[E-rundbrief] Info 1050 - Faustrache und Zerstoerungen in Libyen

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
So Okt 23 16:53:42 CEST 2011


E-Rundbrief - Info 1050 - Dr. Klaus Heidegger (Pax Christi 
Österreich): Die neue Tötungskultur. Matthias Reichl: Die Zerstörung 
der sozialen, ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen des 
Landes Libyen (ähnlich jener von Irak, Afghanistan, aber auch 
Palästina und weiterer "Kampfgebiete").

Bad Ischl, 23.10.2011

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Die neue Tötungskultur

Dr. Klaus Heidegger
Kommission für Sicherheit und Abrüstung von Pax Christi Österreich

Verwackelte Bilder zeigen, wie Gaddafi halbnackt, angeschossen,
blutüberströmt und fast bewusstlos von einer johlenden Menge bewaffneter
Rebellen durch die Straßen von Sirte gezerrt wurde, bevor er endgültig
hingerichtet wurde. Er soll noch um Gnade gefleht haben und ein "Allahu
akbar" war in diesem Gejohle und Geschreie zu vernehmen. Der Exekution
vorangegangen waren wochenlange Bombardements von Sirte durch
NATO-Kampfflugzeuge - Hunderte (Zehntausende, Anm. M.R.) Menschen 
starben, verbluteten, wurden verstümmelt. Krankenhäuser und andere 
zivile Einrichtungen wurden getroffen und unter dem Schutz der 
westlichen Mächte konnten die so genannten Rebellen und neuen 
Machthaber mit ihren modernen Maschinengewehren aus europäischer 
Produktion Menschenrechtsverletzungen begehen.

Wir leben in einer neuen Zeit der Faustrache. Obama, Sarkozy und Cameron
drücken ihre Zufriedenheit über die Ermordung von Gaddafi aus. US-Militärs
töten Osama bin Laden und schicken ihren Drohnen, um weitere 
Terroristen zu
töten. "Erfolg für die Kräfte des Friedens", nannte es im Mai 2011 die
deutsche Bundeskanzlerin. Wir haben uns an den Paradigmenwechsel in der
internationalen Politik gewöhnt und rüsten unsere Armeen zu Angriffsarmeen
um. Vor 10 Jahren begann die Shoot-and-Kill-Strategie in Afghanistan. 
Krieg,
Mord und Vertreibung gelten als legitimes Mittel der Politik.

Dagegen gilt: Wer Unrecht begeht, muss vor ein Gericht gestellt 
werden, sein
Fehlverhalten muss aufgezeigt und bestraft werden. Dies wäre bei Osama bin
Laden wie Gaddafi möglich gewesen. Wer sich auf Demokratie und
Menschenrechte beruft, darf seine Politik nicht auf Tötungsstrategien
aufbauen. Nie kann die Ermordung von Menschen mit dem Verweis auf
Menschenrechte legitimiert werden - dies ist ein Widerspruch in sich.
Vielleicht, so kann daher angenommen werden, sind die Triebfedern für die
neue Tötungskultur aber auch nicht die Forderung nach Menschenrechten,
sondern geostrategische Interessen verbunden mit der Gier nach
Energieressourcen.

            Der Blick etwas südlicher von Libyen hätte gezeigt, wie ein
diktatorisches Regime auch ohne Waffengewalt gestürzt werden kann. Der
Friedensnobelpreis an Ellen Johnson Sirleave und Leymah Gbowee macht uns
darauf aufmerksam. Ein Charles Taylor war gewiss um vieles brutaler 
als ein
Gaddafi. Die Friedensfrauen von Liberia hatten es ohne Waffengewalt
geschafft, einen Bürgerkrieg zu beenden und Charles Taylor und sein Regime
zum Abdanken zu zwingen. Auf den Krieg folgte der Frieden, auf die 
Diktatur
folgte Demokratie. Die Friedensfrauen wurden dabei von den benachbarten
Staaten und der internationalen Gemeinschaft unterstützt, den Weg zum
Frieden auf dem Verhandlungsweg zu suchen. Es wäre auch für Libyen möglich
gewesen. Es war auch der Wunsch vieler afrikanischer Staaten. Es passte
jedoch nicht zur Kill-Mission, die seit dem März 2011 in Libyen herrschte.

            Mitgliedsorganisationen von Pax Christi International 
haben seit
Beginn der Militärintervention immer wieder friedliche Konfliktlösungswege
eingemahnt. Krieg kann aus friedensethischer Sicht niemals ein Mittel der
Politik sein und die unbedingte Würde menschlichen Lebens gilt selbst den
Feinden.

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Die Zerstörung der sozialen, ökonomischen und ökologischen 
Lebensgrundlagen des Landes Libyen (ähnlich jener von Irak, 
Afghanistan, aber auch Palästina und weiterer "Kampfgebiete")

Ergänzung von Matthias Reichl (23.10.2011)

Ich schließe mich vollinhaltlich dem obenstehenden Text von Dr. Klaus 
Heidegger an.

Ergänzend dazu:

Vorallem die - teils irreversiblen bzw. langfristigen - 
Umweltzerstörungen, darunter auch atomare und chemische Kontamierungen 
durch Bomben und Geschosse, wurden und werden von fast allen Medien 
(bewusst?) totgeschwiegen. Ein "befreites" Territorium soll möglichst 
schnell wieder der (Öl)Wirtschaft und dem Tourismus als "sauber" und 
profitabel präsentiert werden.

Weiters ist zu befürchten, dass - nicht nur - nach Libyen politischer 
und ökonomischer "Giftmüll" aus dem "Norden (EU und USA)" exportiert 
wird - z.B. neoliberale Wirtschaftskonzepte, Korruption, 
Geldvernichtung, Ausbeutung, rapider Anstieg der Armut, 
umweltschädliche Produktionsweisen usw. - die auch im "Norden" 
verheerende Auswirkungen zeitigen.

Wie wird die getäuschte Bevölkerung darauf reagieren - mit 
ohnmächtiger Depression oder mit wütender Aggression (gegen wen)?

Abschließend fordere ich ein Verfahren vor einem Internationalen 
Gerichtshof (für Menschen- und Umweltrechte) wegen "Anstiftung zum 
Mord und zur Vernichtung von Lebensgrundlagen" gegen die Befehlsgeber 
sowohl des (NATO- und EU-) Bombenkrieges als auch der (vorbereitenden 
und begleitenden) verdeckten geheimdienstlichen Unterstützung der 
Rebellen.

siehe u.a. meine früheren Texte dazu auf 
http://www.begegnungszentrum.at/Archiv :

E-Rundbrief Info 1000 - Matthias Reichl: Kriegsfolgen in Libyen 
(5.4.2011) http://webmail.horus.at/pipermail/e-rundbrief//2011/001062.html

E-Rundbrief Info 1007 - Kritik an Uri Avnerys  Plädoyer für 
US-EU-Krieg in Libyen (sowie von Politikern der Grünen und anderen)
http://webmail.horus.at/pipermail/e-rundbrief//2011/001069.html

(sowie weitere Texte in den vorangegangenen Jahren auf unserer Homepage)

Von anderen Autoren:

E-Rundbrief  Info 1001 - War Resisters' International: Sick and tired 
of the warmakers! 
http://webmail.horus.at/pipermail/e-rundbrief//2011/001063.html

E-Rundbrief Info 1003 - Johan Galtung: Libyen: Ein Eingriff namens 
Krieg http://webmail.horus.at/pipermail/e-rundbrief//2011/001065.html

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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