[E-rundbrief] Info 1275 - Jerusalem - Al Quds - "Stadt des Friedens"?

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Dez 6 19:03:19 CET 2013


E-Rundbrief - Info 1275 - Frauen in Schwarz (Wein, A): Jerusalem - Al 
Quds - "Stadt des Friedens"? Mahnwache zum Tag der Menschenrechte, 
Wien, 10.12.2013.

Bad Ischl, 6.12.2013

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

================================================


JERUSALEM-AL QUDS –„STADT DES FRIEDENS“?

Die Stadt Jerusalem ist ein Anziehungspunkt für beinahe vier 
Milliarden Menschen – zweieinviertel Milliarden Christen, eineinhalb 
Milliarden Muslime und rund 15 Millionen Juden, also über die Hälfte 
der Weltbevölkerung.  Allerdings hat die Stadt dafür mit einer sehr 
wechselvollen Geschichte bezahlt.  Für Christen ist sie der Ort der 
Kreuzigung Christi und der Grabeskirche, für die Muslime „Al Quds“ 
(die Heilige) – die heiligste Stadt nach Mekka und Medina, mit den 
Moscheen Al-Aksa und dem Felsendom – und für die Juden der Ort des 
antiken Tempels – 70 n.Chr. von den Römern zerstört – und seiner 
Überreste, der sogenannten Klagemauer, sowie über Generationen ein 
spirituelles Band in ihrer Religion.  An Hand von Ausgrabungen ist 
nachgewiesen, dass Jerusalem seit 5000 v.Chr. besiedelt ist.  Seit 
ungefähr 1200 v. Chr. Wechselten sich in der Herrschaft über die Stadt 
Kanaaniter, die antiken Judäer, Babylonier, Perser, Griechen, Römer, 
christliche Byzantiner und schließlich arabische und ottomanische 
Muslime einander ab, letztere von 638 n. Chr. Bis 1917.  Diese 
Jahrhunderte hindurch wie auch in der britischen Mandatszeit 
(1917-1948) war Jerusalem ein Amalgam von Kulturen und Religionen, 
eine multiethnische und multikulturelle Stadt.

Mit der Gründung des Staates Israel 1948 auf 78% des historischen 
Palästinas und der Vertreibung von rund 800.000 Palästinensern aus 
ihrer angestammten Heimat, wurde die Stadt zweigeteilt – mit dem 
Westteil unter israelischer und dem Ostteil mit der Altstadt unter 
jordanischer Kontrolle.  Die Einwohner der arabischen Wohnbezirke im 
Westteil wurden verjagt und ihre Wohnstätten beschlagnahmt, die 
jüdischen des Ostteils nach Israel abgeschoben.  Nach dem Krieg von 
1967 wurde das gesamte Westjordanland von Israel besetzt und 
Ost-Jerusalem annektiert.  Die palästinensischen Bewohner besitzen 
aber keine Staatsbürgerschaft, lediglich ein Aufenthaltsrecht.  Obwohl 
die Vereinten Nationen diese Annexion wie auch die Besetzung des 
Westjordanlandes als völkerrechtswidrig nicht anerkannten – und bis 
heute nicht anerkennen – erklärte das israelische Parlament 1980 das 
gesamte Jerusalem zur Hauptstadt ihres Landes.  Trotzdem hat bislang 
kein Land seine diplomatische Vertretung von Tel Aviv nach Jerusalem 
verlegt.  Seit 1967 ist es das Ziel der israelischen Regierung durch 
eine Reihe von Maßnahmen die Zahl der jüdischen Einwohner zu 
vergrößern und die der Palästinenser zu verringern u.zw.:

1)  Die Abschottung Ost-Jerusalems vom palästinensischen 
Westjordanland durch den Bau einer Trennmauer rund um den östlichen 
Teil der Stadt und Bau von jüdischen Siedlungen auf enteignetem Land 
im Ostteil wie rund um die Stadt,

2) Enteignung bzw. Zerstörung palästinensischer, angeblich illegal 
erbauten, Immobilien und deren Übernahme durch jüdische Siedler (auch 
letztere bauen ohne Genehmigung, werden aber nicht dafür belangt),

3) Widerrufung von Aufenthaltsgenehmigungen von Palästinensern, z.B. 
aufgrund zeitweiliger Abwesenheit letzterer, obwohl in Jerusalem 
geboren und seit Generationen dort ansässig.  Sie werden wie 
Immigranten in ihrem eigenen Land behandelt, während jeder kürzlich 
eingewanderte Jude sofort Staatsbürgerschaft und Ansässigkeitsrechte 
erhält.  Seit 1967 verloren 14,000 Palästinenser auf diese Weise das 
Recht auf ihren Wohnort.

4) Ungleiche Zuwendungen des Stadtbudgets.  Die palästinensischen 
Einwohner tragen 38% an Stadtsteuern bei, erhalten aber nur 8%.  Dies 
hat gravierende Folgen für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur und 
der sanitären Dienste, die weit unter dem Niveau der jüdischen Teile 
Jerusalems liegen, obwohl die Stadtverwaltung für die gesamte Stadt 
Verantwortung trägt.

  Dazu kommt noch die fortschreitende Schaffung von Enklaven 
jüdisch-israelischer Siedler inmitten des von Palästinensern bewohnten 
Ost-Jerusalems und der teilweise christlichen Altstadt.  Gruppen meist 
extremistischer ultra-orthodoxer Siedler eignen sich, oft mit 
ausländischer Finanzierung und unter Duldung und Beihilfe der 
israelischen Behörden, palästinensischen Land- und Wohnbesitz an, 
häufig auch gewaltsam, ohne polizeiliches Eingreifen und ohne 
gerichtliche Folgen.  Dies ist z.B. der Fall im ältesten Teil 
Jerusalems, Silwan.  Dort leben 55.000 Palästinenser und 400 
israelische Siedler.  In diesem Teil soll sich der biblischen Legende 
nach die Stadt König Davids befunden haben.  Obwohl Ausgrabungen 
keinerlei Hinweise darauf brachten, soll dort ein Nationalpark 
geschaffen werden, dem 65% der Häuser Silwans zum Opfer fallen würden. 
  Zur Zeit kämpfen die Bewohner Silwans, mit internationaler 
Unterstützung, gegen ihre Vertreibung und gegen die Gewalt der 
Siedler.  Auch die al-Aksa-Moschee ist durch unterirdische Grabungen 
gefährdet.  Radikale religiös-zionistische Gruppen zielen auf die 
Zerstörung der Moschee, an deren Stelle sie den Tempel wiedererrichten 
wollen.  Das provokative Verhalten all dieser Leute sorgt für 
Spannungen und Unruhe unter der alteingesessenen palästinensischen 
Bevölkerung.  Maßnahmen wie Provokationen sollen zur „Entarabisierung“ 
und „Judaisierung“ der Stadt führen, um das sich der Stadtverwaltung 
gesetzte Ziel von einer mindestens 70% jüdischen Mehrheit zu erreichen 
wie auch die palästinensischen Einwohner durch Schikane und 
mangelhafte Dienstleistungen zu Abwanderung zu bewegen.   Gleichzeitig 
verlassen zunehmend säkulare Israelis aufgrund des Überhandnehmens 
einer ultra-orthodoxen und religiös-zionistischen Bevölkerung die 
Stadt.  Da alle Ressourcen in die Judaisierung des annektierten 
Ostteils fließen, werden Teile des Westteils stark vernachlässigt.

Solange diese Zustände geduldet und sogar gefördert werden, Israels 
internationales Recht ohne jegliche Konsequenz ignoriert und solange 
es keinerlei internationalen Druck in dieser Hinsicht auf Israel gibt, 
wird sich die Situation der christlichen und muslimischen 
palästinensischen Einwohner der „Stadt des Friedens“ nicht nur nicht 
ändern, sondern sich verschlimmern.

Quellen:  „A Wall in Jerusalem“, B’tselem, The Israeli Information 
Center for Human Rights in the Occupied Territories, Summer 2006

“B’tselem”,  www.btselem.org/jerusalem, laufend tägliche Berichterstattung

„Jerusalem – Le rapport occulte“, Rapports 2005 et 2008 des diplomates 
de l’Union europeenne en post a Jerusalem, Ed. Salvator, Paris 2009

Petra Wild, “Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina”, Promedia 
Verlag (Wien), 2013

-------------

Mahnwache der Frauen in Schwarz (Wien)

International Human Rights Day:
Jerusalem/al-Quds "Stadt des Friedens"?

Dienstag, 10. Dezember 2013
14 bis 16 Uhr
Graben/Ecke Kohlmarkt
Wien 1


-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Salzkammergut,
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX

--

Ausgezeichnet mit dem (österr.) "Journalismus-Preis von unten 2010"

Honoured by the (Austrian) "Journalism-Award from below 2010"






Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief