[E-rundbrief] Info - 1741 - E. Altvater - grüner Sozialismus.

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mi Mai 9 19:12:20 CEST 2018


E-Rundbrief Info 1741 - Raul Zelik (WOZ, CH): Elmar Altvater 
(1938–2018) - Auf der Suche nach einem grünen Sozialismus.

Bad Ischl, 9.5.2018

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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WOZ Nr. 19/2018 vom 10.05.2018

https://www.woz.ch/-8c44

Elmar Altvater (1938–2018)

Auf der Suche nach einem grünen Sozialismus

Der Ökonom und regelmässige WOZ-Autor Elmar Altvater wies früh darauf 
hin, dass die kapitalistische Produktionsweise den natürlichen 
Reichtum unumkehrbar vernichtet. Umso intensiver dachte er über 
Auswege nach.

Von Raul Zelik

Elmar Altvater war ein vielseitiger Mann: ein hervorragender Koch und 
grosszügiger Gastgeber; ein Antiautoritärer, der unter anderem einen 
der ersten Kinderläden Westberlins gründete, manchmal aber auch ein 
schroff auftretender Professor; ein Bewegungsaktivist, der sich vom 
Sozialistischen Deutschen Studentenbund bis zu Attac in den 
verschiedensten ausserparlamentarischen Gruppen engagierte; ein 
Parteimensch, der nach der Beteiligung Deutschlands am 
Jugoslawienkrieg die Grünen verliess, um wenige Jahre später der 
Linkspartei beizutreten, für die er zentrale Teile des Parteiprogramms 
verfasste; ein Kenner von Romanen und philosophischen 
Grundlagenschriften, die er in seine wissenschaftlichen Texte 
einfliessen liess; ein Autor gleichzeitig, der sich an ein breiteres 
Publikum wandte und für die WOZ nach der Finanzkrise 2008 zahlreiche 
Beiträge verfasste. Doch die wichtigste Eigenschaft Elmar Altvaters 
bestand sicherlich darin, dass er einer der ganz wenigen ÖkonomInnen 
war, die marxistische Gesellschaftsanalyse und Ökologie konsequent 
miteinander verschränkten.
Das Aquarium und die Fischsuppe

Altvaters Suche nach einem grünen Sozialismus begann schon in den 
sechziger Jahren, als er über Umweltprobleme in der Sowjetunion 
promovierte. 1971 wurde er Professor für politische Ökonomie an der 
Freien Universität Berlin. Er selbst betonte oft, dass er das auch 
einer sozialen Bewegung verdankte, weil studentische Gruppen die 
Besetzung des Lehrstuhls mit einem Marxisten gefordert hatten. In den 
siebziger Jahren lagen Altvaters Schwerpunkte noch eher auf 
marxistischer Theorie und der Erforschung von Wirtschaftskrisen. 
Ausserdem baute er damals die «Prokla» mit auf, eine wichtige 
Dreimonatszeitschrift für kritische Sozialwissenschaften, die auch 
heute noch erscheint. Doch in den achtziger Jahren wandte er sich mit 
grossem Nachdruck der Entwicklung einer ökologisch-marxistischen 
Gesellschaftskritik zu.

Von Bedeutung dabei waren seine längeren Forschungsaufenthalte in 
Brasilien, die ihn unter anderem ins amazonische Belém führten. 
Altvater wies darauf hin, dass menschliche Verarbeitungsprozesse, die 
in der Ökonomie als reichtumssteigernd verzeichnet werden, den 
natürlichen Reichtum oft unumkehrbar vernichten. Er illustrierte das 
gern mit dem alten Witz: Man kann aus einem Aquarium eine Fischsuppe 
machen, aber aus einer Fischsuppe kein Aquarium. Er arbeitete damit 
ein grundlegendes Problem der Ökonomie heraus: Obwohl das griechische 
Wort «oikonomia» ursprünglich das Haushalten mit knappen Ressourcen 
bezeichnete, läuft Ökonomie heute auf die Zerstörung natürlicher 
Grundlagen hinaus. Die grossen Volkswirtschaftsschulen ignorieren 
systematisch die physikalischen Energie- und Naturgesetze.

Damit war Elmar Altvater schnell beim häretisch-sozialistischen 
Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi, der 1944 in seinem berühmten Buch 
«The Great Transformation» den Begriff «Entbettung der Märkte» 
entwickelt hatte. Gerade das, was den Markt so innovativ und dynamisch 
macht, werde der Gesellschaft zum Verhängnis. Polanyi zeichnete anhand 
des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach, wie die Befreiung des 
Markts von politischen und moralischen Schranken zur Zerstörung seiner 
gesellschaftlichen Existenzgrundlage führte. Der entfesselte Markt 
habe den sozialen Zusammenhalt zerstört und damit dem Aufstieg von 
Militarismus und rassistischen Bewegungen und schliesslich den 
Weltkriegen das Terrain bereitet.

Altvater griff dieses Argument auf und wandte es auf die ökologische 
Frage an. Als nach dem Zusammenbruch des Ostblocks der Markt endgültig 
seine Überlegenheit bewiesen zu haben schien und mit den MarxistInnen 
auch die KeynesianerInnen aus dem Universitätsbetrieb gedrängt wurden, 
veröffentlichte er die Bücher «Die Zukunft des Marktes» (1991) und 
«Der Preis des Wohlstands» (1992). Darin arbeitete er die Fähigkeiten, 
aber auch die grundlegenden Probleme der Marktregulation heraus. 
Zentraler Aspekt seiner Argumentation waren die 
Externalisierungseffekte, über die zuletzt der Münchner Soziologe 
Stephan Lessenich das viel beachtete Buch «Neben uns die Sintflut» 
(2016) geschrieben hat.
Der Preis der Zukunft

Altvater analysierte diese Effekte schon vor 25 Jahren: Auf dem Markt 
sind die KonkurrentInnen ständig darum bemüht, Kosten nach aussen oder 
in die Zukunft abzuwälzen. Manchmal tun sie das illegal, indem sie 
Müll im Wald deponieren; manchmal legal, indem sie toxische Substanzen 
in afrikanische oder asiatische Länder exportieren. Bisweilen werden 
die Kosten auch einfach an die KundInnen weitergegeben.

Besonders dramatisch wirkt der Externalisierungseffekt über die Zeit: 
dann nämlich, wenn die Folgen ökonomischen Handelns erst Jahrzehnte 
später richtig zum Tragen kommen. Der Klimawandel ist das beste 
Beispiel dafür. Die Kosten des Klimawandels werden in den nächsten 
Jahren enorm steigen. Doch diejenigen, die sie durch CO2-Emissionen 
verursacht haben, konnten ihre Gewinne teilweise schon vor Jahrzehnten 
einfahren oder leben viele Tausend Kilometer entfernt von den Inseln, 
die durch die Erderwärmung zerstört werden.
Die Ansätze verbinden

Altvater hat sehr konsequent darauf gedrängt, den weltumspannenden 
Charakter des Kapitalismus ernst zu nehmen und die ökologischen und 
sozialen Folgen in ihrer Verschränktheit zu begreifen. Das hat ihn 
zuletzt auch zu der These bewegt, wir lebten nicht im «Anthropozän», 
also einem von der Menschheit geformten Erdzeitalter, sondern in einem 
«Kapitalozän». Erst der industrielle Einsatz fossiler Brennstoffe, wie 
er vom Verwertungszwang des Kapitals in Gang gebracht wurde, habe den 
rasanten Transformationsprozess eingeleitet, der die Natur unseres 
Planeten so dramatisch verändert.

Das Grandiose an Elmar Altvater war, dass er das Recht der Natur ernst 
nahm, ohne die sozialen Verhältnisse der unteren Klassen hier und im 
Globalen Süden aus den Augen zu verlieren. Heute wird immer 
deutlicher, dass die Linke nur als ökosozialistische Bewegung eine 
Zukunft haben kann. Doch in der Praxis fällt es linken Bewegungen 
schwer, die Ansätze zu verbinden: Wie können KlimaaktivistInnen und 
Arbeiter im Braunkohletagebau Gemeinsamkeiten formulieren? Wie können 
Gewerkschaften mehr materielle Teilhabe durchsetzen, ohne damit einen 
stumpfsinnigen Konsumismus zu befeuern? Wie können die 
Lebensverhältnisse im Süden verbessert und gleichzeitig die 
destruktive Wachstumsmühle gestoppt werden? Elmar Altvater hat 
gezeigt, dass man die Dinge nicht nur gemeinsam denken müsste, sondern 
sie auch gemeinsam denken kann.

Auch deshalb wird er sehr fehlen.

Raul Zelik hat gemeinsam mit Elmar Altvater 2009 das Buch «Vermessung 
der Utopie» veröffentlicht, ein Gespräch über die Mythen des 
Kapitalismus und die kommende Gesellschaft.

PS: Auch ich bin Elmar Altvater öfters bei internationalen Konferenzen 
und Seminaren begegnet und war von seiner umfassenden Sicht der 
sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen beeindruckt. 
Vieles davon griff er aus den Erfahrungen von Basisbewegungen - vor 
allem in Lateinamerika - auf und machte sie uns begreiflich und 
praktizierbar. Ich stimme seinen Mitarbeitern zu - er wird uns sehr 
fehlen.
Matthias Reichl

-- 

     Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
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