[E-rundbrief] Info 1285 - Uri Avnery: Engelsgesicht des israel. Faschismus

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Sa Dez 28 21:37:51 CET 2013


E-Rundbrief - Info 1285 - Uri Avnery (Israel): Das Engelgesicht des 
israelischen Faschismus.

Bad Ischl, 28.12.2013

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Das Engelgesicht des israelischen Faschismus

Uri Avnery אורי אבנרי

Übersetzt von  Ellen Rohlfs

Wenn man ihr Gesicht im Fernsehen sieht, ist man von ihrer Schönheit 
sehr beeindruckt. Es ist das Gesicht eines Engels, rein und unschuldig.

Dann öffnet sie ihren Mund, und was aus ihm kommt ist widerlich und 
hässlich: die rassistische Botschaft der extremen Rechten. Es ist, als 
sähe man einen Cherub mit geöffneten Lippen, die die Zähne eines 
Vampirs enthüllen.

Ayelet Shaked mag die Schönheitskönigin der gegenwärtigen Knesset 
sein. Ihr Name ist verführerisch: Ayelet bedeutet Gazelle, Shaked 
Mandel. Aber sie ist die Urheberin einiger der haarsträubendsten 
Initiativen dieser Knesset. Sie ist auch die Vorsitzende der 
„Jüdisches Heim-Fraktion“ von Naftali Bennett, der 
nationalistisch-religiösen Partei der Siedler, das radikal rechteste 
Partei der  jetzigen Regierungskoalition.

Ihre letzte Heldentat ist eine Gesetzvorlage, über die jetzt gerade in 
der Knesset diskutiert wird; es geht darum, eine riesige Steuer auf 
Spenden zu legen, die von ausländischen „politischen Entitäten“ an 
israelische Menschenrechtsorganisationen gegeben werden, die einen 
Boykott Israels (oder nur der Siedlungen) befürworten, oder die 
Anklage israelischer Offiziere, wegen Kriegsverbrechen vor 
internationalen Gerichtshöfen belangt werden und anderes.
All dies während immense Summen Geld aus dem Ausland zu den Siedlungen 
und ihren Unterstützern fließen. Ein großer Teil dieser Summen wird 
praktisch von der US-Regierung gegeben, die ihren Abzug vom der 
US-Einkommensteuer als philanthropisch anerkennen. Vieles kommt von 
amerikanisch jüdischen Milliardären von zweifelhaftem Ruf.

IN IRGENDEINER Weise ist diese Gazelle und ihr Gesicht ein 
internationales Phänomen. In ganz Europa blühen extrem faschistische 
Parteien. Kleine verachtete Randgruppen blühen plötzlich zu großen 
Parteien auf mit einer nationalen  Wirkung: Von Holland nach 
Griechenland, von Frankreich nach Russland propagieren diese Parteien 
eine Mischung von Supernationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, 
Islamophobie, Antisemitismus und Hass gegen Immigranten. Ein tödliches 
Hexengebräu.

Die Erklärung scheint einfach zu sein. Überall hat die wirtschaftliche 
Krise die Leute hart angefasst. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Junge 
Leute finden keinen Job. Die Opfer schauen sich nach einem Sündenbock 
um, dem gegenüber sie sich abreagieren können. Sie wählen den Fremden, 
die Minderheit, die Hilflosen. So ist es seit alters her gewesen. So 
wurde ein gescheiterter Maler mit Namen Adolf Hitler zu einer 
historischen Figur.

Für Politiker ohne Vision oder Werte ist dies der leichteste Weg, um 
zu Erfolg und Ansehen zu kommen. Es ist auch der verabscheuungswürdigste.

Ein österreichischer Sozialist sagte vor gut 100 Jahren, „der 
Antisemitismus sei der „Sozialismus der dummen Kerls“.

Sozialreformer mögen glauben, die ganze Sache  sei von Milliardären 
der Welt angestiftet, die sich auf immer größere Teile der Aktivposten 
in ihren Händen konzentrieren. Die Kluft zwischen dem oberen einem 
Prozent und den anderen wächst, und die Nutznießer finanzieren die vom 
radikalen rechten Flügel, um den Zorn der Massen in andere Richtungen 
zu lenken. Das ist logisch.

Doch meiner Meinung nach ist die ökonomische Erklärung zu einfach. 
Wenn dasselbe Phänomen gleichzeitig in so verschiedenen Ländern 
auftaucht, muss es tiefere Gründe geben. Da müssen  einige Elemente 
des Zeitgeists mitspielen.

Ich denke, dass wir Zeugen eines grundlegenden kulturellen 
Zusammenbruchs, einer Krise von geltenden Werten sind. Diese Art von 
Aufruhr begleitet gewöhnlich soziale Veränderungen, oft von 
ökonomischen und technologischen Durchbrüchen verursacht. Es ist ein 
Zeichen sozialer Unstimmigkeit und Desorientierung. Am Vorabend der 
Nazirevolte schrieb der deutsche Autor Hans Fallada ein enorm 
erfolgreiches Buch: „Kleiner Mann, was nun?“ Und drückte die 
Verzweiflung der neu enterbten Massen aus. Viele kleine Männer und 
Frauen in aller Welt sind jetzt in derselben Situation.

So auch in Israel.

Border Police with refugees caught on the Egyptian border

Die israelische Grenzpolizei bewacht afrikanische Flüchtlinge and der 
Grenze mit Ägypten,  in 2007.
Fotos Reuters und AP

http://bilder2.n-tv.de/img/incoming/origs11261241/4032734078-w1000-h960/AP13061919169.jpg

Letzte Woche sahen wir ein Spektakel, das unsere Großeltern bis ins 
Mark erschüttert hätte.

Etwa 300 Schwarze liefen, viele von ihnen barfuß in der beißenden 
Kälte eines außerordentlich strengen Winters viele Kilometer auf einer 
Hauptstraße. Sie waren Flüchtlinge, denen es gelungen war, aus dem 
Sudan und aus Eritrea zu fliehen, den ganzen Weg durch Ägypten und den 
Sinai zu gehen, ja die Grenze nach Israel zu überschreiten. (Seitdem 
ist eine Mauer entlang der Sinai-Grenze errichtet worden – und dieser 
Flüchtlingsstrom ist praktisch zum Halten gekommen.)

http://www.alternativenews.org/english/images/stories/news/2012/May_2012/miri_regev.jpg

Miri Regev

Es sind nun etwa 60 000 solch afrikanischer Flüchtlinge in Israel. 
Tausende von ihnen sind zusammengepfercht in den heruntergekommensten 
Slums von Tel Aviv und andern Städten und verursachen so ein tiefes 
Ressentiment unter den Einheimischen. Das hat  einen fruchtbaren Boden 
bewirkt, auf dem Rassismus ausgebrütet wird. Der hier erfolgreichste 
Agitator ist ein anderes schönes Mitglied der Knesset, Miri Regev aus 
der Likud-Partei, eine frühere Armeesprecherin, die die Bewohner und 
das Land auf die primitivste und vulgärste Weise aufhetzt.

Nach einer Lösung des Problems ausschauend hat die Regierung, ein 
großes Gefängnis in der Mitte der trostlosen Negev-Wüste gebaut - - 
unerträglich heiß im Sommer, unerträglich kalt im Winter. Tausende 
schwarzer Flüchtlinge wurden dort ohne Anklage für drei Jahre 
zusammengepfercht. Einige nannten dies schon ein Konzentrationslager.

Menschenrechtsorganisationen – dieselben wie oben – wandten sich an 
den Obersten Gerichtshof, und die Gefangenschaft der Flüchtlinge wurde 
als nicht verfassungsmäßig erklärt. Die Regierung dachte noch einmal 
nach (falls denken das richtige Wort ist) und entschloss sich, die 
Entscheidung zu umgehen. Nicht weit vom verbotenen Gefängnis wurde ein 
neues Gefängnis gebaut, und die Flüchtlinge wurden dorthin gesteckt – 
ein Jahr für jeden.

Nein, kein Gefängnis, etwas, das man „offene Wohnstätte“ nannte. Wir 
sind gut im Benennen von Dingen. Wir nennen dies „Wortwäsche“.

Aus diesem „offenen“ Gefängnis sind  die kühnen 300 heraus gewandert 
und  machten sich auf den Weg nach Jerusalem, etwa 150km, um vor der 
Knesset zu demonstrieren. Sie brauchten drei Tage. Sie wurden von ein 
paar meist weiblichen mutigen israelischen Menschenrechtsaktivisten 
begleitet. Ihre hellen Gesichter fielen zwischen all den schwarzen 
Köpfen auf.

Vor der Knesset wurden sie von speziell für Aufstände trainierter 
Polizei  brutal zusammen geschlagen. Jeder Demonstrant wurde von einem 
halben Dutzend Bullen umgeben und mit Gewalt in einen Bus geworfen, 
der sie zum alten nicht offenen Gefängnis brachte.

ICH VERWEILE bei diesem Vorfall länger, weil ich mich zu tiefst schäme.

Eine weisse israelische Frau beschimpft einen schwarzen Mann wâhrend 
einer ausländerfeindlichen Demonstration in Tel Aviv am 31. Dezember 2012
Foto Oren Ziv/ Activestills.org

Rassismus ist nichts Neues in Israel. Weit davon entfernt. Aber sobald 
wir unsere „Gazellen“  des Rassismus‘ anklagen, antworten sie, dies 
sei pure Verleumdung. Es gibt zwischen uns und den Palästinensern 
einen Konflikt, der  strikte Sicherheitsmaßnahme benötigt. Dies hat 
nichts mit Rassismus zu tun. Gott bewahre.
Dies ist ein sehr dubioses Argument, aber wenigstens hat es einige 
Plausibilität.

Aber wir haben keinen nationalen Konflikt mit den Flüchtlingen. Er hat 
nichts mit Sicherheitsgründen zu tun.

Es ist Rassismus - ganz einfach.

Stellen wir uns vor, dass plötzlich in einer entfernten Ecke zwischen 
Eritrea und dem Sudan ein jüdischer Stamm entdeckt worden wäre. Seine 
60 000 Mitglieder hätten  nach Israel kommen wollen.

Das Land befände sich in einem Delirium. Der rote Teppich würde am 
Ben-Gurion-Flughafen ausgerollt werden. Beide, der Präsident und der 
Ministerpräsident wären dort  mit ihren banalsten Reden. Sie, die 
Flüchtlinge würden Subventionen, freie Wohnung und Arbeit bekommen.
Es wäre also weder ein wirtschaftliches Problem, noch eine Frage der 
Absorption, der Wohnung oder der Beschäftigung. Es wäre nicht einmal 
eine Frage der Hautfarbe. Schwarze Juden aus Äthiopien sind jederzeit 
willkommen.

Es ist einfach: Die Flüchtlinge SIND NICHT JÜDISCH.

Kein Platz hier für Mitglieder eines anderen Volkes. Sie würden uns 
unsere Arbeitsstellen wegnehmen. Sie würden die demographische Balance 
verändern. Dies ist schließlich ein jüdischer Staat!

Demonstration von eritreanischen Flüchtlingen vor dem israelischen 
Verteidigungsministerium am 16. Dezember 2008
Foto Oren Ziv/ Activestills.org

IST ER es wirklich?

Wenn dies ein jüdischer Staat wäre, würde er auf diese Weise 
Flüchtlinge behandeln?

Hundert Erinnerungen kommen uns ins Gedächtnis. Von Juden, die von 
einem Land zum anderen verfolgt wurden: von den mächtigen USA, die 
jüdische Flüchtlinge, die sich vor der Naziverfolgung auf einem 
deutschen Schiff in Sicherheit bringen wollten, zurückschickten. 
Später wurden sie in den Todeslagern umgebracht. Oder die Schweiz, die 
Juden, die den KZs entkommen waren und  es bis an ihre Grenze 
geschafft hatten, zurückstieß.

Man erinnere sich auch an den Filmtitel „Das Boot ist voll“?

Wenn dies wirklich ein jüdischer Staat wäre, würde er versuchen, 
afrikanische Staatschefs zu bestechen, um diese Flüchtlinge, ohne zu 
fragen, was mit ihnen dort geschehen würde, aufzunehmen? Für einen 
Flüchtling aus der Hölle von Darfur, wäre Zimbabwe  genau so Ausland 
wie Neuseeland. (wenn man nicht die Theorie unterschreibt, dass „alle 
Schwarzen gleich sind!“)

Wenn dies wirklich ein jüdischer Staat wäre, würde der Minister für 
Inneres, ein Likud-Funktionär, seine  Gruppe von Schlägertypen in die 
Straßen senden, um dort die Flüchtlinge nicht  zu jagen?

Nein, das ist kein jüdischer Staat. Die Bibel befiehlt uns, den 
Fremdling in unserer Mitte so zu behandeln, wie wir behandelt werden 
wollen. „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst 
um der Fremdlinge Herz, weil  auch  ihr Fremdlinge in Ägyptenland 
gewesen seid“ (Exodus 23,9). Amen.


Tel Aviv, 31-12-2012. Foto Oren Ziv/Activestills.org


Danke Ellen Rohlfs

Quelle: http://zope.gush-shalom.org/home/en/channels/avnery/1387543378
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 21/12/2013

Artikel (mit Fotos) in Tlaxcala veröffentlicht: 
http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=10953


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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