[E-rundbrief] Info 1258 - Alternativer Nobelpreis 2013 Raji Sourani (Palaestina)

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Sep 27 23:22:12 CEST 2013


E-Rundbrief - Info 1258 - "Alternativer Nobelpreis" 2013 Raji Sourani 
(Palästina)

Bad Ischl, 27.9.2013

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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"Alternativer Nobelpreis" 2013

RAJI SOURANI (PALÄSTINA)

„... für sein beharrliches Engagement für Menschenrechte und 
Rechtstaatlichkeit unter extrem schwierigen Bedingungen.“

Raji Sourani hat sich seit mehr als 35 Jahren furchtlos und 
vorurteilsfrei für die Menschenrechte in Palästina und der arabischen 
Welt eingesetzt. Als prominentester Menschenrechtsanwalt im 
Gaza-Streifen hat Sourani das Palestinian Centre for Human Rights 
(Palästinensisches Zentrum für Menschenrechte) gegründet, um 
Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten zu untersuchen 
und zu dokumentieren. Er hat zahllose Opfer vor israelischen Gerichten 
vertreten. Da er nie zögert, die Wahrheit gegenüber den Mächtigen 
auszusprechen, wurde Sourani sechs Mal von israelischen oder 
palästinensischen Behörden verhaftet. Als Präsident der Arab 
Organisation for Human Rights (Arabische Organisation für 
Menschenrechte) hat er nach dem Sturz Gaddafis die erste Mission von
Menschenrechtsbeobachtern nach Libyen organisiert. Seit kurzem bildet 
er auch syrische Richter, Anwälte und Aktivsten darin aus,
Menschenrechtsverletzungen zu überwachen und darüber zu berichten.

Verteidigung der Menschenrechte unter der Besatzung

Raji Sourani wurde am 28. Dezember 1953 in Gaza geboren. Er hat Jura 
an den Universitäten von Beirut und Alexandria studiert und machte an 
letzterer seinen Abschluss 1977. Nach dem Studium gründete er seine 
eigene Anwaltskanzlei und widmete sich schon bald fast ausschließlich
Menschenrechtsfällen. Er genießt breite Anerkennung für die 
erfolgreiche Verteidigung von Palästinensern vor israelischen 
Militärgerichten.

Souranis unermüdlicher Einsatz für die Rechte der Opfer von 
Menschenrechtsverletzungen wurde zunehmend zu einer Herausforderung 
für die israelischen Behörden. 1979 wurde er von den Israelis wegen 
seiner politischen Aktivitäten verhaftet und während seiner 
dreijährigen Strafe im Gefängnis von Gaza auch gefoltert. Dem folgten 
drei weitere Inhaftierungen zwischen 1985 und 1986. Während seiner 
Haft im Jahre 1988 wurde er von Amnesty International zum Prisoner
of Conscience (Gefangener aus Gewissensgründen) erklärt. Zwischen 1977 
und 1990 war es ihm verboten, Palästina zu verlassen. Während dieses 
Zeitraums wurde er ständig schikaniert, und sowohl sein Büro als auch 
sein Haus wurden Dutzende Male durchsucht. Des weiteren war es ihm 
zwischen 1986 und 1987 untersagt, Gefängnisse zu besuchen und an 
Rechtsfällen zu arbeiten.

Raji Sourani fand es besorgniserregend, dass der Osloer 
Friedensvertrag von 1993 kein einziges Wort über Menschenrechte 
enthielt. Seine Kritik an den Staatssicherheitsgerichten der neuen
palästinensischen Regierung und sein Vorwurf, dass diese eine Reihe 
derselben repressiven Gesetze anwandten wie die israelischen Behörden, 
führte dazu, dass Sourani 1995 zum ersten politischen Gefangenen der 
palästinensischen Autonomiebehörde wurde. Er sagt dazu: „Ich dachte, 
dass der Kampf gegen die Besatzung das Schwierigste sei, aber ich fand 
heraus, dass das naiv war. Der Kampf gegen die eigene Regierung um die 
Anerkennung von Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ist viel komplizierter und 
schwieriger.“

Nach seiner Entlassung gründete Sourani das Palestinian Centre for 
Human Rights (PCHR) (Palästinensisches Zentrum für Menschenrechte), 
dessen Leitung er noch immer innehat. Das PCHR wurde schon bald zur 
wichtigsten Organisation für Menschenrechte in Palästina. Es arbeitet 
für die Überwachung und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen 
und lässt den Opfern dieser Übergriffe anwaltliche Hilfe zukommen. Das 
PCHR organisiert Workshops,
Konferenzen und Ausbildungen im Gazastreifen. Seine wöchentlichen 
Berichte und Presseveröffentlichungen sind für die Gruppen der 
dortigen Zivilgesellschaft eine unschätzbar wichtige Informationsquelle.

Innovativer Gebrauch der universellen Gerichtsbarkeit

Wenn alle Versuche einer nationalen Lösung scheitern, nutzt Raji 
Sourani das Konzept der universellen Gerichtsbarkeit (Universal 
Jurisdiction) auf einfallsreiche Weise. Dabei handelt es sich um ein 
rechtliches Prinzip, das es gestattet, eine Person strafgerichtlich zu 
belangen, die auf dem Territorium eines anderen Staates schwere 
Verbrechen verübt hat. Sourani bedient sich dieses Prinzips, um 
hochrangige Israelis vor Gericht zu bringen, denen Kriegsverbrechen 
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden. In 
Zusammenarbeit mit europäischen Anwälten hat Sourani mit dem Argument 
der universellen Gerichtsbarkeit Fälle von angeblichen israelischen 
Kriegsverbrechern vor Gerichte in Großbritannien und Spanien gebracht. 
Auch wenn dies noch nicht zu Gerichtsverfahren geführt hat, haben 
diese Fälle doch ein beachtliches Maß an Erfolg gehabt: So ist es 
Sourani zum Beispiel gelungen, dass ein hohes Londoner Gericht einen 
Haftbefehl gegen den pensionierten israelischen Generalmajor, Doron 
Almog, erließ, wegen schwerwiegenden Bruchs der Genfer Konvention. Aus 
Furcht vor einer Festnahme kehrte Almog daraufhin umgehend nach Tel 
Aviv zurück, als seine Maschine am 11. September 2005 in London 
gelandet war.

Friedensarbeit in Palästina

Raji Sourani glaubt an die Zweistaatenlösung für Israel und Palästina. 
Seit den 1980er Jahren unterhält er gute Beziehungen zu israelischen 
Anwälten, Akademikern und Menschenrechtsaktivisten und hat unter 
anderem deren Besuche in Flüchtlingscamps im Gazastreifen ermöglicht. 
Sourani bedauert die israelische Abriegelung des Gazastreifens und 
glaubt, dass dies ein bewusster Schritt ist, um Dialog und Austausch 
zwischen Israelis und den Menschen in Gaza zu unterbinden.

Heutzutage legt Sourani das größte Gewicht auf die Aussöhnung zwischen 
der West Bank und dem Gazastreifen, und er glaubt, dass seine Rolle im 
Friedensprozess darin besteht, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit 
im palästinensischen Kontext zu verbessern.

Förderung der Menschenrechte und Stärkung von Menschenrechtlern

Raji Sourani ist es sowohl durch sein Beispiel als auch durch konkrete 
Programme, Interventionen und Ausbildungen gelungen, 
Menschenrechtsaktivisten im gesamten Mittleren Osten zu inspirieren, 
zu motivieren und zu fördern. Seit April 2012 ist er Präsident der 
Arab Organisation for Human Rights (AOHR).

Unter seiner Führung ist es der AOHR bereits 2004 teilweise gelungen, 
die Arabische Liga dazu zu bewegen, Änderungen an der Arabischen 
Charta für Menschenrechte vorzunehmen, um sie an international gängige 
Menschenrechtsstandards anzupassen. Augenblicklich befindet sich die 
AOHR in Diskussionen mit der arabischen Liga bezüglich solcher 
Reformen. Außerdem ermöglichte Sourani 2009 nach der israelischen 
Militäraktion „Gegossenes Blei“ eine Untersuchungskommission der 
Arabischen Liga im Gazastreifen.

Raji Sourani sieht es als seine Pflicht an, die Rechtsstaatlichkeit in 
der arabischen Welt weiter zu fördern und dafür Sorge zu tragen, dass 
die Gestaltungsspielräume für Menschenrechtsarbeit, die sich dank des 
Arabischen Frühlings aufgetan haben, in vollem Umfang genutzt werden. 
Zu diesem Zweck hat das PCHR enge Arbeitsbeziehungen zu anderen 
zivilgesellschaftlichen Organisationen geknüpft und 
Menschenrechtsaktivisten von Syrien über Ägypten bis Jemen und
Libyen praktisches sowie theoretisches Wissen vermittelt, um die 
Zivilgesellschaft in diesen Ländern zu stärken. In Folge dieser 
Ausbildungsbemühungen sind im Jemen zwei neue Menschenrechts-NGOs 
entstanden. Sourani war außerdem Teilnehmer des ersten Teams von
Menschenrechtsbeobachtern, die nach dem Fall von Gaddafi in Libyen 
waren, wo es ihm gelang, die neue libysche Regierung dazu zu bewegen, 
das Verschwinden von Menschenrechtsaktivisten zu untersuchen.

Internationale Arbeit

Seit nunmehr 25 Jahren hat Raji Sourani aktiv mit der UN und ihren 
verschiedenen Sondergesandten, der EU, dem Quartett für den Mittleren 
Osten, dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und dem 
Internationalen Strafgerichtshof zusammengearbeitet. Die Berichte
des PCHR zur Menschenrechtssituation in Palästina gelten als 
glaubwürdig und unparteiisch. Das PCHR versucht gegenwärtig, die 
palästinensische Autonomiebehörde zur Unterzeichnung des Rom-Statuts 
zu bewegen, damit es Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Palästina 
vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen kann.

Auszeichnungen

1991 wurde Raji Sourani zusammen mit dem israelischen Anwalt, Avigdor 
Feldman, der Robert F. Kennedy Memorial Award for Human Rights 
verliehen. Während seiner Laufbahn wurde er zudem mit zahlreichen 
anderen Preisen ausgezeichnet, wie zum Beispiel dem Menschrechtspreis 
der Französischen Republik (1996), dem Bruno Kreisky Preis für 
Menschenrechte (2002) und dem International Human Rights Award (2003).

Erwähnenswert ist zudem, dass Felicia Langer (Right Livelihood Award 
1990) Sourani vor einem israelischen Militärgericht verteidigte, als 
dieser in den 1980er Jahren wegen seiner Menschenrechtsaktivitäten 
inhaftiert war.

Zitat von Raji Sourani:

„Harte Zeiten drängen dazu, entweder aufzugeben oder den 
Herausforderungen unerschrocken entgegenzutreten. Als Repräsentanten 
von Opfern haben wir kein Recht aufzugeben. Unsere Pflicht ist es, den 
Herausforderungen zu begegnen, Träumer zu sein im Angesicht der 
Tragödie und den Kampf für Gerechtigkeit weiterzuführen.“

Übersetzung: Markus Wülfing

Kontaktdaten
Raji Sourani
Palestinian Centre for Human Rights
www.pchrgaza.org

Weitere Infos:

Videos: http://www.rightlivelihood.org/sourani.html

Interviews: http://www.rightlivelihood.org/sourani_interviews.html

Articles, Lecture/ Audio: 
http://www.rightlivelihood.org/sourani_publications.html

Nachbemerkung (M.R.):
Raji Sourani bedankte sich auch für die Mahnwachen der Frauen in 
Schwarz, Wien und ihre Solidarität mit ihm.

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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