[E-rundbrief] Info 1399 - Je suis... solidarisch mit allen Opfern von Gewalt

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mo Jan 26 14:57:38 CET 2015


E-Rundbrief - Info 1399 - Gerald Oberansmayr (A): Je suis... 
Gedanken zum Terroranschlag in Paris. Anmerkungen von Renate Bursik 
und Matthias Reichl.

Bad Ischl, 26.1.2015

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Je suis...

Gedanken zum Terroranschlag in Paris

Je suis (ich bin) Stephane und Yohan, stellvertretend für die 17 am 8. 
Jänner in Paris kaltblütig ermordeten Menschen – die ermordeten 
MitarbeiterInnen von „Charlie Hebdo“*), die im Supermarkt ermordeten 
jüdischen Geiseln und die ermordeten Polizisten.

Je suis Rashid und Fatima, stellvertretend für die bis zu 260.000 
IrakerInnen, die im Jahr 1991 dem Bombenhagel des „Wüstensturms“ der 
US-Streitkräfte und ihrer Alliierten zum Opfer fielen.

Je suis Aischa und Muhammad, stellvertretend für die rund 500.000 
irakischen Kindern, die wegen des verbrecherischen, in den 90er Jahren 
von USA und EU gegen den Irak durchgesetzten UNO-Embargos verreckt 
sind – auf Grund von Unterernährung, fehlender medizinischer 
Versorgung und des Zusammenbruchs der humanitären Infrastruktur.

Je suis Fharid und Samira, stellvertretend für die bis zu 200.000 
Toten in Afghanistan, denen die westliche Militärintervention und ihre 
Folgen seit 2001 das Leben gekostet hat.


Je suis Bilal und Samreena, stellvertretend für die rund 80.000 
Menschen, die der Ausweitung des Afghanistan-Krieges nach Pakistan 
seit 2004 zum Opfer gefallen sind, nicht wenige von ihnen im 
Raketenhagel ferngelenkter Drohnen.


Je suis Goran und Branka, stellvertretend für tausende Menschen, die 
im NATO-Bombenterror gegen Jugoslawien im Jahr 1999 ums Leben kamen – 
ein Krieg, der schließlich zur völligen Vertreibung der Roma, Sinti 
und Juden aus dem Kosovo führte.


Je suis Suleika und Abdul, stellvertretend für die rund eine Million 
Toten, die der Krieg der westlichen Mächte gegen den Irak im 2003 und 
in den Jahren danach forderte und das Land bis heute in einem Meer an 
Blut und Fundamentalismus versinken lässt.


Je suis Hassan und Sarah, stellvertretend für die auf bis zu 90.000 
Toten geschätzten Opfer des Krieges, der 2011 von EU-Mächten und den 
USA gegen Libyen geführt wurde und der das Land bis heute in einen 
Hexenkessel von Chaos und Gewalt gestürzt hat und den Krieg auch in 
andere Länder, z.B. Mali, überschwappen ließ.


Je suis Rabia und Hakim, stellvertretend für die 200.000 Toten des 
Krieges in Syrien seit 2011, bei dem von Anfang an westliche Mächte – 
oft über die verbündeten Despotien am Golf – djihadistische Gruppen 
finanziell, militärisch und politisch unterstützt haben, um ein dem 
Westen missliebiges Regime zu stürzen.


Je suis Sherat und Dilara, stellvertretend für die vielen Toten im 
kurdischen Rojava, das besonders ins Visier dieses von USA und EU 
geförderten djihadistischen Terrors in Syrien geraten ist.


Je suis Anna und Vladimir, stellvertretend für die Vielzahl an Opfern 
faschistischer Pogrome in der Ukraine, nachdem mit tatkräftiger Hilfe 
des EU-Auswärtigen Dienstes im Vorjahr äußerst rechte Kreise an die 
Macht in Kiew geputscht wurden und seither wichtige Regierungsämter 
bekleiden.


Je suis Said und Selma für die Unzahl an Neugeborenen, die auf Grund 
des Einsatzes von Uranmunition der westlichen Armeen in Bosnien, 
Kosovo, Irak, Afghanistan, usw. verstümmelt und todkrank zur Welt kommen.


Je suis Diana und Jamal, stellvertretend die 20.000 Flüchtlinge, die 
in den letzten Jahrzehnten an den EU-Außengrenzen im Mittelmeer 
ertrunken sind, weil sie Krieg, Gewalt und Elend in ihrer Heimat 
entkommen wollten – oft ausgelöst durch westliche 
Militärinterventionen und die hemmungsloser EU-Freihandelspolitik, die 
den Menschen die wirtschaftliche Existenzgrundlage raubt.


Je suis…


Wer für die Ermordeten in Paris auf die Straße geht, darf zu den in 
die Millionen gehenden Opfern der Kriege und Interventionen westlicher 
Großmächte nicht schweigen, deren indirektes Opfer auch die 17 
Ermordeten in Paris geworden sind. Denn der religiöse Fundamentalismus 
ist ein Produkt dieser Aggressionen. Nicht nur weil ein Großteil der 
Opfer dieser Kriege Muslime sind, sondern auch weil USA und EU 
djiadistische Gruppierungen skrupellos aufpäppeln, wenn es ihren 
geostrategischen Interessen entspricht, um diese postwendend wieder 
als Vorwand für Aufrüstung und Krieg zu instrumentalisieren, sobald 
sich die Interessenslage ändert. Image


Wenn sich die für diese Terrorkriege Mitverantwortlichen – Merkel, 
Hollande, Sarkozy, Cameron, Juncker & Co - jetzt mit „Je suis Charlie“ 
medial in Szene setzen, dann ist das der Gipfel an Heuchelei - und es 
ist brutales Kalkül: Diese „Pegida im Nadelstreif“ will – wie schon in 
der Vergangenheit – solche Terrorakte nutzen, um die Militarisierung 
der EU nach innen und außen voranzutreiben. Bereits im Sommer 2015 
sollen unter dem Titel einer „neuen europäischen Sicherheitsstrategie“ 
die nächsten Schritte der Aufrüstung, Überwachung und Repression 
beschlossen werden. Das Attentat in Paris kommt manchen wie gerufen, 
um die diesbezüglichen Pläne aus den Schubladen zu holen. Der 
Teufelskreis von Hass und Gewalt wird dadurch weiter angeheizt. Lassen 
wir das nicht zu! Lassen wir uns nicht auf Grund von Religion, 
Herkunft oder Hautfarbe auseinanderdividieren!

Wir sind Widerstand - gegen den Terror des Krieges!


Gerald Oberansmayr
(15.1.2015)


*) Ich bin nicht „Charlie Hebdo“, weil ich mich mit den teilweise 
rassistischen Karikaturen dieser Zeitschrift keineswegs identifiziere.


Nachtrag:
Eine Anregung von Renate Bursik zu "Je suis..."!, die ich gerne hinzufüge:

Je suis Adel und Amira, stellvertretend für die 10 000 
palästinensischen Kinder, Väter, Mütter, alten Menschen, die vom 
israelischen Staat gemordet, verstümmelt, traumatisiert worden sind 
(bekanntlich ist auch der israelische Ministerpräsident Netanjahu in 
der ersten Reihe der Heuchler neben Merkel, Hollande, Sakrozy, 
Cameron, Juncker & Co marschiert).

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2 Anmerkungen von Matthias Reichl (26.1.2015):

Der israelische Friedensaktivist und Alternative Nobelpreisträger Uri 
Avnery greift unter dem Titel "In der ersten Reihe winkend" in seinem 
wöchentlichen Kommentar am 10.1.2015 Netanjahus Provokationen auf und an.
http://www.uri-avnery.de/news/316/17/In-der-ersten-Reihe-winkend .

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Eine meiner Anmerkungen zur Karikatur des Propheten Mohammed auf dem 
Titelblatt von "Charly Hebdo" (vom 14.1.):

Das Schild "Je suis Charlie" auf seiner Brust soll offenbar 
suggerieren, dass sich der Prophet mit "Charlie" identifiziert und 
nicht nur sympathisiert - eine weitere Provokation für gläubige Muslime.

Die manipulierten "Volksmassen" auf den Straßen, im Internet usw. - 
sympathisieren oder identifizieren sie sich mit einer - fast perfekt - 
inszenierten Massenhysterie, die die - berechtigte - Trauer um 
getötete Menschen instrumentalisiert?


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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