[E-rundbrief] Info 1402 - Treffen Sozialer Bewegungen Vatikan 2014
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Di Jan 27 22:17:26 CET 2015
E-Rundbrief - Info 1402 - Erklärung zum Abschluss des weltweiten
Treffens Sozialer Bewegungen vom 27. bis 29. Oktober 2014 in Rom
(Vatikan).
Bad Ischl, 27.1.2015
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Erklärung zum Abschluss des weltweiten Treffens Sozialer Bewegungen
vom 27. bis 29. Oktober 2014 in Rom (Vatikan).
Zum Abschluss des Welttreffens Sozialer Bewegungen wollen wir der
Öffentlichkeit eine kurze Zusammenfassung dessen vorlegen, was in
diesen drei historischen Tagen geschehen ist.
1. Inspiriert von Papst Franziskus und organisiert von der Päpstlichen
Kommission “Justitia et Pax”, der Päpstlichen Akademie für
Sozialwissenschaften sowie von verschiedenen Volksbewegungen aus der
ganzen Welt sind wir, eine Delegation von mehr als hundert
gesellschaftlichen Führungskräften aus allen Kontinenten, in Rom
zusammengekommen, um die entscheidenden Probleme und Herausforderungen
der Menschheitsfamilie (insbesondere gesellschaftliche Ausgrenzung,
ungleiche Verteilung der Lebenschancen, Gewalt und Umweltkrise) aus
der Perspektive der Armen und ihrer Organisationen zu diskutieren, und
zwar vor allem orientiert an den drei Erfahrungsbereichen: Landbesitz,
Arbeit und Wohnung.
2. Die Tagung verfolgte das Ziel, die Kultur der Begegnung praktisch
zu erfahren dadurch, dass Genossinnen und Genossen, Brüder und
Schwestern aus verschiedenen Kontinenten, Generationen, Berufen,
Religionen, Ideen und Erfahrungen beteiligt waren. Nicht nur
Vertreterinnen und Vertreter aus den drei genannten
Erfahrungsbereichen nahmen an dem Treffen teil, sondern auch eine
große Gruppe von Bischöfen, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus
der Pastoral, von Intellektuellen und Akademikern, die ebenfalls
wichtige Beiträge zum Treffen beisteuerten, aber stets die vorrangige
Rolle der drei Erfahrungsbereiche und der Sozialen Bewegungen
respektierten. Beim Treffen waren auch Spannungen spürbar, denen wir
uns aber als Geschwister gemeinsam stellten.
3. In erster Linie wurden die strukturellen Ursachen von Ungleichheit
und Ausgrenzung sowohl im Zusammenhang des globalen Systems als auch
in ihren jeweiligen lokalen Ausdrucksformen analysiert, und zwar immer
aus der Perspektive der Armen und der armen Völker, also aus der Sicht
von Bauernfamilien, aus der Sicht von Arbeitenden in rechtlich
ungesicherten Arbeitsverhältnissen wie aus der Sicht von Bewohnerinnen
und Bewohnern von Armenvierteln (aus Dörfern, Favelas, Slums,
Elendsviertel). Die erschreckenden Zahlen von Ungleichheit und
Konzentration des Reichtums in den Händen einer Handvoll Milliardären
haben wir uns angeschaut. Diskussionsteilnehmer und Referenten waren
sich darin einig, dass die Wurzeln für die gesellschaftlichen und
ökologischen Missstände im ungerechten, räuberischen Charakter des
kapitalistischen Systems zu finden sind, weil es den Profit für
wichtiger hält als den Menschen. Die erste Geige in dieser Symphonie
der Zerstörung spielt die enorme Macht der multinationalen Konzerne,
die alles privatisieren und verschlingen wollen – das Denken, die
Dienstleistungen und die Waren.
4. In den Arbeitsgruppen haben wir uns darauf geeinigt, dass das
uneingeschränkte, dauerhafte, sichere und ganzheitliche Recht auf
Landbesitz, Arbeitsplatz und Wohnung die Menschenwürde ausmacht und zu
den unveräußerlichen Menschenrechten gehört, die respektiert und
garantiert werden müssen. Wohnung und Nachbarschaft sind
unverletzliche Größen, dürfen von Unternehmen und Staaten nicht
angetastet werden; das Land gehört als gemeinschaftliches Gut allen,
die es bearbeiten, so dass Landraub unmöglich gemacht wird; ein
menschenwürdiger Arbeitsplatz ist die strukturelle Bedingung für ein
Lebensprojekt – das waren einige der gemeinsam erhobenen Forderungen.
5. Wir haben uns auch dem Problem von Gewalt und Krieg gestellt, einem
totalen Krieg bzw. – wie Franziskus sagt – einem dritten Weltkrieg in
Raten. Ohne dabei den globalen Charakter dieser Probleme aus den Augen
zu verlieren, haben wir besonders intensiv die Lage im Nahen Osten
behandelt, vor allem die Aggression gegen das palästinensische und
kurdische Volk. Die Gewalt, die von den Mafias des Narco-Terrorismus,
des Waffenhandels und des Menschenhandels entfesselt wird, war
ebenfalls Gegenstand einer tiefgreifenden Debatte. Zwangsumsiedlungen,
die von der Gewalt, vom Agrobusiness, von dem die Umwelt vergiftenden
Minenabbau und von allen Formen des Rohstoff-Abbaus (Extraktivismus)
hervorgerufen werden, sowie die Repression, der Bauernfamilien, Völker
indigener und afrikanischer Abstammung ausgesetzt sind, waren in allen
Arbeitsgruppen präsent ebenso wie das gravierende Problem der
Staatsstreiche in Honduras und Paraguay und die Politik der Großmächte
mit ihren Interventionen in den ärmsten Länder.
6. Die Umweltthematik war Gegenstand eines reichhaltigen Austauschs
zwischen der Sichtweise von Akademikern und einfachen Leuten. Wir
haben die neuesten Informationen über Umweltverschmutzung und
Klimawandel bekommen, die Vorhersagen über künftige Naturkatastrophen
kennengelernt und wissenschaftliche Belege dafür erhalten, dass ein
unersättliches Konsumstreben und eine von den wirtschaftlich Mächtigen
betriebene verantwortungslose industrielle Produktionsweise die
herannahende Umweltkatastrophe erklärt. Wir müssen die
Verwerfungs-Kultur bekämpfen. Selbst wenn sie strukturelle Ursachen
hat, müssen wir auch von unten her eine Veränderung in den
Gewohnheiten und Verhaltensweisen unserer Leute bewirken, indem wir
dem Handel in der Solidarwirtschaft den Vorrang geben und wieder
verwenden, was dieses System zum Abfall macht.
7. Einmal mehr haben wir erkannt, dass Krieg und Gewalt, die
Verschärfung ethnischer Konflikte und der Gebrauch von Religion zur
Legitimation von Gewalt ebenso wie Abholzung, Klimawandel und Verlust
der Artenvielfalt hauptsächlich vom unerbittlichen Profitstreben
vorangetrieben werden und vom kriminellen Willen, sich die ärmsten
Völker zu unterwerfen, um ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen
zu plündern. Wir sind davon überzeugt, dass Soziale Bewegungen und
Kirche gemeinsam handeln müssen, um diesen wirklichen Genozid an
Völkern und Erde zu stoppen.
8. Eine eigene Aufmerksamkeit verdient namentlich die Situation der
Frauen, weil sie durch dieses System besonders geschlagen sind. Wir
erkennen an, dass ihre Lage uns dringlich abverlangt, uns überzeugt
und entschieden zu engagieren für die historisch anstehenden,
berechtigten Reklamationen all unserer Gefährtinnen, die inspirierend
und emanzipierend wirken können für Konflikte, Prozesse und
Lebensweisen. Wir fordern auch ein Ende der Stigmatisierung, der
Vernachlässigung und Verwerfung von Kindern und Jugendlichen, vor
allem jener, die arm, afrikanischer Abstammung bzw. Migranten sind.
Wenn die Kinder keine Kindheit mehr haben, die Jugendlichen kein
Lebensprojekt, gibt es für die Erde keine Zukunft.
9. Wir gefallen uns nicht im Selbstmitleid und im Klagelied über all
diese zerstörerischen Realitäten, wir erheben vielmehr als Soziale
Bewegungen, vor allem als die bei diesem Treffen Versammelten, den
Anspruch, dass wir Ausgegrenzten, wir Unterdrückten, wir nicht
resignierten, sondern organisierten Armen uns mit all unseren Kräften
der chaotischen Situation stellen können und müssen, in die uns dieses
System gebracht hat. In diesem Sinne haben wir unzählige Beispiele von
Arbeit, Organisation und Einsatz gehört, durch die in aller Welt
Millionen menschenwürdige Arbeitsplätze in der Solidarwirtschaft
geschaffen, Millionen Hektar Land für die bäuerliche Landwirtschaft
zurückerobert und Millionen Wohnungen bzw. Siedlungen gebaut,
organisiert, verbessert bzw. beschützt wurden. Dass die kleinen Leute,
die Schichten des einfachen Volkes wieder eine aktive Rolle in den
Demokratien spielen, die von der Wirtschaft in Geiselhaft genommen
wurden bzw. nur noch als Plutokratie funktionieren, ist für die
Transformationsprozesse, die notwendig sind, unverzichtbar.
10. Im Hinblick auf den besonderen Kontext dieser Begegnung und den
unschätzbaren Beitrag der katholischen Kirche, die unter der Leitung
von Papst Franziskus dieses Treffen erst ermöglichte, haben wir auch
darüber nachgedacht, welch wesentlichen Beitrag die Soziallehre der
Kirche und das Denken ihres Hirten zum Einsatz für soziale
Gerechtigkeit geleistet haben. Unser wichtigstes Arbeitsmaterial dafür
war das Schreiben Evangelii Gaudium, das wir diskutiert haben, um zu
ethischen Leitlinien für das Leben von Individuen, Gruppen und
Gesellschaft zurückzufinden. Wir wollen auch hervorheben, dass viele
katholische Priester und Bischöfe an der ganzen Versammlung
teilgenommen und mitgearbeitet haben. Durch sie waren all jene
Laienmitarbeiter und Ordensleute persönlich vertreten, die sich an der
Seite der Sozialen Bewegungen engagieren und von denen wir glauben,
dass sie in ihrer wichtigen Arbeit stärker unterstützt werden sollten.
11. Wir alle, Frauen und Männer, viele von uns Katholiken, konnten an
einer Messfeier im Petersdom teilnehmen, die einer unserer Gastgeber,
Kardinal Peter Turkson, zelebriert hat. Dabei haben wir drei Symbole
für unsere Sehnsucht, für unsere Misere und für unsere Konflikte als
Opfergaben präsentiert: einen Karren der Müllsammler, die Früchte der
Arbeit einer Bauernfamilie und das Modell einer typischen Hütte aus
einem Armenviertel. Viele Bischöfe aus allen Kontinenten waren dabei.
12. In dieser Atmosphäre von leidenschaftlicher Debatte und
interkultureller Geschwisterlichkeit hatten wir die Gelegenheit, einen
historischen Moment zu erleben, der unvergesslich bleiben wird: Papst
Franziskus nahm an unserer Begegnung teil und fasste in seiner
Ansprache unsere reale Lage, unsere Beschwerden und unsere Ideen
weitgehend zusammen. Seine eindeutigen, überzeugenden Worte lassen
keine zweideutigen Interpretationen zu. Er bekräftigt, dass die Sorge
um die Armen das Herzstück des Evangeliums ausmacht. Sein
brüderlicher, geduldiger und warmherziger Umgang mit allen sowie mit
jeder einzelnen und jedem einzelnen von uns, vor allem mit den
Verfolgten, stimmt mit seinen Worten überein und bringt zum Ausdruck,
dass er solidarisch ist mit unserem politischen Einsatz, der so oft
voreingenommen oder despektierlich behandelt, sogar verfolgt,
unterdrückt oder kriminalisiert wird.
13. Ein weiterer Höhepunkt war die Teilnahme unseres Bruders Evo
Morales, des Präsidenten der Weltversammlung der indigenen Völker. Er
hat in seiner Eigenschaft als führendes Mitglied einer Sozialen
Bewegung teilgenommen und uns einen Vortrag gehalten, der einerseits
das kapitalistische System kritisierte und andererseits darlegte, was
wir Ausgeschlossenen im Hinblick auf Landbesitz, Arbeit, Wohnen,
Frieden und Umwelt erreichen können, wenn wir uns organisieren und
Zugang zu Machtpositionen gewinnen, allerdings zu einer Macht, die
sich als Dienst und nicht als Privileg versteht. Wir waren sehr
bewegt, als er Franziskus umarmte. Das wird uns für immer im
Gedächtnis bleiben.
14. Zwei Dinge nehmen wir als Ergebnisse unseres Treffens direkt mit
nach Hause:
erstens den “Brief der Ausgeschlossenen an die Ausgeschlossenen”, um
darüber mit den Gruppen an der Basis unserer Arbeitsbereiche und
Sozialen Bewegungen zu arbeiten. Diesen Brief wollen wir zusammen mit
der Ansprache des Papstes und den Tagungsprotokollen an möglichst
viele Menschen verteilen.
Und zweitens den Vorschlag, einen ständigen Gesprächskontakt zwischen
Sozialen Bewegungen und Kirche aufzubauen.
15. Zusammen mit dieser kurzen Erklärung bitten wir insbesondere alle
in den Medien arbeitenden Frauen und Männer, uns dabei behilflich zu
sein, die Ansprache von Papst Franziskus ungekürzt zu verbreiten, weil
sie – wie wir bereits sagten – unsere Erfahrungen, Überlegungen und
Wünsche im Großen und Ganzen zusammenfasst.
Unser Tagungsmotto: Landbesitz, Dach über dem Kopf und Arbeit (“tierra
– techo – trabajo”) sind heilige Rechte! wollen wir immer wieder laut
mit den folgenden Forderungen vertreten: Keine Arbeitenden ohne
Rechte! Keine Familie ohne Wohnung! Keine Bauernfamilie ohne Land!
Kein Volk ohne Territorium! Los gehts! Die Armen organisieren sich und
kämpfen für eine humane Alternative zur ausschließenden
Globalisierung! Lang lebe Papst Franziskus und seine arme Kirche für
die Armen!
Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, ITP, Münster
http://www.itpol.de/?p=1596
Quelle: http://alainet.org/active/78404 – 29. 10. 2014
Plattform Belo Monte Medienberichte (mit ergänzenden Berichten):
http://plattformbelomonte.blogspot.co.at/2014/10/welttreffen-der-volksbewegungen-in-rom.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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