[E-rundbrief] Info 1787 - ÖRKÖ ruft zu "solidarischem Europa" auf
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mo Okt 22 15:18:49 CEST 2018
E-Rundbrief Info 1787 - Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich
(ÖRKÖ, A): ÖRKÖ ruft zu "solidarischem Europa" auf.
Bad Ischl, 22.10.2018
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
================================================
ÖRKÖ ruft zu "solidarischem Europa" auf
Der vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) am Montag,
22. Oktober (2018), veröffentlichte Text "zur politischen
Verantwortung von Christinnen und Christen" nimmt auf die
österreichische EU-Ratspräsidentschaft und die im Mai 2019
bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament Bezug
Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) hat am Montag
(22.10.2018) einen "Aufruf zur politischen Verantwortung von
Christinnen und Christen für ein solidarisches Europa" veröffentlicht.
Der Aufruf hat folgenden Wortlaut:
Österreich hat im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft
inne. Zudem stehen im Mai 2019 die Wahlen zum Europäischen Parlament
an. Vor diesem Hintergrund erlässt der Vorstand des Ökumenischen Rates
der Kirchen (ÖRKÖ) diesen Aufruf. Er stützt sich dabei auf die von
allen Kirchen Europas mitgetragene "Charta Oecumenica" sowie auf das
"Sozialwort" der Kirchen Österreichs, in dem es heißt: "Ausgehend von
der Weltzuwendung Gottes wissen sich die Kirchen in besonderer Weise
an die Seite der Armen und Ausgestoßenen gestellt. Die Kirchen
betrachten die Wirklichkeit von Welt und Gesellschaft aus der
Perspektive des Evangeliums."
Vor sieben Jahrzehnten schrieb der reformierte Theologe Karl Barth
kurz nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs: "Die Kirche wird es
wieder lernen müssen, ihrem Herrn wie Petrus nicht auf einem
gebahnten, mit Stufen und schönem Geländer versehenen Pfad, sondern
auf den Wellen entgegenzugehen. Sie muss es wieder lernen, über der
Untiefe zu leben, wie sie es einst in ihren Anfängen musste und getan
hat. Sie muss es wieder lernen, ihren Auftrag dennoch auszurichten:
allein in der Anziehungskraft ihres eigenen Anfangs und ihres eigenen
Zieles... Die christliche Verkündigung im heutigen Europa muss also
sein und wieder werden ein freies, ein unabhängiges Wort - unabhängig
von allen herrschenden Winden, unabhängig von der Frage: Revolution
oder Tradition? Optimismus oder Pessimismus? Westen oder Osten?"
In diesem Sinne ruft der ÖRKÖ die Christinnen und Christen auf, die
Europäische Union im Geist der Solidarität, der Geschwisterlichkeit
und der Freiheit aktiv mitzugestalten.
Wir treten ein für:
+ Ein soziales Europa*)
Armut und Obdachlosigkeit, die zunehmende Ausgrenzung von Menschen und
die großen Wohlstandsunterschiede in Europa und innerhalb der
einzelnen Länder - all das verweist auf die bisher ungelöste Aufgabe
der Verwirklichung einer solidarischen Gemeinschaft. Soziale
Konfliktstoffe bedrohen das Miteinander und stellen eine Belastung für
Europas Zukunft dar.
Im Ökumenischen Sozialwort heißt es: "Der Zugang zu sozialen
Dienstleistungen in hoher Qualität muss für alle, unabhängig von
Einkommen und Herkunft, gesichert werden. Öffentliche Güter beziehen
ihre Legitimität und gesellschaftliche Anerkennung daraus, dass sie,
von allen finanziert, auch allen in gleichem Maße zugänglich sind".
Die Verwirklichung dieser Prinzipien verlangt nach einer "Europäischen
Sozialcharta". Dafür sollte ein Sozialkonvent eingerichtet werden.
Ohne den freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen
einzuschränken, muss die Existenz der Menschen gesichert und
Chancengleichheit gegeben sein. Das ist die Aufgabe der europäischen
Politik. Wir brauchen ein Europa, in dem die Würde jedes Menschen
gewährleistet ist.
+ Ein schützendes Europa*)
Europa muss ein Hafen für Menschen sein, die Schutz vor Verfolgung
suchen. Wir lehnen ein Europa ab, das zur Festung ausgebaut wird.
Flucht und Migration sind zentrale Themen der öffentlichen Diskussion
geworden. Der Grundtenor der Botschaft von Papst Franziskus zum
diesjährigen Welttag der Migranten lautet: "Migranten und Flüchtlinge
aufnehmen, beschützen, fördern und integrieren". Viele christliche
Gemeinden setzen diese Botschaft tagtäglich in die Praxis um - ohne
große öffentliche Aufmerksamkeit. Von der Europäischen Union ist zu
erwarten, dass sie statt in Maßnahmen, die Menschen ausgrenzen, vor
allem in die Integration von Menschen investiert, zum Wohl aller. Dazu
heißt es in der "Charta Oecumenica": "Gemeinsam wollen wir dazu
beitragen, dass Migranten und Migrantinnen, Flüchtlinge und
Asylsuchende in Europa menschenwürdig aufgenommen werden."
+ Ein demokratisches Europa*)
Der Ungeist des Nationalismus hat in der Vergangenheit immensen
Schaden verursacht. Daher haben sich die christlichen Kirchen Europas
in der "Charta Oecumenica" verpflichtet, "jeder Form von Nationalismus
entgegenzutreten. die zur Unterdrückung anderer Völker und nationaler
Minderheiten führt".
Mit nationalistischen Entwicklungen gehen der Rückbau demokratischer
Errungenschaften und die Einschränkung von Grund-und Freiheitsrechten
einher. Wir treten für eine Europäische Union ein, in der die
Bürgerinnen und Bürger ein hohes Maß an Mitbestimmung haben, das auf
Gewaltenteilung, Transparenz, Pressefreiheit und einer starken
Zivilgesellschaft beruht. Es ist Aufgabe der Europäischen Union,
Regierungen zu sanktionieren, die gegen die Einhaltung demokratischer
Grundwerte verstoßen.
+ Ein versöhnendes Europa*)
Im "Sozialwort" heißt es: "Es ist wichtiges Anliegen der Kirchen,
Schritte zur Überwindung von Hass, zu Verständigung und Versöhnung
zwischen einzelnen Menschen und Gruppen, aber auch über Ländergrenzen
hinweg zu setzen."
Angesichts von aktuell größeren und kleineren nationalen Konflikten in
Europa sind die Kirchen aufgerufen, sich als Brückenbauerinnen
zwischen Konfliktparteien bzw. Nationen zu bewähren, um so die
Fundamente Europas zu stärken. Versöhnung, ein zentraler christlicher
Begriff, hat auch eine politische Dimension. Europa, ein Kontinent in
der Krise, braucht neue zukunftsfähige Ideen und deren Verwirklichung.
Der Vorstand des Ökumenischen Rates der Kirchen ruft daher auf, bei
der im kommenden Mai anstehenden Wahlentscheidung die genannten
Aspekte mit zu bedenken.
*) Es ist dem ÖRKÖ-Vorstand bewusst, dass Europa größer ist als die
Europäische Union. Eine durchgehende Differenzierung ist aber nicht
sinnvoll, weil Europa und die Europäische Union oft synonym verwendet
werden bzw. das, was für die EU gilt, teilweise auch auf Europa zutrifft.
(red. Matthias Reichl)
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, 4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief