[E-rundbrief] Info 1443 - Hartmut Rosa für Entschleunigungs-Oasen
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Di Jun 9 09:33:12 CEST 2015
E-Rundbrief - Info 1443 - Zeitforscher Hartmut Rosa (D): „Rush hour of
life“ braucht Entschleunigungs-Oasen.
Bad Ischl, 9.6.2015
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Presseinformation
3.6.2015
Zeitforscher Rosa: „Rush hour of life“ braucht Entschleunigungs-Oasen
Europäisches Parlament: 2. Treffen der Interest Group
„Work-Life-Balance“ – Experte Rosa über den Sonntag als Tag des
Konsumierens und Wege zu mehr (Zeit)Wohlstand für alle.
Zur Frage des arbeitsfreien Sonntags ließ der deutsche Soziologe Prof.
Hartmut Rosa mit dem Vorschlag aufhorchen, den Sonntag als Tag des
Konsumierens zu nützen, statt noch mehr Güter beim Shopping
anzuhäufen. Bücher lesen, Musik hören oder machen, Spiele spielen etc.
- all das brauche Zeit, die am arbeitsfreien Sonntag kollektiv zur
Verfügung steht, so der Experte beim 2. Treffen der Interest Group
“Work-Life-Balance” im Europäischen Parlament am 1. Juni 2015.
Europäische Sonntagsallianz, die EU-Abgeordneten Evelyn Regner
(Europäische Sozialdemokraten) und Thomas Mann (Europäische
Volkspartei) hatten gemeinsam mit der Deutschen Allianz für den freien
Sonntag und der Allianz für den freien Sonntag Österreich zu einem
Treffen zwischen EU-ParlamentarierInnen und VertreterInnen der
Zivilgesellschaft geladen und den bekannten Zeitforscher Rosa für
einen Input gewonnen. Unter den 40 TeilnehmerInnen waren Abgeordnete
des Europäischen Parlaments, sowie VertreterInnen von Gewerkschaften,
Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
„Uns geht die Zeit aus!“
Rosa wies auf die Folgen beständiger Beschleunigung in modernen
Gesellschaften auf die Work-Life-Balance hin. Er hielt fest, dass uns
die „Zeit ausgeht“. Trotz aller technologischen Innovationen, die
eigentlich den Anspruch haben, Zeit zu sparen, würden wir uns von der
Hoffnung auf ein ausgewogeneres Arbeits-Privatleben-Verhältnis in
Richtung einer „Arbeits-Alters-Balance“ bewegen. Für viele zeichne
sich das gute Leben erst mit Eintritt in die Pension ab. *) Das
chronische Ungleichgewicht zwischen zu erledigenden Aufgaben und den
verfügbaren Zeitressourcen, während der „rush hour of life“, also der
intensivsten Arbeitsjahre, die zusätzliche Angst vor Jobverlust,
erzeuge ein Gefühl von Aussichtslosigkeit und Kontrollverlust über das
eigene Leben. Burnout sei hierfür ein Symptom.
Abhilfe könne ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffen, weil es
laut Prof. Rosa enormen Druck von den ArbeitnehmerInnen nehmen könnte.
Die soziale Ausgrenzung, das Gefühl Almosen zu beziehen, würde durch
ein kollektives Grundeinkommen wegfallen.
In allgemein festgelegten Urlaubs- und Auszeiten, im arbeitsfreien
Sonntag sieht Prof. Rosa notwendige Oasen der Entschleunigung, während
er individualisierte Auszeitregelungen für gefährlich hält, weil sie
von notwendigen Strukturänderungen ablenken würden. Sie dienten
vorrangig der Wiederherstellung der Arbeitskraft und nicht so sehr
einer Verbesserung der Work-Life-Balance individuell und
gesamtgesellschaftlich. Die Zunahme von Arbeitsgeschwindigkeit,
Arbeitspensum, noch stärker wachsendes Konkurrenzverhalten im
Wirtschaftsbereich und beständiger Wachstumszwang müssten als
Alarmzeichen gesehen werden. Wenn wir in allem schneller werden
müssen, um den Status quo zu erhalten, stimme etwas im System nicht.
Zeitpolitik könne, so der Experte, hier nicht als isoliertes
Instrument zu Änderungen führen. Zeitpolitik müsse immer analytisch in
Zusammenhang mit Wirtschaft, mit Ökologie, mit Gesellschaft, mit
Arbeitszeit eingesetzt werden, betonte Prof. Rosa. Um notwendige
Änderungen in politischen und sozio-ökonomischen Strukturen unserer
Gesellschaft herbeizuführen, müssten wir auch über eine
Post-Wachstumsgesellschaft nachdenken.
Das nächste Treffen der Interest Group im Europäischen Parlament wird
in der zweiten Jahreshälfte stattfinden.
Rückfragehinweis für die Medien:
Gabriele Kienesberger, Koordinatorin der Allianz für den freien
Sonntag Österreich: gabriele.kienesberger at ksoe.at , 0650 – 400 57 51
Allianz für den freien Sonntag Österreich
c/o ksoe - Katholische Sozialakademie Österreichs
Catholic Social Academy of Austria
A-1010 Wien, Schottenring 35/DG
T: +43-1-310 51 59 -97
F: +43-1-310 68 28
www.freiersonntag.at
www.europeansundayalliance.eu
Freier Sonntag - Zeit die zählt!
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*) Anmerkung von Matthias Reichl:
Schön wär's, wenn so wär'! Als überbeschäftigter, selbstausbeutender
(Mindest-)Pensionist frag' ich mich, ob's so weiter gehen wird bis aus
dem "guten Leben" ein "Ab-Leben" wird. Die harten,
existenzgefährdenden bzw. -zerstörenden Weichenstellungen der
Mächtigen zwingen uns, unseren gewaltfreien Widerstand nicht
aufzugeben. Ein arbeitsfreier - sowie konsumzwang- und werbefreier -
Sonntag wäre eine unverzichtbare Verschnaufpause. Auf-Leben statt
Ab-Leben!
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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