[E-rundbrief] Info 1413 - EU-Singapur Handelsabkommen
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Sa Feb 21 17:39:17 CET 2015
E-Rundbrief - Info 1413 - Susanne Müller (A): Freihandelsabkommen
EU-Singapur mit Klagsrecht für Konzerne.
Bad Ischl, 21.2.2015
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Freihandelsabkommen EU-Singapur mit Klagsrecht für Konzerne
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden im Herbst 2014 die
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und
Singapur abgeschlossen (EUSFTA). Darin enthalten sind auch
Investorenschutzklauseln, die Konzernen ein Klagerecht gegenüber
Staaten geben, wenn sie ihre Profite durch Sozial- oder Umweltauflagen
in Gefahr sehen.
Seit vielen Monaten protestieren immer größere Teile der Bevölkerung
gegen die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment
Partnership - zwischen den USA und der EU), CETA (Comprehensive
Economic and Trade Agreement - zwischen Kanada und der EU) und TiSA
(Trade in Services Agreement - zwischen den USA, der EU und 21
weiteren Staaten).
Währenddessen wurden weitgehend unbemerkt im Oktober 2014 die
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Singapur und der
EU abgeschlossen. Damit dieses „EU - Singapore Free Trade Agreement“
(EUSFTA) in Kraft treten kann, muss es nach Zustimmung des
Europäischen Rates nur noch von den beiden Verhandlungspartnern
ratifiziert werden. Derzeit besteht auf Seiten der Europäischen Union
noch Rechtsunsicherheit. Momentan wird vom Europäischen Gerichtshof
(EuGH) geprüft, inwieweit das Freihandelsabkommen in die Kompetenzen
der Mitgliedsstaaten eingreift. Sollte dieser zu dem Schluss gelangen,
dass es sich um einen weitreichenden Eingriff in die Kompetenzen der
Mitgliedsstaaten handelt, müsste das Abkommen nicht nur durch das
Europäische Parlament, sondern auch durch die Parlamente der
Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.
Vertreter beider Seiten heben die wirtschaftlichen Vorteile – wie
erleichterter und gesteigerter Warenverkehr und die positive regionale
Bedeutung als Tür zum ostasiatischen Markt – hervor. Singapur ist
schon jetzt die bedeutendste Handels- und Finanzdrehscheibe
Südostasiens und für deutsche Firmen Investitionsstandort und
Absatzmarkt Nummer eins in der gesamten Region. Der geostrategisch (an
der Straße von Malakka) äußerst günstig liegende Stadtstaat zählte in
den vergangenen Jahren zum Beispiel regelmäßig zu den zehn größten
Empfängern deutscher Rüstungslieferungen.
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht wiegen die oben genannten Vorteile
dieses Abkommens die Nachteile für die Bevölkerung aber bei weitem
nicht auf. Hauptkritikpunkt von EUSFTA ist das darin (wie auch bei
TTIP, CETA,…) vereinbarte Investorenschutzabkommen, das die
umstrittene Schiedsgerichtsbarkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten
enthält.
Klagsrecht gegen Mindestlöhne und Atomausstieg
ISDS (Investor-state dispute settlement) ist ein Instrument des
internationalen Rechts, das es den Investoren ermöglicht, gegen eine
ausländische Regierung, in deren Land sie investiert haben, zu klagen.
Dies soll dann vor privaten Schiedsgerichten stattfinden, die an die
Stelle von nationalen Gerichten treten. Die Unabhängigkeit und
Objektivität von Juristen, die in solchen Verfahren einmal als Kläger,
dann mal als Verteidiger oder Richter agieren, muss man
berechtigterweise anzweifeln. Die Praxis zeigt schon jetzt die
Auswirkungen dieses inakzeptablen Systems auf:
Konzerne klagen Staaten weil sie z.B. Mindestlöhne (Viola
-Ägypten) eingeführt haben, Umweltauflagen forderten (Renco - Peru)
oder aus der Atomkraft aussteigen wollen (Vattenfall - Deutschland).
Dies ist aus demokratischer Sicht inakzeptabel, da der politische
Handlungsspielraum für zukünftige sinnvolle Maßnahmen und Gesetze z.B.
bezüglich des Schutzes von ArbeitnehmerInnen und Umwelt erheblich
eingeschränkt wird.
EUSFTA: Klagsrecht für Ölkonzerne gegen Umweltgesetze
Auch in dem von der EU und Singapur ausgehandelten Pakt sollen
sämtliche Unternehmen, die einen Firmensitz in Singapur haben und
„beträchtliche Geschäftstätigkeiten“ im Land nachweisen können, unter
den Schutz von ISDS gestellt werden, unabhängig davon, wo sich ihr
Hauptsitz befindet. Eine Greepeace-Analyse weist z.B. darauf hin, dass
die zehn größten Ölkonzerne der Welt ausnahmslos Tochtergesellschaften
mit solchen „beträchtlichen Geschäftstätigkeiten“ im asiatischen
Steuerparadies haben. Nach Ratifizierung des Handelsabkommens
zwischen EU und Singapur wird es ihnen in Zukunft möglich sein, gegen
etwaige Umweltgesetze vor privaten Schiedsgerichten zu klagen.
Schon 1958 wurde von einer Reihe von Staaten die Basis für private
internationale Schiedsgerichte geschaffen. Die Industriestaaten saßen
bis jetzt nur selten auf der Anklagebank, dieses Los wurde meist nur
Entwicklungs- und Schwellenländern zuteil. Seit einigen Jahren hat
sich das geändert und zwingt uns nun endlich, kritisch über die
praktizierte Form des Investitionsschutzes mittels intransparenter
privater Schiedsgerichte nachzudenken.
Wollen wir eine solche Welt?
Wir müssen uns deshalb ernsthaft mit der Frage konfrontieren: Wollen
wir eine Welt, in der die Kapitalrendite zum obersten
gesellschaftlichen Wert erhoben wird und diesem dann die
Sozialstaatlichkeit, der Umweltschutz und sogar die elementarsten
Menschenrechte untergeordnet werden?
Sobald sich ein Staat fragen muss, ob er durch dringend anstehende
Maßnahmen zur Verbesserung sozialer oder ökologischer Verhältnisse in
ein Schiedsverfahren klagender ausländischer Investoren geraten kann,
wird die staatliche Souveränität massiv ausgehöhlt. Gerade
Entwicklungsländer sind davon doppelt betroffen. Sie haben einerseits
großen Nachholbedarf bei der Einführung sozialer, menschenrechtlicher
und ökologischer Standards und verfügen andererseits nicht über die
Mittel, Schadenersatz infolge einer Investorenklage leisten zu können.
Diese fragwürdige Entwicklung muss beendet werden! Fordern wir von
unserer Bundesregierung, dass sie sämtliche Abkommen, die ISDS bzw.
„ratchet clauses“ (einmal durchgeführte Privatisierungen öffentlichen
Eigentums können nicht mehr rückgängig gemacht werden) enthalten,
nicht ratifizieren darf!
Susanne Müller
Bitte die Parlamentarische Bürgerinitiative „FAIRHANDEL(n) STATT
FREI(?)HANDEL!“ unterstützen!
http://www.solidarwerkstatt.at/Forum/EUTwoPack.php
(Quellen: Europäische Kommission, Frankfurter Rundschau,
German-Foreign-Policy, Greenpeace, Industrie- und Handelskammer
München, Mitwelt.org, ÖGB/AK, Zeit online,…).
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1188&Itemid=86
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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