[E-rundbrief] Info 1138 - Syrische Opposition - Einbahnstraße Krieg.

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Sa Sep 8 16:54:09 CEST 2012


E-Rundbrief - Info 1138 - Jürgen Wagner (IMI, D): Syrische Opposition: 
Einbahnstraße Krieg.

Bad Ischl, 8.9.2012

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

================================================

Syrische Opposition: Einbahnstraße Krieg

Von Jürgen Wagner

31.8.2012

Eine Verhandlungslösung scheint das Letzte zu sein, was der Teil der 
syrischen Oppositionskräfte, der bestens mit den westlichen Staaten 
zusammenarbeitet, derzeit anzustreben scheint. Exemplarisch hierfür 
argumentierte Molham al-Droubi, ein führendes Mitglied der syrischen 
Muslimbrüder, in der Zeit (25.08.2012), die Einheit des Landes müsse 
unter allen Umständen gewahrt werden, was zwingend die Absetzung von 
Staatschef Baschar al-Assad erfordere: "Zu diesem Ziel führen nur zwei 
Wege: eine Zusammenarbeit mit alawitischen Offizieren, um Baschar 
al-Assad zum Rücktritt zu zwingen, oder eine Intervention, um ihn 
militärisch zu besiegen. Gelingt es nicht, Assad auf irgendeine Weise 
zu bezwingen, ist die Teilung Syriens unvermeidbar."

Dabei wird - vermutlich bewusst - verschwiegen, dass es durchaus 
andere Optionen gäbe, das Blutvergießen zu stoppen, wie dem 
Tagesspiegel (21.08.2012) zu entnehmen ist: "Der syrische 
Vize-Regierungschef Kadri Dschamil hat die Bereitschaft signalisiert, 
über einen Rücktritt von Staatschef Baschar al Assad zu verhandeln. 
‚Wir sind sogar bereit, dieses Thema zu diskutieren’, sagte Dschamil 
[…] bei einem Besuch in Moskau. Es könne aber keine Verhandlungen mit 
der Opposition geben, sollte ein Rücktritt Assads zur Vorbedingung für 
solche Gespräche gemacht werden, ergänzte er."

Es stellt sich also die berechtigte Frage, ob eine Verhandlungslösung 
seitens großer Teile der Opposition überhaupt gewünscht wird oder ob 
nicht etwa die bedingungslose Kapitulation der syrischen Regierung das 
Ziel ist - und das wiederum bedeutet in Kauf zu nehmen, dass sich der 
blutige Bürgerkrieg noch lange hinziehen wird. Die Position von 
Al-Droubi in dieser Frage scheint jedenfalls eindeutig zu sein und er 
vertritt hier augenscheinlich eine Position, die sich mit derjenigen 
der "Freunde Syriens", also dem Zusammenschluss von Staaten, die auf 
einen Regimewechsel in Damaskus hinarbeiten, deckt. Dies muss auch 
nicht weiter verwundern, schließlich war er Teilnehmer des lange 
geheim gehaltenen Projektes "The Day After". Ab Januar 2012 wurde in 
dem Projekt unter Anleitung des "US Institut for Peace" und der 
"Stiftung Wissenschaft und Politik" der Umbau Syriens nach dem Sturz 
Assads ausgeplant (siehe hierzu ausführlich IMI-Studie 2012/12).

Mehr oder weniger offen wurden bei Pressekonferenz am 28. August 2012, 
bei der das Projekt offiziell vorgestellt wurde, dann die weitere 
Bewaffnung der "Freien Syrischen Armee" und damit eine weitere 
Eskalation des Bürgerkrieges gefordert. So heißt es über die 
Ausführungen von Amr al-Azm, einem der Sprecher des 
"The-Day-After-Projektes", in einem Artikel auf Hintergrund.de 
(29.08.2012): "Zudem müsse das Ausland endlich Schluss machen, die 
Kämpfer in Syrien ‘nur mit Worten’ oder ‘nicht-tödlicher 
Hilfeleistung’ zu unterstützen. Den Aufständischen müsse das 
‘notwendige Werkzeug’ ausgehändigt werden, damit diese Angriffe von 
‘Kampfjets, Hubschraubern und schwerer Artillerie’ zurückschlagen 
können. ‘Wir benötigen die Mittel, um das syrische Regime daran zu 
hindern, sein eigenes Volk zu töten’, so al-Azm. Eine aufschlussreiche 
Forderung. Denn bislang wurde immer betont, das TDA-Projekt sei 
ausschließlich am ‘Tag danach’ interessiert. Der Sturz Assads selbst 
sei nie Gegenstand der Diskussionen gewesen."

Noch weiter gingen Amr al-Azm Ausführungen bei besagter 
Pressekonferenz zum Day-After-Projekt bezüglich den Forderungen nach 
einer Schutzzone. "’Wir haben tausende syrische Flüchtlinge, die sich 
an der Grenze zur Türkei drängen und nicht in die Türkei gelangen 
können. (…) Vor uns entfaltet sich eine inakzeptable humanitäre 
Krise’", griff TDA-Sprecher Amr al-Azm […] die Entscheidung der Türkei 
auf. Er forderte jedoch nicht, die Türkei zur Öffnung der Grenzen zu 
drängen und den Flüchtlingen somit die sich ‚entfaltende humanitäre 
Krise’ zu ersparen, sondern die Einrichtung einer Schutz- bzw.- 
Flugverbotszone - also eine militärische Intervention." 
(Hintergrund.de, 29.08.2012)

Dabei sollte man sich vor Augen halten, dass es glaubwürdige Berichte 
gibt, dass das türkische Militär Trainingslager für die oppositionelle 
"Freie Syrische Armee" unterhält, die genauso wie Regierungseinheiten 
schwerster Menschenrechtsverletzungen beschuldigt wird (BBC News, 
04.08.2012). Und genau den Menschen, die vor den Kampfhandlungen 
flüchten, an denen die Türkei eine erhebliche Mitschuld trägt, schlägt 
das Land nun die Tür vor der Nase zu. Tatsächlich hat es sogar den 
Anschein, als solle durch die Schließung der türkischen Grenze eine 
humanitäre Situation geradezu erzeugt werden, die dann Anlass geben 
könnte, den westlichen Staaten genug "Rückenwind" gegenüber ihren 
kriegsskeptischen Bevölkerungen zu verschaffen, um eine Schutzzone 
einrichten zu können. Frankreich und Großbritannien äußerten sich dem 
Vernehmen nach bereits wohlwollend bezüglich dieser Überlegung und die 
USA haben allem Anschein nach bereits mit der Türkei offiziell 
Verhandlungen über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien 
aufgenommen (Die Zeit, 28.08.2012).

Man sollte sich angesichts des vor Menschlichkeit triefenden Begriffs 
der "Schutzzone" aber nicht täuschen lassen: "Die Einrichtung von 
Schutzzonen auf syrischem Boden bedeutet daher nichts anderes, als 
gegen das Assad-Regime in den Krieg zu ziehen", schrieb die Zeit 
(28.08.2012) in erfreulicher Deutlichkeit. "Schutzzonen haben überdies 
mehr Funktionen, als nur humanitären Zwecken zu dienen. Sie wären auch 
ein sicherer Rückzugsraum für die Aufständischen vor den Kampffliegern 
des syrischen Militärs und würden zum Training der Oppositionsmilizen 
und zur Vorbereitung militärischer Schläge gegen die syrische Armee 
jenseits der Zonen genutzt werden."

Einmal mehr droht also, dass Menschenrechte als Vorwand für ein 
gewaltsames Eingreifen zur Durchsetzung westlicher Interessen 
missbraucht werden. So kritisierte ein Beitrag in der FAZ 
(24.07.2012): "Man kann nur staunen über das Ausmaß an fast schon 
sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz, das viele 
Beurteiler der Syrien-Krise an den Tag legen, vor allem, wenn es darum 
geht, die Hintergründe für das zähe Tauziehen im Sicherheitsrat der 
Vereinten Nationen zwischen Amerika und den westlichen Mächten 
einerseits, Russland und China andererseits aufzuhellen. Folgt man der 
Darstellung des Konflikts in weiten Teilen der westlichen Welt, dann 
scheint es sich lediglich um die Frage zu handeln, ob es gelingt, die 
syrische Bevölkerung von einem blutigen Diktator zu befreien. […] Der 
aktuelle Konflikt um ein Eingreifen oder Nicht-Eingreifen in den 
syrischen Bürgerkrieg ist deshalb so brisant, weil sich in dieser 
Frage der Gegensatz zwischen zwei radikal unterschiedlichen 
geostrategischen und weltpolitischen Konzeptionen manifestiert. Den 
Amerikanern und der westlichen Seite geht es nicht oder nicht 
vorrangig darum, der bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen, 
sondern um Einflussnahme auf die Neugestaltung des Landes nach einem 
voraussichtlichen Sturz des derzeitigen Regimes, obwohl man mit diesem 
bisher stets gut zusammenarbeiten konnte."

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 
2012/044.

http://www.imi-online.de/2012/08/31/syrische-opposition-einbahnstrase-krieg/

http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/007508.html

-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Salzkammergut,
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX

--

Ausgezeichnet mit dem (österr.) "Journalismus-Preis von unten 2010"

Honoured by the (Austrian) "Journalism-Award from below 2010"






Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief