[E-rundbrief] Info 1410 - Gazas oekologische und soziale Kriegsschaeden
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
So Feb 15 20:41:18 CET 2015
E-Rundbrief - Info 1410 - Annette Groth, Wiebke Diehl (D): Ökologische
und soziale Katastrophe macht Gaza unbewohnbar. Folgen der
israelischen Angriffe auf palästinensisches Land.
Bad Ischl, 15.2.2015
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Ökologische und soziale Katastrophe macht Gaza unbewohnbar
Dieser Beitrag von Annette Groth und Wiebke Diehl erschien zuerst in
der Zeitschrift BIG Business Crime 01/2015.
Die im letzten Herbst von den Vereinten Nationen ernannte
Untersuchungskommission, die einen Bericht über den letzten Gaza-Krieg
vom Sommer 2014 und seine Auswirkungen erstellen soll, ist auch damit
beauftragt worden, die durch den Krieg verursachten Umweltschäden im
Gazastreifen zu untersuchen. Auf Bitte der Umweltbehörde Palästinas
soll das Team vor Ort die langfristigen und gefährlichen, aus dem
Angriff der israelischen Armee resultierenden Umweltprobleme erkunden,
welche die ohnehin seit Jahrzehnten sich verschlimmernde
Umweltkatastrophe in dem Gebiet massiv verschärft haben.
Der 51 Tage andauernde Krieg gegen den Gazastreifen vom Sommer 2014
wurde mit einer zuvor noch nie dagewesenen Massivität und Brutalität
geführt. Auf palästinensischer Seite haben über 2 000 Menschen ihr
Leben verloren, der allergrößte Teil davon Zivilist/innen. Auf
israelischer Seite starben über 70 Personen. Die israelische Armee
warf während des Krieges über 20 000 Tonnen unterschiedlichster Arten
von sehr gefährlichen und international verbotenen Bomben über dem
Gazastreifen ab. Der Küstenstreifen ist mit seinen 365 qkm Größe und
etwa 1,8 Millionen Einwohnern eines der am dichtesten besiedelten
Gebiete weltweit. Über 11 000 Palästinenser/innen wurden während des
Krieges verletzt, viele davon schwer, außerdem hat der Krieg etwa 110
000 Zivilist/innen zu Binnenflüchtlingen gemacht.
Acht medizinische Einrichtungen wurden durch die Angriffe völlig
zerstört, viele weitere beschädigt. 17 von 32 Krankenhäusern waren in
Folge der Angriffe nicht mehr funktionstüchtig, sechs mussten komplett
geschlossen werden. Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen wurde
ebenfalls durch die israelische Armee zerstört. Inzwischen ist es zwar
wieder funktionstüchtig, jedoch nur in sehr eingeschränktem Maße.
Allein im Bereich der Landwirtschaft hat der Krieg eine so große
Verwüstung hinterlassen, dass der entstandene Schaden auf etwa 550
Millionen Dollar geschätzt wird. Den Menschen mangelt es neben den
Materialien für den Wiederaufbau ihrer Häuser und der Infrastruktur
weiterhin an Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Gerät.
Inzwischen hat der Wintereinbruch die ganze, von Krieg und Zerstörung
heimgesuchte Region mit den vielen Millionen Flüchtlingen fest im
Griff. Im Gazastreifen erfrieren Menschen, weil sie kein Dach über dem
Kopf haben und nicht in der Lage sind, insbesondere kleine Kinder und
Babys vor der Kälte zu schützen.
Der Gazastreifen leidet seit Jahren unter massiven Umweltproblemen,
die durch den letzten Krieg noch einmal stark verschlimmert wurden.
Insbesondere in den Bereichen Wasser-, Abwasser und Müllsystem hat die
Katastrophe bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass selbst
Spezialist/innen kaum noch Lösungen finden und davor warnen, dass die
Lebensgrundlage für die Menschen im Gazastreifen schon bald
irreparabel zerstört ist.
Laut einem UN-Bericht („Gaza in 2020 – A liveable place?“) wird der
Gazastreifen im Jahr 2020 unbewohnbar sein. Zu diesem Zeitpunkt wird
sich die Bevölkerung von Gaza auf 2,1 Millionen erhöht haben, so die
zugrunde gelegte Schätzung aus dem Jahr 2012, dem Erscheinungsjahr des
Berichts. Seither hat sich die Bevölkerung des Gebiets tatsächlich um
etwa 0,2 Millionen Menschen erhöht – dies entspricht dem zugrunde
gelegten Bevölkerungswachstum von 2,9 Prozent. Sowohl die vorhandene
Infrastruktur, Strom, die kommunalen Dienstleistungen wie z.B. Wasser-
und Abfallbewirtschaftung und die sozialen Dienste als auch
lebensnotwendige Ressourcen wie insbesondere trinkbares Wasser sind
bereits heute Mangelware. Diese Krise verschärft sich ständig weiter,
weil es im Gazastreifen keinerlei Möglichkeit gibt, die zur Verfügung
stehende Menge an Energie, Wasser und Dienstleistungen der schnell
wachsenden Bevölkerung anzupassen. Dies wird irgendwann – und
wahrscheinlich schon in wenigen Jahren – dazu führen, dass Menschen im
Gazastreifen nicht mehr leben können.
Diese Entwicklung vollzieht sich selbst in Zeiten, in denen keine
offenen Kriege gegen das Gebiet und seine Bevölkerung geführt werden.
Massiv verschärft wird die Katastrophe durch die im Jahre 2007 über
den Gazastreifen verhängte Blockade. Sie schneidet das Gebiet und
seine Bevölkerung vom Rest der Welt ab; sowohl der Import in das als
auch der Export aus dem Gebiet sind seither – zumindest auf normalem
Wege – unmöglich. Allein durch die Tunnel zwischen dem Gazastreifen
und Ägypten hatte sich über die Jahre ein reger, wenn auch
selbstverständlich nicht geregelter, Handel entwickelt. Aufgrund der
Tatsache, dass der Schmuggel von Waren in der Illegalität und unter
großen Gefahren für die Akteure stattfand, waren die Preise
insbesondere für Nahrungsmittel und Medikamente immens.
Viele Schmuggler und Händler bereicherten sich auf Kosten der
Bevölkerung, die sich Essen und andere lebensnotwendige Produkte kaum
noch leisten konnte. Die Tunnel waren jedoch lange Zeit die einzige
Verbindung zur Außenwelt, über die die Bevölkerung von Gaza – neben
den Hilfsleistungen insbesondere von UNRWA, dem Hilfswerk der
Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, sowie von anderen
Hilfsorganisationen – an Materialien und Produkte kam, mit deren Hilfe
sie ihr Leben bestreiten konnte. Seit der Zerstörung eines Großteils
der Tunnel durch die ägyptische Regierung und deren Militär ist auch
diese Lebensader gekappt. Die Zerstörung der Tunnel sollte offiziell
den Schmuggel zum Beispiel von Waffen in das Gebiet sowie das
Eindringen radikaler Islamisten und Krimineller nach Ägypten
unterbinden. Mit der Zerstörung der Tunnel wurde aber zugleich
zumindest in Kauf genommen, dass sich auch die Hilfebedürftigkeit der
Bevölkerung von Gaza in beträchtlichem Maße erhöhte.
Der isolierte Gazastreifen lebt nur noch durch Finanzierung von außen.
44 Prozent der Bevölkerung in Gaza waren bereits vor dem letzten Krieg
von Ernährungsunsicherheit betroffen oder der Ernährungsunsicherheit
nahe. 88 Prozent der Haushalte erhielten Hilfsleistungen und 39
Prozent der Bevölkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze.
Hauptursache für die humanitäre Katastrophe der Bevölkerung von Gaza
ist, so stellt der UN-Bericht ganz eindeutig heraus, die anhaltende
Blockade des Gazastreifens.
Kein Trinkwasser und die Gefahr irreparablen Schadens
Der UN-Bericht, der von einer gleichbleibenden Entwicklung ausgeht und
damit die massive Verschlechterung der Lage, die durch den letzten
Gaza-Krieg entstanden ist, gar nicht mit einbeziehen konnte, betont
besonders den Mangel an trinkbarem Wasser und die hierdurch
entstehenden Auswirkungen auf die Menschen und die Umwelt in Gaza. Der
Bedarf an Wasser werde bis zum Jahre 2020 um 60 Prozent steigen – bei
gleichzeitig zunehmender Verseuchung des Wassers unter anderem durch
Abwässer und in der Landwirtschaft verwendetem Dünger. Bereits die
Hälfte der getesteten Kinder aus dem Gazastreifen weist einen Mangel
an roten Blutkörpern auf, wodurch unterschiedlichste Krankheiten
hervorgerufen werden können.
Noch schlimmer: Der Bericht weist nach, dass es bereits 2016 im
Gazastreifen kein trinkbares Wasser mehr geben wird. Und ab 2020 werde
gar jede Möglichkeit verspielt sein, diese Entwicklung noch rückgängig
zu machen. Der Schaden wäre dann also irreparabel und der Gazastreifen
kein potentieller Lebensraum mehr. Bereits heute verfügen die meisten
Haushalte im Gazastreifen über kein oder nicht ausreichend Trinkwasser
und selbst die ausgesprochen geringen verfügbaren Mengen sind
verseucht. Da im Gazastreifen Regenfall eher eine Seltenheit ist, muss
zur Versorgung der Bevölkerung in erster Linie auf das Grundwasser
zurückgegriffen werden. Da in Folge dessen in den letzten Jahrzehnten
bereits viel zu viel Grundwasser abgepumpt wurde (oder vielmehr
abgepumpt werden musste), dringt zunehmend Meerwasser in die
Grundwasservorräte ein.
Durch den 51-tägigen Gaza-Krieg hat sich die Lage noch einmal deutlich
verschärft: Die Wasser- und Abwasser-Systeme sind zu 70 Prozent
beschädigt worden, so Dr. Amal Sarsour in einem Bericht des
Gouverneurs von Gaza kurz nach dem Krieg – genau wie die
Abwasserpumpstation und die Kläranlagen. Selbst die nicht beschädigten
Pumpstationen fielen durch den Mangel an Gas und Strom immer wieder
aus, was eine zusätzliche Verschärfung der Situation zur Folge habe.
Von der teilweisen Funktionsunfähigkeit der Wasserleitungen seien 700
000 Menschen betroffen.
Auch durch die von der israelischen Armee auf den Gazastreifen
abgefeuerten unterschiedlichen Arten von Bomben und anderen Geschossen
wie Streubomben, DIME-Bomben (Dense Inert Metal Explosives) und
Phosphorbomben sei eine neue Gefahr für die Menschen, aber auch für
die Umwelt, entstanden. Die in der Munition enthaltenen Substanzen
hätten sich mit der Erde vermischt – eine Entwicklung, die durch den
nun im Winter fallenden Regen wohl noch einmal immens beschleunigt
wird – und drohten so, das Grundwasser weiter zu vergiften.
Ungereinigte Abwässer stellen eine große Gefahr ebenso für die Umwelt
wie für die Gesundheit der Bevölkerung dar und tragen ihren Teil dazu
bei, dass das Grundwasser immer unbrauchbarer wird.
Die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Menge Wasser am Tag
pro Person beträgt mindestens 100 Liter. Vor dem Gaza-Krieg standen
der Bevölkerung des Gazastreifens allerdings nur 60-70 Liter pro
Person zur Verfügung, bedingt durch den Krieg sind es laut Dr. Amal
Sarsour heute in einigen Gebieten nur noch 3 Liter pro Tag.
Verseuchtes Meerwasser
Bereits vor dem Gaza-Krieg wurden die Bewohner des Gazastreifens davor
gewarnt, im Meer zu baden. Schon damals erklärte die palästinensische
Umweltbehörde, dass die meist ungeklärten, ins Meer fließenden
Abwässer dazu führten, dass sich gefährliche Viren, Bakterien und
Parasiten im Meerwasser befänden und damit das Risiko von Krankheiten
und Epidemien bestehe. Auch die Fischbestände, eine der wichtigsten
Einkommensquellen im Gazastreifen, werden dadurch verseucht und
stellen ein ernstes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung Gazas dar.
Tausende Fischer/innen, die ohnehin nur sehr eingeschränkt agieren
können, da sie nicht mehr als drei nautische Meilen aufs Meer fahren
dürfen (damit sind 85 Prozent der Meeresgebiete, die in den Osloer
Abkommen den Palästinenser/innen zugesagt worden waren, für die
palästinensische Bevölkerung nicht zugänglich) und bei
„Zuwiderhandlungen“ von der israelischen Armee beschossen werden, sind
so quasi erwerbsunfähig und können sich und ihre Familien kaum
ernähren. Parallel dazu wird den Palästinenser/innen der Zugang zu 17
Prozent des Gazastreifens verwehrt, da die israelische Regierung diese
Gebiete zu „Pufferzonen“ erklärt hat. Davon betroffen sind 35 Prozent
der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Als die palästinensische
Umweltbehörde ihre Warnung an die im Gazastreifen lebenden Menschen
aussprach, waren bereits 35 – 45 Prozent des Meerwassers kontaminiert.
Durch den israelischen Angriff auf den Gazastreifen hat sich dieser
Wert auf 70 Prozent erhöht. Auch vor dem Gaza-Krieg konnten nur 25
Prozent des Abwassers behandelt und beispielsweise in der
Landwirtschaft verwendet werden. Wegen der in Folge des letzten
Krieges zum Teil schwer beschädigten Abwasser- und Klärsysteme mangelt
es den Palästinenser/innen in noch höherem Maße als zuvor an
Vorrichtungen, das Abwasser zu behandeln. Täglich werden nach Angaben
der Umweltbehörde von Gaza bis zu 100 000 Kubikmeter unbehandeltes
Wasser im Mittelmeer „entsorgt“. Die daraus resultierenden
Auswirkungen werden irgendwann auch anderswo spürbar sein und sich
keinesfalls auf das Meerwasser direkt vor Gaza beschränken.
Gefährliche Abfälle
Dr. Amal Sarsour geht in ihrem Bericht zudem detailliert darauf ein,
dass im Gazastreifen keine effektive Abfallwirtschaft existiert und es
selbst an der Bodenfläche mangelt, den Minimalstandards entsprechende
Mülldeponien zu errichten. Auch hier habe sich die Situation durch den
Gaza-Krieg extrem verschärft: Müllfahrzeuge seien beschädigt und der
Zugang zu den vorhandenen Mülldeponien blockiert worden. Dies führe
dazu, dass an 16 inoffiziellen Stellen Abfall entladen und ein Volumen
von 76 000 Tonnen Müll erreicht worden sei, der bei den vorhandenen
Mülldeponien abgeladen wurde. Hinzu kämen weitere 20 000 Tonnen Müll,
die auf provisorischen Müllhalden angehäuft wurden.
Nicht vergessen werden darf auch die riesige Menge an zum Teil
kontaminiertem Schutt und Trümmern, die durch die schrecklichen und
massiven Zerstörungen im Gaza-Krieg entstanden ist. Die Menschen, die
nun obdachlos sind und denen es an Materialien fehlt, ihre Häuser
wieder zu errichten, werden zudem noch durch diese geschätzten 2
Millionen Tonnen Schutt, von denen niemand weiß, wie und wo sie
entsorgt werden sollen, in ihrer Gesundheit bedroht. Zum Vergleich:
nach dem Gaza-Krieg von 2008/2009, nach dem sich kaum einer vorstellen
konnte, es könne ein noch massiverer, brutalerer und zerstörerischer
Angriff folgen, waren es etwa 600 000 Tonnen Schutt.
Luftverschmutzung
Die in vielen Fällen international geächteten Bomben und anderen
Geschosse, die die israelische Armee während des Krieges gegen die
Bevölkerung des Gazastreifens eingesetzt hat, haben über 2000 Menschen
getötet und tausende schwer verletzt. Als wäre dies nicht genug, haben
diese 20 000 Tonnen schadstoffhaltiger Munition aber auch noch
langfristig die Umwelt verschmutzt und den Bewohnern Gazas so ein
weiteres Stück ihrer Lebensgrundlage und ihrer Zukunft geraubt. Die in
den Boden eingedrungenen Schadstoffe werden wiederum vom Wind
aufgewirbelt und reichern so die Luft mit giftigen Partikeln an.
Besonders die uranhaltige Munition birgt die Gefahr in sich, bei der
Bevölkerung, die das Uran inhaliert, Missbildungen und Krankheiten
hervorzurufen. Davon betroffene schwangere Frauen gebären in vielen
Fällen Kinder mit Missbildungen oder Krebs.
Toxische Gase gelangten laut Dr. Amal Sarsour auch durch den Beschuss
des einzigen Elektrizitätswerks im Gazastreifen in die Luft. Zwei
Millionen Liter Diesel seien in der Folge verbrannt; riesige
Rauchwolken seien in die Luft gestiegen und hätten zu zahlreichen
schweren Erkrankungen der Atemwege geführt. Kombiniert mit der
Tatsache, dass die Krankenhäuser und Krankenstationen im Gazastreifen
nur noch eingeschränkt funktionsfähig oder gar zerstört sind, werden
selbst vergleichsweise ungefährliche Krankheiten für die Menschen zu
einer nicht zu bewältigenden Katastrophe und können Kindern und
älteren Menschen den Tod bringen.
Viel zu wenige Ärzt/innen und Pflegepersonal sind vor Ort, um die
durch die Umweltkatastrophe erkrankten oder im Krieg oft schwer
verletzten Menschen zu versorgen. Hinzu kommt der Mangel an Strom: 12
bis 16 Stunden, manchmal gar bis zu 20 Stunden pro Tag bricht die
Stromversorgung zusammen. Bereits vor dem Krieg vom Sommer 2014
mussten die Krankenhäuser in Gaza regelmäßig auf Notstromaggregate
zurückgreifen, Operationen können häufig wegen des Mangels an Strom
nicht durchgeführt werden. Eine Behandlung im Ausland ist teuer und
oft unmöglich, weil den Betroffenen von den israelischen oder
ägyptischen Behörden die Ausreise verweigert wird.
Die Gaza-Blockade muss endlich aufgehoben werden
Da die meisten für den Wiederaufbau genau wie für die allgemeine
Instandhaltung der Infrastruktur benötigten Materialien und
natürlichen Ressourcen im Gazastreifen nicht vorhanden sind, ist die
dortige Bevölkerung auf Importe angewiesen. Die von der israelischen
sowie der ägyptischen Regierung verhängte Blockade gegen den
Gazastreifen verhindert aber in großem Stil, dass neben so
lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung, Medikamenten und medizinischem
Gerät auch Treibstoff und Materialien für den Wiederaufbau,
insbesondere Zement, nach Gaza gelangen können.
Die bei einer im Oktober 2014 in Kairo abgehaltenen Geberkonferenz für
den Wiederaufbau des Gazastreifens zugesagten 4,3 Milliarden Euro
können in Folge der Weigerung der israelischen Regierung, wenigstens
ein Mindestmaß an Materialien und Produkten über die Grenzübergänge zu
lassen, nicht abgerufen werden. Dass den Menschen so ihre
Lebensgrundlage vorenthalten wird und sie weiterhin in den Ruinen des
letzten Gaza-Krieges leben müssen, ist ein Verbrechen und verstößt
gegen alle internationalen Standards.
Es ist die Pflicht der internationalen Gemeinschaft und insbesondere
der Politik, die gebetsmühlenartig wiederholt, dass eine
Friedenslösung im Nahen Osten gefunden werden und internationales
Recht durchgesetzt werden müsse, dass sie ihren Worten endlich Taten
folgen lässt und sich nachdrücklich dafür einsetzt, dass die
Gaza-Blockade beendet wird. Wenn nicht sehr schnell die Bedingungen
geschaffen werden, die schon fast unaufhaltsame Entwicklung in Gaza
rückgängig zu machen, besteht für die Menschen in dem kleinen
Küstenstreifen die ganz akute Gefahr einer langfristigen Zerstörung
ihrer Lebensgrundlage. Nur wenn endlich gemeinsam dafür gestritten
wird, dass wirksame Techniken in den Gazastreifen gelangen und dort
auch angewandt werden können, ist eine lebenswerte Zukunft für Gaza
und die dort lebenden Menschen mehr als reine Utopie.
Es kann kaum noch die Rede davon sein, dass der Gazastreifen ein
bewohnbarer Ort bleiben soll – vielmehr muss er wieder dazu gemacht
werden. Die im Zwei-Jahres-Rhythmus gegen Gaza und die dort lebenden
Menschen geführten Kriege werfen das Gebiet jedes Mal und mit jedem
Angriff in höherem Ausmaß noch weiter zurück, als dies selbst ohne die
israelischen Angriffe aufgrund mangelnder Mittel und der
demographischen Entwicklung ohnehin der Fall wäre. Es ist aber in sehr
hohem Maße auch die völkerrechtswidrige Blockade gegen den
Gazastreifen und seine Bevölkerung, die die heute vorherrschende und
spätestens im Jahr 2020 unumkehrbare Katastrophe verschuldet hat.
Selbst der Deutsche Bundestag, der sich wie die deutsche Politik im
Allgemeinen aufgrund der deutschen Geschichte schwertut, klare Worte
zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu finden, hat im Juni 2010
einmütig die Bundesregierung dazu aufgefordert, mit Nachdruck auf ein
Ende der Gaza-Blockade hinzuwirken. Geschehen ist seitdem kaum etwas.
Die Menschen in Gaza aber haben ein Recht darauf, mit der Misere, für
die auch die internationale Gemeinschaft eine Mitverantwortung trägt,
nicht allein gelassen zu werden. Andernfalls wird der Gazastreifen
nicht einfach still weiter zugrunde gehen, sondern explodieren. Dies
wäre ohne Zweifel weder der Sicherheit Israels noch der gesamten
Region des Nahen Ostens zuträglich.
Die Bundesregierung und die EU müssen sich endlich dafür einsetzen,
dass die Infrastruktur im Gazastreifen so schnell wie möglich
repariert und modernisiert wird. Es ist absolut dringlich, die
Abwässer zu reinigen und zu diesem Zweck Kläranlagen für den gesamten
Gazastreifen zu bauen. Die bereits vorhandenen Kläranlagen müssen
wiederhergestellt und modernisiert werden. Die internationale
Gemeinschaft muss es zu ihrer obersten Priorität machen, die
fortschreitende Kontaminierung des Grundwassers in Gaza und die
katastrophale Vergiftung des Meerwassers zu beenden sowie die bereits
entstandenen Schäden zu beheben.
Die Lebensgrundlage der Landwirt/innen und der Fischer/innen muss
genau wie die der restlichen Bevölkerung des Gebiets gesichert werden.
Autarke und nachhaltige regenerative Erzeugungsanlagen,
Solarkollektoren und der Bau von Windkraftanlagen sind eine notwendige
Voraussetzung, um eine dauerhafte Energieversorgung zu gewährleisten
und so die fatale Entwicklung im Gazastreifen zu stoppen. Die völlig
maroden Wasserleitungen müssen saniert werden, um so die massiven
Wasserverluste zu verringern. Damit kann die Grundwasserentnahme
deutlich reduziert und das Eindringen von Meerwasser gestoppt werden.
Gleichzeitig muss das Abwassersystem in Gaza modernisiert,
Abwasserleitungen müssen gebaut und ausgetauscht werden.
Insgesamt sollte ein ökologisches Infrastrukturprogramm für Gaza
aufgelegt werden, das die Lebensgrundlage der Menschen nachhaltig
sichert. Zielführend kann all dies aber nur sein, wenn gleichzeitig
die israelische Regierung die gesperrten Flächen endlich freigibt,
damit in diesen Bereichen eine landwirtschaftliche Nutzung für die
eigenständige Sicherstellung von Nahrungsproduktion für die Menschen
in Gaza entstehen kann. Langfristig wird in Teilen von Gaza die
Dekontaminierung von Böden angegangen werden müssen, damit sich die
gesundheitliche Situation für die Bevölkerung nachhaltig verbessert.
Für die Gaza-Solidaritätsbewegung ist es deshalb wichtig,
internationale Natur- und Umweltverbände einzubeziehen. Alle gemeinsam
müssen sich für eine schnelle Bekämpfung der sich immer weiter
zuspitzenden Umweltsituation einsetzen und ein ökologisches
Sanierungsprogramm für die Erhaltung der Lebensgrundlage von mehr als
2 Millionen Menschen initiieren.
Zu den Autorinnen:
Annette Groth ist Diplomsoziologin und Mitglied des Deutschen
Bundestags. Sie ist menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion
Die Linke.
Wiebke Diehl studierte Islamwissenschaften und ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin von Annette Groth.
http://www.businesscrime.de/oekologische-und-soziale-katastrophe-macht-gaza-unbewohnbar/
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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