[E-rundbrief] Nr.1 - Juni 2001/ Teil b: Artikel und Informationstexte
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Do Jun 14 01:26:58 CEST 2001
Dies ist Teil b des e-Rundbrief Nr. 1 des Begegnungszentrums für aktive
Gewaltlosigkeit. (101. Rundbrief (2/2001) 25. Jhg. Juni 2001)
* Teil a: Inhalt und Allgemeines
* Teil b: Artikel und weitere Informationstexte
* Teil c: Buchtipps
* Teil d: Termine
Inhalt Teil b:
Einleitungsbrief von Maria Reichl
Einleitungsbrief von Matthias Reichl
Dialog mit Afrika
Ein Blick zurück: Generalversammlung
"Fremd sein in Oberösterreich ...
Ein Bericht von Josef H. Handlecher
Die selbstmörderische Sinnlosigkeit der modernen Landwirtschaft Text von
José Lutzenberger
Ein afrikanisches Hoffnungsprojekt "Green Belt Movement"
Maria Mies : Anti-Hymne LASSEN SIE SICH PATENTIEREN "Globalisierung von unten"
Zukunftpassiert. Sind wir ausgeschlossen? "Robert-Jungk-Memorial-Lecture
2001" von Univ. Prof. Dr. Klaus Firlei "Wahl und Konsumakte reichen nicht
zur Lösung der anstehenden Probleme"
Raubbau Privatisierung?
Salzburger WEF (=World Economic Fiasko) - (Ver-)Spielanleitung von
Matthias Reichl
Aus dem Inhalt
Vielfältiger AKW-Widerstand
********************** ANFANG Rundbrief Nr.
1 *********************************
Liebe Freunde!
Da das Wetter uns monentan nicht herauslockt, fällt es nicht so schwer das
verlängerte Pfingstwochenende zu opfern um die Informationen für diesen
Rundbrief fertig zu stellen.
Wir haben uns gefreut, dass zur Generalversammlung und zum anschließenden
Fest einige neue Freunde gekommen sind. Wir geben die Hoffnung noch nicht
auf junge Mitarbeiter zu finden, die uns auch bei der Website behilflich
sind. Wenn ihr Lust dazu habt, bitte meldet euch! (Tel. 06132-24590, email:
mareichl at ping.at) Damit die Texte, die wir ins Web stellen, auch leserlich
und abrufbar sind, sollten sie dementsprechend vorbereitet werden. Bedingt
durch meine Sehschwäche - ich kann nur mit dem rechten Auge lesen - möchte
ich nicht zu lange beim Computer verbringen, und auch Matthias muss bedingt
durch eine Nachstar-Operation seine Arbeitszeit am Computer stark reduzieren.
Diejenigen, die unsere Website schon besucht haben, haben gemerkt, dass ich
im Mai viele Veranstaltungen - vor allem mit der internationalen
Frauengruppe "Frauen einer Welt" organisiert habe. Über den Vortrag zum
Thema "Fremd sein..." bringen wir einen Bericht auf Seite 3.
Leider erscheint dieser Rundbrief zu spät, um euch noch zum Vortrag von
Hans Henning Scharsach über den Populismus von Rechts, den wir auch in
Zusammenarbeit mit der ÖGB-Bücherei am 31. Mai organisiert hatten, einladen
zu können.
Obwohl alle Vortragenden ausgezeichet waren und ihr Wissen sehr gut weiter
vermittelten, bedauern wir, dass sich doch relativ wenige Teilnehmer die
Zeit genommen haben zu diese Veranstaltungen zu kommen. Auffallend ist bei
uns in Bad Ischl schon lange die Politik-Verdrossenheit, gerade zu
relevanten Themen kommen sehr wenige Leute. Wir wollen es nicht ganz
wahrhaben, aber der Trend zu Events mit viel Wirbel und wenig Inhalt
scheint sich mehr und mehr durchzusetzen. Wie wir damit umgehen sollen, ist
sicher noch ein weiteres Gesprächs-Thema
Nachdem wir beim Fest "100. Rundbrief" bis in die frühen Morgenstunden
feierten - herzlichen Dank auch für die Gratulationen - werden wir diesen
Sommer nichts Größeres planen. Ihr seid aber herzlich eingeladen meinen
Geburtstag mitzufeiern oder spontan ein Grill- oder anderes Fest zu
organisieren oder einfach so mal vorbei zu kommen.
Mit Leuten der Musikgruppe Simentera planen wir für den 3. oder 4. Juli
noch ein Gespräch über Rassismus, Toleranz, Identität und Jugend. Da der
genaue Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht ausgemacht werden konnte, bitte
ich euch dass ihr euch rechtzeitig bei uns meldet, wenn ihr dabei sein wollt.
Danken möchte ich allen, die ihren Mitglieds- bzw. Abobeitrag schon
überwiesen haben (vermerkt mit 2001 vor der Adresse) und allen, die unsere
Arbeit sonstwie finanziell oder ideell unterstützen.
Ich wünsche euch einen schönen und erholsamen Sommer, Friede, Kraft und Freude!
Maria Reichl
*****************************************************************
Liebe Freunde!
Wieder einmal passiert es, dass ich unter Zeitdruck meine Einleitung
schreibe, unterbrochen durch Gespräche mit einem Freund, der in seinem Haus
in Mexiko-Stadt ein ähnliches Begegnungszentrum aufbauen will. Als
alternativer Friedensforscher reist er seit Jahrzehnten um die Welt,
unterstützt auch durch das Netzwerk der SERVAS-Freunde. Der Dialog
ermuntert uns, die vielen gemeinsamen Interessen zu entdecken und
miteinander zu verknüpfen. Und er hilft mir, aus der erzwungenen
Konzentration auf Kooperationen in unserer Region (inklusive der Stadt
Salzburg) wieder auszubrechen.
Trotz mancher Schwierigkeiten - durch die Post und andere Behinderer -
bemühen wir uns auch weiter, unseren Rundbrief vierteljährlich
fertigzustellen. Texte haben wir mehr als genügend.
Wie schon die Maria erwähnt, haben wir es bisher nicht geschafft, die
homepage mit Texten, Terminen, Buchtipps und Zusatzinformationen zu füllen
und sie mit uns nahestehenden homepages zu vernetzen. Es fehlt nicht am
Material, doch es muss aufbereitet und mit kurzen Einleitungstexten
verständlich gemacht werden. Auch ich hoffe, dass sich unter euch einige
für diese Redaktionsarbeit interessieren.
Ich danke euch für eure besorgten Anfragen wegen meiner Operation am
rechten Auge. Erst jetzt entdeckte ich im Bericht darüber, dass es
Komplikationen gab, von denen mir der Bad Ischler Arzt nichts berichtet
hatte. Ein Freund vermittelte mir einen Augenarzt in Salzburg, der zudem
einige unserer Interessen teilt. So hat er einige Male in Syrien Kindern
durch eine Operation das Augenlicht gerettet. Ich musste inzwischen in der
Augenklinik eine "Nachstar"-Behandlung mit Laser durchmachen. Zudem bestand
kurzzeitig der Verdacht, dass sich die Netzhaut ablösen könnte. Erst in
einigen Wochen kann der Arzt feststellen, ob und wieviel die Sehkraft
reduziert bleiben wird. Eine der schwierigsten Konsequenzen wird sein, ob
und wieviel ich meine Arbeit am Computer und das Lesen reduzieren muss und
ob das (noch) gesunde Auge das kompensieren kann.
Im Gedenken an Robert Jungk wurde der Platz vor dem Eingang zu seiner
Bibliothek als "Robert-Jungk-Platz" benannt. Ob dieser jetzt mit
"Benzinkutschen" gefüllte Platz einmal nur für Solarautos reserviert sein
wird? Einen Bericht über das nachdenklich stimmende Referat von Klaus
Firlei bei der "Robert-Jungk-Memorial Lecture" findet ihr auf Seite 13 - 14.
Im letzten Rundbrief (Seite 13) haben wir unsere Kritik am "Europäischen
Wirtschaftsforum" (des Davoser WEF) vom 1. bis 3.7., aber auch unsere
Skepsis gegenüber demonstrativen Protestaktionen erläutert. Daran hat sich
nichts geändert. Daher illustriere ich meine Kritik in Form eines
"Salzburger WEF-Spiel" (auf Seite 15 ) - und bitte euch, den
hintergründigen Humor in der Karikatur von Manfred Madlberger richtig zu
interpretieren.
Soeben berichtet der ORF über die Vorbereitungen der Polizei in Salzburg.
Diese kündigt massive Verkehrsbehinderungen durch die "Sicherheitszone" im
Großteil des Stadtzentrums, aber auch ein mögliches Versammlungsverbot in
dieser Zeit an. Auch gegenüber einem Pseudodialog von WEF-Vertretern mit
Kritikern bei einer Podiumsdiskussion am 2.7. (um 19h im Brunauer Zentrum)
haben wir - wie Maria Mies - unsere Skepsis gegenüber
Vereinnahmungsversuchen und/ oder Abqualifizieren als
"Fundamentalkritiker". Wir befürchten auch, dass die - im WTO-kritischen
Netz dokumentierte - Komplexität der Themen zu kurz und oberflächlich
gerät. Etwa auch die aktuellen Gefahren der "Privatisierung" (siehe S. 14
). Die für 2.7. geplante Präsentation des Buches "Globalisierung von unten"
inklusive einem Arbeitsgespräch mit Maria Mies (siehe S. 10-11 ) haben wir
aus diesen Gründen in den Herbst verschoben.
Vor einem Monat hat uns José A. Lutzenberger, Landwirtschaftsexperte in
Brasilien und Alternativer Nobelpreisträger, gebeten, seinen neuesten,
kritischen Text "Die selbstmörderische Sinnlosigkeit der modernen
Landwirtschaft" möglichst weit zu verbreiten (sowohl an den
EU-Agrarkommissar und die Landwirtschaftsminister als vor allem auch an die
Bauern- und Konsumenteninitiativen). Die Kopien sind etwas umfangreich (36
Seiten.) Wir können euch den Text aber auch per e-mail zusenden.
Ausschnitte daraus findet ihr auf den folgenden Seiten.
So, und nun will ich mich weiter unserem transatlantischen Basisdialog
widmen. (Ende der Woche werden wir ihn mit einer Frau aus Hawaii
fortsetzen.) Wenn wir schon nicht Zeit und Geld für Fernreisen haben, holen
wir uns wenigstens für uns interessante Teile der Welt ins Haus - gerne als
Besucher oder als elektronische Informationen.
Auch ich wünsche euch einen erholsamen und belebenden Sommer und freue
mich, dass ich möglichst viele von euch irgendwann und irgendwo wieder begegne.
Mit herzlichen Grüßen
Matthias Reichl
***********************************************************************
Dialog mit Afrika
Am 3. oder 4. Juli wird die Musikgruppe Simentera - aus den Kap Verdischen
Inseln - wieder in Bad Ischl sein
(mit einem Konzert am 4. 7. 2001, 20h auf den Siriuskogl).
In der Einleitung zum letzten "Rundbrief" berichtete ich vom Dialog mit
Mario Lucio Sousa, der zu einem Gespräch mit uns und weiteren
Interessierten bereit wäre. Themen: Identität, Rassismus, Toleranz, aber
auch Jugend und Soziales. (Mario hat mich auch gebeten, Möglichkeiten einer
Unterstützung für ein Solarenergieprojekt auf der - sehr trockenen - Insel
Maio zu recherchieren.)
Auch das Freie "Radio Salzkammergut" will daraus eine Reportage im Rahmen
der Sendereihe zu "Migration" gestalten. Bis jetzt scheint das
Treffen daran zu scheitern, dass der Ischler Kulturmanager Hannes Heide,
der für die Zeitplanung zuständig ist, trotz der ausreichenden freien
Zeiten nicht bereit ist, einen Termin zu vereinbaren. Wir werden uns auf
jeden Fall um ein Dialogtreffen bemühen und können euch leider erst
kurzfristig Uhrzeit und Ort bekanntgeben. (Tel. 06132-24590).
Matthias Reichl
*******************************************************************************
Ein Blick zurück:
Generalversammlung
mit Begegnungs-und Jubiläums-Fest
Wir haben uns gefreut, dass zur Generalversammlung und zum anschließenden
Fest einige neue Freunde gekommen sind und auch Mitglied wurden. Auch wenn
sich nur sehr wenige bereit erklärten, als Vorstandsmitglied oder
Rechnungsprüfer zu kandidieren gab uns das doch Hoffnung für die Weiterarbeit.
Angelika Wiesauer, Christoph Promberger und Mirjam Oehmichen haben wegen
Arbeitsüberlastung ihre Funktionen zurückgelegt. Dafür haben sich Gottfried
Hochstetter und Gerhard Winkler bereit erklärt die Funktionen als
Rechnungsprüfer zu übernehmen.
Leider fanden wir noch keinen Ersatz für Gottfried Hochstetter und Mirjam
Oehmichen im Vorstand sodass wir jetzt nur mit einem sehr reduzierten
Vorstand bestehend aus Matthias und Maria Reichl und Klaus Tscherne
versuchen die Arbeit zu bewältigen. Wir danken den drei scheidenden und
wünschen ihnen bei ihre andere Aktivitäten viel Erfolg.
Wichtige andere neuerungen sind die: Website www.begegnungszentrum.at und
die Funktion von Matthias Reichl als Pressesprecher um bei Aktionen
schneller agieren und für den Verein in der Öffentlichkeit Stellungnahmen
und Presseaussendungen zu veröffentlichen.
Da Matthias und Maria Reichl nach wie vor einen Großteil der
Bürorenovierungskosten selber tragen und in den vergangenen Jahren kein
Überschuß erwirtschaftet wurde, mußten wir nach eingehender Beratung den
Mitglieds- und Abobeitrag erhöhen. Dafür ist neben dem Rundbrief auch noch
der e-Rundbrief (und fallweise zusätzliche e-mail-Aussendungen zwischen den
Quartalen) inkludiert. (Siehe Seite 1 und/oder gelbes Infoblatt bzw. in der
Website unter
<http://www.begegnungszentrum.at/verein/begegnungszentrum.htm>). Darin
findet ihr neben den neuen Beiträgen auch noch die Ziele des Vereins, Namen
der neuen Vorstandsmitglieder usw...
Gleich zu Beginn der Versammlung wurde mit einem Video noch Jean Goss
gedacht, der vor 10 Jahren starb. (Siehe auch Text im Rundbrief Nr. 100,
Seite 4 - 5 oder in unserer Website unter
<http://www.begegnungszentrum.at/texte/goss/goss1-vision.htm>)
Als Höhepunkte der Tätigkeit der vergangenen 2 Jahre wurde die
Mitorganisation des Treffens der Alternativen Nobelpreisträger im Mai 1999
in Salzburg sowie der Kampf gegen die Globalisierung hervorgehoben sowie
die Sisyphusarbeit am und im Haus - Hausisolierung mit Fenstereinbau und
der damit verbundenen Umgestaltung der beiden Büros.
Marias Mitarbeit bei der Migrantinnengruppe "Frauen einer Welt" wird auch
in naher Zukunft einen Schwerpunkt ihres Engagements sein. Ebenso setzt
Matthias Schwerpunkte in: Informationsvernetzung (österreichweit u.
international) zu "Globalisierung", "Atomgefahren durch DU-Waffen",
"Soziales"...und die Mitarbeit in Netzwerken im In- und Ausland usw. .
Ein Grund zum Feiern war der 100. Rundbrief.
Beim Fest verdoppelten sich die Teilnehmer und bis spät in die Nacht wurde
ausgetauscht, geplaudert, gegessen (u.a. ein von Bäckerei Maislinger
gesponsertes Brot), gesungen und gespielt (auf Gitarre und Kochtöpfen).
Maria Reichl
*****************************************************************************
"Fremd sein in Oberösterreich ...
Univ.-Prof. Dr. Josef Weidenholzer,Vizebürgermeister Ferdinand Mittendorfer
und Mag. Josef Pfeil (Volkshilfe) informierten und diskutierten über
Einladung von "Frauen einer Welt" und "Begegnungszentrum für aktive
Gewaltlosigkeit" über "Fremd sein in Oberösterreich ... und in Bad Ischl?".
Ein Bericht von Josef H. Handlecher
AUSLÄNDER / Woran liegt's dass aus Fremden nicht so leicht Freunde werden
können?
"Sind wir wirklich so viel anders als ihr ..."?
"Reden wir darüber": Das allein wäre schon ein guter Anfang, um ein Problem
anzupacken, das eigentlich gar kein Problem sein dürfte, meint der Linzer
Universitätsprofessor für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Josef Weidenholzer.
Heute stehe man vor Grenzen, die erst in der jüngsten Vergangenheit
aufgerichtet wurden: Der Begriff "Ausländer" in seiner politischen
Bedeutung existiert nämlich erst seit Mitte der 80er Jahre, und genauso
jung sind die Vorurteile, die da rundherum aufgeschichtet wurden.
"Anpatzen" zur Selbstbestätigung
"Ausländer sind nicht Ausländer an sich, sie werden erst von uns dazu
gemacht" sieht Weidenholzer das eigentliche Problem nicht bei den "Fremden"
sondern in hausgemachten gesellschaftlichen Zwängen: "Wie sollten wir unser
Wir-Gefühl bestätigen, wenn man dabei nicht andere anpatzen könnte?"
Die Diskussion habe sich zum einen mit dem Aufstieg der FPÖ und von Jörg
Haider intensiviert und zum anderen mit wirtschaftlichen Unsicherheiten:
"Die Menschen wurden ängstlich und suchten nach Sündenböcken." Solche
durchaus menschliche Reaktionen müsse man ernst nehmen, meint Weidenholzer,
auch wenn man diese Ansichten vielleicht nicht teile, so dürfe sie aber
auch nicht verurteilen.
Noch viel weniger sei aber ein politischer Missbrauch akzeptabel, denn:
"Wir selber, unsere egoistischen Interessen sind es, die das
Ausländerproblem geschaffen haben, nicht die Ausländer!"
Wie aus "Fremden" Freunde werden können, das sei eine Frage des
Selbstverständnisses, meint auch Vizebürgermeister Ferdl Mittendorfer. Und
man müsse ernsthaft Ängste und Wünsche ausloten und vor allem bereit sein
diffuse Vorurteile abzubauen: "Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir
mit unseren Ausländern so umgehen wie mit den Alt-Salzkammergütlern" sieht
Mittendorfer eine Offenheit gegenüber gewissen Randgruppen, die freilich
dem Gros der Ausländer nach wie vor nicht einmal im Ansatz zugestanden
wird. Dass auch Behörden keinesfalls mit gutem Beispiel vorangehen, ist für
Weidenholzer schlichtweg ein Skandal - und Frage einer unverständlichen
Misskreditierung: " Es müßte doch eigentlich selbstverständlich sein,
Ausländer in Österreich gleichwertig - nämlich als Menschen" - zu behandeln"
Josef H. Handlecher
(Artikel aus der "Salzkammergut Rundschau" Nr. 19 vom Do. 10. Mai 2001)
*******************************************************************
Die selbstmörderische Sinnlosigkeit der modernen Landwirtschaft
José A. Lutzenberger
Globale Sicht
Durch die Aufregung über den Rinderwahn, die Maul- und Klauenseuche und die
dadurch ausgelöste Umstrukturierung im deutschen Ministerium für
Landwirtschaft, im Januar 2001, wird endlich für das allgemeine Publikum
klar, dass in der modernen Landwirtschaft und besonders in der
Massentierhaltung etwas faul ist. Aus der politischen Entscheidung, die
Landwirtschaft in Richtung ökologisch-nachhaltig zu orientieren, ergeben
sich nun ungeahnte Chancen, die nicht verpasst werden dürfen.
Als Diplomlandwirt habe ich 50 Jahre Berufsleben hinter mir, war dreizehn
Jahre bei einem großen deutschen Chemiekonzern, habe dort vor dreissig
Jahren gekündigt, weil ich als Biologe und Ökologe die moderne Agrarchemie
nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren konnte. Seitdem bin ich
selbstständig. Ich hatte das Glück, außer der deutschen, der
brasilianischen, venezolanischen, marokkanischen und andinen
Landwirtschaft, auf vier Kontinenten die verschiedensten Bauern- und
Agrarkulturen kennen zu lernen. Aus ökologischer und auch rein
menschlich-sozialer Sicht ist, was man heute weltweit sehen kann, zum
verzweifeln. Wenn wir die Chancen für einen vernünftigen Umschwung nutzen
wollen, müssen wir verstehen, was bisher schief gelaufen ist:
Nach der konventionellen Auffassung sind die Methoden der modernen
Landwirtschaft der einzige effiziente Weg zur Lösung des Problems des
Hungers auf der Welt und zur Ernährung der durch die Bevölkerungsexplosion
auf uns zukommenden Menschenmassen. Das Gegenteil ist der Fall.
Im wiedervereinigten Deutschland haben wir heute, entsprechend der mir
zugänglichen Zahlen, und nach dem jahrzehntelangen, weiter fortschreitenden
Bauernsterben, noch ca. eine halbe Million Erwerbstätige in der
Landwirtschaft, das sind knapp 0,6% der Gesamtbevölkerung von achtzig
Millionen Menschen. In Großbritannien ist in den letzten zwei Jahren die
Zahl der Bauern um ein Drittel auf unter 100.000 gefallen (NEWSWEEK, 12.
III. 01). Das ergibt weniger als ein fünftel Prozent der Bevölkerung. In
den USA ist die Situation nicht anders. Während der letzten Wahlkampagne
soll es Diskussionen gegeben haben, ob es sich noch lohne für die Stimmen
der Bauern zu werben. Der jetzige brasilianische Bundesminister für
Landwirtschaft hat vor kurzem behauptet, die Kleinbauern brauche man für
die landwirtschaftliche Produktion nicht zu berücksichtigen. Sie existieren
für ihn gar nicht.
Das verleitet zu der Behauptung, die moderne Landwirtschaft sei so
effizient, dass kaum ein Prozent der Bevölkerung die Gesamtbevölkerung e r
n ä h r e n könne, gegenüber an die 60% um 1900 und immer noch um die 20%
oder mehr im Jahre 1945, nach Kriegsende. Für diese Behauptung wird aber
verglichen, was nicht direkt vergleichbar ist.
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht war der traditionelle, bodenständige Bauer
ein nachhaltiges, sich selbst versorgendes, autarkes System der Produktion,
Verarbeitung und Verteilung von Nahrungsmitteln. Er produzierte seine
eigenen Betriebsmittel und war weder abhängig von transnationalen
Konzernen, noch von Banken; er kam ohne Subsidien vom Staat oder
überstaatlichen Behörden, wie die EG in Brüssel aus. Er ernährte
tatsächlich die Bevölkerung. Für die heute noch überlebenden Bauern, kann
man das nicht sagen.
Das soll natürlich nicht heißen, dass alles ideal war, vieles hätte schon
früher besser sein können. Aber die Richtung stimmte - fortschreitende
Entwicklung zu möglichst lokal angepasster, daher vielseitiger,
nachhaltiger Landwirtschaft in einer ökologisch gesunden Landschaft.
Heute will man eine gemeinsame, technokratische Agrarpolitik für einen
ganzen Kontinent, und wenn die Globalisierung, wie von den transnationalen
Großkonzernen und der ihnen gefügigen Regierungen, nicht gebremst wird,
eine gemeinsame, globale, ökologisch und sozial rücksichtslose Agrarpolitik.
Der überlebende "moderne" Bauer ist nur noch das, was die Industrie vom
Bauerntum übrig gelassen hat. Im heutigen System - einer enormen, die
gesamte Weltwirtschaft durchdringenden technisch-bürokratisch und
gesetzlich verankerten Infrastruktur - ist er nur noch ein winziges
Rädchen, er wurde total entmündigt.
Die Entmündigung geschah schrittweise und wurde den Bauern jeweils als
Fortschritt aufgezwungen. All die Teile ihrer Arbeit, die sicheres
Einkommen garantierten, hat man ihnen abgenommen, es bleiben die Risiken -
das Risiko schlechter Ernten durch schlechtes Wetter und das ökonomische
Risiko. Letzteres hat ihnen die Industrie beschert, indem sie sie von immer
teureren Betriebsmitteln abhängig machte und die Preise ihrer Erzeugnisse
immer weiter nach unten drückte.
Die Strukturen des Systems umschlingen den gesamten Planeten wie ein Polyp.
Wenn wir die Wirtschaft als Ganzes betrachten, ist das System nicht
produktiver als die traditionelle Landwirtschaft, weder was menschlichen
Arbeitsaufwand betrifft, noch im Flächenertrag.
Abgesehen von der absurden Tierquälerei, ist es in der Massentierhaltung
ausgesprochen destruktiv, es zerstört weit mehr Nahrung für Menschen als es
produziert. Es ist nicht nachhaltig und die Kosten für Mensch und Natur
gehören zu den großen Katastrophen, nicht nur der Geschichte der
Menschheit, sondern auch der Geschichte des Lebens auf diesem Planeten.
Es ist sinnlos zu sagen, die moderne Landwirtschaft sei so effizient, dass
in einem modernen Land ein winziger Bruchteil der Bevölkerung die
Gesamtbevölkerung ernähren kann.
Die vorherrschende ökonomische Doktrin geht davon aus, wir bräuchten mehr
Produktion, um die vielen hungernden Menschen zu ernähren und das ginge nur
durch Mehrertrag. Aber es weiß doch jeder gutinformierte Mensch, dass
Hunger, wo er heute wütet, auf politische, nicht auf technische Probleme
zurückzuführen ist. Meistens geht es doch darum, dass man es den Menschen
in den traditionellen Kulturen unmöglich gemacht hat, für sich selbst zu
sorgen. Wenn heute von reichen und armen Ländern die Rede ist, sollte man
doch so ehrlich sein, hinzuzufügen, dass die Kolonialpolitik der letzten
Jahrhunderte und die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte für diese
Armut verantwortlich sind. Für die heutige Weltbevölkerung haben wir genug.
Die Bevölkerungsexplosion müssen wir allerdings in den Griff bekommen. Auch
sie ist zum Teil das Ergebnis des Abbaus gewachsener sozialer Strukturen.
Es wird meistens nicht verstanden, oder verschwiegen, dass die
traditionellen Bauernkulturen, aus Sicht der Ernährung für die Menschheit,
weit effizienter waren, als das heutige System.
In meiner Heimat, Rio Grande do Sul, Südbrasilien, haben die Bauern, als
die "Kolonie" - das waren die Regionen mit deutschstämmigen, italienischen
und zum Teil polnischen Bauern - noch intakt war, die lokale und regionale
Bevölkerung sehr gut ernährt und es gab Überschüsse für den Export in
andere Staaten Brasiliens. Die modernen, großen, total mechanisierten und
chemisierten Monokulturen für Soja aber, tragen praktisch nichts zur
Ernährung der hiesigen Bevölkerung bei, da ja fast nur für den Export und
die Bereicherung einiger weniger gearbeitet wird. Die Agrarpolitik, die
diese Art von Landwirtschaft gefördert hat, hat aber dazu beigetragen, dass
heute unser Bauerntum im Aussterben ist. Grundnahrungsmittel, wie Maniok,
sind inzwischen knapp, schwarze Bohnen, die praktisch zu jeder
brasilianischen Malzeit gehören, müssen oft importiert werden - aus Mexiko
oder aus USA, Kartoffeln und Gemüse aus Sao Paulo, Knoblauch und Linsen
manchmal sogar aus China.
Falls es nicht bald zu einer Wende in der Agrarpolitik kommt, wird unser
Bauerntum aussterben. Es fehlt nicht das Land und noch nicht ganz das
Wissen, aber ein Großteil der Äcker verwildert, die Bauernhöfe werden zu
Ruinen oder zu Wochenendhäusern für Städter. Bald wird es noch schlimmer.
Auf den noch nicht aufgegebenen Höfen, lebt meistens nur noch das alte
Paar. Die Kinder sind alle weg. Sie sehen dort keine Zukunft. Die Alten
leben von der kümmerlichen Sozialversicherung und, da sie sich keine
Arbeitskräfte mehr leisten können, pflanzen sie gerade das
Allernotwendigste für den Eigenbedarf, bis sie nicht mehr da sind.
Was die Macht nicht kontrollieren kann, versucht sie zu demoralisieren. Das
Wort "Colono" wurde zu einem herablassenden Begriff. Die Kinder der Bauern
schämen sich oft schon zu sagen, dass ihre Eltern Kolonisten waren. Die
heutige Landesregierung versucht zwar, diesen Zustand umzukehren, solange
aber die Bundesregierung in Brasilia sich weiter an Globalisierung, WHO und
IWF orientiert, wird es ihr wohl kaum gelingen...
Das Bauerntum schaffte automatisch eine vielseitig bewirtschaftete und
biologisch vielfältige Landschaft. Bei uns schützte der Bauer sogar fast
die Hälfte der Landschaft als Naturwald. Für die großen Sojamonokulturen
dagegen, wurde der letzte Zipfel Naturwald wegrasiert, nicht einmal Hecken
zwischen den Feldern werden geduldet.
Beim Großgrundbesitzer, ist die Produktion nur ein Mittel zum Zweck, er
will Geld machen, Macht erhalten. Das führt zum Ausräumen der Landschaft
und zu großen Monokulturen - nur Kaffee, nur Kakao oder Baumwolle oder
Kautschuk, nur Soja, nur Rinder, oder nur Zuckerrohr, wie im Nordosten
Brasiliens. Er braucht dann auch billige Arbeitskräfte. Da er politisch
mächtig ist, fördert er eine Politik, die die Menschen arm macht. Beim
Bauern gab es keine Armut, auch keinen übermäßigen Reichtum...
Der traditionelle Bauer hatte es nicht nötig, die Fruchtbarkeit seines
Bodens bei der Industrie zu kaufen. Die Bodenfruchtbarkeit wurde organisch
gepflegt - mit Mist, Kompost Gründüngung, Leguminosen, Fruchtfolge,
Mulchen, Mischkultur, Brache, Asche, Gesteinsmehl. Auch wenn der Bauer
nicht wußte, was Bakterien oder mineralische Nährstoffe sind, er hatte ein
tiefes, intuitives Verständnis für den Boden als ein lebendiges System und
für die geschlossenen Kreise der Natur...
Wie ist es möglich, dass eine mächtige, weltweite Zivilisation - der
Globale Industrialismus - die bereits den gesamten Planeten beherrscht, die
sich für sehr gescheit hält, die über enormes Wissen bezüglich der großen
und kleinen Zusammenhänge in der Natur verfügt, sich kollektiv so dumm
benimmt?...
Die moderne Biotechnologie mit ihren patentierten Lebewesen und Kultivaren,
in Händen der transnationalen Konzerne, die im Laufe der letzten Jahrzehnte
weltweit schon praktisch alle Saatgutfirmen aufgekauft haben, weil ihr
Endziel die totale Monopolisierung des Saatguts ist, ist jetzt dabei, dafür
zu sorgen, dass die Vielfalt weiter ganz drastisch reduziert wird - ein
weiterer Schritt in der Entmachtung des Bauerntums...
Ich wage zu sagen, hätte man das Bauerntum in Ruhe gelassen, es hätte sich
sehr wohl so mancher moderner Technik bedient, aber anders. Die
Weiterentwicklung wäre zwar langsamer, aber sozial gerechter und ökologisch
in Richtung Nachhaltigkeit verlaufen...
Es stimmt sowieso in den meisten Ländern schon nicht mehr im heutigen
ökonomischen Denken. Wenn Umwelt- und soziale Kosten "externalisiert"
werden, schert sich das techno-bürokratische Establishment nicht um die
sozialen Kalamitäten, die die moderne Landwirtschaft weltweit ausgelöst hat
und weiter auslöst. Wo sind die Statistiken über die zig Millionen Bauern
und Handwerker, die überall in der Welt, besonders in der Dritten Welt,
entwurzelt wurden oder ihre Gesundheit den Agrargiften geopfert haben? Wo
werden die Kosten aufgerechnet für den Abbau der gewachsenen sozialen
Strukturen, was weltweit zu wachsender Kriminalität führt? Wo die Kosten
für die ausufernden Elendsviertel der Megalopolen in der Dritten Welt? Für
das Genozid - ja, so muss man es nennen - so manchen indigenen Stammes? Für
das Aussterben von Sprachen und Kulturen? Ein Prozess der durch die
Globalisierung noch weiter verschlimmert werden wird...
... Wo relativ intakte "primitive" Bauernkulturen überleben, sind sie nicht
arm. Es besteht aber große Gefahr, dass sie bald arm gemacht werden,
besonders durch die Globalisierung...
Es ist ein total von Großkonzernen manipulierter Markt. Von wegen, freie
Marktwirtschaft! Das richtige Wort für diese Regelungen ist -
Knebelkontrakte. Das gibt es auch für die Tabakpflanzer und bei Konserven
für Gemüse und Früchte, neuerdings für Schweinemast. Die Bedingungen werden
immer härter...
Es geht den großen Firmen auch um die Umgehung der Arbeitsgesetze. Der
"Produzent" mag den Eindruck haben, er sei selbstständiger Unternehmer,
tatsächlich ist er Arbeiter ohne sicheren Lohn, ohne feste Arbeitszeiten;
wenn notwendig muss er um Mitternacht raus, die ganze Familie muss helfen.
Er hat keinen Feierabend, keine arbeitsfreien Wochenenden, keinen bezahlten
Urlaub, und er muss seine Sozialversicherung ganz selber tragen. Außerdem
liegen alle Risiken bei ihm: die biologischen, die klimatischen (z.B.
Hitzewellen, die jedes Jahr im Sommer großen Schaden anrichten können) und
die finanziellen. Würde die Hühnerfirma mit fest angestellten Arbeitern
operieren, alle Risiken selber übernehmen, wie jeder kleine Unternehmer das
tun muss, ihre Kosten würden sich wohl mehr als verdoppeln. Hühnerfleisch
und Eier wären viel teurer...
Man muss es immer wieder sagen, das hat doch alles mit Lösen des
Welthungerproblems nichts zu tun. Es geht um ökonomische Macht!...
Wissenschaft ist (sollte sein) der saubere, absolut ehrliche,
ehrfürchtige Dialog mit dem großen Geheimnis - mit der Natur, dem
Universum, mit dem Kosmos; wir können auch Gott sagen. Wie wir es nennen
wollen, ist eine semantische Frage...
Ich wagte weiter oben zu sagen, hätte man die Bauern in den letzten hundert
Jahren in Europa, viel früher schon in den Kolonien, sich selbst
überlassen, die Entwicklung wäre anders gelaufen, zwar langsamer und
vorsichtiger, aber sie hätten sicher auch aus moderner Naturwissenschaft
gelernt, sie hätten so manche moderne Technik genutzt oder selbst
entwickelt. Es wären aber örtlich angepasste, vielfältige Techniken,
bestimmt keine solchen, wie die oben erwähnten und was noch auf uns
zukommt, z.B. mit der Gentechnik. Die Situation der Ernährung der
Menschheit wäre weit sicherer. Es wäre nicht zu den gewaltigen Massen
entwurzelter, verelendeter Menschen gekommen...
Wissenschaftlich fundierte, ökologisch und sozial vernünftige
Landwirtschaft, müsste sich doch in die großen und kleinen Kreise der
Ökosphäre eingliedern, statt sie aufzureißen, sie zu überwältigen;
systematisch und nacheinander alle lebenserhaltenden Systeme zu
verstümmeln, gar total abzubauen oder zu vergiften, und die Verarmung der
biologischen Vielfalt voranzutreiben, wie das heute weltweit der Fall ist...
Die noch überlebenden Bauern - egal ob Europäer, Nord-, Zentral- und
Südamerikaner, Afrikaner, Asiaten oder Australier - müssen wissen, dass sie
alle im selben Boot sitzen; und den Konsumenten muss bewusst werden, dass
nur ein starkes, jeweils sozial und ökologisch verankertes, gesundes
Bauerntum, befreit vom Joch der transnationalen Konzerne, nachhaltig
gesunde Nahrung liefern kann. Die Gesellschaft muss wissen, wie und wo ihre
Nahrung produziert wird, muss an den wichtigen Entscheidungen teilhaben.
Davon hängt die nationale Sicherheit ab, und davon hängt ab das Überleben
der Zivilisation...
In der modernen Industriegesellschaft wird es echte Demokratie und
gesichertes Überleben erst geben, wenn die techno-bürokratischen Strukturen
für Jedermann transparent gemacht werden, wenn sie möglichst klein und
dezentral bleiben, wenn die wichtigen Entscheidungen von der Gesellschaft
ausgehen und von ihr bewusst und willens getragen werden - nicht, wie
heute, diktatorisch in den Führungsetagen der transnationalen Großkonzerne
zu deren Vorteil gefasst und durchgesetzt werden mit fügsamer
Selbstunterwerfung der Regierungen, egal welcher Parteien...
José A. Lutzenberger im April 2001
Wir konnten aus Plaztmangel nur den Anfang und einige Auszüge aus den
ingsgesamt 36-seitigen Text von Lutzenberger abdrucken. Wir
schicken euch den ganzen Text auf Wunsch per e-mail oder gegen
Kostenersatz in Kopie zu. M. Reichl
************************************************************
Ein afrikanisches Hoffnungsprojekt
Das Bildungshaus St. Virgil beginnt eine Partnerschaft mit dem "Green
Belt Movement"
Wüstenbildung (Desertifikation) ist eines der drängenden sozialen und
ökologischen Probleme, das weltweit in 110 Ländern eine Milliarde Menschen
bedroht. Das "Green Belt Movement", eine vorbildliche öko-soziale
Fraueninitiative, entwickelt in Afrika seit über 20 Jahren praktische
Antworten darauf. Das Salzburger Bildungshaus St. Virgil geht nun eine
Partnerschaft mit diesem Hoffnungsprojekt ein.
"Wüstenbildung" hat wenig mit Wüste zu tun - gemeint ist vielmehr die
Zerstörung von Böden und Vegetation, die zu Wasserknappheit führt. Sie hat
komplexe Ursachen: Klimatische, biologische, politische, soziale,
ökonomische und kulturelle Faktoren wirken zusammen. Vor allem in Afrika,
wo das fruchtbare Ackerland bis 2025 um zwei Drittel zurückgehen wird, sind
die Folgen fatal: Armut, Hungersnöte, Krankheit, Landflucht.
Der Erdgipfel der UNO in Rio de Janeiro schlug 1992 einen Lösungsansatz
vor, der ökologische, wirtschaftliche und soziale Maßnahmen integriert -
aufgrund der komplexen Wechselwirkungen hatten einseitige Maßnahmen die
Wüstenbildung nicht stoppen können. Genau diese integrierte Weise,
Desertifikation zu bekämpfen, wird seit über 20 Jahren vom Green Belt
Movement - einer afrikanischen Nicht-Regierungsorganisation - praktiziert.
Und das lange bevor die offiziellen Stellen begriffen, dass technische
Lösungen zu kurz greifen, sondern Naturschutz, Armutsbekämpfung,
Demokratisierung, nachhaltige Entwicklung und Frauenrechte Hand in Hand
gehen müssen. Gerade die Frauen am Land spielen eine Schlüsselrolle, denn
sie tragen im täglichen Kampf um Wasser, Nahrungsmittel, Brennholz die
Hauptlast.
Im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen Afrikas ist das Green Belt
Movement 1977 aus einer lokalen Initiative entstanden und kein Ableger
einer internationalen NGO. In den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens
unterstützte die Graswurzelbewegung Frauengruppen dabei, Baumsetzlinge zu
ziehen. Die Frauen setzten die Bäume rund um ihre eigenen Häuser. Daraus
ergab sich der Name der Organisation: Ihre Mitglieder sind an den "grünen
Gürteln" rund um ihre Hütten erkennbar. Ein "Greenbelt" ist ein Wald mit
mindestens tausend Bäumen. Die Bäume verbessern über die Jahre hinweg das
Leben der Green Belt Movement-Mitglieder: Sie bieten Früchte und Brennholz,
Schatten, Tierfutter und Baumaterial und stoppen die Versteppung und
Wüstenbildung. Die Frauengruppen geben ihre Setzlinge aber auch kostenlos
an interessierte Bauern ab. Seit der Gründung des Green Belt Movements
wurden so in Kenia 20 Millionen Bäume gepflanzt, heute verfügt die
Organisation über 600 lokale Netzwerke und rund 120.000 Mitglieder -
mehrheitlich Frauen.
1986 sprang die Bewegung von Kenia aus auf weitere zwölf Länder in Afrika
über, u.a. Tansania, Uganda, Malawi, Lesotho, Simbambwe und Äthiopien, die
in einem Pan-Afrikanischen Green Belt Netzwerk verbunden sind. Aus der
Wiederaufforstungs-Aktion ist eine Massenbewegung von Frauen geworden, die
die Zukunft ihrer Familien und ihrer Region selbst in die Hand nehmen. Die
Bewegung unterstützt ihre Mitglieder und die Dorfgemeinschaften dabei, neue
Wege zur Sicherung ihrer Bedürfnisse und zur Steigerung der Lebensqualität
zu finden. Dazu gehört die Möglichkeit, bestehende Rechte einzufordern und
bei der Nutzung und Verteilung von Boden, Wasser, Bäumen mitreden zu
können. Aufklärung und Schulungen zu diesen Themen sind wichtiger
Bestandteil der Arbeit des Green Belt Movements. Dieses Empowerment v.a.
der Frauen ist für das Green Belt Movement der einzig gangbare Weg, um
nachhaltige Entwicklung in Afrika einzuleiten.
Gründerin und zentrale Inspirationsfigur der Bewegung ist Professorin Dr.
Wangari Maathai. Nach einem Biologiestudium unterrichtete sie veterinäre
Anatomie an der Universität Nairobi - als erste Universitätsprofessorin in
der Geschichte Kenias. 1981 bis 1987 war sie Vorsitzende des Nationalen
Frauenrats in Kenia und damit Anführerin der kenianischen Frauenbewegung.
Transparenz, Verlässlichkeit, Integrität und Engagement sind die zentralen
Werte der von ihr gegründeten Bewegung. Die heute 61-Jährige erhielt 1984
für ihr herausragendes Engagement den Alternativen Nobelpreis. Die
Philosophie ihres politischen Engagements fasst sie so zusammen: "Die
richtigen Dinge tun, weil Verstand und Herz davon berührt wurden, weil es
das einzig Logische ist - ungeachtet der öffentlichen Meinung."
Das Green Belt Movement hat in Kenia politisches Gewicht. So konnte 1999
mit gewaltfreien Protesten die geplante Abholzung des Karura Forest in
Nairobi verhindert werden. Die kenianische Regierung wollte diese grüne
Lunge der Großstadt an Geschäftsleute verkaufen. Ihren Einsatz und ihre
Aufmüpfigkeit gegen die herrschenden Kreise - bis 1992 war Kenia ein
Einparteien-System - hat Wangari Maathai schon öfter mit Schaden an ihrem
eigenen Leib und mit dem - vorübergehenden - Verlust ihrer persönlichen
Freiheit bezahlt.
Während der letzten Jahre wurde das Green Belt Movement von einer Reihe von
Geldgebern finanziell unterstützt. Die Mittel wurden u.a. für
Baumpflanzaktionen, für in Not geratene Mitglieder,
Fortbildungsveranstaltungen und Aufklärungskampagnen verwendet. In
Österreich unterstützte die Hilfsorganisation CARE das Green Belt Movement
ab 1994 im Rahmen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, u.a. bei
der Organisationsentwicklung. Diese Unterstützung läuft heuer im Sommer aus
- und das Bildungshaus St. Virgil beginnt eine Partnerschaft mit der
Bewegung. Es geht dabei nicht bloß um materielle Unterstützung - wenn die
Initiative auch jeden Groschen dringend brauchen kann -, sondern auch um
einen Fluss von Informationen von einem Kontinent, der für viele von der
Weltkarte verschwunden ist, als verloren betrachtet wird, zu uns.
Sind für das Green Belt Movement die materiellen Ressourcen wichtig, die
wir in einem reichen Land wie Österreich für sie auftreiben können, dann
ist für uns umgekehrt eine Ressource lebenswichtig, die uns die
afrikanischen Frauen bieten und an der uns mangelt wie nichts sonst:
Hoffnung. Sie zeigen, dass aus den ersten Schritten einiger weniger, die
einfach das tun, was ansteht und als richtig erkannt wurde - allen
Widrigkeiten, Gefährdungen zum Trotz-, eine große Bewegung der Hoffnung
entstehen kann.
Ernst Fürlinger/ Silvia Jirsa
Ernst Fürlinger (Bildungshaus St. Virgil, (Ernst-Grein-Str. 14, A-5026
Salzburg, Tel. 0662-65901-514, e-mail: office@ virgil.salzburg.at,
www.salzburg.com/virgil)
Silvia Jirsa (Care Österreich)
Website zum Thema:
Green Belt Movement: http://www.geocities.com/gbm0001/All_Frames.html
************************************************
(Buchtipps siehe Teil c)
**************************************************
Maria Mies
Neben dem Widerstand gegen die Globalisierer engagiert sich Maria Mies auch
gegen die Gentechnik. Unter anderem mit einer "Anti-Hymne", die sie mit
deutschen Aktivistinnen gedichtet hat - adressiert auch an Vertreter von
Multis bei dem Salzburger "Europäischen Wirtschaftsforum":
LASSEN SIE SICH PATENTIEREN
Lassen Sie sich patentieren, denn Sie sind ein Kapital
Ihre Leber, Ihre Nieren, Ihre Gene allzumal
Lassen sie sich patentieren, denn es gibt Sie nur einmal
Eh die Multis Sie sezieren haben Sie die erste Wahl.
Gene, Gene und Patente, ja das ist der neu'ste Hit
Ja, das bringt die beste Rente, machen Sie beim Reibach mit
Höchst, Monsanto, Ciba Geigy und auch Bayer machen mit
Bei der Jagd auf die Patente, bei dem Run auf den Profit.
Diese großen neuen Mütter schaffen Nahrung, heilen Schmerz
Wenn nur die Bilanzen stimmen brauchen sie kein Menschenherz
Die Natur wird überflüssig hier in diesem Jammertal
Unsre Mutter ist Frau Technik, Vater ist Herr Kapital.
Dieses schöne neue Leben bringt nicht die Natur hervor
Kinder schaffen nicht mehr Frauen, die entstehen im Labor
Denn was soll noch dieses Leben in dem ew'gen Einerlei
Doch Ihr Gen das lebt ja ewig, ist es erst vom Körper frei.
Freiheit, die das Gen bescheret
Frisch auf Ihrer Samenbank
Wo es dann den Fortschritt mehret
Sagen wir den Multis Dank!
Maria Mies
c° Common Intellectual Property of People with Resistance Gens (CIPPRG)
(Zu singen nach Ludwig von Beethovens Melodie "Freude schöner Götterfunken"
- der Text kann unbeschränkt geklont werden!)
Erstmals abgedruckt August 1997 im "Rundbrief" Nr. 86 des
Begegnungszentrums für aktive Gewaltlosigkeit (Wolfgangerstr. 26, A-4820
Bad Ischl)
* * * * *
"Globalisierung von unten"
Unbemerkt von der Öffentlichkeit wird seit Jahren das konzerngesteuerte
neoliberale Wirtschaftsmodell durch Institutionen wie Weltbank, IWF und
Welthandelsorganisation weltweit durchgesetzt. Immer neue
Freihandelsabkommen gefährden Demokratie, Umwelt, Arbeitsplätze und
Menschenrechte.
In ihrem neuen Buch berichtet Maria Mies über die großen globale Bewegung
dagegen und die Situation des Protests, der auf Seattle folgte. Sie
informiert über Methoden und Ziele, über Vorläufer und historische
Hintergründe. Doch vor allem geht es um die Suche nach einer anderen
Wirtschaft und Gesellschaft, einer Gesellschaft, die den Profit nicht über
Menschen und Natur stellt.
Auszüge aus ihrem Buch"Globalisierung von unten":
....Gerard Greenfield, der langjährige Beobachter und Kritiker des
Globalisierungsprozesses aus Hongkong definiert Globalisierung schlicht als
die Freiheit der Konzerne, zu tun was sie wollen....(S. 7)
... Das Neue an der weltweiten Antiglobalisierungsbewegung ist vor allem
die Suche nach Wiedergewinnung der Kontrolle über die unmittelbaren
Lebensbedingungen. Die Menschen wollen nicht, dass ihr Leben von
irgendwelchen fernen Chefetagen transnationaler Konzerne bestimmt wird. Sie
suchen eine Wiederverwurzelung in solidarischen, zuverlässigen, nicht nur
an Profit orientierten, überschaubaren Gemeinwesen und die Wiederversöhnung
mit der Natur. Dies alles und mehr fängt auf der lokalen Ebene an und
verlangt zunächst die Kontrolle über die lokalen Verhältnisse. Da diese
lokalen Verhältnisse aber, wie am MAI (Multilaterales Abkommen über
Investitionen) am Kampf gegen die WTO (Welthandelsorganisation), Weltbank
und IWF (Internationaler Währungsfond) klargeworden ist, von den
transnationalen Konzernen und den sie stützenden Politikern in Geiselhaft
genommen sind, reicht eine Beschränkung auf eine "Lokale Agenda 21" nicht
aus. Denn diese lokale Agenda wird permanent von der globalen Agenda
konterkariert. Die "Globalisierung von unten" verbindet daher in vielen
Ländern bereits jetzt den Kampf auf der lokalen mit dem auf der globalen
Ebene...
Die WTO, die Weltbank und andere Institutionen können diese
"Zivilgesellschaft" heute nicht mehr ignorieren. Sie wissen, dass Menschen,
die "Politik in der ersten Person" betreiben, ihre "globalen Spiele" wenn
nicht verhindern, so doch empfindlich stören können. Für die "global
players" ist besonders irritierend, dass immer neue Gruppen und Bewegungen
entstehen, mit immer fantasievolleren Namen, die nicht in das Muster
bekannter hierarchischer Organisationen passen. Viele wenden Methoden der
direkten sozialen Aktion an, auf die Ordnungskräfte nicht vorbereitet
sind... (S. 19f)
... Ich habe schon vor Jahren nachgewiesen, dass das Mythos der
"nachholenden Entwicklung" ein großer Betrug ist. Denn in einer
kapitalistisch-patriarchalen Weltwirtschaft können die einen sich nur
dadurch "entwickeln, wachsen, reich werden", dass sie andere kolonisieren,
hinunterentwickeln, berauben und ausbeuten (Mies 1988, Shiva/Mies 1995).
Die "anderen" sind nicht nur die so genannte Dritte Welt, sondern auch
Subsistenzbauern, Handwerker, Menschen im so genannten "Informellen
Sektor", vor allem aber Frauen weltweit und nicht zuletzt die Natur. ...
(S. 202f)
Aus: Maria Mies: Globalisierung von unten. Der Kampf gegen die Herrschaft
der Konzerne. 2001, Rotbuch Verlag. DM 26,-
*******************************************************
(TERMINE siehe Teil d)
*******************************************************
Zukunft passiert.
Sind wir ausgeschlossen?
"Robert-Jungk-Memorial-Lecture 2001"
von Univ. Prof. Dr. Klaus Firlei
Wahl und Konsumakte reichen nicht zur Lösung der anstehenden Probleme
Zwei Milliarden Arme weltweit, ökologische Verwüstungen allen Orts,
Artensterben, menschenverursachter Klimawandel - die Probleme sind bekannt,
Lösungen jedoch nicht in Sicht. Der Sozial- und Arbeitsrechtler Klaus
Firlei legte in der Robert-Jungk-Memorial-Lecture 2001, die am 14. Mai in
der Salzburger Bibliothek für Zukunftsfragen stattgefunden hat,
eindrucksvoll dar, warum Änderungen so schwer fallen und - trotz um sich
greifender "Optimismusindustrie" - Sorge um die Zukunft der Menschheit
angebracht ist. Als erstes nannte er die "kapitalverwertende
Konkurrenzgesellschaft", die den ganzen Globus erfasse und den
Wachstumszwang in sich trage: "600 Billionen Schilling warten darauf,
gewinnbringend angelegt zu werden." Die Suche nach neuen Märkten führe
daher zwangsläufig zu Globalisierung und Internationalisierung, aber auch
zur Zerstörung von Sozial- und Umweltstandards, denn das System neige zu
Dumpingeffekten. Ein Beispiel: "Erdbeeren aus dem spanischen Murcia, von
der EU gefördert, unter hohem Chemikalieneinsatz hochgebracht und von
marokkanischen Tagelöhner billig geerntet, sind eben kostengünstiger als
Erdbeeren aus den Niederlanden mit höheren Löhnen und Umweltauflagen." Bei
aller Effizienz im Makrosystem: "Kosten werden abgewälzt auf die Dritte
Welt, die Umwelt und die nachfolgenden Generationen."
Als zweites Dilemma führte Firlei die Auflösung des gestaltenden Subjekts
und den Zusammenbruch des Rationalen in der postmodernen
Erlebnisgesellschaft an. Die Welt werde zum Supermarkt. Die
Erlebnisökonomie dringe in die "Nervenzentren der Gesellschaft ein. Sie
bestimmt das Denken, fühlen, die politische Kommunikation, die Herstellung
von Deutungen." Hochgerechnet auf das ganze Leben verbringen wir nur mehr
zwei Stunden pro Tag mit Erwerbsarbeit, an die drei Stunden aber mit
Medienkonsum. Die Konsumgesellschaft führe zu einem ständigen
Überdrehtsein. ("Das Leben als Hit"), Flucht werde zum Normalfall,
Anstrengung gemieden. Die Schattenseiten zeigen sich in der Zunahme an
psychischen Krankheiten und der Flucht in Betäubungsmittel (2 Millionen
Menschen leiden allein in Österreich an Depressionen).
Auch seien keine klaren Interessenslagen mehr auszumachen. Der multiple
Mensch sei als Autofahrer für billige Benzinpreise, Als Umweltschützer für
die Rettung der Natur, als Steuerzahler für weniger Steuern und wenn er
krank wird, fordert er ein funktionierendes Gesundheitssystem. Während der
Saat als Widerpart zu einer aus den Fugen geratenden Ökonomie zusehend an
Gestaltungsmacht verliere, sei daher auch die "demokratische Republik von
unten" paralysiert. Dies mache auch globales Denken unmöglich: "Afrika geht
vor die Hunde, weil wir uns von unserem psychotischen Konsummodell nicht
lösen können."
Wo sieht Firlei Auswege? "Wahl- und Konsumakte reichen nicht mehr, um
unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und die anstehenden sozialen und
ökologischen Probleme zu lösen", ist der Arbeitsrechtler überzeugt. Er
fordert gegen den Trend der gegenwärtigen Wissens- und
Unterhaltungsgesellschaft, in der zwar exponentiell publiziert, aber damit
auch immer mehr Beliebigkeit erzeugt wird - Orientierungswissen.
Dazu zählt er Vorstellungen von einem guten Leben, das mit Liebe, Schmerz,
Freude, Anstrengung und Tod zu tun hat, das Sich-Begreifen als Teil eines
Ganzen, in dem es nicht nur Rechte sondern auch Pflichten gibt, die
Stärkung von Eigenverantwortung, die Einsicht in die Notwendigkeit von
Solidarität und - als sozialpolitsche Antwort - die Einführung von
Grundsicherungen.
Hans Holzinger
Ergänzung
Dieser - vorsichtig formulierte - Bericht wurde von den "Salzburger
Nachrichten" nicht abgedruckt.
Aus meinen Notizen von Firlei's Vortrag und aus seinem Artikel "Zukunft
passiert. Sind wir ausgeschlossen?" ("Die Furche" v. 11.1.2001, S. 13)
zitiere ich einige notwendige Ergänzungen, die mich unter anderem an
Günther Anders und Leopold Kohr erinnern.
Als ehemaliger sozialdemokratische Abgeordneter zum Salzburger Landtag
beurteilte er die führenden Parteien als "unfähig, den bedrohlichen
Entwicklungen entgegenzusteuern". In der Diskussion gefragt, wie die Bürger
mit dem Versagen von Politikern umgehen sollten, meinte er "nur mit List".
Leider fehlte die Zeit, um über die praktische Umsetzung zu diskutieren.
Dazu ist u.a. bei der "Sozialen Erfindungswerkstatt" zum Thema "Tempo,
Tempo. Oder: Speed kills" (vom 21. bis 23.11. in BIfEB Strobl) Gelegenheit.
(Klaus Firlei will im Herbst seine komplexen Überlegungen weiter
ausarbeiten und sie in einem umfangreichen Text publizieren.)
Matthias Reichl
Zukunft passiert. Sind wir ausgeschlossen?
... Der Prozess der Verwandlung der Gesellschaft in einen völlig aus dem
Gleichgewicht geratenen Dschungel-kapitalismus überschreibt den alten
Menschen mit neuen Programmen. Der biedere, nette und kontrollierbare
"organisierte Kapitalismus" der letzten Jahrzehnte (soziale Marktwirtschaft
etc.) wächst sich zu einer mächtigen Agentur der Verführung des Menschen
aus, der in seiner kläglichen Schwäche und Abhängigkeit dazu gebracht wird,
seine eigenen so unfassbar breit angelegten Talente auf die Funktionen von
Konsumenten und Zuschauern zu reduzieren.
Die Kernbestände des Humanen werden um einen Spottpreis verkauft. Ihre
Verschrottung erfolgt zugunsten einer wahn- und zwanghaften neuen Religion.
Für sie ist jeder Zweifel daran, dass sich aus Geld, Waren und Wettbewerb
jenes Paradies schaffen lässt, das die Moderne immer schon versprochen hat,
Häresie. Die Macht dieser neuen Religion zeigt sich überdies daran, dass
sie keine Scheiterhafen braucht. Die intellektuelle und künstlerische
Kritik erschöpft sich in verlorenen Selbstgespräachen und verhallt echolos
und ungehört.
Die neue Globalreligion setzt zwei Hauptgegner erfolgreich auf die rote
Liste der aussterbenden Arten, die bei ihrem Endsieg hinderlich sind - sie
könnten ihn verzögern, ja sie könnten knapp vor Erreichen des Eldorado der
totalen Durchkapitalisierung der Welt den unberechenbaren, sperrigen alten
Menschen dazu bringen, das Ruder noch einmal herumzureißen. Die beiden
Todfeinde der neoliberalen Invasion sind - vom Potential, nicht von ihrem
derzeitigen Zustand her - ein starker Staat und ein starker selbstbewusster
Mensch. Sie gilt es um jeden Preis zu schwächen.
Es ist klar, dass der Befund eines so totalen Umsturzes, der die
Kernsubstanzen der bisherigen Gesellschaften (nicht nur der modernen!)
auslöscht, nur schwer nachvollziehbar ist. Das ist zwar
Realitätsverweigerung. Aber Realitätsverweigerung ist ein bekanntes Muster
im Umgang mit dem Bedrohlichen. Der homo austriacus pflegt diese Haltung
ohnehin mit besonderer Hingabe. ...
... Die Welt degeneriert zu Sprachspielen, zu sozialen Spielen, zu
ökonomischen Spielen, zu einem Erlebnispark perfekter Beliebigkeit, zu
einem Zirkus, in dem Politik und Bürger nicht die Peitsche schwingen,
sondern als Nummerngirls, Clowns, Statisten oder Zuschauer auftreten. Das
Widersprüchliche, Unangemessene, Ordnungslose, Skandalöse, Inkonsistente,
Rechtswidrige wird akzeptiert und behandelt wie das Fernsehprogramm oder
ein komplexes Computerspiel, mit hundert Levels und zehn Leben. ....
Klaus Firlei
(Aus "Die Furche" v. 11. 1. 2001, Seite 13)
Raubbau Privatisierung?
"Ich schlage vor, dass wir aufhören, von Privatisierung zu sprechen und
stattdessen Worte verwenden, die die Wahrheit deutlich machen; Wir reden
über die Veräusserung und Preisgabe der Ergebnisse der jahrzehntelangen
Arbeit Tausender Menschen an eine winzige Minderheit großer Investoren.
Dies ist einer der größten Raubüberfälle unserer und aller bisherigen
Generationen."
Susan George
Aus der Broschüre: "Privatisierung - Diebstahl an öffentlichem Eigentum"
Hg. Grüne Akademie Graz. (Bei uns erhältlich gegen öS 20,- + Porto)
"Privatisierung" der Stadtwerke Graz...
Susi Haydvogel, ist die Autorin der "Privatisierungs"-Broschüre, deren
zweite Ausgabe verbessert und durch Informationen aus dem Bildungs- und
Gesundheitsbereich ergänzt werden soll. Sie initiierte mit anderen
Betroffenen in Graz in einer überparteilichen Plattform eine Petition an
den Gemeinderat gegen den Verkauf und die Privatisierung der Grazer
Stadtwerke. Sie bemühen sich derzeit, die nötigen 10.000 Unterschriften zu
sammeln. Kontakt: e-mail: susi.haydvogel at lion.cc.
... und in Wien
Lange wurde uns vorgegaukelt, die Umwandlung der Wiener Stadtwerke in eine
Holding sei nur eine Änderung der Gesellschaftsform, sonst hätte sie keine
Auswirkungen! Die Wahrheit sieht leider anders aus. Am 1. 10. 2001 tritt
die Strommarktliberalisierung in Kraft. Dies ist auch das Startsignal für
das Ende der Wiener Stadtwerke. Ein neuer Versorgungskonzern ist im
entstehen: die "Energie Allianz", die sich zusammensetzen soll aus: 40%
Wiener Stadtwerke, 40% EVN, 10% Burgenländische Energie Gesellschaft, 10%
Linzer Stadtwerke. Kurzfristig geht es um die Energieversorgung der
Ostregion, mittelfristig um die gesamte Ver- und Entsorgung zumindest der
Ostregion, inklusive der Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Müllabfuhr,
Betrieb von Müllverbrennungsanlagen und Mülldeponien, Fernwärmeversorgung,
Telekabel etc. Mit der Strommarktliberalisierung sehen wir zahlreiche
Risiken: Wenn man nur mehr den billigsten Strom verkaufen kann, kann man
auch nur in den billigsten Anlagen produzieren. Freier Markt mit freien
Preisen führt zu Versorgungsunsicherheit, weil sich niemand die Haltung von
entsprechenden Reservekapazitäten leistet. Und es wird sich auch einiges
für die KonsumentInnen ändern: Der Strombezug über Wertkarten. Kontakt:
e-mail: links.kommunal.wien at chello.at
M. R.
************************************************************************
Salzburger WEF (=World Economic Fiasko)
(Ver-)Spielanleitung
(Achtung! Einige Mitspieler könnten mit gezinkten Würfeln spielen!)
* Am Start:
Sie kommen am Salzburger Hauptbahnhof mitten in der Sicherheitszone um das
Kongresshaus an, werden von einigen der 5000 Polizisten zu Ihrer eigenen
Sicherheit durchgecheckt, fotografiert, gefilmt, durchleuchtet, verdatet
usw. und zum check-in das WEF eskortiert.
* Feld 2) Der WEF-Computer wurde (wieder) gehackt und alle Daten sind
gelöscht. Händische Neuregistrierung verzögert Eröffnung um Stunden. 2
Runden aussetzen.
* 3) Die Teilnehmergebühr wurde überraschend verdoppelt. Sie haben
Geldprobleme, gehen hungrig ins Bett und können nicht einschlafen. 1 Runde
aussetzen und Kontostand nachrechnen.
* 4) Sie versuchen die Sperrzone um das Kongreßhaus zu umgehen, klettern
über den Kapuzinerberg, stürzen ab und landen im Unfallkrankenhaus. Out.
* 5) Sie weichen der Sperrzone aus, schwimmen die Salzach flußauf bis zur
Staatsbrücke. Wegen starker Strömung. 2 Runden aussetzen.
* 7) Sie lassen sich bei der (politischen) Ost-West-Trauung im Marmorsaal
des Schlosses Mirabell durch Putins und Schausbergers Lächeln und Ja-Worte
blenden, müssen deswegen in die Klinik zum Augenauswischen. 3 Runden aussetzen.
* 8) Sie vertrauen den Segnungen des Kapitalismus - und des Salzburger
Erzbischofs. Zurück zum Start.
* 9) Sie bemühen sich vergeblich um einen Freund, der in Freilassing wegen
der Einreisebeschränkungen festgehalten wird. Zurück auf 6.
* 8) Sie mißtrauen den Segnungen des Kapitalismus - und des Erzbischofs.
Vor auf 11.
* 10) Sie schließen bei einem Arbeitsessen im Hotel einen Vertrag zur
Übernahme eines osteuropäischen Betriebes ab. Vor auf 13.
* 12) Sie entdecken unter den prominenten Wirtschaftsbossen einen, der Sie
fast in den Ruin getrieben hat, schlagen einen Wirbel und werden aus dem
Konferenzsaal gejagt. Vor auf 15.
* 13) Die osteuropäische Partnerfirma entpuppt sich als Filiale der
italienisch/russischen Mafia. Sie reisen (ohne die Hotelrechnung zu
bezahlen) ab um zu retten, was noch zu retten ist. Out.
* 15) Angewidert durch das Minister-Gequatsche ziehen Sie sich mit einer
Journalistin (einem Journalisten) zu einem Flirt zurück und erzählen ihr/
ihm Ihre Story. Sie/ er will Sie mit ähnlich Betroffenen zusammenbringen.
Vor auf 18.
* 18) Auf dem Robert-Jungk-Platz und der Salzachböschung: Treffen von
Opfern der Globalisierung mit alternativen Experten zu einem gewaltfreien
Widerstands-, Strategie- und Entspannungstraining. Vor auf 21
* 20) Dollar- und Euro-Krise mit Börsenkrach verdrängen die vorbereiteten
Konferenzthemen. Das betrifft Sie als "Schillingfan" und
"Börsenabstinenzler" nicht. Weiter so!
* 22) Bedingt durch die Sperrzone und übertriebenen
"Sicherheits"-Kontrollen bricht die Infrastruktur und Versorgung des
Stadtteils zusammen. 1 Runde aussetzen zum Selbstorganisieren.
* 24) Als Folge der Massenverhaftungen von (gewaltfreien) Demonstranten
werden alle Hotels in Gefängnisse umgewandelt und die Kongreßteilnehmer
evakuiert. Sie sind rechtzeitig vom Hotel in ein Privatquartier gewechselt.
Vor auf 26.
Am Ziel:
Mißverständliche Formulierungen und Übersetzungen provozieren einen
Ost-West-Konflikt. Die Konferenz wird einen Tag früher abgebrochen,
Schlägereien zwischen den fliehenden Kongreßteilnehmern um Plätze in
Flugzeugen und Massencrashs bei Autobahnauffahrten machen das Chaos
komplett. (Unter den Flüchtlingen ist auch die gesamte Landes- und
Bundesregierung.)
Sie aber entspannen sich einige Tage außerhalb Salzburgs bei einem
Biobauern und reisen dann gemütlich per Bahn nach Hause. Dort erwartet Sie
die Einladung, die Übergangsregierung zu leiten -
Sie erwachen aus dem Alp(en)traum und genießen ein WEF (Wirklich Erholsames
Frühstück)!
Matthias Reichl
*******************************************************************
Vielfältiger AKW-Widerstand
Der Widerstand gegen das AKW Temelin geht auf vielen Ebenen weiter:
Bei einem "Temelin-Hearing" am 19.4. 2001 in Salzburg zeigte u.a. der
Biophysiker Franz Daschil gemeinsam mit den deutschen Wissenschaftern
Lengfelder und Hirsch die Ausbreitung und Auswirkungen der
Strahlenbelastung nach einem schweren Störfall im AKW Temelin auf. Daschil
hatte mit tschechischen Atomgegnern aber auch einige Halden und
Schlammgruben mit uranhaltigem Material aus den Uranbergwerken in Mydlovary
bei Ceske Budejovice untersucht und gefährliche Strahlenmengen gemessen.
Die Elektrizitätsgesellschaft CEZ leugnet dies.
"Einer des besten Mitarbeiter" im AKW Temelin reagierte am 3.6. 2001 falsch
und pumpte 70.000 Liter radioaktiven Wassers aus dem - abgeschalteten -
Reaktor in die Halle. Die CEZ verharmloste die Folgen.
Am Grenzübergang Wullowitz stellte der Künstler Alfred Moritz für eine
Woche 200 Skulpturen auf, die die Folgen eines Störfalles illustrieren sollen.
Ab 16.6. wird die Grenzblockade in Niederösterreich fortgesetzt.
Gestützt auf die alarmierende Expertise des Atomexperten Helmut Hirsch
kündigte der deutsche Umweltminister Trittin den Austritt der deutschen
Regierung aus dem untauglichen tschechischen Verfahren zur
"Umweltverträglichkeitsprüfung" des AKW aus. Sein österreichischer Kollege
Molterer will trotz der Ausstiegsforderungen der Atomgegner mit
tschechischen Politikern weiter verhandeln.
Der tschechische Außenminister Jan Kavan, den ich den 80er Jahren noch als
Menschenrechtsaktivisten der Bürgerbewegung kennenlernte, muß nun die
Positionen der Atomlobbyisten verteidigen. Der sozialdemokratische
Ministerpräsident Zeman ernannte ausgerechnet einen neoliberalen
AKW-Propagandisten, den Wirtschaftsminister Gregr, zu seinem Vizepremier.
Der Druck der Atomgegner zwang den deutschen Stromkonzern "e.on" zum
sofortigen Stopp seiner Atomstromimporte aus Tschechien. CEZ behauptet, sie
hätten genügend andere Interessenten.
... und in Kärnten?
Trotz eines Angebotes der österreichischen (Strom-) Verbundgesellschaft
entschied Landeshauptmann Jörg Haider, die Anteile an der
Landesgesellschaft an den deutschen (Atom-)Stromkonzern RWE zu verkaufen.
Dieser hofft - wie die französische EdF in der Steiermark - damit einen
Brückenkopf nach Südosteuropa zu schaffen.
Vor wenigen Monaten trat Haider noch an der tschechischen Grenze als
Atomgegner auf. Ob dieser Deal seiner schwindenden (Aus-)Strahlung die von
ihm erhoffte "Strahlkraft" verschafft? Vielleicht hofft er auch, mit dieser
katastrophalen "Privatisierung" für sich eine "politische Endlagerstätte"
im Vorstand eines Konzerns zu sichern. Wünschen wir ihm seine baldige -
längst überfällige - Privatisierung!
Matthias Reichl
*************************************************************************
Aus dem Inhalt
Seite (vom gedruckten Rundbrief Nr. 101)
1 Einleitung
2 Dialog mit Afrika
3 Ein Blick zurück:: Generalversammlung, Fremd sein...
4 Die selbstmörderische Sinnlosigkeit der modernen Landwirtschaft.
José A. Lutzenberger
6 Ein afrikanisches Hoffnungsprojekt
7 BUCHTIPPS - IMPRESSUM:
10 Maria Mies - "Globalisierung von unten"
11 TERMINE
13 Zukunft passiert. Sind wir ausgeschlossen?
13 "Robert-Jungk-Memorial-Lecture2001" Klaus Firlei
14 Raubbau Privatisierung?
15 Salzburger WEF - (Ver-)Spielanleitung
************************** ENDE *****************************
---
M. Reichl, Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr.26, A-4820 Bad Ischl, Austria fon/fax: +43 6132 24590
Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief