
Bereich der öffentlichen Grundversorgung: Gesundheit, Bildung, Pensionen, 
Wasserversorgung Post, Strom, Telekommunikation, Öffentlicher Verkehr.

Fast alle Erfahrungen mit Liberalisierung/ Privatisierung in diesen 
Bereichen zeigen jedoch, dass die Preise und Tarife steigen, dass ein 
zunehmender Teil der Bevölkerung von der Versorgung ausgeschlossen wird, 
dass Versorgungsqualität und -sicherheit abnehmen, dass die Verfolgung 
politischer Ziele wie Umweltschutz, Chancengleichheit oder Nahversorgung 
zugunsten des ausschließlichen Ziels der Profitmaximierung aufgegeben wird 
und dass sich die Arbeitsbedingungen in den liberalisierten Bereichen 
dramatisch verschlechtern. Im Bereich der Daseinsvorsorge sind öffentliche 
Systeme billiger, sozial gerechter und demokratischer. Hier haben der Markt 
und globaler Konzernhandel nichts zu suchen.

5. GATS verschlechtert weltweit die Situation der Frauen

· Frauen sind im Dienstleistungssektor besonders stark vertreten und von 
der globalen Verschärfung der Konkurrenz und der damit einhergehenden 
Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen und der Maximierung des Shareholder 
Value umso mehr betroffen.
· Wenn öffentliche Bereiche privatisiert werden, ist es aus mit der 
Gleichbehandlung, und die Lohnschere zwischen Männern und Frauen öffnet sich.
· Wenn Sozialsysteme beschnitten und privatisiert werden, fallen soziale 
Aufgaben in den Schoß der Familie zurück: Alten-, Kranken- und 
Kinderbetreuung wird üblicherweise  und unentgeltlich  von Frauen verrichtet.

6. GATS vertieft die Nord-Süd-Kluft

Nicht kambodschanische Telekom-, Finanz-, Energie- und Wasserkonzerne 
drängen auf den EU- und US-Markt, sondern umgekehrt. Westliche Konzerne 
werden sich die Märkte in den armen Ländern einverleiben, bevor diese in 
der Lage sind, eigene Dienstleistungsindustrien aufzubauen. Die große 
Mehrheit der Menschen wird damit in die Abhängigkeit der Global Players 
getrieben  wenn sie sich deren "Dienste" überhaupt leisten können: Drei 
Milliarden Menschen haben ein Tageseinkommen von weniger als zwei 
US-Dollar. Wie sollen sie sich bei profitorientierten Aktiengesellschaften 
Gesundheit, Trinkwasser, Energie, Kommunikatikon, Mobilität oder Bildung 
leisten können? Die Konzerne würden sich nur die "Rosinen" herauspicken und 
die große Mehrheit der Menschen unversorgt lassen. Die Entwicklungsländer 
wollten keine Dienstleistungsverhandlungen innerhalb der WTO, sie wurden 
aber von den Industrieländern zum Teil mit Drohungen und Erpressungen 
(Streichung der Entwicklungshilfe) K.O.-verhandelt. Wer Interesse am GATS 
hat, zeigt sich an den Forderungen: Bis Mitte 2003 haben nur 16 
Entwicklungsländer Forderungen an die EU gerichtet. Die EU hat hingegen 93 
Entwicklungs- und Schwellenländer mit umfangreichen Forderungen von der 
Krankenversicherung bis zur Wasserversorgung konfrontiert. Die indische NGO 
Equations bezeichnet dies als "frontale Attacke" auf die indische Verfassung.

7. GATS ist unvereinbar mit Nachhaltiger Entwicklung

· Die WTO ist nicht Teil des UN-Systems und nimmt keine Rücksicht auf 
"handelsfremde" Politikfelder wie Umweltschutz, Menschenrechte oder soziale 
Sicherheit. Die GATS-Verhandlungen sind weder mit 
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) noch mit Interregierungsorganisationen 
(IGOs) wie dem Umwelt- oder dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen 
(UNEP, UNDP) oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgestimmt. Der 
Ansatz ist Freihandel pur.
· Folglich werden bedenkenlos hochproblematische Dienstleistungen der 
Liberalisierung preisgegeben: Müllverbrennung, Ölförderung, Pipelinebau, 
Abfallbehandlung, Abwasserentsorgung u. a. "Umweltschutz" findet nur am 
Ende der Verschmutzungskette statt ("end of the pipe"), wodurch eine 
Vermeidung der verschmutzenden Aktivitäten verhindert wird. Und wie 
funktioniert profitorientierter Artenschutz?
· Die einseitige Liberalisierung z. B. des Strommarktes ohne gleichzeitige 
ökologische, soziale und kartellrechtliche 
Flankierung  Grundgebührbefreiung für sozial Schwache, progressives 
Tarifmodell, verpflichtender Mindestanteil und kostendeckende 
Einspeisetarife für Ökostrom, strenge Fusionskontrolle  widerspricht 
zutiefst einer nachhaltigen Entwicklung.
· Die oben beschriebene Knebelung der Demokratie  Umweltschutzgesetze 
dürfen nur dann erlassen werden, wenn sie den Freihandel mit 
Dienstleistungen nicht mehr als nötig behindern , stellt einen 
inakzeptablen Stolperstein für nachhaltige Entwicklung dar.

8. Falscher Ansatz

Der (neokoloniale) GATS-Ansatz lautet: Wie kann ich "meinen" Konzernen neue 
Absatzmärkte (im Süden) und neue Profitsektoren (in der öffentlichen 
Daseinsvorsorge) erschließen. Ein UNO-würdiger Ansatz für eine globale 
Politik zum Thema Dienstleistungen müsste lauten: "Wie können alle Menschen 
mit essentiellen Dienstleistungen wie Trinkwasser, Gesundheit, Bildung, 
Alterssicherheit, Mobilität, Energie, Post, Telefon und Internet versorgt 
werden?" Die Ziele dahinter wären Armutsbekämpfung, Herstellung von 
Chancengleichheit, Einlösung von Menschenrechten. Die Mittel dazu wären 
Schuldenstreichung der armen Länder, Tobinsteuer, Erhöhung der 
Entwicklungshilfe auf die versprochenen 0,7 Prozent, zinsenfreie Kredite 
für Investitionen in die Daseinsvorsorge und Technologietransfer im Rahmen 
der Entwicklungszusammenarbeit.

www.attac-austria.org

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Kritik an Privatisierung und Liberalisierung der Grundversorgung

Rede von Bundespräsident Thomas Klestil vor dem Bundeskongress des Österr. 
Gewerkschaftsbundes (ÖGB) am 14.11.2003 in Wien (Auszug)

...Der zweite - vermehrt an mich herangetragene - Fragenbereich betrifft 
die Sorge vieler, dass die öffentliche Verpflichtung zur Grundversorgung 
der Menschen an Gewinn orientierte Unternehmen im In- und Ausland abgegeben 
wird - das heißt abverkauft werden könnte. Nun ist die sogenannte 
Globalisierung ein weltweiter Prozess, der von einem kleinen Industriestaat 
allein nur schwer beeinflusst werden kann. Aber das, was man mit Recht 
"nationalen Schatz" nennen kann, das sollten wir Österreicher gerade in der 
derzeitigen weltwirtschaftlichen Situation keinesfalls abgeben. Wobei nicht 
nur das Wasser und andere Naturschätze zu diesem nationalen Schatz gehören. 
Auch Einrichtungen der Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen im 
Sozial- und Gesundheitsbereich sowie gewinnbringende Branchen in unserer 
Wirtschaft dürfen nicht zum Schaden der Bevölkerung abgegeben werden. 
Bedauerlicherweise werden derzeit im Rahmen der Welthandelsorganisation 
Vorstellungen für ein allgemeines Abkommen über Handel und Dienstleistungen 
entwickelt. Und dieses zielt auf die Privatisierung und Liberalisierung 
sämtlicher öffentlicher Dienstleistungen ab.

    Tatsächlich sind aber die bisherigen Beispiele aus dem Ausland alles 
andere als ermutigend. Ich warne daher eindringlich davor, Vermögenswerte 
und Einrichtungen, die unsere Vorfahren mühsam geschaffen haben, aufzugeben 
- weil wir sie damit jenen entziehen, die darauf angewiesen sind. Und weil 
wir auch für die Zukunft außer Streit stellen sollten, dass die 
wirtschaftspolitischen Leitmotive Österreichs auf eine Vermehrung - und 
nicht Verringerung - von Volksvermögen gerichtet sind.

    Dass der ÖGB in diesem und anderem Zusammenhang als Mahner auftritt, 
verstehe ich als Sorge um das Land und seine Menschen; und ich habe großen 
Respekt vor dieser Einstellung. Ich sehe nicht, dass es irgendwo eine "Lust 
am Verhindern" gibt. Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht der Hemmschuh 
einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik, sie ist deren Gewissen. Denn 
weder über die Köpfe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinweg - noch 
gegen ihren Willen - kann eine nachhaltige Entwicklung zum Wohle unseres 
Landes stattfinden..
.
Aus: Aussendung der STOPP-GATS-Kampagne, 14.10.2003, www.stoppgats.at


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Matthias Reichl
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