[E-rundbrief] Info 1021 - Verhindert Israel Gaza-Flotte?

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Jun 21 12:16:17 CEST 2011


E-Rundbrief - Info 1021 - Leo Gabriel (A): Die Gaza-Flotte sticht 
wieder in See. Kann Israel sie verhindern?

Bad Ischl, 21.6.2011

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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DIE GAZA-FLOTTE STICHT WIEDER IN SEE.

Kann Israel sie verhindern?

von Leo Gabriel

Der Versuch breiter Bevölkerungsschichten, dem Recht auf Leben und 
Freiheit im arabischen Raum in den internationalen Medien zu 
verschaffen, ist vor allem dort gelungen, wo er sich mit den 
Interessen des Westens einigermaßen in Einklang bringen ließ. In 
Tunesien und Ägypten, aber auch in Libyen und Syrien wurden die 
Demokratisierungsprozesse von einer medialen Öffentlichkeit begleitet, 
die jene politischen Kräfte in Europa und den USA schwächten, die 
Jahrzehnte lang mit den dort im Amt befindlichen Diktaturen 
zusammengearbeitet hatten.

Weitaus geringer war das Interesse an Ländern wie Jemen und Bachrein, 
die auch dem prowestlichen Hauptakteur in der Region, nämlich 
Saudi-Arabien gefährlich werden könnten. Und gegen Null ging die 
Aufmerksamkeit gegenüber dem Herzstück des Nahostkonflikts, nämlich 
Israel und Palästina.

Gegen dieses notorische Defizit versucht nun schon seit Jahren ein 
Projekt anzukämpfen, das am 30. Mai des letzten Jahres in die 
Schlagzeilen gekommen war, als 9 türkische Menschenrechtsaktivisten 
auf der Marvi Marmara ohne jede militärische Notwendigkeit von der 
israelischen Armee massakriert wurden. Hunderte engagierte Menschen 
aus aller Welt, vor allem parteiunabhängige VertreterInnen von 
Nichtregierungsorganisationen, Parlamentsabgeordnete und 
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bestiegen damals ein halbes 
Dutzend Schiffe aus Spanien, Irland, Griechenland, Norwegen u.a., mit 
dem Ziel, der seit 2006 eingesperrten Bevölkerung im Gazastreifen 
Lebensmittel und Baumaterialien zukommen zu lassen und so die 
unsichtbaren Mauern um dieses größte Freiluftgefängnis der Welt für 
einen historischen Moment zu durchbrechen.

Die Abschreckungsstrategie Israels

Auch dieses Jahr wird sich wieder eine solche Gaza-Flotte in Bewegung 
setzen; sie wird, dem Vernehmen der Organisatoren nach, noch größer 
als die im Vorjahr sein. Dabei wurde die geplante Aktion bereits im 
Vorfeld von der Regierung Netanyahu politisch derart hochgespielt, 
dass die Telephone in den Außenministerien jener Länder heißzulaufen 
begannen, wo es Menschen gab, die sich der Gaza-Flotte anschließen wollen.

So versprach etwa das US-State Department den Israelis, sich bei der 
türkischen Regierung des inzwischen mit großer Mehrheit 
wiedergewählten Präsidenten Erdogan für eine Beilegung des Konflikts 
zwischen Israel und der Türkei einzusetzen, unter der Bedingung, dass 
dieser ein neuerliches Auslaufen der Marvi Marmara verhindere. 
Tatsächlich sind die israelisch- türkischen Beziehungen wegen seit dem 
Massaker auf der Marvi Marmara und der Unterdrückung einer 
unabhängigen Untersuchung durch die israelische Regierung schwer 
angeschlagen, ein Umstand, welcher der Türkei große Sympathien vor 
allem in der arabischen Welt, aber auch bei den Friedensbewegungen im 
Westen eingebracht hat.

Inzwischen hat die türkische Hilfsorganisation auch tatsächlich ihre 
Teilnahme an der Gaza-Flotte abgesagt und auch die Regierung Kanadas 
hat sich geweigert, seiner Verpflichtung als Schutzmacht gegenüber dem 
kanadischen Schiff wahrzunehmen. Ebenso gab in Wien ein Sprecher des 
Außenministeriums eine Warnung für die Delegation aus Österreich 
heraus, die diesmal bei der Gaza-Flotilla mitmachen will. Er verwies 
dabei auf eine Verordnung, der zu Folge bei Missachtung der Warnung 
von den Opfern der israelischen Repression ein Betrag von bis zu 50 
000.- Euro als Entschädigung für die Unkosten des Außenministeriums 
eingefordert werden könnten.

Sollten allerdings alle diese Stricke der außenpolitischen 
Seilschaften Israels reissen und diese Drohungen nichts fruchten, dann 
hat die israelische Armee laut Medienberichten angekündigt, im 
Mittelmeer militärische Manöver zu veranstalten – just zu der Zeit da 
die Gaza-Flotte unterwegs sein wird.

Die Gaza-Flotte im Kreuzfeuer der israelischen Propaganda

All das ist Grund genug, um sich mit den Zielsetzungen der Gaza-Flotte 
und den Argumenten seiner Gegner noch einmal gründlich 
auseinanderzusetzen. Dabei gibt es folgende Argumente, die in den 
Diskussionen immer wiederkehren:

Die Gaza-Flotte hätte gegenwärtig ihre Existenzberechtigung dadurch 
verloren, dass die Grenze von Gaza zu Ägypten bereits geöffnet wäre. 
Das stimmt so nicht: es hat zwar im Anschluss an die ägyptische 
Rebellion diesbezügliche Ankündigungen von Seiten des inzwischen als 
Präsident der Panafrikanischen Union fungierenden Außenministers 
gegeben. Tatsächlich ist die Grenze bei Rafah für den Warenverkehr 
(also für Hilfslieferungen) aber weiterhin geschlossen und auch der 
Personenverkehr gestaltet sich äußerst schleppend.

Die Hilfsgüter der Flotte kämen der von Israel als „islamistisch“ und 
sogar als „terroristisch“ eingestuften Hamas zu Gute. Auch das ist 
falsch: denn die Hilfslieferung ergehen nicht an irgendeine politische 
Gruppierung (sei es Hamas oder die mit ihnen bereits in einer lockeren 
Allianz stehende Fatah), sondern werden direkt an die in 
Stadtteilkommittees organisierte notleidenden Bevölkerung verteilt.


Der Gazastreifen wäre wegen der wiederholten Raketenangriffe der Hamas 
eben ein militärisches Sperrgebiet und müsse deshalb von den 
israelischen Streitkräften zu Land und zur See „beschützt“ werden. Das 
stimmt schon einmal rein formalrechtlich nicht, denn Gaza ist – rein 
rechtlich gesehen – ein Hoheitsgebiet der autonomen palästinensischen 
Behörde.  Außerdem hat die Hamas immer wieder versucht, den Abschuss 
der von einzelnen radikalen Gruppen abgeschossenen Raketen zu unterbinden.

Ob also Israel dem durch die Demokratisierungsbewegungen im arabischen 
Raum veränderte Kräfteverhältnis dadurch Rechnung tragen wird, dass es 
das auch im Westen geforderte Tor zu einem Dialog mit den 
Palästinensern symbolisch öffnet und die Gaza-Flotte mit ihrem 
humanitären Anliegen gewähren lässt, ist mehr als zweifelhaft. Im 
Augenblick sieht es eher danach aus, dass die Regierung Netanyahu an 
der Strategie der Selbstisolierung Israels festhält und jeden 
Demokratisierungsversuch auch im eigenen Land verhindert.  Ein 
schwacher Trost mag sein, dass selbst Dinosaurier irgendwann einmal 
ausgestorben sind.

Dieses undemokratische Verhalten der israelischen Regierung 
offenzulegen und dabei der notleidenden Bevölkerung von Gaza das 
Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine ist, ist neben den 
Hilfslieferungen das erklärte Ziel der Gaza-Flotte, die am 26. Juni in 
See stechen wird – diesmal auch mit einer ansehnlichen Delegation aus 
Österreich an Bord.


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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