[E-rundbrief] Info 1273 - Papst Franziskus: Wirtschaft der Ausschliessung toetet.
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Fr Nov 29 20:02:24 CET 2013
E-Rundbrief - Info 1273 - Papst Franziskus (Vatikan): Apostolisches
Schreiben »Evangelii Gaudium« (Die Freude des Evangeliums) - junge
welt (D): Diese Wirtschaft tötet - Die Kirche soll sich engagieren:
Gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Niedriglohn,
Armutsverwaltung und den Ausschluß von Menschen.
Bad Ischl, 29.11.2013
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Diese Wirtschaft tötet
Die Kirche soll sich engagieren: Gegen prekäre
Beschäftigungsverhältnisse, Niedriglohn, Armutsverwaltung und den
Ausschluß von Menschen
Von Papst Franziskus
Papst Franziskus hat am Dienstag seine erste programmatische
Lehrschrift veröffentlicht, die neben dem Aufruf zur Reform der Kirche
auch eine scharfe Kritik am real existierenden Kapitalismus enthält.
Die Kapitel »Einige Herausforderungen der Welt von heute« und »Die
Lehre der Kirche zu den sozialen Fragen« können als vorweggenommene
Kritik am (deutschen) Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD (und auch
von SPÖ und ÖVP in Österreich? M.R.) gelesen werden. (Die Zeitung
"junge Welt") dokumentiert aus diesem Anlaß auszugsweise die Seiten 35
bis 41 und 117 bis 131 des apostolischen Schreibens »Evangelii
Gaudium« (Die Freude des Evangeliums).
(...) Die Menschheit erlebt im Moment eine historische Wende, die wir
an den Fortschritten ablesen können, die auf verschiedenen Gebieten
gemacht werden. Lobenswert sind die Erfolge, die zum Wohl der Menschen
beitragen, zum Beispiel im Bereich der Gesundheit, der Erziehung und
der Kommunikation. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß der größte
Teil der Männer und Frauen unserer Zeit in täglicher Unsicherheit
lebt, mit unheilvollen Konsequenzen. Einige Pathologien nehmen zu.
Angst und Verzweiflung ergreifen das Herz vieler Menschen, sogar in
den sogenannten reichen Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude,
nehmen Respektlosigkeit und Gewalt zu, die soziale Ungleichheit tritt
immer klarer zutage. Man muß kämpfen, um zu leben – und oft wenig
würdevoll zu leben. (…)
Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung
Ebenso wie das Gebot »Du sollst nicht töten« eine deutliche Grenze
setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir
heute ein »Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der
Disparität der Einkommen« sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist
unglaublich, daß es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der
gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse
um zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung.
Es ist nicht mehr zu tolerieren, daß Nahrungsmittel weggeworfen
werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale
Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der
Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der
Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation
sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand
gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an
sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann
wegwerfen kann. Wir haben die »Wegwerfkultur« eingeführt, die sogar
gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der
Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der
Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man
lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich
nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen,
sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht
»Ausgebeutete«, sondern Müll, »Abfall«. (…)
Nein zur neuen Vergötterung des Geldes
Einer der Gründe für diese Situation liegt in der Beziehung, die wir
zum Geld hergestellt haben, denn friedlich akzeptieren wir seine
Vorherrschaft über uns und über unsere Gesellschaften. Die
Finanzkrise, die wir durchmachen, läßt uns vergessen, daß an ihrem
Ursprung eine tiefe anthropologische Krise steht: die Leugnung des
Vorrangs des Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung
des antiken goldenen Kalbs hat eine neue und erbarmungslose Form
gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer
Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. Die
weltweite Krise, die das Finanzwesen und die Wirtschaft erfaßt, macht
ihre Unausgeglichenheiten und vor allem den schweren Mangel an einer
anthropologischen Orientierung deutlich – ein Mangel, der den Menschen
auf nur eines seiner Bedürfnisse reduziert: auf den Konsum.
Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die
der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen
Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die
absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen.
Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt
sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Es entsteht eine
neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und
unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt. Außerdem
entfernen die Schulden und ihre Zinsen die Länder von den praktikablen
Möglichkeiten ihrer Wirtschaft und die Bürger von ihrer realen
Kaufkraft. Zu all dem kommen eine verzweigte Korruption und eine
egoistische Steuerhinterziehung hinzu, die weltweite Dimensionen
angenommen haben. Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen.
In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu
steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den
Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden. (…)
Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt
Heute wird von vielen Seiten eine größere Sicherheit gefordert. Doch
solange die Ausschließung und die soziale Ungleichheit in der
Gesellschaft und unter den verschiedenen Völkern nicht beseitigt
werden, wird es unmöglich sein, die Gewalt auszumerzen. Die Armen und
die ärmsten Bevölkerungen werden der Gewalt beschuldigt, aber ohne
Chancengleichheit finden die verschiedenen Formen von Aggression und
Krieg einen fruchtbaren Boden, der früher oder später die Explosion
verursacht. Wenn die lokale, nationale oder weltweite Gesellschaft
einen Teil ihrer selbst in den Randgebieten seinem Schicksal überläßt,
wird es keine politischen Programme, noch Ordnungskräfte oder
Intelligence geben, die unbeschränkt die Ruhe gewährleisten können.
Das geschieht nicht nur, weil die soziale Ungleichheit gewaltsame
Reaktionen derer provoziert, die vom System ausgeschlossen sind,
sondern weil das gesellschaftliche und wirtschaftliche System an der
Wurzel ungerecht ist. (…)
Die Mechanismen der augenblicklichen Wirtschaft fördern eine Anheizung
des Konsums, aber es stellt sich heraus, daß der zügellose
Konsumismus, gepaart mit der sozialen Ungleichheit, das soziale Gefüge
doppelt schädigt. Auf diese Weise erzeugt die soziale Ungleichheit
früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst
noch jemals lösen wird. Er dient nur dem Versuch, diejenigen zu
täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüßten wir nicht, daß
Waffen und gewaltsame Unterdrückung, anstatt Lösungen herbeizuführen,
neue und schlimmere Konflikte schaffen. Einige finden schlicht
Gefallen daran, die Armen und die armen Länder mit ungebührlichen
Verallgemeinerungen der eigenen Übel zu beschuldigen und sich
einzubilden, die Lösung in einer »Erziehung« zu finden, die sie
beruhigt und in gezähmte, harmlose Wesen verwandelt. (…)
Auszüge in: junge welt, 28.11.2013
http://www.jungewelt.de/2013/11-28/045.php
Redigiert: Matthias Reichl
Aktualisierte Übersetzung - Volltext:
http://www.vatican.va/holy_father/francesco/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium_ge.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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