[E-rundbrief] Info - 1753 - Aufruf Solidarität statt Heimat
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Fr Jun 22 15:57:53 CEST 2018
E-Rundbrief Info 1753 - Institut Solidarische Moderne (ISM), medico
international und kritnet (D): Aufruf "Solidarität statt Heimat" -
gegen die zunehmende Polarisierung von rechts in den Debatten um
Migration und Asyl...
Bad Ischl, 22.6.2018
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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----------19. Juni 2018
Pressemitteilung
Das Institut Solidarische Moderne (ISM), medico international und
kritnet fordern eine klare Positionierung gegen Rassismus und wenden
sich gegen eine Politik des Ressentiments. Zahlreiche Personen
unterstützen den Aufruf.
Die Initiatoren setzen mit dem Aufruf ein notwendiges Zeichen gegen
die zunehmende Polarisierung von rechts in den Debatten um Migration
und Asyl. Sie fordern, Rassismus und Entrechtung klar beim Namen zu
nennen und eine solidarische und humanitäre Position gegen den
Rechtsruck zu verteidigen. Der Erziehungswissenschaftler und Publizist
Prof. Dr. Micha Brumlik, die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Naika
Foroutan, die Intendantin des Hamburger Theaters Kampnagel, Amelie
Deuflhard, der Autor Georg Diez, die Soziologin Prof. Dr. Sabine Hark
und weitere Wissenschaftler und Kulturschaffende sind Erstunterzeichner.
„Es ist gegenwärtig kaum möglich, sich zwei Wochen Zeit für eine
Initiative wie die unsere zu nehmen – die Talfahrt des Rechtstaates,
des Asylrechts und der öffentlichen Debatte erreicht alle drei Tage
einen nächsten Tiefpunkt“, so Sabine Hess, Professorin für
Kulturanthropologie in Göttingen und Mitverfasserin des Aufrufs. „Wir
sehen eine Politik auf dem Vormarsch, die auf Isolation, Ausgrenzung
und Abwehr setzt und dabei Menschenrechte und demokratische Grundwerte
missachtet. Der aktuelle Asylstreit zwischen CSU und CDU liegt ganz
auf dieser Linie: Innenminister Seehofer fordert dabei offen zum Bruch
europäischen Rechts auf im rechtspopulistischen Überbietungswettbewerb.“
Stephan Lessenich, Professor für Soziologie in München, ebenfalls
Mitverfasser des Aufrufs, zieht folgende Linie von den
Bäcker-Aussprüchen eines Christian Linders zur aktuellen politischen
Zuspitzung: „In den letzten Jahren hat sich in weiten Teilen Europas
ein politischer Rassismus breitgemacht, der die Grenzen zwischen dem
konservativen, rechten und faschistoiden Lagern zunehmend verschwimmen
lässt. Der größte Erfolg der AfD war nicht ihr Einzug in den
Bundestag. Ihr mit Abstand größter Erfolg ist, dass man sich in diesem
Land wieder hemmungslos menschenverachtend geben und äußern kann, wie
wir es in der Stellungnahme formuliert haben.“
Neben migrations- und asylpolitischen Fragen geht es im Aufruf vor
allem darum, an die Willkommenskultur im langen Sommer der Migration
anzuknüpfen. Dafür braucht es aber die Konfrontation, so Mario Neumann
vom ISM: „Wir erleben seit Monaten eine unerträgliche öffentliche
Schmutzkampagne, einen regelrechten Überbietungswettbewerb der Hetze
gegen Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten, aber auch gegen die
solidarischen Milieus dieser Gesellschaft. Was wir brauchen ist kein
Masterplan zur Migration, sondern ein Masterplan gegen Rassismus.“
Dr. Ramona Lenz von medico international bekräftigt ihrerseits: „Ein
großer Teil der Gesellschaft erkennt Migration als gesellschaftliche
Realität an und ist solidarisch mit Menschen auf der Flucht. Das ist
nicht naiv und realitätsfremd. Die Haltung derer, die Demokratie und
Menschenwürde verteidigen, muss in der öffentlichen Debatte dringend
wieder hörbarer werden.“
AUFRUF ONLINE:
http://www.solidarische-moderne.de/de/article/526.solidaritaet-statt-heimat.html
Das Institut Solidarische Moderne (ISM) ist eine Programmwerkstatt für
neue linke Politikkonzepte, die über Parteigrenzen hinweg zwischen
Politik und Wissenschaft, Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen
agiert.
Kritnet ist ein Netzwerk für kritische Migrations- und
Grenzregimeforschung, das an der Schnittstelle von interdisziplinärer,
kritischer Wissenschaft und politischen Initiativen und Aktionen
arbeitet.
Medico international ist eine Hilfs- und Menschenrechtsorganisation,
die sich für die globale Verwirklichung des Menschenrechts auf
Gesundheit einsetzt und in ihrer kritischen Öffentlichkeits- und
Kampagnenarbeit mit anderen Organisationen und Initiativen
zusammenarbeitet.
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Das Institut Solidarische Moderne (ISM) ist eine Programmwerkstatt für
neue linke Politikkonzepte, die über Parteigrenzen hinweg zwischen
Politik und Wissenschaft, Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen
agiert.
Kritnet ist ein Netzwerk für kritische Migrations- und
Grenzregimeforschung, das an der Schnittstelle von interdisziplinärer,
kritischer Wissenschaft und politischen Initiativen und Aktionen
arbeitet.
Medico international ist eine Hilfs- und Menschenrechtsorganisation,
die sich für die globale Verwirklichung des Menschenrechts auf
Gesundheit einsetzt und in ihrer kritischen Öffentlichkeits- und
Kampagnenarbeit mit anderen Organisationen und Initiativen
zusammenarbeitet.
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https://solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org/
Solidarität statt Heimat
Vom „gefährdeten Rechtsstaat“ in Ellwangen über die
„Anti-Abschiebe-Industrie“, vom „BAMF-Skandal“ über „Asylschmarotzer“,
von der „Islamisierung“ bis zu den „Gefährdern“: Wir erleben seit
Monaten eine unerträgliche öffentliche Schmutzkampagne, einen
regelrechten Überbietungswettbewerb der Hetze gegen Geflüchtete und
Migrant*innen, aber auch gegen die solidarischen Milieus dieser
Gesellschaft. Die politischen Debatten über Migration und Flucht
werden seit Monaten von rechts befeuert und dominiert – und kaum
jemand lässt es sich nehmen, auch noch mit auf den rechten Zug
aufzuspringen.
Doch nicht nur das. Inmitten einer immer noch lebendigen Willkommens-
und Unterstützungsbewegung, inmitten der großen und wachsenden
Proteste gegen die AfD, inmitten der beeindruckenden Kämpfe von
Geflüchteten für ihr Recht auf ein gutes Leben und inmitten wachsender
Bewegungen für eine nachhaltige, globale Gerechtigkeit wird vielerorts
so getan, als sei der Rechtspopulismus der einzig maßgebliche Ausdruck
der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslage. Diese Behauptung ist
falsch. Und sie ist politisch fatal.
Es ist daher für uns an der Zeit, gemeinsam und eindeutig Stellung zu
beziehen. Wir verweigern uns ausdrücklich der politischen Logik einer
sich verfestigenden rechten Hegemonie. Wir wenden uns gegen eine
Politik des Ressentiments – und gegen Strategien, die hieraus Kapital
schlagen wollen für eine nur dem Anschein nach progressive oder
soziale Politik. Wir sind uns sicher, dass es keine fortschrittlichen
Antworten auf reaktionäre Fragen gibt. Der rechte Diskurs formuliert
keine Probleme. Er ist das Problem.
Nennen wir das Problem beim Namen.
Es heißt nicht Migration.
Es heißt Rassismus.
In den letzten Jahren hat sich in weiten Teilen Europas ein
politischer Rassismus etabliert, der die Grenzen zwischen den
konservativen, rechten und faschistoiden Lagern zunehmend verschwimmen
lässt. Für Deutschland gilt: Der bislang größte Erfolg der AfD war
nicht ihr Einzug in den Bundestag. Ihr mit Abstand größter Erfolg ist,
dass man sich in diesem Land wieder hemmungslos menschenverachtend
geben und äußern kann. Rassismus ist wieder ganz normales
Alltagsgeschäft geworden, im hohen Haus in Berlin wie beim Bäcker um
die Ecke. Bei „Spitzenpolitikern“ und Normalsterblichen, bei
„Liberalen“ – und selbst unter Linken.
25 Jahre nachdem der Deutsche Bundestag auf rechtsextreme Anschläge
und Morde mit der Einschränkung des Grundrechts auf Asyl antwortete,
erleben wir wieder eine Politik, die ohne Not und am laufenden Band
Zugeständnisse an rassistische Ressentiments macht. Es wird auf
Abschottung und Ausschluss gesetzt, die Grenzen werden wieder
hochgezogen, Schutzsuchende in Lager gesperrt, Menschenrechte
missachtet, Bürgerrechte systematisch abgeschafft und dort, wo sie
noch existieren, kaltschnäuzig umgangen.
Die Willkommensdiskurse des kurzen Sommers der Migration haben sich in
feindselige Abwehrdiskurse verwandelt. Die Einschränkung des
Familiennachzuges und die geplanten ANKER-Zentren beschneiden massiv
die Rechte von Migrant*innen, erhöhen den existenziellen Druck auf sie
und sind bloße Instrumente der Isolation und der Ausgrenzung. Länder,
die von Krieg zerstört und von den Kriegsfolgen gezeichnet sind,
werden zu sicheren Orten erklärt – aus den tatsächlich sicheren
Amtsstuben eines Landes, das mit seiner Wirtschaftsweise systematisch
zum Elend der Welt beiträgt. Heimatministerium, Abschiebeoffensive,
Hetzkampagnen und institutioneller Rassismus gehören zum Alltag – doch
der massive Protest aus der bürgerlichen Mitte bleibt aus.
Was ist eigentlich los in diesem Land?
Nicht nur die bürgerliche Mitte bekennt nicht Farbe. Auch Teile der
politischen Linken machen Zugeständnisse an rechte Rhetorik und
reaktionäre Ideen und verklären die Ablehnung von Migrant*innen sogar
zum widerständigen Moment, ja unterstellen ihr einen rationalen,
klassenpolitischen Kern. Doch eines muss klar sein: Rassismus ist
niemals ein Akt des Widerstands. Und ebenso klar ist, dass der neue
Rassismus, ob von rechts oder links, ohne uns läuft.
Diese Gesellschaft ist geprägt durch die zahlreichen, millionenfachen
Geschichten der Migration. Migration ist eine Tatsache. Sie ist
mindestens seit den Zeiten der „Gastarbeit“ in der alten
Bundesrepublik bzw. der „Vertragsarbeit“ in der DDR und bis auf den
heutigen Tag keine Gefahr, sondern eine Kraft der Pluralisierung und
Demokratisierung dieser Gesellschaft. Im Sommer 2015 haben wir das
erneut erlebt. Damals war die offene Gesellschaft der Vielen für alle
real, sie war greifbar und lebendig.
Seitdem hat sich an den Gründen für Flucht und Migration nichts
geändert. Geändert haben sich auch nicht die solidarischen Praktiken
in den Stadtteilen und den Regionen. Verändert haben sich aber der
öffentliche Konsens und der politische Wille, mit den Folgen des
westlich-kapitalistischen Treibens in der Welt auf solidarische Weise
umzugehen. Stattdessen verfolgt die Europäische Union im Konsens,
trotz drei Jahrzehnten des Sterbens an Europas Grenzen, eine
Verschärfung ihres Grenzregimes, die den Weg nach Europa noch
tödlicher werden lässt und den Zugang zu Flüchtlingsschutz zu einem
Gnadenrecht degradiert.
In Deutschland und Europa sind infolge der Ideologie „ausgeglichener“
Haushalte wichtige Ressourcen für gesellschaftliche Solidarität
blockiert. Dringend notwendige öffentliche Investitionen in soziale
Infrastruktur, in Bildung, Gesundheit, Pflege, sozialen Wohnungsbau
und eine integrative Demokratie bleiben aus. Der deutsche Pfad von
Sparpolitik und einseitiger Exportorientierung schließt viele Menschen
von Wohlstand aus, schafft prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und
nährt Zukunftsängste. Seine Probleme lassen sich jedoch nicht durch
eine ständische oder nationalistische Wohlfahrtsstaatlichkeit lösen,
die auf soziale Vorrechte und Abschottung setzt - und auf weltfremde
Phantasien einer „Steuerung“ von Migration und des wohligen
Privatglücks in der „Heimat“.
Das Ausblenden der sozialen Realitäten wird nicht funktionieren. Mit
Zuschauen und Schweigen muss endlich Schluss sein: Wir werden
Rassismus und Entrechtung konsequent beim Namen nennen. Wir werden uns
dem neuen völkischen Konsens entziehen und uns allen Versuchen
entgegenstellen, die Schotten der Wohlstandsfestung dicht zu machen.
Unsere Solidarität ist unteilbar – denn Migration und das Begehren
nach einem guten Leben sind global, grenzenlos und universell.
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https://solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org/
http://www.solidarische-moderne.de/de/article/526.solidaritaet-statt-heimat.html
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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