[E-rundbrief] Info 1639 - Offener Brief zur Israelreise von Bundeskanzler Mag. Ch. Kern
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Do Jun 29 12:01:37 CEST 2017
E-Rundbrief - Info 1639 - Offener Brief von österreichischen
Friedensorganisationen an den österreichischen Bundeskanzler Mag.
Christian Kern zu seiner Israelreise und seiner fehlenden Kritik an
der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik.
Bad Ischl, 29.6.2017
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Offener Brief an Bundeskanzler Mag. Christian Kern
Betreff: Ihre absolvierte Israelreise
(abgeschickt am 26.6.2017)
Guten Tag, Herr Bundeskanzler Mag. Kern!
Vor Ihrer dann abgesagten Israelreise haben wir Ihnen im Jänner
dieses Jahres einen Brief geschrieben. Darin haben wir Sie gebeten, in
Ihrem Gespräch mit Ministerpräsident Netanyahu auch Israels
fortdauernde Siedlungs- und Besatzungspolitik auf palästinensischem
Territorium als maßgebliches Friedenshindernis kritisch anzusprechen
und „uns nach Ihrer Rückkehr eine Antwort auf unser Schreiben
zukommen zu lassen“. Diese Antwort ist bisher ausgeblieben. Daher
heute dieser Offene Brief.
Den Verlauf ihrer inzwischen nachgeholten Israelreise haben wir in
verschiedenen Medien verfolgt. Zu unserer Enttäuschung haben Sie kein
einziges Wort auch nur annähernder Kritik an der israelischen
Siedlungs- und Besatzungspolitik verlauten lassen.
Diese Enttäuschung lässt sich auch im Vergleich mit dem Verhalten des
deutschen Außenministers Sigmar Gabriel verdeutlichen: Während sich
dieser bei seinem jüngsten Aufenthalt in Israel/Palästina auch
wichtigen Menschenrechts- und Friedensorganisationen der israelischen
Zivilgesellschaft[1] zugewandt hat, haben Sie es unterlassen, diese
selbst unter starkem Druck stehenden Kräfte zu hören, deren
politisches Gewicht zu stärken und so einen Beitrag zur längst
überfälligen Konfliktlösung zu leisten.
Wir fragen uns, wie Sie Ihre offensichtlich unkritische Haltung
gegenüber der rechtsnationalistischen Regierung Netanyahu
rechtfertigen, wenn Sie doch gleichzeitig wissen, dass
die in Gaza lebende Bevölkerung seit mehr als 20 Jahren schwer
unter ständig verschärfter und seit 2007 unter totaler Blockade leidet,
Israel seine illegale Siedlungs[2]– und Wasserpolitik fortsetzt,
mit dem völkerrechtswidrigen Mauerbau den PalästinenserInnen
weiter Land geraubt wird und vielen Bauern ihre Existenzgrundlagen
genommen werden,
in Ostjerusalem brutale Enteignungen palästinensischer Wohnungen
im Gange sind,
in Hebron Drangsalierungen palästinensischer Familien an der
Tagesordnung stehen, wie das Zuschweißen ihrer Eingangstüren (wie ein
Mitglied von Breaking the Silence in dieser Doku[3] anschaulich schildert)
Schikanen, Rassismus und Diskriminierung an Checkpoints und in
der Öffentlichkeit für PalästinenserInnen alltägliche Qual sind,
palästinensische ZivilistInnen Opfer willkürlicher Erschießungen
sind[4], n
Israel seine Politik der Zerstörung palästinensischer Häuser
fortsetzt[5],
AraberInnen und andere Minderheiten in Israel vielfach als
Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Vor Kurzem befanden sich rund 1.500 politische Gefangene in einem
fünfwöchigen Hungerstreik. Der wichtigste Grund: 500
PalästinenserInnen sind ohne Anklage oder Verurteilung hinter Gittern,
weil die sogenannte Administrativhaft eine Inhaftierung auf bloßen
Verdacht hin auf nahezu unbegrenzte Zeit erlaubt. Insgesamt sind nach
israelischen Angaben 6.240 Männer, rund 60 Frauen und Dutzende
Jugendliche inhaftiert. Der unrechtmässig[6] zu fünffacher
lebenslanger Haft verurteilte palästinensische Politiker Marwan
Barghouti, ein Hoffnungsträger für das Erringen einen gerechten
Friedens, erinnerte daran, dass seit 1948 „rund eine Million
Palästinenser verhaftet, gefoltert, psychisch und physisch erniedrigt
worden sind“.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben bei Ihrem Besuch, das alles
ausgeblendet. Damit haben Sie zugelassen, dass diese rechte
israelische Regierung ihre Politik der Apartheid weiterführt. Sie
leisten damit dem weiteren Landraub an den Palästinensern, den
zahllosen Menschenrechtsverletzungen und dem wiederholten und
andauernden Brechen des Völkerrechts Vorschub.
Bei einem Fortdauern dieser österreichischen Haltung sind Sie und Ihre
Regierung dafür mitverantwortlich, dass ein Frieden in der Region auf
die nächsten Jahrzehnte hinweg unmöglich sein wird. Österreichs
Regierungspolitik ist damit mitverantwortlich für eine semikoloniale
Politik EU-ropas, die Völkerrechtsbrüche, Ungerechtigkeit und Gewalt
weitgehend kritiklos zulässt und damit auch indirekt fördert. Diese
Ihre Politik lässt die schwer unterdrückte palästinensische
Bevölkerung in Stich, sie fällt aber auch den kritischen Friedens- und
Menschenrechtsgruppen in Israel selbst in den Rücken.
Auch fragen wir uns, ob es auf der Ebene Ihrer persönlichen Motivation
einen Zusammenhang gibt, zwischen Ihrer unkritisch proisraelischen
Haltung und dem bekannten Faktum, dass ihre Frau Eveline in Israel ein
Start-up Unternehmen[7] gegründet hat. Rechtfertigt der erwartete
persönliche Profit die Beteiligung an einem System kolonialistischer
Ausbeutung und Unterdrückung? Welche Ethik und welches
Qualitätsbewusstsein liegt einem innovativen Unternehmensgeist
zugrunde, der mit dazu beiträgt ein Apartheidsregime aufrechtzuerhalten?
Noch hoffen wir von Ihnen eine Antwort zu bekommen.
Begegnungszentrum für Aktive Gewaltlosigkeit Bad Ischl: Matthias
Reichl, eh.
Frauen in Schwarz/Wien: Paula Abrams Hourani, eh., Dr. Angela
Waldegg, eh.
Pax Christi Österreich Kommission Israel-Palästina: Hannes Zukali,
eh., Gerhilde Merz, eh.
Solidarwerkstatt Österreich: Gerald Oberansmayr, eh.
Steirische Friedensplattform: Franz Sölkner, eh.
Helga Suleiman, eh.
Ergeht zur Information auch an Staatssekretärin Mag. Muna Duzdar,
muna.duzdar at bka.gv.at
[1]
http://www.epa.eu/politics-photos/human-rights-diplomacy-photos/haaretz-newspaper-prints-a-letter-for-germany-s-chancellor-merkel-and-fm-gabriel-photos-53498134
[2] Siehe die alarmierenden jüngsten Meldungen zu 15.000
geplanten neuen völkerrechtlich illegalen Wohnungen in Jerusalem: Fri
Apr 28, 2017
http://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-settlements-idUSKBN17U1OS
und 8000 in der Westbank 12 Jun, 2017,
https://www.rt.com/news/391895-israel-approved-largest-settlements/
[3] http://www.arte.tv/de/videos/073399-001-A/re-breaking-the-silence
[4]
http://www.palaestina-portal.eu/texte/hinrichtungen_toetungen_palaestina.htm
[5] Seit 1967 wurden mehr als 45.000 Häuser und
andere Baulichkeiten zerstört.
[6] Die 4. Genfer Konvention verbietet Prozesse
außerhalb der besetzten Gebiete
[7] http://www.blueminds-company.com/tbmc-team/
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
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