[E-rundbrief] Info 1758 - Abi Melzer - Nachruf auf Felicia Langer
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mo Jul 2 16:56:34 CEST 2018
E-Rundbrief Info 1758 - Abi Melzer (D): Nachruf auf Felicia Langer -
Rede von Abi Melzer am Grab von Felicia - Veröffentlicht am 29. Juni
2018 von Abi Melzer.
Bad Ischl, 2.7.2018
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Nachruf auf Felicia Langer
Rede von Abi Melzer am Grab von Felicia
Veröffentlicht am 29. Juni 2018 von Abi Melzer
Eine große Frau ist von uns gegangen. Gideon Levy schrieb in Haaretz:
Eine Gewissens-Emigrantin. *) Man kann freilich auch sagen: Ein
Gewissens-Flüchtling.
Ihr Tod stellt einen großen Verlust für den Kampf des
Palästinensischen Volkes und auch vieler Juden für Gerechtigkeit,
Menschenrechte und Selbstbestimmung dar. Sie und ihr 2015 verstorbener
Ehemann Mieciu standen nach ihrer Immigration oder Flucht von Israel
nach Deutschland für das andere, das bessere Israel, das sich gegen
Kolonialismus, Kriege, Landraub, Folter, Apartheid sowie unzählige
Menschen- und Völkerrechtsverletzungen wendet.
Felicias Leben und Wirken wurde sowohl in Israel als auch in
Deutschland massiv angefeindet, weil sie die Palästinenser in ihrem
Kampf für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung unterstützt hat. Man
könnte glauben, dass Erich Fried sein Gedicht ZUR ZEIT DER VERLEUMDER
für Felicia Langer geschrieben hat:
Sie nennen mich
Verräter an meinem Volk
Sie nennen mich
Jüdischer Antisemit
Weil ich spreche von dem
Was sie tun in Israels Namen
Gegen Palästinenser
Gegen Araber anderer Länder
Und auch gegen Juden
Die totgeschwiegen werden
Später einmal
Werden Juden die übrigbleiben
Wenn dieser Wahnsinn vorbei ist
Zu suchen beginnen
Nach Spuren von Juden
Die nicht mittaten
Sondern warnten
So haben Deutsche gezeigt
Nach dem Untergang Hitlers
Auf Deutsche die tags zuvor
Noch verfolgt wurden oder getötet
Die sollten nun Zeugen sein
Dass Deutsche auch anders waren
Ob dann ein Wort
Noch nachlebt
Von meiner Warnung?
Wichtiger aber:
Ob dann in Palästina
Noch Juden leben
Entronnener jener Vernichtung
Die sie selbst herbeiführen halfen
Durch ihr Unrecht
Zu meiner Zeit
Und ich füge hinzu: Auch zu unserer Zeit.
Felicia war die erste, die es gewagt hat, sich vor israelischen
Gerichten für palästinensische Widerstandskämpfer, die die Israelis
„Terroristen“ nennen, einzusetzen. Sie hatte einige Erfolge zu
verzeichnen, aber vor den israelischen Militärgerichten, die im
Prinzip Scheingerichte waren und immer noch sind und für die
Weltöffentlichkeit eine „Gerichtsbarkeit“ vortäuschen sollen, blieb
ihr der „Erfolg“ versagt. Eigentlich eine Auszeichnung für jeden
ehrenwerten Anwalt. Auch konnte sie nie etwas mit der
rassistisch-zionistischen Ideologie anfangen, die in Israel und von
Zionisten in Deutschland so verehrt und mit allen Mitteln – auch
antidemokratischen – verteidigt wird.
Der zionistischen Bewegung gelang es, die Weltöffentlichkeit davon zu
überzeugen, dass sie die Interessen aller Juden in der ganzen Welt
vertritt. Wie man weiß, ist die Wahrheit aber das erste Opfer in
ideologischen Kämpfen.
Obwohl Juden in der Regel Debatten und Polemik lieben, weigern sie
sich, das Thema Zionismus zu diskutieren. Heute verteidigen immer noch
viele Juden mit Leidenschaft den Staat Israel und seine Politik und
sind nicht bereit, in irgendeinen Diskurs über diesen Staat und sein
Verhältnis zum jüdischen Volk einzutreten. Deshalb wurde Felicia in
Israel von Juden so abgelehnt und diffamiert. Ihre Vorwürfe, dass der
Zionismus eine der Formen des Kolonialismus und des Rassismus sei,
wurden unter Verweis auf den eigenen Kampf gegen den Kolonialismus,
gegen die Briten, von den Zionisten zurückgewiesen.
Felicia hat aber nicht aufgegeben. Sie hat immer wieder moralisch
argumentiert und wurde deswegen von manchen belächelt. Heute liegt die
große Gefahr für Israel nicht unbedingt in einer äußeren militärischen
Bedrohung, sondern in den geistigen, moralischen und politischen
Brüchen in der israelischen Gesellschaft. Eine Entwicklung, die
Felicia vorausgesagt hat. Man hat sie aber nicht ernst genommen.
Sie sah sich schließlich gezwungen, 1990 ihr Büro in Jerusalem zu
schließen, weil sie nicht mehr das Feigenblatt für die israelische
Besatzung sein wollte, die mit dem Hinweis auf Felicia der Welt
vorgaukelte, in Israel herrschten Recht und Gerechtigkeit. Sie verließ
Israel, weil sie erkannte, dass sie den Opfern nicht helfen konnte,
zumindest nicht in Jerusalem. Sie wollte aber der Welt vor allem
zeigen, dass die Vorstellung einer humanen Besatzung Augenwischerei ist.
Felicias Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenrechte wurde mehrfach
ausgezeichnet. Neben dem Alternativen Nobelpreis wurde ihr das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse vom damaligen Bundespräsidenten Horst
Köhler verliehen. Die daraufhin losgetretene Diffamierungs- und
Verleumdungskampagne der zionistischen und pseudojüdischen Israelfans
gehört zu den übelsten, die diese Lobby jemals in Deutschland
geführt hat. Die damals angewandten Erpressungsmethoden
gehören heute noch zum Standardrepertoire im politischen
Meinungskampf. Erst vor wenigen Tagen hat diese zionistische Lobby mit
einem Schreiben des israelischen Konsulats in München versucht, hier
in dieser Stadt Tübingen einen Vortrag von Ilan Pappe an der
Universität zu verhindern, und es ist dem mutigen Uni-Rektor zu
verdanken, dass er dem Druck nicht nachgab und auf der Freiheit der
akademischen Institutionen in diesem Land bestand.
Sie war eine Frau mit Gewissen, ja, eine Heldin. Aber sie und die
wenigen an ihrer Seite wurden in Israel niemals anerkannt und
respektiert. Im Gegenteil, in Israel und in der jüdischen Welt,
besonders in Deutschland, war sie ein Symbol für den sog. jüdischen
Antisemitismus oder Selbsthass.
Felicia Langer war vielleicht die einzige Rechtsanwältin auf der
ganzen Welt, die stolz sein konnte auf die Prozesse, die sie vor den
israelischen Militärgerichten verloren hat, verloren freilich gegen
ein brutales Unterdrückungsregime, welches Juden in Palästina
errichtet haben. Sie kämpfte wie eine Löwin, wie eine Mutter um ihre
Kinder, und sie hielt sich an die Mahnung des Propheten Jesaja, dass
Israel ein Licht für die Völker sein solle. Am Ende verzweifelte sie
an der Tatsache, dass die Israelis dieses Motto tagtäglich mit ihren
Militärstiefeln in den Dreck treten.
Wo ist denn Josef Schuster vom Zentralrat der Juden, der dieser großen
Jüdin hier seine Ehre und die Ehre aller Juden erweisen sollte?
Felicia wird uns fehlen und sie hat nicht einmal ein kleines
Hoffnungszeichen für einen Frieden mit ins Grab nehmen können. Dennoch
dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren. Soeben hat Navarra, die
Region in Nord-Spanien beschlossen, die BDS-Kampagne zu unterstützen
und alle Parteien im Parlament haben diesen Beschluss unterstützt, bis
auf die rechts-populistische ACOM, die pro-Israel ist. Es ist aber
fast überall auf der Welt so, dass rechte und rechtsradikale, mitunter
gar antisemitische Parteien Israel unterstützen. Trotzdem wird die
BDS-Kampagne immer stärker, und Israel muss immer mehr Aufwand und
Geld in die Bekämpfung dieser gewaltlosen Widerstandsbewegung
investieren, die sich ausdrücklich gegen jeden Antisemitismus ausspricht.
Wie man weiß, ist Recht und Gerechtigkeit nicht immer dasselbe. Die
Sache der Gerechtigkeit war aber ein zentrales Thema im Leben von
Felicia. Sie hat sehr genau zwischen den ewigen humanistischen Werten
des Judentums und den Werten des aggressiven Zionismus zu
unterscheiden gewusst. Sie hat immer betont, dass es im Grunde keinen
Konflikt zwischen Juden und Arabern gibt.
An ihrem Lebensabend sagte ihr Enkel zu ihr, dass die Palästinenser am
Ende siegen und einen eigenen Staat bekommen werden. „Du wirst es
nicht mehr sehen, aber ich werde es erleben.“
Dazu kann ich nur sagen: „Hoffentlich“.
Die israelische Propaganda will uns einreden, dass Israel die Juden
beschützt. Das glaube ich allerdings nicht, und Felicia hat es auch
nicht geglaubt. Im Gegenteil, Israel gefährdet mit seiner Politik die
Juden auf der ganzen Welt.
Der Zionismus entblößt sich heute vor dem jüdischen Volk, vor der
ganzen Menschheit, als ein gescheitertes Unternehmen. Die Gründer des
Zionismus behaupteten, dass sie in der Lage seien, die Leiden der
Juden zu beenden, dass Israel ein sicherer Zufluchtsort für alle Juden
sein würde. Heute zeigt sich, dass der Zionismus nicht einmal in der
Lage ist, auch nur die Juden zu schützen, die schon im Heiligen Land
Zuflucht gefunden haben. In einem solch kleinen Staat ist der Dienst
in der Armee länger, die Kriege häufiger, die Zahl der getöteten
Soldaten höher und die körperliche und seelische Last für alle
drückender als in jedem anderen westlichen Staat. Was wird nach dem
nächsten Krieg passieren, der möglicherweise nicht nur Israel, sondern
die ganze Welt bedroht?
Felicia war kompromisslos und radikal, und dafür bin ich ihr
dankbar. Als die Oslo-Verträge bekannt wurden, rief mich Felicia an
und fragte mich, was ich davon hielte. In meiner Naivität habe ich
mich über die Ergebnisse von Oslo gefreut. Felicia war entsetzt und
enttäuscht und meinte, dass ich sehr bald merken werde, dass man die
Palästinenser wieder über den Tisch gezogen habe. Und in der Tat, ich
habe es sehr bald bemerkt.
Zum Abschluss möchte ich aber nicht versäumen, Bertold Brecht zu
zitieren, der folgende Worte gesagt hat, bei denen er Felicia Langer
im Sinn gehabt haben könnte:
Die Schwachen kämpfen nicht.
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre.
Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang.
Diese sind unentbehrlich.
Im Gegensatz zu vielen israelischen Intellektuellen und Linken, die
von den deutschen Medien hoch gefeiert werden, war Felicia Langer
immer radikal ehrlich. Sie hat die israelischen Politiker nicht
geschont und sich selbst auch nicht. Sie war immer hundert Prozent bei
der Sache. Nie ein wenig schwanger. Nie unehrlich. Nie verlogen.
Niemals bereit, in Fragen von Recht und Gerechtigkeit Kompromisse zu
machen.
Im Kampf für Frieden, Menschlichkeit und Toleranz wird Felicia Langer
ein leuchtendes Vorbild bleiben.
Für sie war Unrecht immer Unrecht. Das ist auch das Vermächtnis von
Felicia Langer.
Ich verspreche dir, Felicia, dass ich in deinem Geiste weitermachen
werde: Bis zum letzten Atemzug.
Liebe Freundin, Weggefährtin und Vorbild: Ruhe in Frieden.
Und last not least möchte ich hinzufügen: Liebe Felicia, da hast Glück
gehabt, dass du in Tübingen gelebt und gestorben bist. Hier ist der
Bürgermeister Boris Palmer zu deinem Begräbnis gekommen und hat eine
kurze Rede gehalten, um dir die letzte Ehre zu erweisen. In Frankfurt
wäre der jüdische Oberbürgermeister Feldmann niemals gekommen und sein
christlicher Stellvertreter Uwe Becker erst recht nicht, und in
München wäre Oberbürgermeister Reiter auch niemals zu deinem Begräbnis
gekommen, weil Charlotte Knobloch es wahrscheinlich verboten hätte.
Sei deshalb froh, dass du in Tübingen gelebt und gestorben bist.
http://der-semit.de/nachruf-auf-felicia-langer-rede-von-abi-melzer-am-grab-von-felicia/
*) http://der-semit.de/der-tod-der-gewissens-emigrantin/
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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