[E-rundbrief] Info 1492 - Israelische Miltärdienstverweigerin.
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Fr Jan 15 18:25:01 CET 2016
E-Rundbrief - Info 1492 - Taïr Kaminer (Israel): “Warum ich
verweigere” – Erklärung von Taïr Kaminer.
Bad Ischl, 15.1.2016
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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http://www.juedische-stimme.de/?p=1918
“Warum ich verweigere” – Erklärung von Taïr Kaminer
Ich heiße Taïr Kaminer, ich bin 19. Vor kurzem habe ich mein
freiwilliges Jahr bei den Pfadfindern in Sderot beendet. In ein paar
Tagen werde ich wohl ins Gefängnis kommen. Ein ganzes Jahr war ich als
Freiwillige in Sderot, ich habe mit Kindern gearbeitet, die im
Kriegsgebiet leben, und dort habe ich mich entschlossen, den Dienst im
israelischen Militär zu verweigern.
Ich verweigere, weil ich für meine Gesellschaft einen Beitrag leisten
und sie verbessern möchte, als Teil eines langwierigen Kampfes für
Frieden und Gleichberechtigung.
Die Kinder, mit denen ich gearbeitet hatte, wuchsen im Herzen des
Konflikts auf und hatten von klein auf schockierende Erlebnisse –
Erfahrungen, durch die viele von ihnen großen Hass ausbildeten; man
kann das verstehen, besonders bei so kleinen Kindern. Wie sie lernen
viele Kinder, die in Gasa oder den Gebieten aufwachsen – in noch
schwierigerer Lage -, die andere Seite zu hassen. Auch ihnen kann man
dafür nicht die Schuld geben. Wenn ich all diese Kinder gemeinsam
betrachte, die kommenden Generationen beider Seiten und die Umstände,
unter denen sie aufwachsen, dann sehe ich eine Kette von Trauma und
Schmerz. Und ich sage: Es reicht!
Seit Jahren gibt es keine Aussicht auf politischen Fortschritt, es
gibt keinen Versuch mehr, Frieden nach Gasa und Sderot zu bringen.
Aber solange der militärische, gewaltsame Weg weiter beschritten wird,
produzieren wir auf beiden Seiten Generationen voll Hass, die die Lage
weiter verschlimmern werden. Man muss damit aufhören.
Darum verweigere ich: Um nicht eine aktive Rolle an der Besatzung der
palästinensischen Gebiete zu spielen und am Unrecht, das dem
palästinensischen Volk unter der Besatzung zugefügt wird. Um nicht
teilzuhaben am Kreislauf des Hasses in Gasa und Sderot.
Das Datum meiner Einberufung ist auf den 10. Januar 2016 festgelegt.
An diesem Tag werde ich mich bei der Musterungszentrale einfinden und
werde erklären, dass ich den Wehrdienst verweigere und daher zivilen
Ersatzdienst leisten möchte.
In Gesprächen haben mich mir nahestehende Menschen beschuldigt, dass
ich der Demokratie schade, wenn ich nicht die Gesetze des Staates
einhalte. Aber die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben unter
Herrschaft der israelischen Regierung, obwohl sie sie nicht gewählt
haben. Solange Israel weiter ein Besatzerstaat bleibt, wird es sich
weiter davon entfernen, ein demokratischer Staat zu sein. Daher ist
die Verweigerung Teil des Kampfes um Demokratie und kein Akt gegen die
Demokratie.
Man sagt mir, dass ich mich der Verantwortung für die Sicherheit des
Staates Israel entziehe. Aber mir, als einer Frau, die alle Menschen
als gleich betrachtet und deren Leben für gleich wichtig hält, fällt
es schwer an das Sicherheitsargument zu glauben, solange es einzig und
allein für die Juden gelten soll. Besonders jetzt, wo die Terrorwelle
weiter wächst, wird klar, dass das Militär nicht einmal die Juden
schützen kann, denn es gibt keinen Weg zur Sicherheit inmitten des
Besatzungszustands. Wirkliche Sicherheit wird dann entstehen, wenn das
palästinensische Volk in Würde und Freiheit in einem unabhängigen
Staat Seite an Seite mit Israel leben wird. Manche drückten ihre Sorge
über meine persönliche Zukunft aus, in einem Staat, in dem das Militär
eine solche Bedeutung hat. Sie rieten mir, trotz meines Standpunkts
bei der Armee zu dienen oder wenigstens nicht in solch öffentlicher
Form zu verweigern. Aber trotz all dieser Fragen und Sorgen habe ich
mich dafür entschieden, offen zu verweigern, denn dieser Staat, dieses
Land, diese Gesellschaft sind mir zu wichtig als dass ich bereit wäre
zu schweigen. Auch bin ich nicht so erzogen worden, dass ich mich nur
um mich selbst sorgen soll, mein ganzes bisheriges Leben bestand aus
Engagement und Verantwortung in gesellschaftlichen Dingen.
Möge meine Verweigerung dazu beitragen, auch wenn ich einen
persönlichen Preis bezahlen muss, das Thema Besatzung auf die
Tagesordnung in Israel zu bringen, denn viele Israelis merken nichts
von der Besatzung oder vergessen sie in unserem Alltag, der so sicher
ist verglichen mit dem der Palästinenser oder dem der Israelis im
Westen des Negev [im Grenzgebiet zu Gasa]. Man möchte uns davon
überzeugen, dass der Weg von Militär und Gewalt alternativlos sei.
Aber meiner Meinung nach ist dies der zerstörerischste Weg, und es
gibt andere Wege. Ich möchte uns alle daran zu erinnern, dass es eine
Alternative gibt: Verhandlungen, Frieden, Optimismus, ehrlicher Wille
auf ein Leben in Gleichberechtigung, Sicherheit und Freiheit. Man
möchte uns davon überzeugen, dass das Militär nichts mit Politik zu
tun hat. Aber im Militär zu dienen ist eine schwerwiegende politische
Entscheidung, genauso wie die zu verweigern. Wir junge Leute müssen
sie und ihre Bedeutung sehr genau abwägen und ihre Konsequenzen für
unsere Gesellschaft begreifen. Als ich das tat, habe ich mich dazu
entschieden zu verweigern. Das Militärgefängnis macht mir weniger
Angst als der Verlust der Humanität in unserer Gesellschaft.
Ich möchte nicht Dinge tun, hinter denen ich nicht stehen kann, und
dann im nachhinein das Schweigen brechen. Ich verweigere, und auch Ihr
solltet darüber nachdenken.
(Übersetzung aus dem Hebräischen: Rolf Verleger, 9.1.16)
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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