[E-rundbrief] Info 7 - Peter Schmidt - Irak-Reisebericht

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Fr Aug 8 11:01:28 CEST 2003


E-Rundbrief - Info 7

Bad Ischl, 8.8.2003

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at


Der Irak-Krieg und seine Folgen
Bericht über eine Begegnungsreise nach Bagdad und Basra im Juni 2003
Peter Schmidt
1. Juli 2003
'Das nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein entstandene Vakuum in
Verwaltung und allen öffentlichen Einrichtungen wird aufgefüllt von
erstarkenden und gut organisierten verbrecherischen Strukturen...Beratungen
mit hohen US - Offizieren und Beamten ergeben eine  komplett differierende
Sicht der Probleme und deren Lösungen in unserem Land...'
Treffender könnte wohl niemand die Situation beschreiben, als dieser
Oberarzt des Universitäts -  Spitals in Bagdad, der seine Lagebeurteilung 
sogar am
schwarzen Brett im Foyer des Palestine - Hotels in Bagdad ausgehängt hat.
Gleich daneben hängt ein scharfer Protestbrief  gegen die  andauernder
Übergriffe der US -Army, unterzeichnet  von einem "Local Council of Al -
Jihad - Neighbourhood Bagdad". Al Jihad - wie gefährlich klingt das! Aber was
heißt denn 'Jihad' wirklich? Jihad bedeutet "Campaign", Einsatz, Engagement
z.B. gegen den Hunger, gegen Unrecht, und nicht (nur) 'Heiliger Krieg',
womit die westliche Propaganda den Islam als eine Religion der Fanatiker
abqualifiziert.
Und gerade dieser Zusammenschluß, Zusammenhalt vieler muslimischer Gemeinden
zu 'local councils', zumeist um ihren Pfarrer, ihren Imam, scheint den US -
Truppen und deren Geheimdienst extrem verdächtig und gefährlich.
Mit unserem irakischen Freund Ahmed - er lebt seit Jahren in Wien - 
besuchen wir seine Großfamilie in der Gemeinde Dabash im Nordwesten 
Bagdads. Die
Tage und Gespräche werden exemplarisch für Verzweiflung und Erbitterung im
Irak:
Gleich nach unserer Ankunft in Baghdad ist Ahmed zu seinen Angehörigen nach
Dabash gefahren um Wiedersehen zu feiern. Zurückgekommen ist er spät abends
verstört und fassungslos: US - Kampfflugzeuge vom Typ A 10 hätten Anfang
April unter den flüchtenden Zivilisten ein Massaker veranstaltet, er bittet
uns dort zu recherchieren, seine Angehörigen und Freunde seien bereit, alles
zu bezeugen.

Die Bezirke Al Huria und Al Utafia im Norden Bagdads sind arm, die Familie
Achmeds, zwei Brüder mit Frauen und Kindern, drei Schwestern, Eltern und
Verwandte haben mit Unterstützung Achmeds - er arbeitet als
Maschinenbauingenieur in Wien - bessere Chancen. Wir fahren nach Norden in
Richtung Tarmiya, die breite Straße nach  Mosul ist gesäumt von verbrannten
Autowracks, Schutt, Müllbergen, überall US - Checkpoints mit Panzern und
maschinengewehrbestückten Sandsackbarrikaden; immer wieder begegnen uns US -
Konvois , vorn und am Ende gepanzerte Humber-Geländewagen mit MG -
Schützen in den Dachluken.
  Hier wären im April hunderte flüchtende Familien von den A 10 -
Kampfflugzeugen zusammengeschossen worden, trotz ihrer weißen Fahnen an den
Autos und Häusern, berichtet Ahmed. Am Straßenrand im Sand finden wir noch
immer einzelne Gräber, gekennzeichnet mit großen Palmwedeln, andere Tote
sind schon exhumiert. Aber die meisten der Getöteten hätten die US - Truppen
weggeschafft, berichten die zurückgekehrten Überlebenden. Man zeigt uns  den
LKW mit der arabischen Aufschrift 'Leichenwagen' in einer Seitengasse, zwei
zerschossene Ambulanzen in der Nähe der Rot-Kreuz-Station, durchlöchert von
den hier eingesetzten Clusterbomben, zerstörte Einfamilienhäuser hinter
gekappten und geknickten Palmen, schwarze Fahnen auf den Ruinen.
Langsam ergibt sich das Bild der Ereignisse vom 9. bis 11. April 2003:
Gleichzeitig mit den vorrückenden Panzerspitzen wären die A 10 gekommen. In
Panik flüchteten die Familien mit Autos, zu Fuß, mit Karren aus ihren
Häusern. Offensichtlich fürchteten die US - Panzerbesatzungen, von angeblich
Bewaffneten aus der flüchtenden Menge angegriffen zu werden und die A 10
führten aus, was im Militärjargon als "Luftunterstützung" bezeichnet wird -
ein Massaker an Zivilisten mit uran-angereicherten Geschossen, mit 4000 Schuß
pro Minute. Zusätzlich hätten US - Scharfschützen von Minaretts aus in die 
Menschen geschossen und dann die Moscheen gesprengt, wird uns versichert.
In Dabash erwartet uns im Haus des Gemeindepfarrers, des Imam, eine große
Versammlung. Der zuständige Gemeindearzt ist da, kirchliche Mitarbeiter,
Angehörige der Opfer, Kinder. Was hier geschehen war, seien keine
Einzelfälle wird uns versichert, manches sei von arabischen TV - Sendern
berichtet worden, vieles aber bis heute unbenannt, unbekannt, die Opfer
namenlos. Nach Norden. Nordost, Südost seien viele Menschen aus der Stadt
geflüchtet vor den US - Panzern, Apache-Hubschraubern  und A 10, die vom
Flughafen her, vom Western angegriffen hätten. Die  genaue Höhe der Opfer
würde niemals bekannt werden.
Allein in Dabash schätzt der Imam die Opfer der US - Angriffe aud ca 300 bis
350. Er zeigt uns das Totenbuch der Pfarre: Namen, Datum, Alter und Todesart
sind aufgelistet, Ahmed übersetzt uns eine Seite: Im Auto verbrannt, von
Clusterbomben zerrissen...etwa die Hälfte der Toten sei nicht
identifizierbar, andere hätte man sofort am Straßenrand begraben, oder seien
von den US-Army fortgeschafft worden.
Sein Nachbar Yass Kuthair verlor sechs Angehörige, sie waren zu acht  im
PKW, Tochter und Vater hätten schwer verletzt überlebt. Assil Tabra aus
Dabash, prominentes Mitglied des Irakischen Olympischen Komitees hätte 17
seiner Angehörigen verloren.
Gemeindearzt Dr. Mustafa Abdullah Ali berichtet als Augenzeuge von den
Angriffen: ein einziger Raketenangriff hätte 45 Tote gekostet, er hätte
Opfer mit Schußverletzungen in seiner Privatwohnung versorgt, viele hätten
die Aufforderung der US - Soldaten "hands up" nicht verstanden und seien
erschossen worden.

__________

Gespräch mit Imam Dr. theol.Ahmed Hussein Dabash (Übersetzung: Dipl. Ing.
Ahmed Hameed):
SP: Sie heißen wie der  Name Ihrer Gemeinde - Dabash?...
I: Meine Familie lebt seit Generationen hier, früher hatten sie große
Besitzungen, daher der Name. Ich selbst konnte an der Theologischen
Universität in Bagdad studieren, wollte aber als Imam hierher zurück in
meinen Heimatort.
SP: Wie ist die Situation jetzt?
I: Wir haben uns zu einer Art Hilfsgemeinschaft zusammengeschlossen, aber
die US - Verwaltung hat Versammlungen verboten. Wir haben demonstriert, hier
stehen unsere Transparente, wo wir in arabisch und englisch auch  Sicherheit
vor Plünderungen und Hilfe gefordert haben, denn unsere Lebensmittellager und
die Medikamente der Ambulanz sind ungeschützt... zweimal wurde ich von der
US-Army verhaftet. Sie kamen mit Apache-Hubschraubern und Panzern
hierher - alle Leute waren geschockt...
SP: Was war der Grund?
I: Sie denken, unser 'Imam - Komitee' wäre eine Terrororganisation. sie
haben mich ins Militärgefängnis des ehemaligen Geheimdienstes von Saddam
Hussein gebracht und verhört...dann haben sie sich entschuldigt und mich
wieder nach Hause entlassen - aber wenige Tage später wieder verhaftet mit
Apache und Panzern und später wieder freigelassen...
SP Schikanen?
I: Ich denke, sie wollen uns einschüchtern, denn bei Kontrollen gehen sie
sehr brutal vor, holen dir Leute aus den Autos, zwingen sie stundenlang am
Boden zu liegen...sie haben Angst vor allem was mit dem Islam zu tun hat,
haben völlig falsche Vorstellungen - und schüren damit Haß und Gewalt und
Racheakte...
Meine kleine Tochter steht bis heute unter Schock und braucht ständig Valium
und so geht es vielen Kindern hier...
Gemeindearzt Dr. Mustafa dazu: : Warum können die US - Militärs nicht einige
Offiziere schicken, die mit uns vernünftig verhandeln hier in der Gemeinde -
wir sind für jedes Gespräch bereit! Zu mir ist ein Major Anderson der 
US-Army gekommen und hat mir 400 US-Dollar pro Tag angeboten, wenn ich für ihn
spionieren würde - und Anderson hat unseren Imam immer nur  'Osama'
genannt...
SP: Das müßte doch alles der US .- Verwaltung  gesagt werden...es  müßte
massive Beschwerden geben..
I: (lacht): Sie verkennne die Situation vollkommen! Wo sollen wir und
beschweren? Bei der US-Army? Die lassen uns doch nicht einmal hinein ins
Hauptquartier...
Bei uns hat ca. jede zehnte Familie Opfer zu beklagen - aber zu wem sollen
wir da gehen, wo sollen wir uns beschweren?..

Die Stadt Falludscha in der Nähe Bagdads ist ein Paradebeispiel, wie die US-
Army selbst die Eskalation der Gewalt geschürt hatte:
Ein   Komitee der Stadt hatte Unterhändler zu den Amerikanern geschickt, die
US-Army rückte kampflos Anfang April ein. Die Stadt wurde militärisch
besetzt, mit Sperren, Stützpunkten, schwer bewaffneten Konvois, überall
kreisenden Apaches, Scharfschützen auf den Dächern, brutalen Kontrollen -
aber keine Zusammenarbeit mit der neu gebildeten lokalen Verwaltung im
Stadtkomitee.
In 'legitimer Selbstverteidigung' hätten US-Marines auf Demonstranten
geschossen, hieß es, es gab tote und verletzte Irakis. Die US-Army setzte
Explosivgeschosse und Gewehrgranaten ein. Die Folge waren Anschläge mit
Toten und Verletzten auf beiden Seiten, Zernierung der Stadt und Panzer vor
jeder Moschee. Seither gibt es täglich Kämpfe in Falludscha, die
Hauptverbindungsstraße Jordanien - Bagdad ist fast täglich bei Falludscha
gesperrt.
Die USA  bezichtigen generell Anhänger Saddam Husseins, hinter den immer
häufigeren Angriffen und gewalttätigen Demos zu stehen. Es ist aber die
massive Enttäuschung der Irakis, nach der Befreiung von der Saddam-
Diktatur nunmehr dem Diktat, den Übergriffen und Schikanen der Besatzer
ausgeliefert zu sein:

Am 12. Juni fährt ein US - Panzer durch das Tunnel Hai Algamia im Bezirk Al
Shurta in Bagdad, zermalmt einen Klein - PKW und tötet Frau Ing. Abd al
Qadar und ein mitfahrendes Kind, ihr Onkel und ein zweites Kind überleben
schwer verletzt. Iraker springen aus den Autos, laufen zur Unfallstelle,
stellen den Panzerkommantanten zur Rede. "I am sorry" hören die Umstehenden
noch, bevor er die Luke schließt und davonfährt.
Vor dem Hotel Palestine im Zentrum - dort wo die meisten Journalisten
logieren -  überfällt ein Bewaffneter ein irakischen Ehepaar: Fordert den
Autoschlüssel, reißt der Frau die Halskette herunter und rennt davon. Beim
Hotel sind US - Panzer postiert, stehen Posten, der Überfall passierte am
hellichten Tag, aber kein US - Soldat greift ein...
Ahmeds Neffe gerät in eine Sperre: US - Soldaten winken sein Auto zur Seite,
beginnen es zu durchsuchen. Als sie eine Brieftasche finden, fordern sie den
Besitzer auf, sich zu entfernen. Nach beendetem Check darf er zurück zum
Wagen und weiterfahren - die Brieftasche, in der ca. 1000 US - Dollar waren,
ist leer...
Dr. Al D., ein früher in Wien praktizierender, mir gut bekannter irakischer
Arzt fährt täglich in sein am gegenüberliegenden Tigrisufer liegendes
Spital. An der Brücke eine Sperre, ein US - Soldat und ein Dolmetsch (nach
seiner Aussprache zu schließen, ein Kuweiti, wie sie häufig als
'Hilfspolizisten' bei der US-Army angestellt sind) sperren die Durchfahrt.
Der Arzt erklärt dem Dolmetsch, daß im Spital dringende Fälle auf ihn
warten, er müsse unbedingt in Dienst. Das Gespräch - zugegebenermaßen immer
heftiger werdend -  endet damit, daß der Kuweiti dem Arzt sein Gewehr
dermaßen brutal über den Rücken prügelt, daß Dr. Al. D.  wochenlang
schmerzende  Blutergüsse davonträgt und schließlich umdreht.
Bei den Waffensuche (Abgabe - Stichtag war  Sonntag, der 14. Juni) dringen
US - Truppen bis in die Schlafzimmer ein, tasten Frauen ab, verwüsten Zimmer
und bedrohen und mißhandeln die Bewohner. Es sind kaum Waffen abgegeben
worden - wie sollen sich  die Menschen vor Banden von Plünderern schützen
ohne Waffen?
  Ein Kalaschnikov-Maschingewehr ist am Schwarzmarkt für 5o US Dollar
erhältlich, Hangranaten schon im 25 US-Dollar, Pistolen um 100 USD, erfahren
wir von Ahmeds Freunden.

Wir sind im Haus von Ahmeds Familie in Dabash zum Essen eingeladen. Im Haus
des Imam war es drückend heiß, Stromausfälle sind häufig, Kühlschränke und
Klimaanlagen stehen still. Aber Ahmed hat seiner Familie einen Generator
gespendet, der die vielen Stromausfälle überbrückt -aber  wer sonst kann
sich einen Generator leisten und die gehorteten Lebensmittel verderben.
  Ahmeds Schwester Leila hat an der Universität Bagdad Architektur studiert,
sie hatte lange im Stadtplanungsbüro in Bagdad gearbeitet. Nun ist sie
arbeitslos: Vor wenigen Wochen hat eine (protegierte) US - Firma den
Wiederaufbau übernommen, die irakischen Fachleute sind entlassen worden,
Architektur made in USA ist nunmehr angesagt in Bagdad. Schwester Sara ist
PC - Ingenieurin, auch für sie gibt es keinen Job unter der neuen US -
Verwaltung.
Jasmin, Ahmeds kleine Nichte ist schwer herzkrank. Vor Krieg und  Embargo
hatten die Kliniken Bagdads den besten Ruf im Nahen Osten, zu schwierigen
Operationen kamen Patienten aus den Nachbarländern angereist in den Irak.
Die Herzoperation für Jasmin wäre damals in Bagdad kein Problem gewesen.
Für unser Spitalsprojekt in Basra haben wir mit unserer österreichischen
Ärztin viele Kliniken besucht:  Wissen und Ausbildung der  Ärzte sei
beeindruckend, so Dr. Hobiger aus Wien, unsere Projektleiterin. Aber seit
1991 sei das Land völlig isoliert, das Embargo verhinderte seit zwölf
Jahren jede medizinische Fortbildung und die Lieferung von Medikamenten und
Geräten.  Hunderttausende,  Kinder vor allen, mußten sinnlos sterben, weil -
wie in unserem Fall - die USA alle medizinische Hilfe blockierten. Jetzt
haben die Besatzer die Blockade aufgehoben, obwohl Beweise für
Massenvernichtungswaffen - ein Argument für die Blockade und den
völkerrechtswidrigen Angriff - noch immer nicht gefunden wurden.
  Jetzt ist es der österreichisch - arabischen Gesellschaft gelungen, Jasmin
zur Operation ins AKH nach Wien zu bringen. Ahmed und Jasmins Mutter, Ahmeds
Schwägerin, werden mit uns nach Wien zurückfliegen.
Ahmed zeigt uns in einem Hinterzimmer die Säcke mit Bohnen und Mehl,
Behälter mit Öl und allen Lebensmitteln, die im "Oil for food" - Programm
der UNO monatlich an jede Familie im Irak verteilt wurden. Knapp vor
Kriegsbeginn verteilten die irakischen Stellen alle eingelagerten
Lebensmittel, etwa die Rationen für fünf Monate. "Ohne dem könnten die
meisten Menschen hier nicht überleben", erklärt Ahmed. So wie alles, sei
auch die Versorgung im Krieg zusammengebrochen und  die Verteilung gestoppt
worden. Etwa 6o Prozent der Irakis seien völlig von den Rationen abhängig,
müßtem ansonsten buchstäblich verhungern. Die Arbeitslosigkeit ist enorm,
die Löhne extrem niedrig und Lebensmittel extrem teuer.  Eine dünne
Oberschicht profitiert - wie in jedem Krieg - von Armut und Abhängigkeit.
  Die zweite Reihe der Nomenklatura Saddam Husseins, also jene, die nicht auf
den US  'wanted' - Spielkarten als verdächtig ausgewiesen sind und teilweise.
schon verhaftet wurden, soll inzwischen die mafiosen Strukturen im Irak
bestimmen. Reichtum und Verbindungen haben viele in die Nach - Saddam - Zeit
herübergerettet, letztlich sind viele auch für den Aufbau einer Verwaltung
für die USA unentbehrlich.  Diese mächtigen Gruppen seien "schlimmer als die
US - Mafia", so ein Restaurantbesitzer in Bagdad. "Wenn jetzt jemand
hereinkommt, mich niederschießt und das Restaurant einfach übernimmt und
weiterführt - er würde nicht verfolgt, niemand würde dagegen Einspruch
erheben, bei wem auch?" setzt er hinzu.
Zusammenstöße mit Kriminellen sind alltäglich, es kommt dabei zu grotesken
Situationen: Ein Freund Ahmeds wurde am Weg nach Amara mit seinem Auto von
einer bewaffneten Bande gestoppt. Bevor es noch ans Ausrauben ging,
erblickte der Freund einen alten Bekannten unter den Bandenmitgliedern: Das
Wiedersehen war herzlich und nach einem kurzen eindringlichen Appell des
Bekannten  an seine Spießgesellen ließen die unseren Freund unbehelligt
weiterfahren...
Zumeist enden die Überfälle aber brutal und man riet uns wiederholt ab,
zumindest nach Einbruch der Dunkelheit menschenleere Straßen zu meiden. Es
soll einen schwunghaften Drogenhandel der Irakis mit den US - Truppen geben:
Spezielle Drogen der US-Army bewirken eine starke Reduktion der Emotionen,
unterdrücken Ängste und machen gefühl- und gewissenlos. Kaum ein US -
Bomberpilot oder Soldat in Bodeneinsatz soll darauf verzichten können. Für
unter solchen Drogeneinfluß stehende Räuber ("Ali Baba" in arabisch) zählt
dann ein Menschenleben wenig.

Für einen ehemaligen Pädagogen ist es interessant, mit den jungen
amerikanischen und britischen Soldaten im Irak zu sprechen. Die US -
Soldaten vor allen stammen zum Großteil aus Unterschichten, sind
Südamerikaner - vor allen aus Mexiko - und Schwarzafrikaner. Für die meisten
bedeutet der (freiwillige) Eintritt in die US - Army die einzige Chance
eines sozialen Aufstiegs. Politisch - kritisches Denken ist weder vorhanden,
noch gefragt. Die verheerenden Interventionen der Marines z.B. in
Lateinamerika zur Sicherung der US - Hegemonie und US - Wirtschaft sind für
sie Teil ihres Heldenepos.
Einen Ex - Major der "Marines" stellte ich einmal die Frage, ob denn der
Drill bei der sog. "Elitetruppe" der  Marines tatsächlich so sadistisch -
unmenschlich sei wie im Film "Full Metal Jacket"  von Oliver Stone. "Even
worst", war die Antwort, also noch schlimmer. Letztendlich seien aber alle
stolz, die Ausbildung durchgestanden zu haben und Angehörige der "Marines"
zu sein.
Ähnlich ist es bei den im Südirak um Basra stehenden Briten. Die schottische
"Black Watch" mit ihren roten Quasten am Barett kämpfte schon vor hundert
Jahren unter Kitchener im Sudan. Im britischen Hauptquartier in Basra will
der für die Presse zuständige Captain der "Black Watch" zunächst diese
Heldenepen seines Regiments aufrollen. Tatsächlich war die Schlacht von
Omdurman aber ein Massaker und die meisten Verluste erlitt die Truppe durch
die Cholera und fehlende medizinische Versorgung. Aber jede große Armee hält
sich solche Eliteeinheiten und ihre Mythen.
     Wie bei den "Marines" oder den "Old Ironsides" der US - Army in Bagdad
überspielt die renommierende Zugehörigkeit zu 'Eliteeinheiten' Ängste und
Unsicherheit gerade bei den achtzehn - neunzehnjährigen Soldaten. Die
boulevardträchtige  Vermarktung der Medien trägt dazu bei, im Sinn eines
verlogenen "Korpsgeistes" Brutalität und Töten als schätzenswerte
Eigenschaften dieser jungen Soldaten einzubringen. Sie sind aber auch die
Opfer der fast täglichen Anschläge verbitterter Iraker - und danach die
Opfer verlogenen militärischen Heldengedenkens.

Wer konkrete Fragen hat und  nicht auf die Pressebriefings der Amerikaner
angewiesen sein will, dem steht ein aufreibender Weg durch Kontrollen,
Stacheldrahtsperren und intensiven Befragungen bevor. Schließlich steht man
in einem dunklen Gang  in Saddams alten Konferenzpalast nahe des schwer
bewachten und nunmehr von US - Verwaltungsbeamten belegten Rashid - Hotels.
Hinter einem großen Schreibtisch sitzen mehrere Uniformierte mit Stößen von
Formularen. Alle persönlichen Daten werden eingetragen, alle Papiere
nochmals  gecheckt und schließlich schreibt ein älterer GI unsere Fragen in
die entsprechenden Rubriken. E- mail, Telefon wird verlangt, Hotelanschrift
und Aufenthaltsdauer. Internet funktioniert nicht im Irak, ebenso keine
Telefonleitung und wir fahren schon  am nächsten Tag nach  Basra. Also
bleiben unsere  Fragen nach Sicherheitslage, Übergriffen, Verlusten,
Zukunftsplanung unbeantwortet - vielleicht zur Erleichterung aller
Beteiligten, denn Konkretes hatten wir nicht erwartet.

TEIL 2:

Basra - Projekt, Situation der Schiiten, Bischof Kassab usw...

Basra im Südirak am Schatt el Arab war die wohl von den Kriegen am meisten
betroffene Stadt: Im Krieg gegen den Iran (198o - 88) im Kampf um die
Halbinsel Fao
schwer mitgenommen, war  sie als erste Großstadt im Visier der USA und ihrer
Verbündeten im Golfkrieg 1991. Von den USA ermutigt erhob sich die
schiitische Mehrheit des Südirak gegen Saddam Hussein. Als die USA
befürchteten, der schiitisch - islamische Nachbar Iran würde einen ähnlichen
Mullah - Staat wie den der Ayatollas  im Südirak aufbauen, ließen sie die
Aufständischen im Stich: Eine unruhige Bürgerkriegsszene bzw ein islamisch -
fundamentalistisches Regime in der hochsensiblen Ölregion fürchteten die USA
mehr als einen militärisch - außenpolitisch geschwächten Saddan Hussein.
Zehnrausende Schiiten im Süden fielen den Rachefeldzügen von Saddams Garden
zum Opfer - die übrigens schon von der US - Army eingekesselt waren, aber
mit ihren schweren Waffen und Kampfhubschraubern
gemäß den höheren Interessen der USA freigingen.
  Zwölf Jahre später bezahlten die Briten vor Basra diesen Verrat: Tausende
abgeworfene Flugblätter zeigen einen britischen Soldaten beim Händeschütteln
mit einem Schiiten."We will not abandon you" - "w i r  werden Euch nicht im
Stich lassen" steht in der Sprechblase in englisch und arabisch. Aber die
Schiiten trauten den Versprechen nicht mehr und um Basra mußten die
Engländer schwere Kämpfe bestehen.
Einer ähnlichen Politik von Bush senior fielen übrigens auch Tausende von
Kurden im Nordirak zum Opfer.

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Ein Lichtblick auf unserer Fahrt ist das Projekt "Aladins Wunderlampe" im
Mutter - Kind - Spital in Basra: Die Projektleiterin, unsere Krebsärztin Dr.
Eva Maria Hobiger aus Wien hat mit enormen Engagement durch viele
Zeitungsberichte und Fernsehauftritte - vor allem im Deutschen TV -  die
Finanzierung von Medikamenten und medizinischen Geräten für die krebskranken
Kinder in Basra organisiert. Unter größten Schwierigkeiten gelangten die
Hilfslieferungen nach Basra,  der letzte 1o - Tonnen - LKW mußte zunächst
wegen der Kämpfe bei Falludscha wieder nach Amman zurückkehren, erst beim
zweiten Anlauf kam er trotz Straßensperren und Überfällen bis Basra durch.
Die Leiterin der Kinderklinik, Dr. Jenan Hassan, war im letzten Dezember zur
weiteren Ausbildung - das Embargo gegen den Irak verhinderte jegliche
ärztliche Fortbildung im Land - in Wien. Die Wiedersehensfreude im Spital
war groß und es war wunderbar und berührend zu sehen, wie all die im Lauf
des Projekts eingelangten  Geräte, Einrichtungen und Medikamente für das
Spital eine ungeheure Hilfe bedeuten. Welch ein Unterschied zu unserem
Besuch zwei Jahre vorher, als Dr. Hobiger das Projekt startete! Heute
lächelnde hoffnungsvolle Mütter, Kinder deren Behandlung gesichert ist - vor
zwei Jahren waren a l l e  Fälle rettungslos zum Tod verurteilt!
Aber der Angriff und die Eroberung von Basra hat die Stadt wieder furchtbare
Opfer gekostet: Wie 1991 setzten die Allierten Uranmunition ein, berichtet
Dr. Jenan, die Krebsrate wird weiter steigen, vor allen bei den Kindern.
Diemal sei auch in und um Bagdad Tonnen von Uranmunition verschossen
worden - eine düstere Zukunft für den gesamten Irak.
Die meisten Spitäler wurden geplündert, sie selbst hätte die britischen
Besatzer - wie üblich erfolglos -  um Schutz gebeten, ihre Ärzte hätten
sich dann bewaffnet und Tag und Nacht das Spital bewacht.
Basra selbst, das einstige "Venedig" des Nahen Ostens ist schwer bombardiert
worden, Strom funktioniert nur wenige Stunden am Tag und  die defekten
Wasserleitungen führen zu massiv ansteigenden Fällen von Typhus und Cholera.
Die Jubelberichte der Besatzer über funktionierende Infrastruktur seien
glatte Propagandalügen, so Dr. Jenan, was w ir nach unseren Erfahrungen in
Bagdad und Basra nur bestätigen können. Britische Soldaten fahren ohne Helm
und Kugelweste im offenem Landrover durch die Straßen und verteilen
Lebensmittelpakete. Das sei viel zu wenig für eineinehalb Millionen
Einwohner, erklärt Dr.Jenan, es seien  großteils Propagandaaktionen, die
zumeist gestoppt wurden, wenn die Kamerateams abgedreht hatten...Ähnlich
seien die - z. T. aus Kuweit mitgebrachten - sog. "Jubeltruppen" die die
Besatzer begrüßt hätten, aufgetreten, so Dr. Jenan. Unsere Ärztin Dr.
Hobiuger, die zur Zeit des britischen Einmarsches in Basra war, hat das
bestätigt.
  Unter Saddam wäre Sicherheit gewesen und die Basisversorgung hätte
funktioniert, man hätte gewußt, wie man sich zu verhalten hatte, daß alles
mit  Spitzel infiltriert sei, es Repression, politische Gefangene und Folter
und Hinrichtungen gäbe - wer sich politisch nicht betätigte war aber
relatiov sicher. Kann man diese Haltunmg den Irakis übelnehmen?
Überall hängen große Portraits bärtiger Turbanträger: Über 15o Parteien sind
dzt im Irak gemneldet, in Basra besonders viele schiitische, die mit
Unterstützung des Iran wahlwerben.. . aber wann und wie sollen freie Wahlen
stattfinden in einem Land das Jahrzehnte in einer Diktatur lebte? UInd
würden die USA einen schiitischen Wahlsieg akzeptieren?
Jetzt gäbe es eine enorme Teuerung und schon  drei Monate keine Gehälter,
sagen unsere Freunde in Basra. Die Sicherheitslage sei erbärmlich, es 5 bis
6 Tote Irakis täglich. So seien auch die großen Demos in Basra zu verstehen,
die oft in Gewalt ausarteten und in den letzten Tag sechs Briten das Leben
kosteten.
  Die Engländer hatten die Banken geöffnet (sie hatten genaue Stadtpläne
mitgebracht ) und mit dem üblichen "Ali Baba come in" die Banken plündern
lassen. Die jetzt wertlosen Saddam - Portrait -Geldscheine sind übrigens zu
einem begehrten Souvenir -Artzikel geworden, irakische Freunde überreichten
uns die Banknoten mit daraufgeschriebenen Widmungen und Dank....
Die Riesenfigur Saddams und seiner im Iran - Krieg gefallenen Generäle auf
den Sockelsteinen am Kai des Schatt el Arab in Basra,  die stolz mit
ausgestreckter Rechten zum Iran - Ufer wiesen, sind gestürzt. Stattdessen
steht an Saddams Platz nunmehr  die Figur jenes Generals, der Kritk an
Saddams Iran - Krieg geübt hatte: Saddam ließ ihn und seine ganze Familie
ermorden.

Beim abendlichen Gang entlang  der schattigen Ufermauer am Schatt el Arab
lädt uns eine Familie in ihren Garten ein: Es sind Schiiten, die ihr Haus
erst nach dem Sturz Saddams zurück erhalten konnten. Die Tochter zeigt, wie
1991 ihr Neffe und  Onkel nachts von den Schergen Saddams mit Würgegriffen
und gefesselt verschleppt wurden, niemals mehr hat man von ihnen gehört -
wenige Tage später holten sie noch den Vater. Dier Frauen und Kinder sind
bei Verwandten untergekommenm, lebten jahrelang in Angst und Trauer - für
sie ist der Sturz Saddams eine echte Befreiung und sie sind bereit, mit den
Besatzern - für sie natürlich "Befreier" - zu kooperieren.
  Während unseres Besuches kommt ein US - Amerikaner in Zivil mit seinem
riesigen Geländewagen zu Besuch. "Da kommt wieder unser Freund", rufen alle
und die Kinder hängen sich an seine Arme. Unsere Gegenwart ist ihm sichtlich
peinlich, überhaupt als wir Journalisten ihn über seine Anwesenheit hier
ausfragen wollen. Er sei von einer Hilfsorganisation, erklärt er, der Wagen
aber vom US - Verteidigungsministerium...
politischen Fragen weicht er aber aus.

In das Büro des Intertnationalem Roten Kreuzes kommen immer mehr Angehörige
Verschwundener: Menschen, die unter Saddam verhaftet und verschollen  sind
wie z. B. viele Schiiten oder politisch Verdächtige; Menschen die während
des ersten und nunmehr zweiten Golfkrieges im Kampf vermißt sind. Dzt ist
das IKRK überfordert, Ärzteteams müssen angefordert werden um die
Massengräber zu untersuchen, die Formulare mit den "anti mortal dates",
letzte Nachrichten, letzte Spuren, ausgefüllt von den verzweifelten
Angehörigen werden immer mehr.
Die Tragödien im Irak nehmen kein Ende.
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