[E-rundbrief] Info 1003 - Galtung: Libyen: Eingriff namens Krieg

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mi Apr 6 17:38:29 CEST 2011


E-Rundbrief - Info 1003 - Johan Galtung: Libyen: Ein Eingriff namens Krieg

Bad Ischl, 6.4.2011

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Libyen: Ein Eingriff namens Krieg

Von Johan Galtung

WASHINGTON , DC, (IPS) -- Als ich 11 Jahre alt war, hat es mich 
zutiefst beeindruckt, wie mein Vater, der Arzt war, Tag und Nacht 
operierte, um das Leben deutscher Soldaten zu retten, die mein Land, 
Norwegen, besetzt hatten. Sie waren von einem Torpedo schwer verwundet 
worden, als sie gerade versuchten zu landen. Mein Vater sagte mir 
damals, dass die oberste Pflicht eines Arztes darin bestünde, Leben zu 
retten, ohne jedwede Unterschiede.

Ein Arzt, der nur Freunde heilt und keine Feinde, ist kein Arzt, 
sondern ein Kriegsteilnehmer oder Komplize. Eine Organisation, welche 
die Zivilbevölkerung nur auf unserer Seite und nicht auf der anderen 
Seite schützt, ist keine humanitäre Einrichtung - sondern eine 
Kriegsführende.

Deshalb hat die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates, die am 17. 
März beschlossen wurde, keine besondere geschichtliche Bedeutung. Eine 
Resolution zum Schutze der Zivilbevölkerung für alle Kriege, die eine 
Flugverbotszone über Gaza, Bahrain, Pakistan, Afghanistan vorsieht, 
die ja, die wäre geschichtlich bedeutsam gewesen. Aber am gleichen 
Tag, an dem die Resolution 1973 beschlossen wurde, machte die NATO 
Schlagzeilen mit der Tötung von mehr Zivilisten in Afghanistan – eine 
tägliche Routine, wie es scheint.

Was jetzt in Libyen geschieht, ist ein Eingriff, bei dem eine Seite 
gegen die andere unterstützt wird. So etwas hat einen ganz präzisen 
Namen: Krieg.

Es ist mag schon wahr sein, dass Obama multilateraler ist als sein 
Vorgänger Georg W. Bush. Das Problem ist aber nicht wie viele 
entscheiden, sondern was sie entscheiden.  Es stimmt auch, dass die 
Resolution des UN-Sicherheitsrates die frühe Warnung Fidel Castros vom 
21. Februar ausgeschlossen hat, nämlich dass die NATO vorhabe, Libyen 
zu besetzen. Allerdings enthält sie die US Bestimmung „mit allen 
notwendigen Mitteln“.
Die Mehrheit und kein Veto schaffen scheinbar klare Verhältnisse. 
Aber das treibende Anglo-Franco-US Trio vertritt weniger als 500 
Millionen Menschen, während die fünf Enthaltungen – Brasilien, China, 
Deutschland, Indien und Russland – mehr als die Hälfte der Menschheit 
ausmachen. Mit der NATO-Intervention steht der Westen praktisch gegen 
den Rest der Welt. Alle sprechen von einer vagen Alternative, einer 
Feuereinstellung und einer Mediation. Hoffentlich gelingt es bald, 
Rhetorik in Aktion umzusetzen.

Wer mit der Unterstützung der islamischen Länder rechnen kann, wird 
die Welt regieren, heißt es allgemein. Die NATO allerdings führt nun 
schon Krieg mit vier von ihnen und hat sich mit Dänemarks Anders Fogh 
Rasmussen einen General-Sekretär bestellt, der die muslimische Welt 
schon vorher mit seiner Dialog Verweigerung über die international 
bekannt gewordenen „Mohammed Cartoons“ entfremdet hat.
Dass die USA es vorziehen, sich im Hintergrund zu halten, ist leicht 
verständlich. Sie sind bankrott und wollen die wirtschaftlichen, 
militärischen und besonders die politischen Kosten und Risiken der 
Aktion teilen. Im US-Kongress gibt es nämlich kritische Stimmen zum 
Thema und nicht wenige befürchten gar, dass sich ein noch tieferer 
Sumpf auftun könnte als in Afghanistan. Die NATO-Aktion hat inzwischen 
die schlimmsten Befürchtungen der Afrika-Kolonisatoren – Frankreich, 
Italien und Vereinigtes Königreich – bestätigt. Es könnte sogar sein, 
dass noch ein Einsatz von Landtruppen notwendig wird.

Natürlich sollte niemand zuschauen, wie ein Regime das eigene Volk 
unterdrückt, so wie es Gaddafi getan hat. Nur hätten alle mögliche 
andere Maßnahmen ergriffen werden müssen – bis hin zum Abschuss von 
Flugzeugen mit seegestützten Raketen. Aber wie ein Sprecher des US 
National Public Radio ätzend witzelte: „Präsident Obama hat bereits 
mehr Marschflugkörper abgeschossen als alle Friedens-Nobelpreisträger 
zuvor“ und diese Projektile haben alle möglichen Ziele getroffen, egal 
ob sie flogen, über Land fuhren oder zu Fuß gingen.

Ein Präzedenzfall ist die NATO-Aktion gegen Serbien, bei der auch 
„alle notwendigen Mittel“ eingesetzt wurden, allerdings ohne Mandat 
des UN-Sicherheitsrates. So wie in Libyen hat der Westen auch im Fall 
Serbien-Kosovo alles mit der gewohnten Propaganda Kampagne 
vorbereitet. Der Feind wird auf eine hassenswerte Person reduziert, 
ganz nach dem Rezept, das Orwell in seinem Buch „1984“ verwendet hat. 
In jüngster Zeit traf es Milosevic, Hussein, Osama bin Laden und nun 
Gaddafi. Solche Vorarbeiten wurde auch gegen Fidel Castro und Hugo 
Chávez betrieben, bisher aber ohne weiterführende Aktionen.

Eigentlich ist es ein Paradoxon, dass gerade der Westen, der die Idee 
des Gesellschaftsvertrages geboren hat, den das Volk jederzeit 
überdenken kann – Rousseau gegen Hobbes – sich so sehr auf eine Person 
konzentriert und sich kaum um die Menschen kümmert.

Aber die Ziele in Serbien waren klar: Bombardierung von 
Staatsbetrieben, aber verschonen der privatisierten Unternehmen, 
Schaffung neuer Zugänge zu den natürlichen Ressourcen für die 
transnationalen Konzerne, Einnahme der enormen Militärbasis namens 
Bondsteel und Unterstützung einer sogenannten Befreiungsarmee namens 
UCK mit ihrem Rekord Register an Gräueltaten.  Unter den Waffen, die 
gegen Serbien zum Einsatz gebracht wurden, waren Streubomben und 
Bomben mit abgereichertem Uran.
Wir wissen noch nicht, ob das alles auch für den Krieg in Libyen 
zutreffen wird. Es ist auch nicht klar, wer die Rebellen in 
Wirklichkeit sind. Was wollen sie erreichen? Wahrscheinlich werden sie 
ausländische Investitionen im Erdölsektor erlauben und die Errichtung 
von ein bis zwei Militärbasen gestatten, aus Dankbarkeit und zur 
Absicherung ihres Sieges. Die USA hätte dann endlich ihr lang 
ersehntes Ziel erreicht: eine Militärbasis in Afrika.

In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen, die Gaddafi nicht 
mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen. Der Westen 
könnte selbst zum Opfer der eigenen Doktrin „Ein Land – ein Mensch“ 
werden und noch ein lang währendes und tragisches Verbrechen gegen die 
Menschheit begehen.

(ENDE/trad fnf/mjr/COPYRIGHT IPS)

(*) Johan Galtung, Friedensforscher und internationaler Berater; 
Rektor von TRANSCEND, einer Organisation zur Förderung von Frieden, 
Entwicklung und Umwelt. www.transcend.org/tup

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